Texte von Herrn Pastoralreferent i.R. Wolfgang Funke

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Gott ist nicht katholisch
Glauben Juden, Christen und Muslime an denselben Gott?
Jahrhundertelang grenzten sich Juden, Christen und Muslime voneinander ab
und profilierten ihre Identität auf Kosten der anderen.
Auch in unseren Tagen, erst recht nach dem 11. September 2001, fürchten
manche Zeitgenossen einen ‚Krieg der Religionen’.
Zugleich entwickelt sich ein Trialog der abrahamischen Religionen:
Anders-Gläubige werden als Anders-Gläubige entdeckt.
Eine Standortbestimmung aus katholischer Sicht
Referent: Pastoralreferent Wolfgang Funke
Vorbemerkung:
Im Mai 2014 besucht Papst Franziskus Palästina und Israel, er ist zu Gast in
Bethlehem und in Jerusalem.
Er kommt in Begleitung von zwei langjährigen Weggefährten aus Argentinien, der
eine ist ein jüdischer Rabbiner, der andere ist ein muslimischer Hodscha.
Gemeinsam verharren sie vor der so genannten Klagemauer in Jerusalem am Fuß
des Tempelberges, nach ihren stillen Gebeten umarmen sich alle drei - nie zuvor hat
es solche Bilder gegeben.
Mehr als viele Worte führen diese Bilder gleich ins Zentrum unseres heutigen
Themas, das sich mit dem Trialog der drei abrahamischen Religionen beschäftigt.
Ich habe meine Überlegungen in 5 Punkte gegliedert:
I.
II.
III.
IV.
V.
Nostra aetate, die weichenstellende Erklärung des II. Vatikanischen
Konzils über das Verhältnis der Kirche zu den nichtchristlichen Religionen
Anmerkungen zur Wirkungsgeschichte von Nostra aetate
Hinweise zur aktuellen Theologie des Gesprächs zwischen Juden,
Christen und Muslimen
Beispiele konkreter Praxis des Trialogs der abrahamischen Religionen in
der Citykirche Alter Markt in Mönchengladbach (Stichworte)
‚Gott ist nicht katholisch’ – ein Text von Bischof Dr. Heinrich Mussinghoff
Nostra aetate (NA)
Von 1962 – 1965 fand in Rom das II. Vatikanische Konzil statt. In zahlreichen
Veranstaltungen erinnert die katholische Kirche derzeit an die Konzilsdokumente von
vor 50 Jahren, die das Gesicht der Kirche verändert haben und die im Sinne eines
‚aggiornamento’ die ‚Zeichen der Zeit‘, das menschliche Leben und die tradierten
Glaubensinhalte im Licht des Evangeliums neu gelesen haben. Geradezu
programmatisch hierfür ist der bekannte erste Satz aus der Pastoralkonstitution
(‚Gaudium et spes‘): „Freude und Hoffnung, Trauer und Angst der Menschen von
1
heute, besonders der Armen und Bedrängten aller Art, sind auch Freude und
Hoffnung, Trauer und Angst der Jünger Christi. Und es gibt nichts wahrhaft
Menschliches, das nicht in ihrem Herzen seinen Widerhall fände.“
Die für unser Thema entscheidende Erklärung trägt den Titel ‚Erklärung über das
Verhältnis der Kirche zu den nichtchristlichen Religionen’. Der Text beginnt mit den
lateinischen Worten ‚Nostra aetate’ (‚In unserer Zeit’) und so ist die Erklärung wie alle
anderen Konzilstexte nach ihren ersten Worten benannt. Es ist schon an erstaunlich,
dass ein – wie ich finde – auch heute noch revolutionärer Text wie ‚Nosta aetate’(NA)
überhaupt im Konzil entstehen und im Oktober 1965 verabschiedet werden konnte.
Sie werden sich erinnern: Bis zum II. Vatikanischen Konzil galt in der katholischen
Kirche das - zugegebenermaßen innerkirchlich immer auch umstrittene - Axiom:
‚Extra ecclesiam nulla salus!‘ - ‚Außerhalb der Kirche kein Heil’ – und mit der Kirche
war natürlich die katholische Kirche gemeint. ‚Außerhalb der Kirche kein Heil’ – das
galt natürlich erst recht im Blick auf die Muslime, die nach vorkonziliarer
Überzeugung einer götzendienerischen Religion anhingen, einer eindeutigen Irrlehre.
(Exkurs: Christlicher Exklusivismus besagt, dass sich heilshafte Offenbarung bzw.
Transzendenzerkenntnis nur innerhalb des Christentums findet, nicht jedoch in
irgendeiner anderen Religion. Er geht zurück auf Bischof Cyprian (gest. 258): ‘Salus
extra ecclesiam non est’. Bestätigt wurde diese Überzeugung immer wieder, u.a. als
geltende Lehre im IV. Laterankonzil 1215.
Etwa zur Zeit des II.Vatikanischen Konzils wurde das ‚extra ecclesiam…‘ so
gedeutet, dass nur derjenige, der um die Heilsnotwendigkeit der Kirche weiß, ihr aber
dennoch nicht beitritt oder nicht in ihr bleibt, das Heil verfehlt.)
(Einschub: Fragen Sie sich einmal: Wann sind Sie mit einer nichtchristlichen Religion
zum ersten Mal in Kontakt gekommen? Wann sind Sie zum ersten Mal in einer
Synagoge oder in einer Moschee gewesen? Ich selber habe bis zum Ende meines
Theologiestudiums weder eine Synagoge noch eine Moschee von innen gesehen; für
uns gab es in unserer Kindheit und Jugendzeit ja nicht einmal eine Veranlassung,
eine evangelische Kirche zu besuchen, geschweige denn einen Tempel oder eine
Pagode oder ein anderes Gotteshaus.)
Mit NA schlägt die Kirche ein neues Kapitel im Verhältnis zu den nichtchristlichen
Religionen auf; ich empfehle sehr, diesen kurzen Text einmal zu lesen; er ist bis
heute leider in weiten Teilen unserer Kirche nicht bekannt und doch ist er die
Grundlage auch des Trialogs der abrahamischen Religionen.
Einführung
„1. In unserer Zeit, da sich das Menschengeschlecht von Tag zu Tag enger
zusammenschließt und die Beziehungen unter den verschiedenen Völkern sich
mehren, erwägt die Kirche mit um so größerer Aufmerksamkeit, in welchem
Verhältnis sie zu den nichtchristlichen Religionen steht. Gemäß ihrer Aufgabe,
Einheit und Liebe unter den Menschen und damit auch unter den Völkern zu fördern,
fasst sie vor allem das ins Auge, was den Menschen gemeinsam ist und sie zur
Gemeinschaft untereinander führt. Alle Völker sind ja eine einzige Gemeinschaft, sie
haben denselben Ursprung, da Gott das ganze Menschengeschlecht auf dem
gesamten Erdkreis wohnen ließ; auch haben sie Gott als ein und dasselbe letzte Ziel.
….
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Die Menschen erwarten von den verschiedenen Religionen Antwort auf die
ungelösten Rätsel des menschlichen Daseins, die heute wie von je die Herzen der
Menschen im tiefsten bewegen: Was ist der Mensch? Was ist Sinn und Ziel unseres
Lebens? Was ist das Gute, was die Sünde? Woher kommt das Leid, und welchen
Sinn hat es? Was ist der Weg zum wahren Glück? Was ist der Tod, das Gericht und
die Vergeltung nach dem Tode? Und schließlich: Was ist jenes letzte und unsagbare
Geheimnis unserer Existenz, aus dem wir kommen und wohin wir gehen?“
Diese Einleitung ist sozusagen der Horizont, in dem in Nostra aetate im Folgenden
die verschiedenen Religionen betrachtet werden; es geht dem Konzil hier wie so oft
auch in anderen Konzilstexten um die Einheit der einen Menschheitsfamilie. Die
‚Einheit‘ der einen Menschheitsfamilie ist auch im abrahamischen Trialog ein
wichtiger Aspekt!
Die verschiedenen Religionen
„2. Von den ältesten Zeiten bis zu unseren Tagen findet sich bei den verschiedenen
Völkern eine gewisse Wahrnehmung jener verborgenen Macht, die dem Lauf der
Welt und den Ereignissen des menschlichen Lebens gegenwärtig ist, und nicht
selten findet sich auch die Anerkenntnis einer höchsten Gottheit oder sogar eines
Vaters. Diese Wahrnehmung und Anerkenntnis durchtränkt ihr Leben mit einem
tiefen religiösen Sinn“….(es folgen Hinweise auf den Hinduismus, den Buddhismus,
auf übrige Religionen)
„Die katholische Kirche lehnt nichts von alledem ab, was in diesen Religionen wahr
und heilig ist. Mit aufrichtigem Ernst betrachtet sie jene Handlungs- und
Lebensweisen, jene Vorschriften und Lehren, die zwar in manchem von dem
abweichen, was sie selber für wahr hält und lehrt, doch nicht selten einen Strahl jener
Wahrheit erkennen lassen, die alle Menschen erleuchtet.
Unablässig aber verkündet sie und muss sie verkündigen Christus, der ist "der Weg,
die Wahrheit und das Leben" (Joh 14,6), in dem die Menschen die Fülle des
religiösen Lebens finden, in dem Gott alles mit sich versöhnt hat.
Deshalb mahnt sie ihre Söhne, dass sie mit Klugheit und Liebe, durch Gespräch und
Zusammenarbeit mit den Bekennern anderer Religionen sowie durch ihr Zeugnis des
christlichen Glaubens und Lebens jene geistlichen und sittlichen Güter und auch die
sozial-kulturellen Werte, die sich bei ihnen finden, anerkennen, wahren und fördern.“
Das ist die neue, bis heute geltende Grundhaltung der katholischen Kirche: das
wertschätzen, was anderen Menschen heilig ist, was anderen Religionen als
Wahrheit gilt!
(Exkurs: Hier wird in NA ein erster Ansatz hin zu einem christlichen Inklusivismus
deutlich, der besagt, dass sich heilshafte Offenbarung bzw. Transzendenzerkenntnis
in defizitärer Form auch in nichtchristlichen Religionen findet, innerhalb des
Christentums jedoch in einer alle anderen übersteigenden Weise.)
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Die muslimische Religion
„3. Mit Hochachtung betrachtet die Kirche auch die Muslim(e), die den alleinigen Gott
anbeten, den lebendigen und in sich seienden, barmherzigen und allmächtigen, den
Schöpfer Himmels und der Erde, der zu den Menschen gesprochen hat. Sie mühen
sich, auch seinen verborgenen Ratschlüssen sich mit ganzer Seele zu unterwerfen,
so wie Abraham sich Gott unterworfen hat, auf den der islamische Glaube sich gerne
beruft. Jesus, den sie allerdings nicht als Gott anerkennen, verehren sie doch als
Propheten, und sie ehren seine jungfräuliche Mutter Maria, die sie bisweilen auch in
Frömmigkeit anrufen. Überdies erwarten sie den Tag des Gerichtes, an dem Gott alle
Menschen auferweckt und ihnen vergilt. Deshalb legen sie Wert auf sittliche
Lebenshaltung und verehren Gott besonders durch Gebet, Almosen und Fasten.
Da es jedoch im Lauf der Jahrhunderte zu manchen Zwistigkeiten und Feindschaften
zwischen Christen und Muslim(en) kam, ermahnt die Heilige Synode alle, das
Vergangene beiseite zu lassen, sich aufrichtig um gegenseitiges Verstehen zu
bemühen und gemeinsam einzutreten für Schutz und Förderung der sozialen
Gerechtigkeit, der sittlichen Güter und nicht zuletzt des Friedens und der Freiheit für
alle Menschen.“
Das ist nun tatsächlich so etwas wie die ‚Magna charta’ des Dialogs zwischen
Christen und Muslimen. Hinter diese Erklärung führt katholischerseits kein Weg
zurück.
Das Konzil spricht davon, dass die Muslime den ‚alleinigen’ Gott anbeten: das ist
eine erste Antwort auf die Frage ‚Glauben Juden, Christen und Muslime an
denselben Gott?‘.
Einen zweiten Hinweis will ich gleich anschließen und ich zitiere Papst Johannes
Paul II.: „Euer und unser Gott sind ein und derselbe und wir sind Brüder und
Schwestern im Glauben Abrahams.“ (Aus der Eröffnungsrede eines christlichmuslimischen Symposiums 1985)
Und einen dritten Hinweis füge ich gleich hinzu und zitiere aus der Dogmatischen
Konstitution über die Kirche (‚Lumen gentium‘ / ‚Licht der Völker‘), also aus jenem
Dokument, in dem es um mit höchster Konzilsautorität ausgestattete dogmatische,
den Kern des Wesens der Kirche betreffende Aussagen geht; dort heißt es in
Abschnitt 16: „ Der Heilswille umfasst aber auch die, welche den Schöpfer
anerkennen, unter ihnen besonders die Muslime, die sich zum Glauben Abrahams
bekennen und mit uns den einen (Unterstreichung WF) Gott anbeten, den
barmherzigen, der die Menschen am Jüngsten Tag richten wird.“
Muslime beten mit Christen den einen Gott an!
Die Muslime selber hätten sich natürlich noch mehr gewünscht, zumindest die
Erwähnung des Koran und die Erwähnung des Propheten Muhammed. Nicht über
den Koran zu sprechen, der ja für die Muslime das von Gott selbst geoffenbarte Wort
ist, ist in etwa so, wie wenn man vom christlichen Glauben spricht, ohne Jesus
Christus zu erwähnen.
Aber immerhin werden in diesem Konzilstext drei der fünf Säulen des Islam
ausdrücklich genannt: Gebet, Fasten und Almosen (es fehlen die Schahada, das
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islamische Glaubensbekenntnis („Ich bezeuge, dass es keine Gottheit außer Gott
gibt und das Mohammed der Gesandte Gottes ist“) und der Hadsch, die Pilgerfahrt
nach Mekka.
Die jüdische Religion
„4. Bei ihrer Besinnung auf das Geheimnis der Kirche gedenkt die Heilige Synode
des Bandes, wodurch das Volk des Neuen Bundes mit dem Stamme Abrahams
geistlich verbunden ist.
So anerkennt die Kirche Christi, dass nach dem Heilsgeheimnis Gottes die Anfänge
ihres Glaubens und ihrer Erwählung sich schon bei den Patriarchen, bei Moses und
den Propheten finden.
Deshalb kann die Kirche auch nicht vergessen, dass sie durch jenes Volk, mit dem
Gott aus unsagbarem Erbarmen den Alten Bund geschlossen hat, die Offenbarung
des Alten Testamentes empfing….
Im Bewusstsein des Erbes, das sie mit den Juden gemeinsam hat, beklagt die
Kirche, die alle Verfolgungen gegen irgend-welche Menschen verwirft, nicht aus
politischen Gründen, sondern auf Antrieb der religiösen Liebe des Evangeliums alle
Hassausbrüche, Verfolgungen und Manifestationen des Antisemitismus, die sich zu
irgendeiner Zeit und von irgend jemandem gegen die Juden gerichtet haben.“
Die Vorurteile Juden gegenüber waren in der katholischen Kirche (aber auch Luther
hat heftig gegen Juden, Heiden und Irrlehrer gewettert….) durch viele Jahrhunderte
stark ausgeprägt. Viele werden sich vielleicht noch an das Wort von den Juden als
‚Gottesmörder’ erinnern; auch hierzu sagt NA ausdrücklich, dass die Ereignisse um
das Leiden und Sterben Jesu weder allen damals lebenden Juden ohne Unterschied
noch den heutigen Juden zu Last gelegt werden darf.
Papst Johannes Paul II. besuchte als erster Papst der Geschichte überhaupt die
Synagoge in Rom im Jahr 1986 und er sprach dabei jenes Wort, das seitdem das
Verhältnis von Juden und Christen charakterisiert: „Juden und Jüdinnen sind unsere
älteren Brüder und Schwestern im Glauben“.
5. Universale Brüderlichkeit
………..“So wird also jeder Theorie oder Praxis das Fundament entzogen, die
zwischen Mensch und Mensch, zwischen Volk und Volk bezüglich der
Menschenwürde und der daraus fließenden Rechte einen Unterschied macht.
Deshalb verwirft die Kirche jede Diskriminierung eines Menschen oder jeden
Gewaltakt gegen ihn um seiner Rasse oder Farbe, seines Standes oder seiner
Religion willen, weil dies dem Geist Christi widerspricht. Und dementsprechend ruft
die Heilige Synode… die Gläubigen mit leidenschaftlichem Ernst dazu auf, dass sie
"einen guten Wandel unter den Völkern führen" (1 Petr 2,12) und wo möglich, soviel
an ihnen liegt, mit allen Menschen Frieden halten, sodass sie in Wahrheit Söhne des
Vaters sind, der im Himmel ist.“
Es geht abschließend in Nostra aetate also noch einmal um die ‚Einheit der einen
Menschheitsfamilie’ und darum, Frieden und Freiheit für alle Menschen zu schaffen.
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II. Zur Wirkungsgeschichte von Nostra aetate
Seit Nostra aetate ist klar: Juden, Christen und Muslime sind Geschwisterreligionen,
deren Ursprung im Stammvater Abraham liegt. Aus seinem Sohn Isaak führt über
Jakob der Weg bis hin zu Jesus, und aus dessen Sohn Ismael führt der Weg hin zum
Propheten Muhammed.
Was aber heißt das konkret? Was heißt das für die innere Beziehung zwischen
Synagoge, Kirche und Moschee (Umma)? Was heißt das für ein trialogisches
Denken, das in allen drei Religionen nach wie vor ungewohnt ist?
Vor nicht langer Zeit haben viele Menschen zumindest bei uns im Westen gedacht:
Die Zeit der Religion ist vorbei. Heute erleben wir: Religion ist heute ein Faktor der
Weltpolitik geworden. Religionen haben weltweit Einfluss auf Hunderte Millionen von
Menschen, Einfluss, der zu Hass und Feindschaft, aber eben auch zu Frieden und
Versöhnung genutzt werden kann.
Der frühere deutsche Bundeskanzler Helmut Schmidt hat kürzlich daran erinnert:
„Heute beunruhigt mich sehr, dass zu Beginn des 21. Jahrhunderts die Gefahr eines
weltweit religiös motivierten oder auch religiös verbreiteten ‚Clash of Civilizations’
durchaus real geworden ist. Das ist keine intellektuelle Spielerei, die Gefahr ist
wirklich gegeben. An manchen Orten der heutigen Welt vermischen sich religiös
verbrämte Herrschaftsmotive mit Empörung über Armut und Neid auf den Wohlstand
anderer. Religiöse Sendungsmotive vermischen sich mit exzessiven
Herrschaftsmotiven. Die abwägenden und mäßigenden Stimmen der Vernunft haben
es schwer, Gehör zu finden….Es ist eine Tragödie, dass auf allen Seiten die
Rabbiner, die Priester, Pastoren und Bischöfe, die Mullahs und Ayatollahs uns Laien
jede Kenntnis der anderen Religionen weitgehend vorenthalten haben. Sie haben
uns im Gegenteil häufig gelehrt, über die anderen Religionen ablehnend oder gar
abfällig zu denken. Wer aber Frieden zwischen den Religionen will, der sollte
religiöse Toleranz und Respekt predigen. Respekt gegenüber dem Anderen setzt ein
Minimum an Kenntnis des Anderen voraus.“
Aus all dem, was ich gesagt und zitiert habe, folgt:
Juden, Christen und Muslime können nicht länger in religiöser Selbstzufriedenheit
erstarren. Was in der einen Religion geschieht oder unterbleibt, geht alle anderen an.
Die gleichzeitige geschichtliche Existenz der drei abrahamischen Religionen hat nicht
nur eine kulturelle, soziale, politische und ökonomische Dimension, sie hat auch eine
theozentrische Dimension. Was bedeutet es theologisch für den jüdischen, den
christlichen und den muslimischen Glauben, das der eine Gott und Vater aller
Menschen sich zeitgleich in der einen Menschheitsfamilie durch drei Glaubensgemeinschaften aus der Wurzel Abrahams bezeugen lässt?
Bei allem ‚Wahrheitsanspruch‘ der je eigenen Religion muss uns heute klarer denn je
sein (und das haben wir eigentlich schon in der Theologie immer gewusst): Gott lässt
sich von keiner von Menschen gemachten religiösen Tradition und Institution in
seiner Größe, Unbegreiflichkeit und Freiheit fassen.
Obwohl gerade seit dem 11. September 2001 weltweit ein gegenläufiger Prozess
festzustellen ist, heißt der Auftrag an Juden, Christen und Muslime: Nehmt die
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Präsenz der je anderen Religion wahr! Lernt die Wurzeln und die Wirklichkeiten der
je anderen Religion kennen! Lasst die je anderen Religionen teilhaben an eurem
Suchen und Fragen, an eurem Denken und Handeln!
Ich meine, dass man sagen kann, dass die katholische Kirche sich seit dem letzten
Konzil auf einen solchen Weg des Trialogs gemacht hat.
Ich erinnere an den bereits eben erwähnten Besuch von Papst Johannes Paul II. im
Jahr 1986 in der Synagoge in Rom: nach Jahrhunderten der Diskriminierung macht
der Papst deutlich, dass die Kirche unlösbar mit Israel verbunden ist.
Man höre und staune: Er bekräftigt, dass der Bund, den Gott mit seinem Volk Israel
geschlossen hat, auch nach dem Christus - Ereignis unwiderrufen ist (Röm 11,29). Er
spricht von den ‚bevorzugten’ und den ‚älteren’ Brüdern im Glauben und vom
‚niemals gekündigtem Bund’, den Gott mit seinem Volk geschlossen hat.
Ich erinnere an den Besuch von Papst Johannes Paul II. im Jahr 2001 in der
Moschee in Damaskus. Zum ersten Mal in der Geschichte des Christentums besucht
ein Papst eine Moschee und er sagt: „Es ist wichtig, dass Muslime und Christen in
Zukunft gemeinsam philosophische und theologische Fragestellungen erforschen,
um eine objektivere und vollständigere Kenntnis des Glaubens der anderen Seite zu
bekommen. Ein besseres Verständnis wird dazu führen, unsere beiden Religionen
auf neue Art und Weise darzustellen: Nicht als Gegner, wie es in der Vergangenheit
allzu oft geschehen ist, sondern als Partner für das Wohl der Menschheitsfamilie.“
Man höre und staune: es geht um Partnerschaft – für das Wohl der einen
Menschheitsfamilie.
Ich erinnere an den Besuch von Papst Benedikt XVI. im Jahr 2005 in der Synagoge
zu Köln, bei dem er sagt: „Deshalb möchte ich ausdrücklich ermutigen zu einem
aufrichtigen und vertrauensvollen Dialog zwischen Juden und Christen…..
Ehrlicherweise kann es in diesem Dialog nicht darum gehen, die bestehenden
Unterschiede zu übergehen oder zu verharmlosen: Auch und gerade in dem, was
uns aufgrund unserer tiefsten Glaubensüberzeugung voneinander unter-scheidet,
müssen wir uns gegenseitig respektieren und lieben.“
Man höre und staune: es geht um Respekt, um Wertschätzung, ja sogar um Liebe!
Ich erinnere an den Besuch von Papst Benedikt XVI. im Jahr 2006 in der Blauen
Moschee in Istanbul, in der er sagt: „Für Apathie und Untätigkeit ist kein Platz ….Wir
dürfen der Angst und dem Pessimismus keinen Raum geben. Wir müssen vielmehr
Optimismus und Hoffnung pflegen. Der interreligiöse und interkulturelle Dialog
zwischen Christen und Muslimen darf nicht auf eine Saisonentscheidung reduziert
werden. Tatsächlich ist er eine vitale Notwendigkeit, von der zu großen Teilen unsere
Zukunft abhängt….Christen und Muslime gehören zur Familie derer, die an den
einen Gott glauben, und die, entsprechend ihren eigenen Traditionen, ihre
Abstimmung auf Abraham zurückführen. Diese menschliche und geistliche Einheit in
unseren Ursprüngen und unserer Bestimmung fordert uns heraus, einen
gemeinsamen Weg zu suchen…“
Man höre und staune: Um der Zukunft der Menschen willen gibt es zum christl.muslimischen Dialog keine Alternative!
Und schließlich erinnere ich an die Friedensgebete, zu denen Papst Joh. Paul II.
1986 und 2002 Religionsvertreter sehr vieler Religionsgemeinschaften nach Assisi
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eingeladen hatte. Zwar gab es hier im eigentlichen Sinne keine gemeinsamen
Gebete, wohl aber Gebete der verschiedenen Religionsgemeinschaften „im
Angesicht des Anderen“, ganz so, wie es heute bei ‚multireligiösen Gebeten’ auch
der Fall ist.
Allerdings reichte die bloße Tatsache, dass der Papst sich in Assisi sozusagen auf
Augenhöhe mit anderen Religionsvertretern stellte, dazu aus, dass sich zahlreiche
Gruppen am rechten Rand der Kirche endgültig aus der kirchlichen Gemeinschaft
verabschiedeten und Papst Johannes Paul II. mit dem Hinweis auf die vorkonziliare
Überzeugung ‚Außerhalb der Kirche kein Heil!’ die Gefolgschaft verweigerten. Zu
schmerzlich wurde bei den Traditionalisten der Bruch mit der Tradition erfahren, nicht
nachvollziehbar war der Weg heraus aus der vermeintlichen Sicherheit, die römischkatholische Glaubensüberzeugung sei die alleinseligmachende. Zu diesen Gruppen
gehören z.B. die Pius-Bruderschaft und die Sedisvacantisten, die den Stuhl des Hl.
Petrus seit der Zeit nach Pius XII (gest. 1958, danach kam Papst Johannes XXIII) für
unbesetzt erklären und die das II. Vatikanische Konzil insgesamt für häretisch halten.
Was folgt aus all dem Gesagten: Nostra aetate hat tatsächlich für die katholische
Kirche eine entscheidende Weichenstellung für den Trialog der Kinder Abrahams
gebracht.
Es geht im Trialog heute darum Gemeinsamkeiten zu suchen, ein gegenseitiges
Verstehen anzustreben und eine innere Verbindung zu erkennen und theologisch zu
deuten.
Alle drei Religionen stimmen darin überein






Dass es nur einen und einen einzigen Gott gibt
Dass Gott der allmächtige und der barmherzige Schöpfer ist
Dass Gott sich den Menschen gegenüber geoffenbart hat
Dass Glauben Vertrauen auf den Willen Gottes nach dem Vorbild des
Stammvater Abraham ist
Sie leben in der Hoffnung, dass Gott einen nur ihm bekannten zukünftigen
Tag ermöglicht, „an dem alle Völker mit einer Stimme den Herrn anrufen und
ihm ‚Schulter an Schulter’ dienen“ (NA 4)
Sie leben in der Erwartung, dass die Menschen im Tod auferstehen werden
und dass Gott Ihnen ein gerechter Richter sein wird.
Um nicht missverstanden zu werden: wir suchen im trialogischen Gespräch nach
inneren Beziehungen zwischen Judentum, Christentum und Islam, nicht nach
Gleichmacherei.
Judentum, Christentum und Islam sind und bleiben drei verschiedene Religionen.
So ist Jesus für Juden natürlich nicht der erwartete Messias; schon die Vorstellung,
der Messias sei am Kreuz gestorben, war für die Juden - wie Paulus im Korintherbrief
schreibt - „ein empörendes Ärgernis und für Heiden eine Torheit“ (1 Kor 1,23).
So lehnt der Koran die christliche Rede vom dreieinen Gott ab und betont die Einheit
Gottes. Er lehnt die Gottessohnschaft Jesu Christi ab, er leugnet die Kreuzigung
Jesu und die Erlösung durch den Kreuzestod und auch die Auferstehung Christi.
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Auch wenn Juden, Christen und Muslime an ein und denselben Gott glauben, so sind
doch ihre Gottesvorstellungen unterschiedlich.
Im Folgenden will ich einige wenige Stichworte nennen, die Grundüberzeugungen im
trialogischen Gespräch der drei abrahamischen Religionen aufweisen.
III. Hinweise zur aktuellen Theologie des Gespräches zwischen Juden, Christen
und Muslimen
Juden und Christen stützen sich auf die Autorität ein und desselben Buches – die
Bibel (das die Juden ‚Tenach‘ nennen und die Christen das ‚Alte Testament‘).
In diesem Buch suchen Juden und Christen religiöse Orientierung, spirituelle
Bereicherung und sie ziehen aus der Bibel ähnliche Lehren.
Die christlichen Kirchen bewahren die Schriften der hebräischen Bibel (das Alte
Testament), sie stellen ihre ‚neuen‘ Texte (das Neue Testament) nicht vor, sondern
hinter die jüdische Bibel, so entsteht aus beiden Büchern die christliche Bibel.
Wie die Hebräische Bibel und die christliche Bibel ist auch der Koran im vorderen
Orient entstanden. Die Hebräische Bibel und die christliche Bibel waren dem
Propheten Muhammed natürlich bekannt; und so ist es nicht verwunderlich, dass der
Koran vielfach auf die jüdisch-christliche Tradition zurückgreift:
Moses (arabisch: Musa) wird im Koran 136 Mal genannt, so oft wie kein anderer der
vorislamischen Propheten.
Noach (arabisch: Nuh) wird in 26 der 114 Suren des Koran genannt.
Von Jesus (arabisch: Isa) wird im Koran in 15 der 114 Suren erzählt.
Den katholischen Christen ist kaum bewusst, wie sehr sie mit den Muslimen die
Verehrung Mariens teilen – bei aller Unterschiedlichkeit in der theologischen
Deutung.
Von Maria (arabisch: Maryam) sprechen 70 Verse im Koran; sie wird im Koran
häufiger genannt als im neuen Testament. Maria ist die einzige Frau, die im Koran
namentlich erwähnt wird, die Sure 19 trägt ihren Namen: Maryam.
Ich glaube, dass Juden, Christen und Muslimen ganz generell viel zu wenig bekannt
und bewusst ist, wie groß die gemeinsame Tradition in ihren Hl. Schriften ist.
Erst wenn sie sich der gemeinsamen Herkunft bewusst werden, können sie
eine gute gemeinsame Zukunft haben.
Juden, Christen und Muslime glauben daran, dass Gott die Welt geschaffen hat.
Davon sprechen die jeweiligen Schöpfungsgeschichten in der Bibel und im Koran.
Mit ‚Adam‘ hat Gott den Menschen geschaffen; es geht nicht um Adam als ersten
Mann oder um Adam als ersten Juden: mit Adams Schöpfung ist der Mensch
überhaupt geschaffen, jeder Mensch.
Theologisch sind Juden, Christen und Muslime sich darin einig, dass Gott um der
Einheit des einen Menschengeschlechtes willen am Anfang nur einen Menschen
geschaffen hat. Um der Einheit willen!
Und obwohl diese ‚Idee‘ der Gleichheit aller Menschen gerade auch in unseren
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Tagen immer wieder verraten und geschändet wird, ist sie ein für allemal im
Schöpfungswillen Gottes verankert und niedergelegt in der Bibel und im Koran. Auf
diesen Schöpfungswillen können sich alle berufen, denen es um die gleiche Würde ,
um die Gleichheit aller Menschen geht.
Wir alle wissen, wie die Schöpfungsgeschichte weiter ging: Sündenfall, Vertreibung
aus dem Paradies, Brudermord….An Adam und seinen Nachfahren ist bereits
ablesbar, was den Menschen ausmacht: Glanz und Elend, Schönheit und Verfall,
Stolz und Sturz, Höhen und Tiefen, Leben und Tod.
(Einschub: Ein kurzer Blick in die Apostelgeschichte (Apg 17)): Paulus versucht auf
dem Areopag in Athen, mitten in der heidnischen Umwelt, von Jesus Christus zu
erzählen. Zwischen allen möglichen Altären mit allen in Athen damals bekannten
Göttern sieht er einen Altar mit der Inschrift „Einem unbekannten Gott“; dieser Altar
gibt ihm einen Anknüpfungspunkt:
„Gott, der die Welt erschaffen hat und alles in ihr, er, der Herr über Himmel und Erde,
wohnt nicht in Tempeln, die von Menschenhand geschaffen sind. Er lässt sich auch
nicht von Menschen bedienen, als brauche er etwas: er, der allen das Leben, den
Atem und alles gibt. Er hat aus einem einzigen Menschen das ganze Menschengeschlecht erschaffen, damit es die Erde bewohne. Sie sollten Gott suchen, ob sie
ihn ertasten und finden könnten; denn keinem von uns ist er fern. Denn in ihm leben
wir, bewegen wir uns und sind wir, wie auch einige von euren Dichtern gesagt haben:
Wir sind von seiner Art.“ (Apg 17, 24-28)
Paulus setzt in Athen die Kenntnis der Geschichte von Adam voraus. Das „ganze
Menschengeschlecht“ hat einen einzigen Ursprung! Es bildet eine Einheit. Alle
Menschen sind insofern gleich, als ihr gottgewollter Ursprung sie in die Lage versetzt,
Gott zu suchen und ihn zu finden. Ein und derselbe Gott, der am Anfang war und in
dem wir immer noch leben, in dem wir uns bewegen, ja, von dessen ‚Art‘ wir
Menschen sind. Paulus zeigt uns die Universalität des Gottesglaubens, die die
Menschen in Jerusalem und in Athen gleichermaßen umgreift, Juden wie Nichtjuden,
Christen wie Nichtchristen. Diese Universalität des Glaubens ist für die christliche
Theologie in unserer heutigen Zeit von grundlegender Bedeutung.)
Des Schicksals Adams zu gedenken, heißt Grunderfahrungen des Menschlichen vor
Gott zu teilen. Tun Juden, Christen und Muslime dies, so sind sie eingebunden in
eine Ökumene der Kinder Adams. In Grundfragen des Menschseins gibt es diese
tiefe innere Verbundenheit zwischen Juden, Christen und Muslimen.
Juden, Christen und Muslime sind aber nicht nur ‚Kinder Adams‘, sie sind auch
‚Kinder Noachs‘. Wenn wir die Geschichte Noachs bedenken wird auch hier klar:
Trotz aller Differenzierungen in Sprachen, Länder und Völker bilden die Menschen
abstammungsmäßig eine Einheit. Der eine Gott will die eine Menschheit. Nicht
Klasse oder Rasse, nicht Blutsverwandtschaft oder Familienzugehörigkeit
entscheiden vor Gott, sondern ausschließlich der Glaube an Gott, den Schöpfer und
Richter.
Wenn heute oft vom drohenden „Clash of civilizations“ (Samuel Phillips Huntington)
die Rede ist, dann ist die vielleicht einzige Chance, diesem zu entgehen, das
Erlernen bzw. sich das Bemühen darum, mit den gottgegebenen Differenzen leben
zu lernen. Dazu braucht es dann ein die Menschheit verbindendes Grundethos;
hiervon sind wir leider immer noch weit entfernt.
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(An dieser Stelle könnte man einen längeren kritischen Exkurs einfügen über das
muslimische Verständnis der Menschenrechte, insbesondere das der (positiven wie
negativen) Religionsfreiheit, und über die Scharia, das islamische Rechts-, Normund Moralsystem, und wir würden sehen, dass die verächtlichen Äußerungen von
islamischen Autoritäten unserer Tage (Khomeini, Khamenei) über die modernen
Menschen-rechte und die Religionsfreiheit denen von Päpsten im 19. Jahrhundert
zum gleichen Thema in nichts nachstehen. Gerade im Blick auf die Religionsfreiheit
sind im Dialog mit Muslimen viele Fragen offen; Religionsfreiheit im neuzeitlichen
Sinn meint eine dreifache Freiheit: Freiheit für Religion (freie Religionsausübung),
Freiheit zu einer Religion (freier Religionswechsel), Freiheit von Religion (Freiheit,
keine Religion zu haben). Mit Religionsfreiheit und der universalen Geltung der
Menschenrechte tun sich viele Religionen bis heute schwer!)
Juden, Christen und Muslime sind nicht nur Kinder Adams und Noachs, sondern
auch Moses Kinder. Für die Bibel und den Koran hat Mose eine singuläre Stellung
vor allem dadurch, dass Gott sich ihm wie keinem zuvor und danach unmittelbar
zugewandt und mitgeteilt hat. Der Koran erkennt daher in Mose nicht zufällig den
„ersten der Gläubigen“. Wie im Buch Exodus in der Bibel so ist Mose auch im Koran
nicht nur ein von Gott Gesandter, sondern auch ein Gottvertrauter. Er ist sogar ein
Ur-Bild für den Propheten Muhammed selber, der ja wie Moses von Gott selbst eine
neue Offenbarung empfing. Wie Mose versteht sich auch Muhammed als Gesandter
zu einem konkreten Volk: dem Volk der Araber, das in der Heilsgeschichte Gottes mit
den Menschen nun durch Muhammed auch einen Platz erhält.
Wenn man einmal den jüdisch-christlichen Dekalog, die 10 Gebote, mit dem
islamischen Pflichtenkodex vergleicht, dann wird das gemeinsame Grundethos der
drei abrahamischen Religionen deutlich.
Damit komme ich zu Abraham (der zeitgeschichtlich natürlich vor Moses anzusiedeln
ist), der für Juden, Christen und Muslime unverzichtbar ist. Ohne Abraham sind
weder das Judentum zu verstehen noch die Anfänge von Christentum und Islam.
(Ggf. kurz den Kern der Abraham-Erzählung zusammenfassen, die Geschichte
Abrahams findet sich im Buch Genesis in den Kapiteln 12-25)
Das Judentum führt sich zurück auf die in der Hebräischen Bibel bezeugte Linie
Abraham-Sara-Isaak (-Jakob, der nach einem ‚Gotteskampf‘ „Israel“ genannt wird).
Das Christentum führt sich zurück auf Jesus Christus, von dem es schon im ersten
Satz des Neuen Testamentes heißt: „Stammbaum Jesu Christi, des Sohnes Davids,
des Sohnes Abrahams“ (Mt1,1)
Der Islam führt sich – grundgelegt in der Verkündigung des Propheten Muhammed –
zurück auf die Linie Abraham-Hagar-Ismael.
Ohne Abraham, Hagar und Sara gäbe es kein Judentum, kein Christentum, keinen
Islam. Für alle drei Religionen ist Abrahams Glaube und sein tiefes Gottvertrauen
vorbildhaft.
Im Judentum und Christentum ist lange Zeit, fast bis in unsere Tage, Abrahams
erstgeborener Sohn Ismael kaum in den Blick genommen worden. Heute wird uns im
Trialog der abrahamischen Religionen mehr und mehr bewusst, dass Gottes Segen
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über Abraham sich nicht nur in Isaak und seiner Nachkommenschaft, sondern eben
auch in Ismael und dessen Nachkommenschaft fortsetzt.
Glauben wie Abraham, auf Gottes Wort vertrauen wie Abraham auf Gottes Wort
vertraut hat – das ist die abrahamische Wurzel von Judentum, Christen und Islam.
In diesem Geist wird in der Theologie eine abrahamische Ökumene vorangetrieben –
gegen alle Widerstände in allen drei Religionsgemeinschaften.
Abrahamische Ökumene heißt:
„Juden, die sich in ihrem konkreten Leben nach Mose, ihrem Lehrer, richten;
Christen, die sich in ihrem konkreten Leben an Jesus, ihrem Christus, orientieren,
Muslime, die ihr Leben konkret nach der Botschaft ihres Propheten, niedergelegt im
Koran, ausrichten, erkennen ihre besondere Verbindung miteinander; Achtung
voreinander und Verantwortung füreinander, weil sie ihren gemeinsamen
geschichtlichen Ursprung ernstnehmen: Abraham, Hagar, Sara, Ismael und Isaak,
Stammeltern ihres Glaubens. Wer ökumenisch im Geist der Urväter und Urmütter
denkt, hört auf, allein an das Wohl der Synagoge, der Kirche oder der Umma zu
denken. Dem ist es nicht gleichgültig, wie es um das Schicksal anderer
„Geschwister“ gestellt ist. Der praktiziert echte Geschwister-lichkeit im besten Sinn
des Wortes: bei aller Respektierung der jeweiligen Eigenständigkeit doch ein
Bewusstsein der Zusammengehörigkeit, der Verantwortlichkeit, ja der Sorge
füreinander und der Solidarität miteinander.“ (1)
Glauben Juden, Christen und Muslime an denselben Gott?
In „Dabru Emet“, der aktuellen „jüdischen Stellungnahme zu Christen und
Christentum“, heißt es:
„Juden und Christen beten den gleichen Gott an. Vor dem Aufstieg des Christentums
waren es allein die Juden, die den Gott Israels anbeteten. Aber auch Christen beten
den Gott Abrahams, Isaaks und Jakobs, den Schöpfer von Himmel und Erde an.
Wenngleich der christliche Gottesdienst für Juden keine annehmbare religiöse
Alternative darstellt, freuen wir uns als jüdische Theologen darüber, dass
Abermillionen von Menschen durch das Christentum in eine Beziehung zum Gott
Israels getreten sind.“
Es kann keinen Zweifel daran geben, dass Juden und Christen an denselben Gott
glauben!
Vom Rabbiner Schalom Ben Chorin stammt in diesem Zusammenhang das Wort:
„Der Glaube Jesu eint uns, der Glaube an Jesus trennt uns.“
Muslime ihrerseits werden durch den Koran auf die Überzeugung verpflichtet, dass
der eine und wahre Gott zu allen Völkern immer wieder neue Boten mit immer wieder
derselben Botschaft gesandt hat. Diese Botschaft wurde für Juden in der Tora, für
Christen im Evangelium ein für allemal niedergelegt. Mögen Juden und Christen
nach islamischer Lesart diese Botschaft auch gelegentlich verzerrt oder verfälscht
haben, entscheidend ist, dass ein und derselbe Gott sich durch Mose und Jesus
Juden und Christen bereits bezeugt hat. Der Koran hebt frühere Offenbarungen nicht
auf oder ersetzt sie, sondern er bestätigt sie (Sure 5,46-47). Wobei Mohammed nach
muslimischem Verständnis ‚das Siegel der Propheten‘ ist, nach ihm wird es keine
weitere Offenbarung mehr geben. Dies macht für Muslime die Akzeptanz späterer
Religionen, z.B. die Bahá’i - Religion, sehr schwer.
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Und wie sieht es zwischen Juden und Muslimen im Gottesverständnis aus?
Hören wir kurz den Text des jüdischen Glaubensbekenntnisses, das Sch’ma Jisrael:
„Sch’ma Jisrael, Adonai Elohenu, Adonai Echad." (5 Buch Mose, Dtn 6,4) „Höre
Israel! Der Ewige, unser Gott, der Ewige ist eins.“
Hören wir im Vergleich hierzu das Glaubensbekenntnis der Muslime, die Schahada:
„Ich bezeuge, dass es keine Gottheit gibt außer Gott. Ich bezeuge, dass Muhammed
der Gesandte Gottes ist.“
Die innere Nähe zwischen der Schahada und dem Sch’ma Jisrael ist offensichtlich!
Ein Wort noch zur Frage: Ist ‚Allah‘ ein Eigenname oder eine Gottesbezeichnung?
Tatsächlich nutzen manche Muslime ‚Allah‘ als Eigennamen, aber arabisch
sprechende Christen und arabisch sprechende Juden nutzen das arabische Wort
‚Allah‘ für ihre Gottesbezeichnung und Gottesrede, z.B. im Gebet.
„Wer also behauptet, der Gott der Muslime heiße ‚Allah‘, ja dies sei gleichsam der
‚Eigenname‘ des islamischen Gottes, der verkennt schlicht die sprachlichen
Tatsachen, die im Arabischen für sich sprechen. Schlimmer noch: Er verschüttet
letztendlich den Weg zu dem von Juden, Christen und Muslimen gemeinsam
verehrten Gott Abrahams.“ (Hartmut Bobzin, Kath. Theologe, Islamwissenschaftler)
Ich fasse zusammen: ein Studium der Hl. Schriften, der hebräischen Bibel, der
christlichen Bibel und des Koran legen zahlreiche gemeinsame Quellen und eine
innere Verbundenheit der drei abrahamischen Religionen frei.
Karl-Josef Kuschel sagt es so: Glauben an den einen Gott, aber in verschiedener
Weise
„Juden glauben an den einen Gott, den Schöpfer, Bewahrer und Richter aller
Menschen, der zugleich für Israel einen besonderen Weg gewählt hat: eine
Lebensordnung, wie sie die Tora vorlegt und wie sie in Jahrhunderten
religionsgeschichtlicher Auslegung konkretisiert wurde. Der eine Gott – das eine Volk
Gottes: um diese Achse dreht sich die jüdische Existenz.
Christen glauben an den einen Gott, den Schöpfer, Bewahrer und Richter aller
Menschen, der sich in besonderer Weise in seinem Sohn, Jesus Christus, den
Menschen erschlossen hat. In Sendung, Botschaft und Praxis, in Leiden, Sterben
und Auferstehen Jesu von Nazarets erkennen Christen einen besonderen Weg
Gottes mit den Menschen. Der „Weg Jesu Christi“ will Gottes Weg mit Israel nicht
ersetzen, aber für Nichtjuden erschließen, ergänzen, vertiefen.
Muslime glauben an den einen Gott, den Schöpfer, Bewahrer und Richter aller
Menschen, aber sie sehen zugleich im Koran den Höhe- und Endpunkt einer
Offenbarungsgeschichte, die Judentum und Christentum umgreift, für Muslime aber
definitive Selbstkundgabe des Willens Gottes ist. Die Offenbarung Gottes im Koran
will Gottes Weg mit Israel und der Kirche nicht verwerfen oder ersetzen, sie will ihn
für Nichtjuden/Nichtchristen erschließen, ergänzen, vertiefen.“ (2)
Sicher kann man fragen: Ist das angesichts der aktuellen politischen und zugleich
religiös begründeten Auseinandersetzung nicht alles zu optimistisch gesehen? Ich
meine, man muss die Menschen guten Willens in allen Religionen stärken. Nicht den
Traditionswächtern und den Schwarzmalern gehört die Zukunft, sondern den mutigen
Brückenbauern! Die Zukunft gehört Menschen, die zusammenbringen, was früher
getrennt war. Menschen also, die zu Wandlungen und Entwicklungen fähig sind.
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(Exkurs: Von exklusivistischen Überzeugungen über inklusivistische Ansätze wird
heute im Dialog der Religionen – der ja auch über den abrahamischen Dialog
hinausgeht – ein christlicher Pluralismus diskutiert, der besagt, dass sich heilshafte
Offenbarung bzw. Transzendenzerkenntnis innerhalb nichtchristlicher Religionen und
innerhalb des Christentums findet, ohne dass hierbei eine der unterschiedlichen
Formen, in denen sie vermittelt oder bezeugt wird, alle anderen überragt.
Schon Paulus räumt in der eben bereits zitierten Rede auf dem Areopag freimütig
ein, dass auch Nichtchristen die universale Gegenwart Gottes erfahren haben. (Apg,
Kap.17)
In vielen nichtchristlichen Religionen gibt es hierzu analoge Aussagen:
Etwa das Wort des Propheten Amos in der hebräischen Bibel, dass Gott nicht nur der
Befreier Israels, sondern ebenso der Befreier anderer Völker ist (Amos 9,7);
die koranische Bekräftigung, dass Gott seine Boten zu allen Völkern gesandt hat, um
niemanden ohne die notwenige Rechtleitung zu lassen (Koran 16,36);
die Zusage Krishnas in der Bhagavadita, dass er die Gebete aller empfängt, auch
wenn sie an andere Götter gerichtet sind (Gita 9,13);
die Offenbarung des überweltlichen Buddhas im Lotus-Sutra, dass er seine Weisheit
allen Wesen, guten wie bösen, ohne Unterschied zuwendet, so wie die Sonne allen
in gleicher Weise Licht und der Regen allen dasselbe Wasser bringt, um sie zur
Erlösung zu führen (Lotus-Sutra 5);
Interreligiöse Spiritualität lebt vom Vertrauen, dass solche Aussagen nicht leer sind,
sondern dass sie der Gegenwart des Transzendenten entspringen.)
IV Beispiele konkreter trialogischer und interreligiöser Praxis aus der
Citykirche in Mönchengladbach
(hier nur Stichworte, im Vortrag mündlich mehr, ausführlicher und detaillierter)
Grundlage aller gemeinsamen Gebete, Aktionen und Projekte ist ein vielen Jahren
gewachsenes Vertrauen. In ‚Friedenszeiten‘ muss man Vertrauen schaffen, damit
man in ‚Krisenzeiten‘ verlässlich miteinander agieren kann!
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Nacht der offenen Gotteshäuser (Synagoge, Moscheen, christliche Kirchen)
‚Gebete der Religionen’ aus unterschiedlichen Anlässen (auch in noch
breiterer Besetzung als mit jüdischer und muslimischer Beteiligung, so z.B. mit
den Bahá‘i, mit Buddhisten, Hindus, Shintoisten): jährlich zum Auftakt der
Interkulturellen Woche, aus Anlass der Nuklearkatastrophe von Fukushima,
etc.
Christlich-muslimische Begegnung bei Musik und Tanz, Gebet und Gespräch,
mit einem Tanz der muslimischen Derwische und einem kath. Kammerchor –
alles unter der Schirmherrschaft des Bischofs von Aachen und des Oberbürgermeisters von Mönchengladbach
Regelmäßige Einladungen zu Ashura-Feiern, Iftar-Essen, weiteren religiösen
Festen im Jahreskreis, zu Einführungen und Verabschiedungen der Hodschas
Einladungen der musl. Religionsverantwortlichen zur Feier der Osternacht und
der anschließenden Begegnung, auch zum Gottesdienst am Hl. Abend
Zusammenarbeit im Bereich der Notfallseelsorge und bei Katastrophen
Abrahamischer Kalender Mönchengladbach
V Gott ist nicht katholisch
Zum Schluss will ich natürlich gerne aufklären, warum ich das zugegebenermaßen
etwas provozierende Thema ‚Gott ist nicht katholisch‘ für diesen Vortrag gewählt
habe. Hinter dem Titel ‚Gott ist nicht katholisch’ verbirgt sich ein Text des Aachener
Bischofs Dr. Heinrich Mussinghoff. Der Titel ist also gewissermaßen ein Plagiat.
Bischof Mussinghoff ist der Vorsitzende der zuständigen Kommission für die
religiösen Beziehungen zum Judentum innerhalb der Deutschen Bischofskonferenz.
Er ist zudem sehr im christlich-muslimischen Dialog engagiert.
Er ist der Gemeinschaft ‚Sant’ Egidio‘ sehr verbunden, jener nach dem II.
Vatikanischen Konzil gegründeten Laien-Gemeinschaft, die seit dem ersten
interreligiösen Friedensgebet, zu dem Papst Johannes Paul II. 1986 die Religionen
der Welt nach Assisi eingeladen hatte, auf Wunsch der Päpste Jahr für Jahr zu
einem großen Friedengebet aller Religionen einlädt. Im Jahr 2003 fand dieses
Treffen in Aachen statt; aus diesem Anlass hat Bischof Mussinghoff den Text
geschrieben, den er als Quintessenz seiner interreligiösen Überlegungen ansieht:
Gott ist nicht katholisch,
Gott ist nicht evangelisch,
Gott ist nicht orthodox.
Gott ist nicht einmal christlich.
Gott ist nicht jüdisch,
Gott ist nicht muslimisch.
Gott ist nicht buddhistisch.
Gott ist nicht der Gott dieser oder jener Religion,
Gott ist Gott.
Gott ist der Gott und Vater aller Menschen.
Gott will die Rettung aller Menschen (1 Tim 2, 3).
Gott sorgt sich um alle Menschen.
Gott liebt alle Menschen.
Gott ist Gott für alle.
Er ist unser guter Vater.
Wir alle sind seine Geschöpfe,
Kinder dieser Erde.
Wolfgang Funke, Erkelenz, den 20.November 2014
(1) Karl-Josef Kuschel, Juden – Christen – Muslime, 2007, Patmos-Verlag, S. 609
(2) Karl-Josef Kuschel, a.a.O., S. 540 f
Literaturhinweise:
Karl-Josef Kuschel, Juden – Christen – Muslime, Herkunft und Zukunft, Patmos-Verlag 2007
Hartmut Bobzin, Der Koran, Neu übertragen von Hartmut Bobzin, Verlag C.H.Beck, München 2010
Mouhanad Khorchide, Islam ist Barmherzigkeit, Herder 2012
Literatur zum Dialog der Religionen findet man im LeseCafé der Citykirche (eine Einrichtung der kath.
Cityseelsorge), Kirchplatz 12, 41061 M‘gladbach, [email protected], Fon/Fax 02161 - 209726
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