2015 Im Mai 2015 fand auf dem Haus der Arminia-Cheruscia Berlin eine Ringkneipe ostdeutscher Bünde statt. Bbr. Feige hielt dabei die Festrede zum Thema Bundeslied. Festrede zum Thema Bundeslied Im vergangenen November hatte ich das Vergnügen, zum ersten Mal an einem ATB-Tag teilzunehmen. Am Sonntagvormittag fand ein Workshop zum Thema Bundeslied statt. Vorher hatte ich mich noch nie damit auseinandergesetzt. Mir war gesagt worden, dass wir bei der Arminia-Cheruscia üblicherweise nur die ersten drei Strophen singen, wegen der letzten Strophe seien zu viele gestorben. Ich hinterfragte das nicht weiter und hielt mich daran in den beiden Kneipen, die ich bisher leitete. Auch hatte ich die Diskussion in den ATB-Blättern bis dahin nicht verfolgt, mir war also nicht klar, dass es überhaupt eine solche Kontroverse über die letzte Strophe des Bundesliedes gibt. Nach der Diskussion in Frankfurt und besonders in Vorbereitung auf den heutigen Abend beschäftigte ich mich mit der Diskussion in den letzten ATB-Blättern. Ich werde sicher nicht der Weisheit letzten Schluss vortragen können, jedoch halte ich eine Ringkneipe mehrerer ATB-Bünde für eine gute Gelegenheit, meine Gedanken vorzutragen. Die letzte Strophe enthält vier Begriffe, deren Bedeutungen zunächst geklärt werden müssen: Freiheit, Vaterland, Feind und die Wendung „das Leben einsetzen“. Zum Begriff der Freiheit habe ich der Debatte nichts hinzuzufügen. Bbr. Fuchs schreibt in seinem Bericht über den Workshop in den ATB-Blättern 253, dass Freiheit „eine stabile Demokratie, die Gewährleistung der Grund- und Menschenrechte durch unsere Verfassung, das Fehlen einer äußeren Bedrohung“ bedeute. Zu ergänzen ist, dass die persönlichen Freiheiten, die sich aus dieser gesellschaftspolitischen Definition ergeben, ihre Grenzen da haben, wo sie die Rechte anderer verletzen, wie Bbr. Ottmüller in den ATB-Blättern 251 anmerkt. Der Begriff Feind wurde in der bisherigen Diskussion nur wenig thematisiert. Bbr. Ottmüller meint mit Verweis auf das Gebot Jesu zur Feindesliebe, dass man überhaupt keine Feindbilder haben dürfe. Insbesondere will er den Islamismus nicht als Feindbild sehen, da dadurch alle Moslems in ein schlechtes Licht gerückt würden. Bbr. Roth meint in den ATB-Blättern 252, dass man das Wort als unseren inneren Feind begreifen könne, als „unser[en] Egoismus, unsere Trägheit, unsere Angst“, die man besiegen müsse, um wirklich frei zu sein. Bbr. Zabel interpretiert in den ATB-Blättern 252 den Begriff als Aggressor und Unterdrücker im Sinne einer kriegerischen Auseinandersetzung. Wenn man sich die vier Beispiele von Freiheitskämpfern, die im bisherigen Verlauf der Debatte genannt wurden, Martin Luther King, Nelson Mandela, die Geschwister Scholl und Mahatma Gandhi, ansieht, so erkennt man weitere Feindbilder. Martin Luther King und Nelson Mandela kämpften gegen den Rassismus, der in den USA bzw. Südafrika gesellschaftlich tief verankert war und die Rechte und die Freiheit der schwarzen Bevölkerung verletzte. In beiden Beispielen manifestierte sich der Rassismus in der gesetzlichen Ordnung der jeweiligen Länder, weshalb der Feind nicht nur der Rassismus an sich, sondern auch das jeweilige Staatswesen war. Auch die Geschwister Scholl leisteten Widerstand gegen den Nationalsozialismus, mithin gegen das damalige Staatswesen. Mahatma Gandhi setzte sich ebenfalls zunächst in Südafrika gegen die Rassentrennung ein und leistete später in Indien Widerstand gegen die britische Kolonialmacht, die Indien wirtschaftlich ausbeutete, und setzte sich für die Aussöhnung zwischen Hindus und Moslems sowie die Rechte der Frauen und der Unberührbaren ein. Man erkennt, dass die Freiheiten entweder eines ganzen Volkes oder einer bestimmten Bevölkerungsgruppe verletzt werden können, und die Personen oder Staaten oder gesellschaftlichen Verhältnisse, die die Freiheiten anderer verletzen, nenne ich Feinde. Insofern ist Bbr. Ottmüller scharf zu widersprechen. Insbesondere muss man religiösen Fanatismus ebenfalls als Feind ansehen, sofern er sich auf die Beschneidung der Freiheiten Andersgläubiger richtet. Es ist dabei selbstverständlich, dass nicht alle Anhänger einer bestimmten Religion unter Generalverdacht gestellt werden. Wenn man gegen etwas oder jemanden, das bzw. der irgendwelche Freiheiten verletzt, ankämpft, muss man zwangsläufig immer auch den erwähnten inneren Feind, die Trägheit, die Angst, überwinden. Deshalb halte ich es nicht für nötig, den inneren Feind in meine Feindesdefinition explizit aufzunehmen, er ist jedoch implizit stets vorhanden. Der Begriff Vaterland wurde in der bisherigen Debatte oft verwendet, aber noch nicht zufriedenstellend definiert. Wenn man sagt, das Vaterland habe in den vergangenen 200 Jahren zu Kriegen aufgerufen, so setzt man das Vaterland gleich der jeweils herrschenden Obrigkeit bzw. der jeweils geltenden Staatsorganisation. Das tut man auch, wenn man unter Vaterland die Bundesrepublik versteht. In meinen Augen ist diese Gleichsetzung der entscheidende Fehler der aktuellen Debatte. Dass man die Begriffe Vaterland und Obrigkeit trennen muss, zeigen nicht nur die bereits erwähnten Personen, die alle für ihr Vaterland gegen die geltende Staatsordnung kämpften. Auch die Entstehungsgeschichte des Bundesliedes selbst ist Hinweis, dass bereits Bbr. Krebs vermutlich diese Unterscheidung vornahm. Im Wartburgfest, im Hambacher Fest, in der Märzrevolution 1848/49 und anderen Ereignissen manifestierte sich eine vor allem von den Burschenschaften getragene Bewegung, die unter dem Einfluss der Ideale der Französischen Revolution ein demokratisches, geeintes Deutschland zum Ziel hatte. Bbr. Krebs soll die Idee zum Bundeslied bei der Enthüllung eines Fritz-Reuter-Denkmals im Jahre 1888 unter Anwesenheit zahlreicher Studenten und Professoren gehabt haben, bei der ein von Reuter gedichteter Text „De Eikboom“ gesungen wurde. Dies soll Bbr. Krebs tief beeindruckt haben. Fritz Reuter wurde wegen seines Engagements bei der Allgemeinen Deutschen Burschenschaft zum Tode verurteilt. Er wurde zu 30 Jahren Festungshaft begnadigt, von denen er neun Jahre absaß. Wenn wir annehmen – und nichts veranlasst uns zur gegenteiligen Annahme –, dass Bbr. Krebs sich den Traditionen und Werten der Burschenschaften und somit auch Reuters Gesinnung verpflichtet fühlte, konnte er mit der gesellschaftlichen Realität im Jahre 1888 nicht zufrieden sein. Er lebte in einem Staat, der einerseits Österreich nicht umfasste, andererseits aber polnisch besiedelte Gebiete in der Provinz Posen umfasste. Außerdem lebte er nicht in einem demokratischen Staat mit den gleichen Bürgerrechten und Freiheiten für alle, sondern in einem von einer reaktionären Obrigkeit gelenkten Ständestaat. In bewusster Distanzierung von den Idealen der Studentenbewegung wurde ja nicht Schwarz-Rot-Gold als Farben der Nationalflagge gewählt sondern Schwarz-Weiß-Rot. Wenn Bbr. Krebs also in seinem Lied von Vaterland spricht, meint er damit mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht die Staatsorganisation des wilhelminischen Kaiserreichs. Für mich bedeutet Vaterland das Land, mit dem man sich identifiziert und in dem man sich heimisch fühlt. Das Vaterland muss nicht identisch mit den Grenzen eines bestimmten Staates sein. Und keinesfalls ist das Vaterland als identisch mit einem bestimmten Staatswesen anzusehen. Über die Formulierung „das Leben einsetzen“ wurde in Frankfurt ausführlich diskutiert. Es ist unstrittig, dass diese Wendung auf einen kämpfenden Soldaten zutrifft. Nun hat aber ein Land, das von einem anderen Land angegriffen wird, dessen Freiheit also von diesem anderen Land verletzt wird, das folglich gemäß dem bereits Gesagten als Feind anzusehen ist, das Recht, sich gegen diesen Feind zu verteidigen. Eine Formulierung, die dieses Verteidigungsrecht thematisiert, kann ich nicht aggressiv oder nationalistisch nennen, wie ich Bbr. Zabel zustimmen muss. Bbr. Strauß weist in den ATB-Blättern 252 zu Recht darauf hin, dass die Bundeswehr als Teil der wehrhaften Demokratie durch das Grundgesetz beauftragt ist, „das Recht und die Freiheit des deutschen Volkes tapfer zu verteidigen.“ Bbr. Strauß weist ebenfalls darauf hin, dass deutsche Soldaten gemeinsam mit Soldaten anderer Staaten in der europäischen Nachbarschaft eingesetzt waren oder sind wie im ehemaligen Jugoslawien. Das halte ich ebenfalls für gerechtfertigt, denn ich stimme Bbr. Zabel zu, dass wir Frieden und Freiheit nur haben können, wenn wir uns für diese Werte auch bei unseren Nachbarn einsetzen. Die BbrBbr. Ottmüller und Abendroth bringen auch die Weltkriege in Verbindung mit der fünften Strophe und begründen damit deren Ablehnung. Damit wird Bbr. Krebs und seinem Lied aber schweres Unrecht angetan. Weder im ersten noch im zweiten Weltkrieg rief das Vaterland zur Verteidigung der Freiheit auf, sondern die Obrigkeit, also das schwarzweiß-rote Kaiserreich im ersten Weltkrieg bzw. die Nationalsozialisten im zweiten, riefen zu von Machtgelüsten geleiteten Aggressionskriegen auf. Dies entspricht aber ganz und gar nicht der Intention der fünften Strophe und kann folglich nicht zu deren Ablehnung angeführt werden. Die Formulierung „das Leben einsetzen“ kann aber auch den friedlichen Einsatz für die Freiheit unter Gefahr für Leib und Leben bedeuten. Die bereits erwähnten Beispiele Martin Luther King, Nelson Mandela, die Geschwister Scholl und Mahatma Gandhi kämpften in der Gefahr, verfolgt oder getötet zu werden. Martin Luther King wurde von einem Attentäter erschossen. Nelson Mandela verbrachte 27 Jahre im Gefängnis. Die Geschwister Scholl wurden hingerichtet. Mahatma Gandhi war mehrfach in Südafrika und in Indien inhaftiert und wurde von einem Hindunationalisten erschossen. Und schließlich setzen wir jeden Tag unser Leben ein, um durch unser Tun die Freiheit zu verteidigen, wie Bbr. Zabel sagt. Auch das alltägliche Engagement für die Freiheit erfordert die Überwindung des inneren Feindes, denn wir können immer bei demjenigen, der uns eine Freiheit streitig machen will, anecken und Nachteile erleiden. Ich habe nun die vier zentralen Begriffe des zweiten Teils der fünften Strophe definiert und dabei die wesentlichen Argumente der Diskutanten genannt und aus meiner Sicht bewertet. Dabei ist klar geworden, dass die fünfte Strophe gesungen werden kann. Ich bin sogar der Meinung, dass man dafür gar keine interpretatorischen Kunstgriffe benötigt. Die erläuterten Umstände der Liedentstehung machen deutlich, dass Bbr. Krebs die oben diskutierten Begriffe so verstanden haben konnte, wie ich es dargestellt habe. Es ist mir besonders wichtig, hervorzuheben, dass eine Rechtfertigung der beiden Weltkriege keinesfalls in die fünfte Strophe hineininterpretiert werden kann. Ich hoffe, dass ich unter den Anwesenden einige, die die fünfte Strophe bisher nicht mitsangen, zum Mitsingen überzeugen konnte. Ich kann aber auch akzeptieren, wenn man das nicht tun will. In dem Falle ist aber während der Strophe silentium strictissimum zu wahren. Marco Feige v. Lucull Z! ATV Arminia-Cheruscia Berlin