Testung der Elektrosensitivität Immer häufiger sieht sich der Mediziner mit dem Problem der Empfindlichkeit gegenüber elektromagnetischen Feldern konfrontiert, soweit er diese Diagnose überhaupt stellen kann. Nicht selten wird auf Grund des Krankheitsbildes unklarer Genese eine psychotherapeutische Behandlung empfohlen oder durchgeführt, die nach dem derzeitigen Stand der umweltmedizinischen Erkenntnisse nicht selten unter der Rubrik "Kunstfehler" einzuordnen ist, wenn die Therapie mit Hilfe von Psychopharmaka und somit letztlich eine Psychiatrisierung erfolgt. Diese Klientel ist nicht zwingend psychisch krank, sondern leidet darunter, dass dessen biologisches Regelsystem durch äußere elektrische, magnetische oder/und elektromagnetische Felder aus dem Gleichgewicht geraten ist. Andererseits ist es ausgesprochen schwierig, diese Erkrankung eindeutig zu diagnostizieren. Ein klassisches Wirkungsmodell für diesen Krankheitsverlauf existiert nicht, vielmehr führt die Anamnese zu einer multikausalen Verkettung, zu denen z.B. chemische Belastungen, Nahrungsmittelunverträglichkeiten oder auch allergische Reaktionen gehören. Mehrjährige Forschungen zu diesem Thema haben ergeben, dass bestimmte physiologische Parameter zwar eine sehr gute Korrelation zur elektromagnetischen Empfindlichkeit aufzeigen, jedoch nicht die von der Statistik geforderte strenge Kausalität zulassen1. Somit können derzeit nur die vielen Erfahrungen berücksichtigt werden, die sich in einer Beschreibung zahlreicher gesundheitlicher Beeinträchtigungen widerspiegelt. Andererseits hat sich gezeigt, dass das vegetative Nervensystem in seinen Reaktionen einen guten diagnostischen Indikator darstellt. Das vegetative Nervensystem als objektivierbarer Parameter Für die Bewertung einer Empfindlichkeit gegenüber elektrischen, magnetischen bzw. elektromagnetischen Feldern stellt das vegetative Nervensystem über bestimmte Messverfahren einen objektiven Parameter dar. So konnte an Testpersonen gezeigt werden, dass z.B. das Muster der Hirnströme (EEG) bei Expositionen im elektromagnetischen Feld des GSM-Standards (Mobilfunk) oder des DECT-Telefons verändert wird2. Extreme Reaktionen treten auf bei WLAN-Immissionen3. Besonders wichtig ist hier, dass das biologische Regulationssystem bei Immissionswerten von weniger als 1 Promille des offiziellen Grenzwerts reagiert. Neben Veränderungen im EEG reagiert auch die Mikrozirkulation (kapillare Hautdurchblutung) und die Variabilität der Herzrate (Variabilität in der Aufeinanderfolge der einzelnen Herzaktionen). Bei hochgradig empfindlichen Personen liegt durchweg eine Vorschädigung vor, z.B. durch Chemikalien (MCS); diese zeigen auch ohne Feldexposition eine eingeengte Variabilität der Herzrate (HRV), sowie eine gestörte Dynamik in der Regulation der Mikrozirkulation. Einen weiteren physiologischen Messparameter stellen die aktiven elektrischen Hautpotenziale (HP) dar. Über diese Daten können Stress-Situationen nachgewiesen werden (z.B. bei Belastung durch Umweltfaktoren chemischer oder elektrischer Natur) aber auch Störungen in der elektrischen Signalfortleitung. Testverfahren Ziel der Testung ist es, eine Aussage über den Zustand des Biosystems (Herzratenvariabilität) und über die aktuelle Bioregulation (Mikrozirkulation, aktive Hautpotenziale) treffen zu können. Zur Bestimmung der Herzratenvariabilität werden die einzelnen Herzaktionen (Abfolge der EKG-R-Zacken) mittels Thorax-EKG abgeleitet, simultan erfolgt die Registrierung der aktiven elektrischen Hautpotenziale über einen Hautsensor (Elektrodenmatrix), welcher auf dem Unterarm aufgesetzt wird. Diese elektrischen Potenziale werden ohne Hilfsstrom registriert und sind deshalb nicht vergleichbar mit der so genannten Hautwiderstandsmessung. Die Dynamik der Blutflussregulation im Kapillarbett (Mikrozirkulation) wird mittels eines Laser-Doppler-Verfahrens erfasst. Die Datenaufzeichnung (EKG, Mikrozirkulation, Hautpotenziale) erfolgt kontinuierlich während Ruhe-, Expositions- und Erholungsphase. Als Reizgeber dient ein WLANRouter (WLAN = wireless local area network), bzw. eine DECT-Basisstation, die als Dauersender jeweils ein periodisch gepulstes elektromagnetisches Feld emittieren. Die Leistungsflussdichte am Immissionsort ist auf 10 µW/m² (WLAN) bzw. 1.000 µW/m² (DECT/GSM) festgelegt. Für die Testperson sind Beginn/Ende der Exposition nicht bekannt (Einfach-Blind-Test). Die Testung erfolgt unter definierten Bedingungen, d.h. der Untersuchungsraum ist frei von zusätzlichen hochfrequenten und niederfrequenten Feldeinflüssen. Dieses wird über die geschirmte Elektroinstallation des Hauses und den Verzicht auf den Einsatz hausinterner funktechnischer Anlagen realisiert. Hochfrequenzimmissionen durch Mobilfunk, Radar usw. liegen nicht vor. Herzratenvariabilität (HRV) Definitionsgemäß zeigt die Herzratenvariabilität die innerhalb eines definierten Zeitraums gemessene zeitliche Varianz der einzelnen Herzaktionen auf, unabhängig von der aktuellen Pulsfrequenz. Der Medizinmarkt bietet zunehmend entsprechende Diagnoseverfahren an, die jedoch nicht die HRV bestimmen, sondern die zeitliche Änderung der Pulsfrequenz. Einzig richtige und diagnostisch verwertbare Verfahren beruhen auf der Zeitreihen- oder Frequenzanalyse, deren Ergebnisse im Gegensatz zu den durchweg angebotenen Verfahren nicht von der Psyche beeinflusst werden, also z.B. autogenes Training. FFT Die Variabilität der Herzaktionen wird über eine Frequenzanalyse (FFT) des Grundsignals (Abstand der einzelnen R-Zacken im EKG) und deren Oberwellen ermittelt (s. Abb. 1). Ruhe- und Stimulationsphase (Exposition) werden separat ausgewertet, um Aussagen über Vorschädigungen des Biosystems treffen zu können. Eine geringe Variabilität der Herzaktionen stellt sich als schmales Frequenzband der Oberwellen dar; die Bandbreite ist das Maß der Variabilität. Ist diese Variabilität eingeengt oder nicht mehr vorhanden (Starrheit des Systems), so ist dieses mit den weiteren Lebensfunktionen nicht vereinbar. mV R R R FFT 0 t [s] 1s Zeitreihe (R-R-Abstand) Frequenzanalyse (R-R) mit Oberwellen Abb. 1 Beispiel von EKG-Leistungsspektren, Grundfrequenz des EKG ( ) und Oberwellen Bandbreite der Herzaktionen (arithmetische Mittelwertbildung) Mittels R-Zacken-Triggerung wird jeweils über einen aus der Pulsfrequenz definierten Zeitabschnitt (ca 1,2 s) das nachfolgende EKG-Signal gespeichert und über einen etwa dreiminütigen Zeitraum überlappend dargestellt (Abb. 2). Die Schattierung (hellblau) gibt die einzelnen Ereignisse wieder; die durchgezogene Linie (dunkelblau) entspricht dem Summensignal, dessen Maximum den Schwerpunkt der auftretenden R-Zacken nach dem Trigger entspricht: je höher dieser Spitzenwert desto enger ist die Bandbreite der Herzratenvariabilität. Die Amplitudendifferenz zwischen dem gemittelten Signal und der effektiven Amplitudenhöhe der R-Zacke wird bewertet. Gemittelt wird über ca 100 Ereignisse (pulsabhängig). V 2, 0 1, 6 1, 2 0, 8 0, 4 0, 0 -0,4 Amplituden der R.Zacke effektiv gemittelt -0,8 -1,2 -1,6 -2,0 0,1 s 0, 2 0, 3 0, 4 0, 0, 0, 5 6 11:50 7 05Dez2006 0, 8 0,9 1, 0 1, 1 Abb.2 Darstellung des arithmetischen Mittelwerts der Herzaktionen im Vergleich zu den Einzelaktionen Mikrozirkulation Änderungen der kapillaren Gefäßdurchblutung werden als Zeitfunktion analysiert. Da die Mikrozirkulation vom vegetativen Nervensystem gesteuert wird, stellt dieses Signal eine wichtige Bewertungsgröße der Bioregulation dar. Die aufmodulierten Signale im Sekundenbereich der einzelnen Herzaktionen sind überlagert von der typischen biologischen Regulationsperiodik von ca. 0,15 Hz (Abb. 3). Abb.3 Zeitfunktion der Mikrozirkulation Aktive Hautpotenziale (HP) Die Bewertung der Hautpotenziale erfolgt ebenfalls anhand der Darstellung der zeitlichen Abfolge der Signale während der unterschiedlichen Testbedingungen. Diese Signale sind eine Informationsquelle für Stresszustände. In stressfreien Situationen korrelieren die Potenzialänderungen mit denen des EKG. Unter Stress erfolgt offensichtlich eine Blockade dieser Signalfortleitung, d.h. es bildet sich u. U. ein Nullsignal aus. Andererseits sind so Irritationen der Hautmuskulatur (Spasmen, Tremor) unter Feldeinfluss messbar. Die Zuordnung der einzelnen Messergebnisse erlaubt eine sichere Aussage darüber, ob eine Elektrosensitivität vorliegt. Literatur: 1 von Klitzing, L. (1995) Low-Frequency pulsed electromagnetic fields influence EEG of man Physica Medica 11 77-80 2 Tüngler, A., von Klitzing, L. (2013) Hypothesis on how to measure electromagnetic hypersensitivity. Electromagnetic Biology and Medicine 32(3) 281–290 3 von Klitzing, L. (2014) Einfluss elektromagnetischer Felder auf kardiovaskuläre Erkrankungen. umwelt·medizin·gesellschaft 27 17-21