Islam 2030 Endfassung

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TÜRKIYE-AVRUPA EĞITIM VE
BILIMSEL ARAŞTIRMALAR
VAKFI
TURKISH-EUROPEAN FOUNDATION FOR EDUCATION AND
TURKISH EUROPEAN
FOUNDATION FOR EDUCATION
AND SCIENTIFIC STUDIES
TÜRKIYE-AVRUPA EĞITIM VE BILIMSEL ARAŞTIRMALAR
VAKFI
FISTIKLI YOKUŞU NO. 8 /
TÜRKISCH-EUROPÄISCHE
STIFTUNG
BEYKOZ-KANLICA İSTANBUL
FÜR BILDUNG UND WISSENSCHAFTLICHE FORSCHUNG -DTSTEL: 0090 216 680 91 85
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SCIENTIFIC STUDIES
WWW.TAVAK.DE
İslam 2030- Zukunft gemeinsam gestalten
Segregation verwalten oder gemeinsam Zukunft gestalten?
Forschungsprojekt „Islam 2030 – Zukunft Gemeinsam Gestalten in
NRW dargestellt bei der Region Ahlen/Hamm/Münster November
İstanbul/Hamm 2015
Projektleiter: Prof. Dr. Faruk Sen
Julia Hoffmann/ Islamwissenschaftlerin
Damla Melek/ Sozialwissenschaftlerin
Dr.İnci Şen
Inhaltsverzeichnis
Vorwort………………………………………………………………….…..
4
Einleitung.. …………………………………………………………..
6
1.1 Warum dieses Forschungsprojekt ?............................................... .
6
1.2 Muslimische Identität in Deutschland……………………………
7
1.0
1.3 Rückkehrer in die Türkei ……………………………………….
2.0
Forschungs(-teil)projekt: „Ahlen 2030“……………………………..
11
2.1 Hintergründe zum Forschungsprojekt……………………………
11
2.2 Regionaler Schwerpunkt:Nordrhein-Westfalen……………….... 11
2.3 Ziel/Zweckrichtung des Projekts………………………..………..
12
2.4 Gründe der kulturellen Distanz…………………………..……….
13
2.5 Zusammenleben ist das Ziel……………………………..………..
13
2.6 Forschungsziele……………………………………………..…….
14
2.7 Auswertung der Forschungsziele………………………………….
15
2.8 Verfahren und Ablauf………………………………………….….
18
a) Fragebogen
„Muslimische
Zukunftsvorstellungen“
(Quantitative
Auswertung) an MuslimInnen und Nicht-MuslimInnen ………..
18
b) Flughafenbefragung (TAVAK) ………………………………….
20
c) Leitfadeninterviews und offene Diskussionsrunde zum Forschungsthema
„Zusammenleben“ (Qualitative Auswertung) …………………….
2.9 Zielgruppen des Forschungsprojekts………………………………
20
21
2.10 Forschungsfragen …………………………………………..………. 21
3.0 Ergebnisse: Auswertung der Fragebögen über „Muslimische und NichtMuslimische Zukunftsvorstellungen“ ………………………………………..... 24
3.1 Fragebogenauswertung
der
muslimischen
und
nicht
muslimischen
Teilnehmer…………………………………………………………….. 24
3.2 Fazit …………………………………………………………………... 69
3.3 Auswertung der Flughafenbefragung…………………….……………
75
2
4.
Auswertung der Leitfadeninterviews und offenen Diskussionsrunde zum
Forschungsthema „Zusammenleben“…………….……………………………… 85
a) Ergebisfeld 1: „Schule und Bildung“
b) Ergebnisfeld 2: „Innere Haltung“
c) Ergebnisfeld 3: „Konfessionen/Religionsgemeinschaften“
d) Ergebnisfeld 4: „Historische Hintergründe“
e) Ergebnisfeld 5: „Politik und Arbeitsmarkt“
f) Ergebnisfeld 6: Sozialwesen/ Angebote der Migrationsarbeit
4.1 Kurze Zusammenfassung der Workshops …………………………………….. 94
4.2 Forderungen und Zukunftsperspektiven ……………………………………… 97
5.
Bestandsaufnahme der Problematik in sozialen Einrichtungen…………. .. 101
……….……………………….... 101
5.1
Altersheime (und Krankenhäuser)
5.2
Friedhöfe und islamische Bestattungskultur ….………………………. 104
5.3
Bildungseinrichtungen/ KITA……………………………..…………… 106
5.4
Sportvereine…………..………………………………………………… 106
6. Islam in Deutschland …………………………………………….…………...… 98
6.1 Muslimisches Leben in Deutschland (2009)………………………………. 109
6.2 Muslimisches Leben in NRW (2011)…………………………………….. 109
7. Darstellung des methodischen Vorgehens……………………………………. 115
7.1 Quantitative Studien vs. Qualitative Forschungsprojekte……….……….
115
8. Das mediale Islambild in Deutschland ……………….…………………..….. 117
8.1 Dialog der Anerkennung als Basisder Integration …………….…..……. 120
9.
Islam in Europa……………………………................................................ 122
10.
Der Euro-Islam nach Bassam Tibi………………………………………... 128
3
10.1 Ein Konzept für das friedliche Zusammenleben der MuslimInnen und
Christen…………………………………………………………………………… 128
10.2 Der Euro-Islam und Islam in Deutschland.................................................. 136
10.3 EuroIslam und EuroMuslime ……………………………………………. 141
10.4 Euro-Islam als empirischer Tatbestand…………………………………... 143
11. Resümee der Forschungsauswertung…..……………………………………... 145
Literaturverzeichnis……………………………………………………….
157
Weiterführende Literaturhinweise………………………………………...
159
4
TAVAK –Türk-Alman Eğitim ve Bilimsel Araştırmalar Vakfı Yayınları
Vorwort
Das Projekt „Islam 2030 – Zukunft gemeinsam gestalten“ wurde in den Städten
Münster, Hamm und Ahlen von der türkisch-europäischen Stiftung für Bildung und
wissenschaftliche Forschung (TAVAK) mit Sitz in Istanbul durchgeführt.
Die Intension war es in der Region die Entwicklungen des Islam bis zum Jahre 2030
festzustellen und Überlegungen in die Wege zu leiten inwiefern ein friedliches
Zusammenleben auch in Zukunft gestaltet werden kann.
Die türkisch-europäische Stiftung für Bildung und wissenschaftliche Forschung
(TAVAK) wurde im Jahr 2008 mit dem Ziel gegründet den wirtschaftlichen, sozialen
und kulturellen Austausch zwischen Deutschland und der Türkei voranzutreiben. In
diesem Rahmen beschäftigt sich TAVAK einhergehend mit bedeutenden Themen- und
Arbeitsbereichen
beider
Länder
und
ist
in
verschiedene
Studien
und
Forschungsprojekte eingebunden.
In dem Bereich hat die TAVAK – Stiftung mit PariSozial dem Landesverband NRW
zusammengearbeitet, aber auch in den Regionen Münster Hamm und Ahlen haben die
Verantwortlichen an dem Projekt mitgewirkt.
Gegenwärtig leben 4,1 Millionen Muslime in Deutschland und im Jahre 2030 geht
man davon aus, dass die Zahl der Muslime in der Bundesrepublik Deutschland auf 6,3
Millionen steigen wird.
Den höchsten muslimischen Anteil stellen wir im Bundesland Nordrhein-Westfalen
fest. In dem Rahmen werden in Zukunft die Zahlen der muslimischen Einrichtungen
sehr stark zunehmen, weil viele Muslime neue Moscheen mit Minaretten bauen oder
islamische Friedhöfe einrichten. Bei diesen Überlegungen muss man berücksichtigen,
dass gegenwärtig 21 Millionen Muslime innerhalb der Europäischen Union bis 2030
ohne Mitgliedschaft der Türkei, Bosnien und Mazedonien auf 28. Millionen steigen
wird. Falls man bis 2030 die Türkei, Bosnien und Mazedonien als Mitgliedsstaaten
aufnimmt, kann man davon ausgehen, dass knapp 95 Millionen hinzukommen, sodass
innerhalb der Europäischen Union die Zahl der Muslime auf 123 Millionen steigen
wird.
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TAVAK –Türk-Alman Eğitim ve Bilimsel Araştırmalar Vakfı Yayınları
Kann man die Vorurteile innerhalb der Europäischen Union abbauen und welche
Möglichkeiten haben die islamischen Organisationen sich in der Öffentlichkeit besser
darzustellen? Dies soll im Rahmen des Forschungsprojektes analysiert werden.
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TAVAK –Türk-Alman Eğitim ve Bilimsel Araştırmalar Vakfı Yayınları
1. Einleitung
1.1 Warum dieses Forschungsprojekt?
Von Bedeutung ist das Forschungsprojekt zum gegenwärtigen Zeitpunkt, weil es ein
Beitrag zur gegenwärtigen Bestandsaufnahme muslimischen Lebens in Deutschland
ist. Am Beispiel des Zusammenlebens von Muslimen und NichtmuslimenIn
Deutschland, wird die Bedeutung der Religion in der modernen Gesellschaft
untersucht. Außerdem geht es um die Frage, welchen Stellenwert religiöse
Vorstellungen in der heutigen Gesellschaft haben.
Die Begegnung mit den Muslimen hat eine lange Tradition in Deutschland. Mit der
Erkenntnis, dass die muslimischen Gastarbeiter der 1960er Jahre, die ursprünglich für
einen befristeten Zeitraum nach Deutschland kamen, heute einen Teil der Gesellschaft
bilden, ist die Auseinandersetzung mit der muslimischen Identität in der säkular
christlich geprägten Gesellschaft entscheidend. Inzwischen ist sogar die dritte
Generation muslimischer Bürger in Deutschland beheimatet und ferner die weiterhin
ungeplanten und ungesteuerte Zuwanderung muslimischer Menschen, auf Grund von
Asylsuchern, politischer Verfolgung und die Flucht aus Krisengebieten.
Erforderlich ist es zudem der Frage nachzugehen, wie die muslimische Identität
gewahrt und zugleich harmonisiert oder in Einklang gebracht werden kann.
Diese Erkenntnis steht im Zusammenhang mit den Errungenschaften der
Zivilgesellschaft des 21.Jahrhunderts, die nicht ohne eine Auseinandersetzung mit der
Rolle und deren Herrschaftsansprüche der Religion und ihrer Institutionen und ihren
Dogmen gesehen werden kann. Ein Beispiel dafür ist in der Vergangenheit die
Auseinandersetzung mit der katholischen Kirche. Des Weiteren dient dieses
Forschungsprojekt dazu, eine Brücke zwischen Muslimen und Nicht-Muslimen zu
schlagen. Die Studie soll einen Eindruck vermitteln, wie Muslime und Nicht-Muslime
den Islam in 15 Jahren sehen und wie sie ihn gemeinsam positiv entwickeln können.
Das Bild des Zusammenlebens in Deutschland und Europa ist vor allem durch das
Konzept des dynamischen Gesellschaftsprozesses geprägt. Deutschland und Europa
entwickeln sich mit ihrem pluralistischen Charakter immer mehr zu einer
multikulturellen Gesellschaft. Die kulturelle und religiöse Vielfalt ist als Motor dieser
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TAVAK –Türk-Alman Eğitim ve Bilimsel Araştırmalar Vakfı Yayınları
dynamischen Gesellschaft anzuerkennen und muss als solche in allen Lebensbereichen
zur Kenntnis genommen werden. Genährt von interkulturellen sowie interreligiösen
Begegnungen ist jeder Einzelne innerhalb einer Mehrheitsgesellschaft dazu
aufgefordert, in allen Lebensbereichen auf die Umstände und wachsenden Bedürfnisse
einzelner Gruppenkonstruktionen zu reagieren.
Aber auch die einzelnen Gruppen sind dazu aufgefordert sich im Bezug zu den
gesellschaftlichen Prozessen zu positionieren und gegebenenfalls neu zu verordnen,
also den dialektischen Prozess weiter zu entwickeln. Besonderes Augenmerk wird
nicht nur auf den Ausbau des miteinander kommunizieren gelegt, sondern auch auf das
Voranbringen von alltäglichen Aktivitäten.
1.2 Muslimische Identität in Deutschland
Die Begegnung mit den Muslimen hat eine lange Tradition innerhalb der deutschen
Gesellschaft und mit dem zunehmenden Anteil muslimischer Bevölkerung wächst
zugleich der Wunsch ihre religiöse Identität auch in Deutschland zu pflegen. In diesem
Kontext erscheint ein Rückblick auf die Anfänge der muslimischen Migration in
Deutschland als notwendig.
Die „deutsch-türkische Vereinbarung zur Anwerbung türkischer Arbeitskräfte für den
deutschen Arbeitsmarkt“ vom 21. Oktober 1961 ist sicherlich als das Schlüsselereignis
zu betrachten, welches die muslimische Präsenz auf eine gesellschaftlich
wahrnehmbare Zahl anhob. Im Jahre 1961 waren es 6.700 muslimische Arbeitskräfte
türkischer Herkunft, die zunächst als Gastarbeiter für einen befristeten Zeitraum in die
Bundesrepublik kamen. Somit ist die erste große muslimische Zuwanderung aus der
Türkei auf die Anwerbevereinbarung von 1961 zurückzuführen. Bis heute hat die
größte Gruppe der muslimischen Bevölkerung in Deutschland einen türkischen
Hintergrund (vgl. Schmid, 2010: 22).
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TAVAK –Türk-Alman Eğitim ve Bilimsel Araştırmalar Vakfı Yayınları
1.3 Rückkehrer in die Türkei
In der letzten Zeit sind insgesamt 256.000 Türken zurückkehrt. Die meisten von ihnen sind
junge Türken, die in Deutschland entweder ein Studium absolviert oder eine Ausbildung
abgeschlossen haben.
Viele dieser jungen Leute geben als den ausschlaggebenden Beweggrund die hohe
Arbeitslosigkeit und die steigende Diskriminierung an. Zum Beispiel wird man bei
Bewerbungen wegen eines türkischen Namens immer noch anderes behandelt als Bewerber
mit deutsch klingenden Namen, obwohl es nicht an der Qualifizierung mangelt. Diese
Feststellung geht aus den Umfragen hervor. Ebenso entscheidend ist die strukturelle Lage in
Deutschland, die sich auf die wirtschaftliche und soziale Lage bezieht.
Der Grund für eine steigende Diskriminierung geht natürlich aus subjektiven Erfahrungen
hervor und ist somit eher mit Vorsicht zu betrachten.
In der Türkei hingegen seien die wirtschaftlichen Chancen viel besser als in Deutschland, da
die Türkei immer noch vor einem wirtschaftlichen Boom steht.
Außerdem möchten die meisten der Befragten nicht ständig gegen Vorurteile kämpfen und
sich auch nicht ständig rechtfertigen zu müssen. Oft werden sie in Deutschland immer noch
als „Türke“ bezeichnet, obwohl sie schon längst ein Teil der deutschen Gesellschaft sind.
Aber gerade Rückkehrer haben wegen ihres vielschichtigen kulturellen Hintergrunds gute
berufliche Chancen in der Türkei, denn hier sind sie als „Almanci“, wörtlich übersetzt als
„Deutschländer“ willkommen und auch gefragt, sagt Professor Faruk Sen.
Aus den Untersuchungen geht bisher hervor, dass die Rückbesinnung auf die traditionellen
türkischen Werte und den Islam sehr gestiegen sind im Vergleich zu den letzten Jahren.
Als weitere Gründe werden persönliche Erlebnisse genannt, welche auch unterschiedlicher
Herkunft sind.
Die persönlichen Erfahrungen unserer Mitarbeiterin Julia Hoffmann zeigen, dass viele
Rückkehrer sich zwar wohler in der Türkei fühlen, allerdings dennoch in einer Art „Nische“
leben und vor allem den Kontakt zu anderen Deutschländern suchen. Häufig wollen Sie
weiter in einer deutschen Firma arbeiten und abonnieren weiterhin das deutsche
Fernsehprogramm. Oft lassen sich die Rückkehrer aus Deutschland Taschentücher,
Gümmibärchen, Wurst oder Käse mitbringen. Man kann sagen, dass die Deutschländer eine
dritte Identität bilden und weder ganz türkisch noch ganz deutsch sind.
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TAVAK –Türk-Alman Eğitim ve Bilimsel Araştırmalar Vakfı Yayınları
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TAVAK –Türk-Alman Eğitim ve Bilimsel Araştırmalar Vakfı Yayınları
1. Forschungs(-teil)projekt: „Ahlen 2030“
2.1 Hintergründe zum Forschungsprojekt
An dieser Stelle knüpfen das Forschungsprojekt „Islam 2030 – Zukunft gemeinsam
gestalten“, an das Teilprojekt „Ahlen 2030“ an und wird im bevölkerungsstärksten
Bundesland Nordrhein-Westfalen durchgeführt, das bundesweit zugleich den höchsten
Anteil muslimischer Einwohner aufweist. Ahlen und Hamm sind Bergbaugebiete, in
welchem viele der damals angeworbenen Gastarbeiter heute noch ansässig sind. In
dieser Region und in anderen größeren und mittleren Städten von NRW, in denen
Bergbau, Stahl und große Fabriken vorherrschend waren, ist ein demografischer
Wandel zu beobachten. Während die Bevölkerung älter wird, wächst der Anteil der
unter 50-jährigen mit Migrationsvorgeschichte. Ein weiteres Phänomen ist der
Einwohnerrückgang, in Bezug auf bessere Berufschancen in andere Bundesländer, die
eine geringe Arbeitslosenquote wie zum Beispiel Berlin oder Baden-Württemberg
aufweisen. Oder aber auch ein Rückzug in das Heimatland, in dem die
Diskriminierung nicht vorherrschend ist.
Ein These die das Projekt unterstützt, ist die Annahme, dass Nicht-Muslime davon
ausgehen, dass der Islam nicht an die heutige moderne Entwicklung angepasst werden
kann. Allerdings entwickelt sich in Deutschland derzeit der sogenannte „Euroislam“,
welcher sich an die europäischen Gegebenheiten anpassen möchte und somit eine
Gegenthese darstellt.
1.2 Regionaler Schwerpunkt: Nordrhein-Westfalen
Das Bundesland Nordrhein-Westfalen ist mit etwa 17,6 Millionen Einwohnern das
Bevölkerungsreichte Bundesland in der Bundesrepublik und befindet sich im Westen
der Bundesrepublik Deutschland. Der wirtschaftliche Aufstieg gelang dem Land durch
die Industrialisierung, insbesondere durch den Kohlebergbau.
Die Relevanz dieses Projektes, wie sich das Leben der muslimischen Bevölkerung im
Jahre 2030 in NRW gestalten könnte, ergibt sich aus der Tatsache, dass bereits heute
ein Drittel der in Deutschland lebenden Muslimen Nordrhein-Westfalen ansässig sind.
Daher ist das enge Zusammenleben von Nicht-Muslimen und Muslimen in NordrheinWestfalen von besonderem Interesse, da es als Untersuchungsgegenstand einen
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TAVAK –Türk-Alman Eğitim ve Bilimsel Araştırmalar Vakfı Yayınları
Einblick in viele Bereiche des alltäglichen, sozialen und politischen Lebens einer eng
verwobenen nichtmuslimischen - muslimischen Gesellschaft ermöglicht.
2.3 Ziel/Zweckrichtung des Projekts
Trotz eines hohen Migrantenanteils gibt es in Nordrhein-Westfalen wenig Kontakte
und kulturellen Austausch zwischen Migranten und Deutschen. Die Entwicklung von
Parallelgesellschaften und eine zunehmende Ghettoisierung werden immer wieder
seitens der Nicht-Muslime beklagt. Dabei könnten gerade im Ruhrgebiet zahlreiche
Organisationen, Institutionen und Vereine Träger eines interkulturellen Austauschs
sein. Ziel ist es sich von einer Parallelgesellschaft abzuwenden und die Gesellschaften
zu einem Miteinander führen.
Die Chancengleichheit in der Bildung und die gleichmäßige Behandlung der
Arbeitnehmer unterschiedlicher Herkunft werden immer wieder als Schlüssel für eine
erfolgreiche Integrationspolitik genannt und in der Tat ist sie eine notwendige
Bedingung. Bildung alleine aber reicht nicht aus, denn für eine gelungene Integration
spielen auf beiden Seiten weitere Faktoren eine wichtige Rolle.
Die persönliche Einstellung der Menschen, ihre Werte und Identifikationsfiguren, ihr
Verhalten in der Freizeit und ihr soziales Engagement.
Anhand der stetig steigenden Zahl der muslimischen Bevölkerung und den damit
wachsenden Bedürfnissen offenbaren sich einige ungeklärte Fragen bezüglich des
Zusammenlebens von Christen.
Ein Ziel ist das Herausfinden sachlich begründbarer oder vorliegender Konfliktlinien,
die in den unterschiedlichen Werten, Verhaltens- und Lebensgewohnheiten liegen,
aber auch die Erfassung „gefühlter“ Probleme (Vorurteile, Ängste, Unsicherheiten,
Zuschreibungen) ausfindig zu machen.
Muslimische Gemeinden und Vereine sollen ihre Veranstaltungen öffentlich und
freizugänglich gestalten. Außerdem sollten zwischen Muslimen und Nicht-Muslimen
gemeinsame Ziele in Anspruch genommen und verfolgt werden. Es stellt sich die
Frage, wie reagieren die Mehrheitsbevölkerung, die muslimische Gesellschaft und die
deutschen Einrichtungen auf die verändernden Strukturen und wachsenden
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TAVAK –Türk-Alman Eğitim ve Bilimsel Araştırmalar Vakfı Yayınları
Bedürfnisse der christlich-muslimischen, beziehungsweise nicht religiös geprägten
Gesellschaft?
2.4 Gründe der kulturellen Distanz
Vor diesem Hintergrund möchte das Forschungsprojekt die Gründe für eine kulturelle
Distanz eingehend untersuchen und zeigen, wie es beiden Seiten gelingen kann, den
interkulturellen Austausch zu beleben und aktiv zu gestalten. Das Projekt zeigt Wege
auf, wie sich die sogenannten „Ghettos“ von Problem- zu Integrationsfördernden
Stadtteilen wandeln lassen könnten. Eine Orientierung könnte dabei der jüngste
integrationspolitische Erfolg in Duisburg-Marxloh sein, wo Migranten und Deutsche
gemeinsam versuchen ihren Stadtteil neu aufzubauen. Ein solches gemeinsames
Projekt fördert Austausch und Verständnis in optimaler Weise.
2.5 Friedliches Zusammenleben ist das Ziel
Im Rahmen der Integrationsbemühungen fällt oft der Slogan „Zusammenleben ist das
Ziel“. Wie kann dieses Zusammenleben ganz konkret aussehen? Welche gemeinsamen
Veranstaltungen und Feste können veranstaltet werden und in das alltägliche Leben
von Migranten und Deutschen integriert werden? Das Projekt entwickelt hier ganz
konkrete Vorschläge, um den Begriff des „Zusammenlebens“ auch wirklich mit
„Leben“ zu erfüllen.
Neben den Organen des Bundes und des Landes wird das Projekt ganz gezielt auch die
Medien,
die
Bildungseinrichtungen,
Kindergärten,
den
Einzelhandel,
das
Vereinswesen, die Unternehmen und die Kirchen in den Blick nehmen und Vorschläge
entwickeln, wie diese Institutionen gemeinsam ein friedliches Zusammenleben mit
Migranten und deren Integration fördern können. Ziel ist es außerdem, die Diskrepanz
beider Seiten aufzuheben. Es soll ein Fundament geschaffen werden, worauf aufgebaut
werden kann und welches dazu führt, dass Vorurteile mit Wissen gefüllt werden.
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2.6 Forschungsziele
„Islam 2030: Gemeinsam Zukunft gestalten“ und „Ahlen 2030“ wollen ergründen:
 Welche Themen (die Zielgruppe) der 20-50 jährigen Muslimen und NichtMuslimen in den Sozialräumen Ahlen, Münster und Hamm im gegenwärtigen
Zusammenleben beschäftigen.
 Auf welche positiven wie negativen Erfahrungen die Zielgruppe blickt, welche
Einstellungen hinter ihren Denk- und Handlungsweisen liegen und wodurch
diese beeinflusst werden.
 Welche Veränderungen nach Meinungen der Zielgruppe stattfinden müssen, um
das gesellschaftliche Zusammenleben zwischen MuslimInnen und NichtMuslimInnen in ihren Städten positiv zu beeinflussen.
 Wo Konfliktpotential liegt und wo Ressourcen vorhanden sind, die genutzt
werden können, um aus erkannten Handlungsbedürfnissen Maßnahmen
frühzeitig einzuleiten und somit gesellschaftspolitisch zu vermitteln.
 Forderungen und Zukunftsperspektiven
 Welche Rolle spielt Religion in der Gesellschaft; welche Rolle darf sie spielen?
 Wahrgenommene Ängste im „multikulturellen Zusammenleben“
 Potentielle Quellen von Missverständnissen zwischen Muslimen und nicht
Muslimen?
 Parallelgesellschaft – was kann unter diesem Begriff verstanden werden und
wie wird dieser Begriff wahrgenommen?
 Gibt es Werteverschiebungen in der Gesellschaft in den letzten 10 Jahren und in
der Zukunft?
 Was können muslimische und nichtmuslimische Gemeinden, Vereine und/oder
Organisationen des Sozialwesens für die Politik tun?
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TAVAK –Türk-Alman Eğitim ve Bilimsel Araştırmalar Vakfı Yayınları
Auswertung der Forschungsziele
Das Projekt „Islam 2030“ konnte im Hinblick auf die Forschungsfragen nach dem
„muslimisch nicht-muslimischen Zusammenleben im Jahr 2030“ darlegen, dass bei
beiden Gruppen eine gewisse Diskrepanz gegenüber Andersgläubigen besteht. Diese
These ergibt sich aus der Auswertung der Fragenbogenanalyse und den
Expertengesprächen. Niemals zuvor in der Geschichte lebten Muslime und
Nichtmuslime
so
ungeplant
miteinander
in
einem
immer
schneller
zusammenwachsenden globalen Dorf. Hinsichtlich dieser Gegebenheit ist es wichtig,
dass die in der Münsterregion lebenden Muslime schnellstmöglich integriert werden.
Um einen Ausblick zu erhalten welche Themen im Jahr 2030 gegenwärtig sind hat
man interrogativ herausgefunden, dass für beide Gruppen Familie, Gesundheit und
Freunde exponieren. Allerdings sind Glaube und Religion bei den Muslimen ebenfalls
weit im oberen Bereich.
Die Nichtmuslimen blicken in diesem Kontext auf die positiven Erfahrungen bei der
Großzügigkeit und Begegnung. Zum Beispiel äußert sich die Mehrheit der
Nichtmuslime über die freundliche Aufnahme in Familien und in der Nachbarschaft.
Trotzdessen muss das gesellschaftliche Zusammenleben durch Veränderungen positiv
beeinflusst werden. In diesem Punkt sind sich beide Zielgruppen konform.
Die Nichtmuslime gehen davon aus, dass sich der Islam nicht ausreichend in die
moderne Gesellschaft und Entwicklung rehabilitieren wird und somit das größte
Problem für ein Zusammenleben ausmacht. Auf der anderen Seite stellt man fest, dass
die Vorbehalte gegenüber den Nichtmuslimen zu keiner Kontroverse führen. In diesem
Gebiet sind konfliktmildernde Maßnahmen notwendig und wichtig ist es besonders bei
den jüngeren Gruppen im schulischen und gesellschaftlichen Leben, dieses
Konfliktpotential
abzulegen.
Veränderungen
müssen
laut
Studie
in
der
Auseinandersetzung zwischen Muslimen und Nichtmuslimen stattfinden. Um Vorteile
positiv umzuwandeln, gilt es den islamischen Glauben näher zu reflektieren. Auch
wenn sich der traditionelle Islam, laut aktueller Hypothese an die europäischen
Gegebenheiten versucht anzupassen und daher generell neu entwickelt.
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TAVAK –Türk-Alman Eğitim ve Bilimsel Araştırmalar Vakfı Yayınları
Die Religionen werden sowohl bei den Konflikten, als auch bei den mildernden
Phasen eine wichtige Stellung ausmachen. Besonders die jüngsten Konflikte in Syrien
lösen bei den Nichtchristen die Grundlage für die Diskrepanz gegenüber dem Islam
aus. Als Forderung an die Zukunftsperspektive wird immer wieder von beiden
Gruppen, der Wunsch nach einem friedlichen und respektvollen Zusammenleben
genannt.
Wobei sich Muslime einig sind, dass der Islam in der Gesellschaft fest verankert
werden sollte.
Das „multikulturelle Zusammenleben“ wird in Deutschland eingehend diskutiert. Auf
der einen Seite geht man davon aus, dass das Zusammenleben ein wichtiger
Bestandteil der deutschen Gesellschaft sein sollte. Auf der anderen Seite jedoch steht
die Leitkultur des christlichen Abendlandes. Die Vielfältigkeit der Kulturen ist
besonders wichtig in den Städten, in denen die Untersuchung stattgefunden hat, da dort
ein sehr hoher Anteil an muslimischen Bürgern lebt. Für Multikulturalität ist sowohl
die die Bundespolitik als auch die Landespolitik im Land NRW maßgebend.
Die größte Fehldeutung zwischen Muslimen und Nichtmuslimen lässt sich bei der
älteren wie auch der jüngeren Gesellschaft feststellen. Eine große Rolle spielen die
verschiedenen Interpretationen der jeweils anderen Religion. In diesem Bereich muss,
wie bereits erwähnt, die Diskrepanz abgebaut werden. Vorschläge diesbezüglich sind
zum einen das Zusammenkommen der beiden Gruppen, als auch das gegenseitige
Verständnis.
Um dieses Ziel erfolgreich zu erreichen, müssen mehr soziale Angebote offeriert
werden. Für die Transparenz des Islam ist es notwendig, dass die Muslime ihre
Religion auch nach außen hin offen zugänglich machen, um die Feindseligkeit
abzubauen.
Der Begriff „Parallelgesellschaft“ hat sich durch die Vorfälle in Solingen und Mölln
1992/93 durchgesetzt. Das Desinteresse an der muslimischen Bevölkerung hat zu einer
Abschottung
der
Gesellschaft
geführt.
Zukunftsbezogen
dominiert
eine
Parallelgesellschaft ganze Regionen, wie dies zum Beispiel in Ahlen der Fall ist.
Dadurch verhärten sich die Vorurteile seitens der Nichtmuslime. Durch die Studie hat
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TAVAK –Türk-Alman Eğitim ve Bilimsel Araştırmalar Vakfı Yayınları
man jedoch festgestellt, dass sich die Jugendlichen durch eine gute Ausbildung immer
mehr von den Vorbehalten distanzieren und zunehmend offener der mehrheitlichen
Gesellschaft werden. In den nächsten zehn Jahren kann man davon ausgehen, dass
durch die Werteverschiebungen sogar die Solidarität innerhalb der Familie abnehmen
wird.
Um ein Miteinander fördern zu können, gilt es religiöse Veranstaltungen seitens der
Muslime wie auch der Nichtmuslime offener zu gestalten. Außerdem kann ein
gemeinsames Ziel in Anspruch genommen und verfolgt werden. Beide Gruppen geben
an, dass sie gerne mehr in der Politik tätig sein wollen, um ihre Wünsche direkter
voranzutreiben.
Eine Grundlage der Geschichte und Theologie des Islams setzt einen fundierten Dialog
zwischen Muslimen und Nichtmuslimen voraus.
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TAVAK –Türk-Alman Eğitim ve Bilimsel Araştırmalar Vakfı Yayınları
2.7 Verfahren und Ablauf
a) Fragebogen
„Muslimische
Zukunftsvorstellungen“
(Quantitative
Auswertung) (KatHO)
Fragebogen an MuslimInnen
Behörden
Öffentliche Veranstaltungen
Persönlicher Kontakt
Soziale Einrichtungen
Vereine
Sonstiges
SUMME
zurückbekommener
Fragebögen
Ahlen
22
28
30
26
96
Hamm
12
11
5
9
104
Gesamtsumme
Münster
25
3
4
31
231
Verteilte Fragebögen
Rücklaufquoten
136
150
100
70,59%
69,33%
31 %
Insgesamt wurden 231 schriftliche Fragebögen von MuslimInnen in die Auswertung
einbezogen; das Bildungsniveau der Befragten reichte vom Haupt- bis zum
Hochschulniveau,
der
durchschnittliche
Abschlussgrad
lag
bei
2,59
(Realschulabschluss-Gymnasium). 79,6 Prozent der Befragten gehörten dem
sunnitischen Islam an, 4,3 Prozent dem schiitischen Islam, 7,8 Prozent waren
alevitisch und 8,3 Prozent bekannten sich zu einer anderen Strömung des Islams. Die
männliche Teilnahme lag bei 43,4 Prozent und die weibliche bei 56,6 Prozent, die
Altersspanne umfasste das gesamte Spektrum ab 18 Jahren bis zum 63 Lebensalter
(Mittelwert: 35,8 Jahren), der geographische Raum der Untersuchungen beschränkte
sich auf die Städte Ahlen, Münster und Hamm. 43,7 Prozent aus Hamm, 39,7% aus
Ahlen, 14 Prozent aus Münster und 2,6 Prozent MuslimInnen aus dem Umland
nahmen an dem Fragebogen teil. Bei der Verteilung der Fragebögen wurde auf eine
18
TAVAK –Türk-Alman Eğitim ve Bilimsel Araştırmalar Vakfı Yayınları
ausgewogene Verteilung bezüglich der Religiosität großen Wert gelegt; und dennoch
stuften sich 92,5 Prozent der Befragten als sehr gläubig bis gläubig ein, 4,9 Prozent
bezeichneten sich als eher neutral bis weniger gläubig und nur 2,7 Prozent gaben an,
nichtgläubig zu sein (Mittelwert: 2,08 – gläubig). Die Mehrheit der muslimischen
Befragten war türkischer Herkunft, was auch der nationalen Verteilung innerhalb der
muslimischen Gemeinschaft in Deutschland entspricht.
Fragebogen an Nicht-MuslimInnen
Insgesamt wurden 308 schriftlicher Fragebögen von Nicht-MuslimInnen in die
Auswertung einbezogen. Nicht-Muslime sind Bürger die formal dem Christentum
anhängig sind speziell in der Region des Münsterlandes, sowohl katholisch als auch
evangelisch. Das Bildungsniveau der Befragten reichte vom Hauptschul- bis hin zum
Hochschulniveau. 44,3 Prozent der Befragten sind katholisch, hingegen sind 33,6
Prozent evangelisch und 14,7 Prozent gaben an, dass sie keiner Glaubensrichtung
angehören, 6 Prozent bekannten sich zu einer anderen religiösen Glaubensrichtung.
Die männliche Teilnahme lag bei 39,5 Prozent und die weibliche bei 60,1 Prozent, 0,3
Prozent machte keine Angabe zum Geschlecht. Die Altersspanne umfasste das
gesamte Spektrum von 18 Jahren bis zum 76 Lebensalter (Mittelwert: 41,12 Jahren),
der geographische Raum der Untersuchungen konzentrierte sich auf die Städte Ahlen,
Münster und Hamm. 43,2 Prozent aus Ahlen, 30,2 Prozent aus Hamm, 22,7 Prozent
aus Münster und 3,9 Prozent Nicht-MuslimInnen aus dem Umland nahmen an dem
Fragebogen teil.
Bei der Verteilung der Fragebögen wurde auf eine ausgewogene Verteilung bezüglich
der Religiosität großen Wert gelegt (Mittelwert: 2,98 – gläubig). Die vollständigen
Befragungen liegen in Form von anonymisierten Transkriptionen vor und die
relevanten Äußerungen und Ergebnisse wurden von der KatHO festgehalten.
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TAVAK –Türk-Alman Eğitim ve Bilimsel Araştırmalar Vakfı Yayınları
b) Flughafenbefragung (TAVAK)
Für das Modellprojekt „Ahlen 2030“ in der Ruhrregion wurden an drei Flughäfen,
Sabiaha Gökcen, Atatürk und Düsseldorf Umfragen basierend auf einem strukturierten
Fragebogen durchgeführt, um eine erste Tendenz muslimischer Vorstellungen
festzuhalten. Bei dieser Umfrage haben 400 Personen teilgenommen und es wurden
jeweils 11 Fragen gestellt.
c) Leitfadeninterviews und offene Diskussionsrunde zum Forschungsthema
„Zusammenleben“ (Qualitative Auswertung)
Es wurden drei offene Leitfadeninterviews nach Przyborski und Wohlrab-Sahr (2008)
mit zwei MuslimInnen und einem Nicht-Muslim von der KatHO durchgeführt. Ziel
war die Generierung von Diskussionsthemen für den Workshop.
Bei diesem Workshop kamen MuslimInnen und Nicht-MuslimInnen aus Ahlen, Hamm
und Münster zusammen. Zunächst wurde eine Gruppendiskussion zur Fragestellung
„Wie könnten und sollten MuslimInnen und Nicht-MuslimInnen in NRW im Jahr 2030
zusammenleben?“ durchgeführt.
Die
Zielsetzung
einer
offenen
Diskussionsrunde
lag
darin
Aspekte
des
„Zusammenlebens“ interaktiv zu ermitteln.
Durch die Erhebungen aus dem Workshop konnten folgende „Lebensbereiche“
zugeordnet werden:
1) Schule und Bildung
2) Innere Haltung
3) Konfessionen/ Religionsgemeinschaften
4) Historische Hintergründe
5) Politik und Arbeitsmarkt
6) Sozialwesen/ Angebote der Migrationsarbeit
20
TAVAK –Türk-Alman Eğitim ve Bilimsel Araştırmalar Vakfı Yayınları
Der Untersuchungsgegenstand „Zusammenleben“ des Forschungsprojekts setzt sich
aus den sechs genannten Ergebnisfeldern zusammen. Eine ausführliche Darstellung
aller
Bereiche
befindet
sich
im
Projektbericht
unter
„Auswertung
der
Leitfadeninterviews und der offenen Diskussionsrunde zum Forschungsthema
„Zusammenleben“.
2.9 Zielgruppen des Forschungsprojekts
Die Zielgruppe der Befragung richtete sich bewusst auf die Altersgruppe zwischen 18
Jahren und 50 Jahren als Kerngruppe, weil sie im Hinblick auf das Jahr 2030 die
relevante Gruppe von „Entscheidern“ sind und weil sie sich mit den angedachten
Themen befassen und über zukünftige Entwicklungen Auskünfte geben können. Ein
weiterer Grund ist, dass die erste Generation der über 60-Jährigen erfasst ist und 2030
nicht mehr von Relevanz sein wird.
2.10 Forschungsfragen
Vor allem für dynamische Gesellschaften ist es schwierig eine Zukunftsprognose zu
erstellen, da das Miteinander von langwierigen politischen bis hin zu tagesaktuellen
Geschehnissen und äußeren Einflüssen bestimmt wird.
Das Forschungsprojekt „Islam 2030 – Zukunft gemeinsam gestalten“ soll daher nicht
als ein Werkzeug der Prophezeiung dienen, sondern vielmehr einen Weg der
Mitgestaltung einschlagen.
Folgender Fragestellung des Projektträgers wird nachgegangen:
„Wie werden wir 2030, wenn in allen größeren und mittleren Städten in NordrheinWestfalen, wo Bergbau, Stahl und große Fabriken vorherrschend waren, die Mehrheit
der unter 50-Jährigen einen Migrationshintergrund und darunter die weitaus meisten
einen islamischen Hintergrund hat, zusammenleben?“
21
TAVAK –Türk-Alman Eğitim ve Bilimsel Araştırmalar Vakfı Yayınları
Für ein differenziertes Forschungsergebnis wurde die (grobe) Fragestellung in eine
Oberforschungsfrage und zwei Unterfragen gegliedert:
(Ober-) Forschungsfrage: „Wie sehen 20 bis 50 jährige MuslimInnen
und Nicht-MuslimInnen aus den Städten Ahlen, Münster und Hamm
das gesellschaftliche Zusammenleben sowohl in der Gegenwart als
auch in der Zukunft (Jahr: 2030)?“
(Erste)
Unterfrage:„Wie
nehmen
MuslimInnen
und
Nicht-
MuslimInnen das gesellschaftliche Zusammenleben wahr?“ (ISTZustand:
Beobachtungen
Wahrnehmung)
(Zweite) Unterfrage:
und
„Wie
Beschreibungen,
könnte
und
sollte
subjektive
sich
das
gesellschaftliche Zusammenleben aus der Sicht der MuslimInnen und
Nicht-MuslimInnen bis zum Jahr 2030
und darüber
hinaus
entwickeln?“ (Soll-Zustand: Wünsche und Befürchtungen, Emotionen/
Strategien/ Zukunftsvorstellungen)
Dabei ist zu beachten, dass den Prognosen zur Folge im Jahre 2030 ein Viertel der in
Deutschland lebenden älteren Menschen einen Migrationshintergrund haben werden.
Darunter birgt sich eine hohe Zahl der Migranten muslimischen Glaubens
(vgl.http://www.deutsche-islam-konferenz.de).
Dieser
demographische
Wandel
bezüglich der Altersstrukturen innerhalb der muslimischen Gemeinschaft in
Deutschland konfrontiert die Bevölkerung als Teil der christlich-muslimischen
Gesellschaft mit neuen Fragen.
Abgesehen davon, dass die Debatte mit dem Islam inzwischen zu den dominierenden
Themen im öffentlichen Dialog gehört, werden zukünftig neben den Kopftuchdebatten
und den bundesweiten Forderungen nach islamischen Religionsunterricht, die
Nachfrage an islamischen Bestattungsmöglichkeiten, sowie an einer kultursensiblen
Altenpflege steigen.
22
TAVAK –Türk-Alman Eğitim ve Bilimsel Araştırmalar Vakfı Yayınları
Dabei erscheint es als besonders wichtig den Fokus auf gesellschaftspolitische
Prozesse zu legen und herauszufiltern in welchen Feldern, zum Beispiel bei der
Moschee-Entwicklung, Altenpflege, Krankenhausaufenthalt sowohl ambulant als auch
stationär, muslimische und gemischte Einrichtungen, Begräbnispraxis getrennte und
gemeinsame
muslimischen
Friedhöfe,
islamisches
Gemeinschaften,
oder
Bestattungsritual,
auch
in
anderen
soziale
Kontrolle
in
Lebensbereichen,
es
Handlungsbedarf gibt.
23
TAVAK –Türk-Alman Eğitim ve Bilimsel Araştırmalar Vakfı Yayınları
2. Ergebnisse:
Auswertung
der
Fragebögen
über
„Muslimische Zukunftsvorstellungen“
3.1 Fragebogenauswertungen der muslimischen und
nichtmuslimischen Teilnehmer
Frage 1:
„Was sind für Sie persönlich wichtige Themen, mit denen Sie sich aktuell
auseinandersetzen?“
Tabelle 1:
Themen/ Interessen
Tabelle 2:
Ergebnis/Daten
Themen/ Interessen
(Muslime)
Familie
89,60%
(Nichtmuslime)
Familie
80,50%
Gesundheit
61,30%
Gesundheit
54,20%
Glaube/Religion
56,50%
Freunde
48,10%
Freunde
45,70%
Berufsleben
46,40%
Berufsleben
40%
Partnerschaft/Beziehung
45,10%
Hoch-/Schule
32,60%
Politik
Politik
29,10%
Freizeit
31,20%
Partnerschaft/Beziehung 28,70%
Glaube/Religion
24,40%
Freizeit
27%
Hoch-/Schule
16,90%
Ausbildung
20%
Ausbildung
12,70%
Arbeitslosigkeit
15,70%
Arbeitslosigkeit
12,30%
Sonstiges
2,60%
Ergebnis/Daten
Sonstiges
38%
6,80%
(Tabelle 1,2: Mehrfachnennungen waren möglich!)
24
TAVAK –Türk-Alman Eğitim ve Bilimsel Araştırmalar Vakfı Yayınları
Die Themen des Fragebogens treffen auf die persönlich wichtigen Themen der
Teilnehmer zu. Das Ranking ergibt, dass den muslimischen und nicht-muslimischen
Teilnehmern die Gesundheit, direkt nach der Familie am wichtigsten ist. Während für
56,5 Prozent der muslimischen Befragten der Glaube an dritter Stelle steht, ist der
Glaube bei nicht-muslimischen Teilnehmern nur für 24,4 Prozent von Bedeutung und
steht an achter Stelle. Stattdessen sind Themen wie Freunde, das Berufsleben,
Partnerschaft, Politik und Freizeit vorrangig.
Muslime sehen in Familie und Partnerschaft/Beziehung signifikant weniger
Auseinandersetzungsbedarf, womöglich weil sie in klareren Rollenbildern leben. In
diesem Zusammenhang entspricht die Familie dem kulturellen und sozialen Habitus
der Muslime. Innerhalb der familiären Strukturen werden religiöse Regeln, kulturelle
Werte/ Normen, sowie soziale Rollenbilder weitergegeben und infolgedessen
angeeignet. Mit der Beziehung zum Glauben und der Religion setzen sich Muslime
wiederum weitaus mehr auseinander als die Gruppe der Nicht-Muslime.
Interessant ist, dass für die Befragten unabhängig ihrer Glaubensrichtung, die
Ausbildung und Arbeitslosigkeit nicht so wichtig erscheint. Das zeigt, dass die
Teilnehmer wohlmöglich wenig Wert auf eine gute Ausbildung legen.
25
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Frage 2:
„Inwiefern haben Sie sich schon persönlich mit folgenden Themen beschäftigt?“
Tabelle 3:
Themen
(Muslime)
Ergebnis/ Daten
Gesundheit
91,90%
Alter/ Älterwerden
68,50%
Sterben/ Tod
63,10%
Pflege im Alter
57,40%
(Tabelle 3: Mehrfachnennungen waren möglich!)
Mehr als die Hälfte der befragten Muslime haben sich mit allen vier Themenbereichen
intensiv beschäftigt. Die Gruppe der Muslime beschäftigt sich überwiegend mit dem
Thema Gesundheit, obwohl sie kaum Zugang zu Informationen und Angebote zu
diesem Themen haben, wie Untersuchungen und Erfahrungen zeigen.
So zählt das Thema Alter und Älterwerden bei den muslimischen Befragten zu den
wichtigsten Themen nach Familie und Gesundheit. Im Hinblick auf die alternde
Gesellschaft nimmt auch die Zahl der älterwerdenden Muslime zu. Dieser Zustand
wirft zukunftsorientierte Fragen auf, die im Zusammenhang mit Pflege im Alter und
muslimischer Bestattungskultur in Deutschland stehen.
Für die muslimischen Befragten spielt die islamische Wertvorstellung in Bezug auf
das Pflegeverhalten (Altersheim, Pflegeheim) hinsichtlich der Hygieneregeln, den
Speisevorschriften, sowie den sozialen Umgang mit dem Alterungsprozess bis hin zum
Tod und der islamgerechten Bestattung eine tiefgreifende Rolle. Das Fehlen
kultursensibler
Angebote
in
Körperpflege,
Essgewohnheiten,
Sprache
und
Pflegepersonal sind die häufigsten Gründe für die Ablehnung deutscher Altersheime
seitens muslimischer Migranten. Für die Betreuung und Pflege muslimischer
SeniorInnen müssen Pflegeeinrichtungen mehr Wert auf die kulturspezifischen Alten/
Krankenpflege legen. Das Pflegepersonal muss auf den Umgang mit älteren
Migranten, bezüglich islamischer Wertvorstellungen ausreichend sensibilisiert werden.
26
TAVAK –Türk-Alman Eğitim ve Bilimsel Araştırmalar Vakfı Yayınları
Damit auch muslimische Migranten stationäre und ambulante Pflege in Anspruch
nehmen, ohne in ihren religiösen Gefühlen verletzt zu werden.
Auffällig ist, die intensive Beschäftigung der befragten Muslime mit der Beziehung zu
Tod und Bestattung. Die Frage nach der Beisetzung beim Eintreten eines Todesfalles
ist ebenso wichtig, wie das Thema rund und die Pflege im Alter. Bis heute bevorzugt
ein Großteil der muslimischen Migranten nach dem Tod in ihrem Heimatland beerdigt
zu werden.
Das Thema Pflege im Alter zeigt große Unterschiede in den Mittelwerten der
einzelnen Städte (Hamm, Münster und Ahlen). Laut Aussage der Befragten in Hamm
beschäftigen sich die Muslime mehr mit dem Thema Pflege im Alter als die Befragten
in Münster.
27
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Frage 3:
„Werden Muslime wegen ihrem Bekenntnis zum Islam benachteiligt?“
Tabelle 4:
Tabelle 5:
NICHTMUSLIME
MUSLIME
Ja
23,70%
Nein
16%
Keine
Aussag
e
17%
Nein
32,10%
Ja
67%
Keine
Aussage
42,20%
Muslime sind der Ansicht, dass sie in Bezug auf diese Fragestellung stark
benachteiligt werden, aufgrund von Erfahrungen die sie im Alltag erleben. NichtMuslime wiederrum enthalten sich und geben keine Aussage darüber. Gründe dafür
können zum einen Desinteresse am İslam sein und zum anderen die fehlende
Wahrnehmung der Diskriminationen. Oder aber aus Angst vor Gegnern.
28
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Tabelle 6:
DIFFERENZIERUNG NACH ALTER
(MUSLIME)
20-29Jährigen
23%
40-49Jährigen
fühlen sich
benachteilig
28%
50-59 Jährigen
24%
30-39Jährigen
25%
Eine Differenzierung nach dem Alter zeigt, dass alle Altersgruppen zur
Benachteiligung eine ähnliche Meinung haben, deswegen ist zusammenfassend
festzustellen, dass sich ohne Altersbeschränkung Muslime durch ihren Glauben
benachteiligt fühlen.
Insgesamt stimmen aber alle Altersgruppen der Aussage zu. Obwohl die ältere
Generation noch eher nach den Traditionen erzogen worden sind, fühlen sich jüngere
Generationen trotz ihres Glaubensunterschieds genauso benachteiligt.
29
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Tabelle 7:
Benachteiligte Bereiche
Ergebnis/ Daten
(Muslime)
Politik
80,20%
Berufsleben
72,70%
Berufsausbildung
68,10%
Behörden
64,50%
Außenstehende
62,10%
Hochschule
58,20%
Sonstiges
43,20%
KITA
43%
Vereine
40,70%
Freunde
36,10%
Freizeit
30,60%
(Mehrfachnennungen waren möglich!)
Ein großer Teil fühlt sich vor allem in den öffentlichen Bereichen, wie Politik,
Berufsleben, Berufsausbildung und Behörden benachteiligen. Die Politische Teilhabe
ist in Bezug auf Migranten aus den nicht EU-Ländern ein schwieriger Ausblick. Zwar
ist ein Engagement, auch ohne entsprechende Staatsangehörigkeit, im Ehrenamt und in
den Parteien möglich, aber dennoch mangelt es seitens muslimischer Migranten am
ehrenamtlichen Engagement. Der interkulturelle Kontakt zwischen Muslimen und
Nicht-Muslimen
ist
maßgebend für die Repräsentanz
von Menschen
mit
Migrationshintergrund in öffentlichen Bereichen. Dabei reicht eine einseitige Öffnung
nicht aus, da auf beiden Seiten die Hemmschwellen abgebaut werden müssen.
30
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Tabelle 8:
Benachteiligung aufgrund des Bekenntnisses zum Islam
Sehr stark benachteiligt (1) - nicht benachteiligt (5)
(Nicht-Muslime)
5
4
3
2
1
73 Personen (23,7%) geben an, dass Muslime wegen ihres Bekenntnisses zum Islam
benachteiligt werden. Diese Anzahl an Personen hat angegeben, in welchen Bereichen
sie eine Benachteiligung empfinden. Die Skala, anhand derer die Einschätzung
vorgenommen worden ist, lautet: Sehr stark benachteiligt (1), stark benachteiligt (2),
neutral (3), eher wenig benachteiligt (4), nicht benachteiligt (5).
Bei bestimmten Fragen fällt die hohe Anzahl der Befragten auf, die angegeben, dass
sie sich zu dem Thema nicht äußern können. Hierzu zählt auch die dritte Frage, da fast
die Hälfte aller Befragten angab, sich nicht dazu äußern zu können oder zu wollen.
Das spricht dafür, dass ein Teil sich offenbar noch nicht mit dem Thema beschäftigt
hat oder es besteht kein Interesse an der Situation von Muslimen, obwohl im
Untersuchungsgebiet ein hoher muslimischer Anteil vorhanden ist.
Die Befragten geben an, dass sie die Benachteiligung im Bereich der Freunde
zwischen neutral und eher wenig benachteiligt empfinden, dies zeigt der Mittelwert
von 3,56.
Die empfundene Benachteiligung im Bereich der Kindertagesstätte ordnen die
Befragten bei 3,58 ein. Das bedeutet, dass sie die Situation als neutral bis eher wenig
31
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benachteiligt einschätzen. Die Einschätzung der Benachteiligung im Bereich des
Berufslebens liegt zwischen einer stark bis neutral eingeschätzten Benachteiligung,
dies zeigt der Wert 2,48. Bei der Einschätzung der Benachteiligung im Bereich der
Politik fällt die eine Stimme auf, die die Benachteiligung als sehr stark empfindet.
32
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Frage 4:
„Wie häufig haben Sie im letzten Monat eine Moschee/ Gebetshaus besucht?“
Tabelle 9:
Tabelle 10:
MUSLIME
wöchentlich
25%
keine täglich
Angabe 7%
n
11%
gar
nicht
19%
monatlich
19% mehrm
als
wöchen
tlich
19%
Die
Mehrheit
der
NICHTMUSLIME
befragten
Muslime
mehrmals
wöchentlich
3%
keine
Angabe
täglich
n
1%
13%
wöchentlich
11%
gar
nicht
50%
besucht
monatli
ch
22%
regelmäßig
eine
Moschee,
beziehungsweise ein Gebetshaus (69,5 Prozent). Die Muslime, die wöchentlich eine
Moschee besuchen (25 Prozent), beten gelegentlich nur das Freitagsgebet. Nur ein
geringer Anteil besucht die Moschee mehrmals wöchentlich und/oder täglich (26
Prozent). Wenn man sich die Befragung kritisch ansieht kann man davon ausgehen,
dass die befragten Muslime nur gelegentlich die Moschee besuchen und nur für die
Hälfte (51 Prozent) eine bedeutende Relevanz im Alltag hat. Im Vergleich zu der
geringen Anzahl der befragten Muslime, die täglich eine Moschee besuchen (7
Prozent), misst die muslimische Gemeinschaft dem Freitagsgebet eine größere
Bedeutung zu. Das Freitagsgebet ist ein gemeinschaftlicher Akt und kein anderes
Gebot des Islams wird so sensibel, selbst von denen, die sagen würden, dass sie eher
weniger religiös sind, befolgt wie das Freitagsgebet. Daher ist dem Freitagsgebet nicht
33
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nur ein religiöser Wert beizumessen, sondern gleichermaßen auch ein soziokultureller.
Aus der Befragung geht hervor, dass insbesondere bei „gar nicht besucht“ eines
religiösen Gebetshauses ein deutlicher Unterschied zwischen den Muslimen und
Nicht-Muslimen festzustellen ist. Während nur 19 Prozent der muslimischen Befragten
keine Moschee besucht, liegt bei den Nicht-Muslimen dieser Anteil bereits bei 50
Prozent.
Aber
die
Auswertungen
über
den
Glaubensgrad
der
Muslime,
beziehungsweise der Nicht-Muslime lassen größere Unterschiede vermuten. Die
Mehrheit der muslimischen Befragten (92,5 Prozent) stufen sich als sehr gläubig bis
gläubig ein, wobei sich der Mittelwert bei den Nicht- Muslimen zwischen gläubig und
nicht gläubig bewegt. Daraus geht hervor, dass die muslimischen Migranten den Grad
ihrer Gläubigkeit nicht an der Häufigkeit der Ausübung ihrer religiösen Pflichten
messen z.B. Moscheebesuch. Die Bekennung zum Islam unter den muslimischen
Migranten ist zugleich eine Art kulturelle Identitätsstiftung der muslimischen
Minderheit innerhalb der christlichen Mehrheitsgesellschaft.
34
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Frage 5:
„Wessen Meinung ist für Ihr Verhalten wichtig?“
Tabelle 11:
Tabelle 12:
Meinungsbilder
Ergebnis/
(Muslime)
Daten
Meinungsbilder
(Nicht-Muslime)
Ergebnis/
Daten
Eltern
43,60%
Eltern
61,70%
Eigene Meinung
27,30%
Großeltern
21,40%
Imam
13,90%
Freunde
17,20%
Freunde
25,50%
Partner
21,80%
PartnerIn
15,30%
Großeltern
13,60%
Eigene Meinung
9,40%
Familienmitglieder
10,90%
Familienmitglieder
5,20%
Moscheegemeinde/ Kirche
9,50%
5,30%
Nachbarschaft
Kirche
Nachbarschaft
(Tabelle 11,12:Mehrfachnennungen waren möglich!)
Laut dieser Befragung zählen die Eltern zu den wichtigsten Personen die für das
Verhalten der Befragten wichtig sind. Diese Angabe zeigt, dass es keine Rolle spielt
ob man muslimisch oder christlich erzogen wurde. Das Vertrauen in einen Selbst ist
eher im unteren Bereich bei den Befragten Nicht-Muslimen anzutreffen. Hingegen die
Muslime ein höheres Vertrauen auf sich selbst setzen, wogegen Nicht-Muslime eine
Vertrauensperson öfters zu Rate ziehen würden. Die eigene Meinung liegt bei den
Nicht-Muslimen Befragten „nur“ bei 9,4%. Diese Natur des Islam zeigt sich auch bei
der Meinungsbildung (der İmam), welcher von 13,9% wichtig für Muslime ist. Doch
interessant ist, dass die Moscheegemeinde und die Nachbarschaftals nicht so wichtig
empfunden werden. Dies könnte auf das Vertrauen und die Relevanz der Gemeinden
und Nachbarschaft im Leben der Befragten zurückgeführt werden.
35
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Frage 6:
„Wie gläubig schätzen Sie sich selbst ein?“
Tabelle 13:
MUSLIME
eher nicht gläubig
nicht gläubig
sehr gläubig
gläubig
eher sehr gläubig
Signifikant bei den Muslimen ist, dass sich 92,5 Prozent der Befragten als gläubig bis
sehr gläubig einschätzen, während 4,9 Prozent sich als eher nicht gläubig bezeichneten
und nur geringe 2,7 Prozent aussagten nicht gläubig zu sein.
36
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Tabelle 14:
Wie gläubig schätzen Sie sich ein?
sehr gläubig (1) - nicht gläubig (5)
Nicht- Muslime
3.04
2.95
2.97
2.88
AHLEN
HAMM
MÜNSTER
UMLAND
Die Einschätzung erfolgt auf einer Skala mit den folgenden Abstufungen: Sehr gläubig
(1), eher sehr gläubig, gläubig, eher nicht gläubig, nicht gläubig (5). Der gesamte
Mittelwert beträgt 2,98.
Die Mittelwerte der Befragten durch ihren unterschiedlichen Wohnsitz unterscheiden
sich zudem nicht außerordentlich und fallen sehr ähnlich aus. Daher kann nicht als
Forschungsergebnis festgehalten werden, dass die Einschätzung der Religiosität
aufgrund des Wohnortes anders ausfällt. Die Religion und der Glaube hat eine starke
hohe Bindewirkung auf das Verhalten und die Einstellung bei Muslimen. Anhand der
anderen Fragen kann jedoch deutlich gemacht werden, dass nur ein geringer Teil der
Muslime die sich als sehr gläubig einstufen, auch zugleich ihren religiösen Pflichten
nachkommen.
37
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Frage 7:
„Haben für Sie familiäre und religiöse Regeln eine Bedeutung?“
Muslime
Tabelle 15:
Tabelle 16:
Familiäre Regeln
4.50%
Religiöse Vorschriften
0.50%
6% 3%
16.70%
18%
54%
55.20%
19%
23.10%
Sehr große Bedeutung
große Bedeutung
Sehr große Bedeutung
große Bedeutung
Bedeutung
eher keine Bedeutung
Bedeutung
eher keine Bedeutung
gar keine Bedeutung
gar keine Bedeutung
Für 55,2 Prozent der Teilnehmer sind familiäre Regeln von großer Bedeutung und für
53,7 Prozent sind religiöse Praktiken ausschlaggebend. Die befragten Muslime geben
an, dass sie einen sehr großen Bezug zu familiären und religiösen Regeln haben. Sie
scheinen daher sehr an diese Regeln gebunden zu sein. Familiäre und religiöse
Normen werden bei Muslimen in ihrer Bedeutung nahezu gleichgesetzt. Bei NichtMuslimen gibt es deutliche Unterschiede wobei hier erstaunlich ist, dass religiöse
Regeln höher bewertet werden als familiäre.
38
TAVAK –Türk-Alman Eğitim ve Bilimsel Araştırmalar Vakfı Yayınları
Tabelle 17:
Vergleich der Bewertung familiärer und religiöser Regeln Skala:
große Bedeutung (1) - keine Bedeutung (5)
(Nicht-Muslime)
5
4
Religiöse Regeln
3
Familiäre Regeln
2
1
Ahlen
Hamm
Münster
Umland
Bei der siebten Frage liegt die folgende Skala mit Antwortoptionen zugrunde: Sehr
große Bedeutung (1), große Bedeutung, Bedeutung, eher keine Bedeutung, keine
Bedeutung (5). Der gesamte Mittelwert beträgt 2,28. Hinsichtlich der Angaben
bezüglich der Bedeutung der familiären/ religiösen Normen ist festzustellen, dass die
Antworten trotz ihrer unterschiedlichen Wohnorte nicht wesentlich anders ausfallen.
39
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Frage 8:
„Wie sollte eine Moschee in ihrer Stadt sein, wenn Sie es entscheiden könnten?“
Tabelle 18:
Vorstellungen
Ergebnis
(Muslime)
vom Wohnort gut erreichbar sein
71,70%
als Bildungsort genutzt werden
67,80%
Gebetsraum für Frauen zur Verfügung stellen
61,70%
auch ein Minarett haben
53,30%
den Müezzin-Ruf ausführen
46,70%
gemeinsames Beten von Männern und Frauen ermöglichen
13,10%
keine Meinung dazu
Sonstiges
(positive
5,20%
Freizeitgestaltung
,
sozialer
Treffpunkt,
4,80%
Begegnungsstätte der Kulturen)
Tabelle 19:
Vorstellungen
(Nichtmuslime)
Ergebnis
keine Meinung dazu
52,90%
gemeinsames Beten von Männern und Frauen ermöglichen
27,10%
als Bildungsort genutzt werden
20,10%
auch ein Minarett haben
11,70%
für Frauen einen Gebetsraum (Empore) zur Verfügung stellen
für die Moscheebesucher gut erreichbar sein
Sonstiges (positive Freizeitgestaltung ,
Begegnungsstätte der Kulturen)
11%
7,80%
sozialer
den Müezzin-Ruf ausführen
(Tabelle 16,17; Mehrfachnennungen waren möglich!)
Treffpunkt,
5,80%
3,20%
40
TAVAK –Türk-Alman Eğitim ve Bilimsel Araştırmalar Vakfı Yayınları
An dieser Befragung erkennt man, dass es den Muslimen wichtig ist, dass eine
Moschee gut erreichbar ist und als Bildungsort genutzt werden kann. Weiterhin ist
bedeutend, dass mehr Gebetsräume für Frauen gewünscht sind. Dieser Wunsch äußert
sich durch die bisher geringen bzw. begrenzten Möglichkeiten für Frauen in Moscheen
zu beten. Bauliche Merkmale einer Moschee, wie die Kuppel und das Minarette, sowie
der tägliche Muezzin-Ruf sind zweitrangig und für die Befragten nicht von großer
Bedeutung. Für sie ist die Moschee ein „Ort der Bildung“ und ein Gebetsraum für
Frauen ein wichtiges Thema – weit vor Minarett und dem Wunsch nach einem
gemeinsamen Gebet von Frauen und Männern.
Die 20-29 jährigen wünschen sich zu 74,20 Prozent eine wohnortsnahe Moschee,
sowie 72,83 Prozent der 30-39 jährigen. Auffällig ist, dass 63,27 Prozent der Muslime
dieser Altersgruppe den Wunsch nach einer wohnortsnahen Moschee haben.
Bei Nicht-Muslimen werden nur der Aspekt des gemeinsamen Betens und die
Moschee als „Bildungsort“ näher in Betracht gezogen. Während mit 52,9 Prozent ein
Großteil der nichtmuslimischen Befragten keine Meinung zu dieser Fragestellung hat.
So wurde ähnlich wie bei der dritten Frage auch diese Frage (Wie sollte eine Moschee
in ihrer Stadt sein, wenn Sie es entscheiden könnten?) von mehr als 50 Prozent der
nichtmuslimischen Befragten nicht beantwortet. Dies lässt auf eine mangelnde
Information und ein Desinteresse seitens der nicht-muslimischen Befragten schließen.
Die islamischen Einrichtungen und Vereine in diesen Städten müssen gemeinsame
Aktionen und Informationen durchführen, um einerseits die Kenntnis über den Islam
zu erhöhen und Vorurteilen entgegenzuwirken und andererseits die skeptische
Wahrnehmung der Einrichtungen als undurchschaubar zu entkräften. Nicht nur am
Tag der offenen Moschee sollten Gemeinden sich öffnen, sondern mit Transparenz
informieren und darüber hinaus bei weiteren Veranstaltungen Nicht-Muslime
miteinbeziehen. Migrantenvereine und Moscheen sollten sich nicht über die
Gemeinden hinaus öffnen, sondern mit Transparenz informieren und darüber hinaus
einen Beitrag zu gesellschaftlichen, sozialen und kulturellen Themen und Zielen
leisten. Um die ihnen zugeschriebene Brückenfunktion in die Migrationsgesellschaft
auch leisten zu können, sollte das Integrationsbemühen besonders gefördert werden.
41
TAVAK –Türk-Alman Eğitim ve Bilimsel Araştırmalar Vakfı Yayınları
Frage 9:
„Glauben Sie, dass der Islam als Religion das Alltagsleben der Muslime in
Deutschland einschränkt?“
Tabelle 20:
Tabelle 21:
MUSLIME
NICHTMUSLIME
11,5%
15%
23,4%
43%
65,1%
42%
Nein
Nein
Ja
Ja
Keine Meinung
Keine Meinung
Die Mehrheit der befragten Muslime fühlt sich in ihrem Alltag in Deutschland nicht
durch den Islam eingeschränkt. Während viele Nichtmuslime glauben, dass der Islam
die Muslime in ihrem alltäglichen Leben einschränkt. Im Vergleich zu den Muslimen
sind es „nur“ 23,4 Prozent die sich selbst durch ihren Glauben eingeschränkt fühlen.
32,4 Prozent der 20-29 Jährigen der muslimischen Befragten stimmen der Aussage zu,
dass der Islam eine einschränkende Wirkung auf das soziale Leben hat. Im Kontrast
dazu geben 72,5 Prozent der 30-39 Jährigen an, dass der Islam nicht einschränkt,
ebenso wie 61,2 Prozent der 20-29 Jährigen und 60,9 Prozent der 40-49 Jährigen
stimmen dieser Aussage zu. Die 50-59 Jährigen sagen zu 50 Prozent, dass der Islam
nicht einschränkt.
42
TAVAK –Türk-Alman Eğitim ve Bilimsel Araştırmalar Vakfı Yayınları
Erstaunlicherweise antworteten ohne Ausnahme alle der 50-59Jährigen, die diese
Frage beantwortet haben, dass der Islam durch die Vorschriften eine sehr
einschränkende Wirkung hat. 77 Prozent der 30-39Jährigen bestätigen diese Aussage,
sowie 66 Prozent der 20-29 Jährigen. Das Verhältnis der 40-49 Jährigen ist
ausgeglichen, denn 44 Prozent empfinden diese Aussage neutral, 44 Prozent
bestätigen, dass der Islam sehr einschränkt.
Erstaunlich ist, dass je älter die befragten Muslime sind, desto eher vertreten sie die
Meinung, dass der Islam durch seine Vorschriften einschränkt. Die 23,4 Prozent der
Befragten, nannten folgende Gründe für eine Einschränkung der in Deutschland
lebenden MuslimInnen im Alltagsleben:
Tabelle 22:
Gründe für eine Einschränkung
Ergebnis
(Muslime)
Tradition in Familien (auch unabhängig vom islamischen Glauben)
69,40%
Muslime durch andere Muslime beobachtet und unter Druck gesetzt
(vgl. Moscheegemeinde)
67,50%
Interpretation des Koran in der Familie ( strenge Erziehung)
63,60%
Interpretation der Moscheegemeinde
59,40%
Vorschriften des Koran
56,30%
(Mehrfachnennungen waren möglich!)
43
TAVAK –Türk-Alman Eğitim ve Bilimsel Araştırmalar Vakfı Yayınları
Tabelle 23:
Islam schränkt ein durch …
Skala von schränkt sehr ein (1) - schränkt gar nicht ein
(5)
Nichtmuslime
2.44
2.06
2.03
1.79
VORSCHRIFTEN
DURCH ISLAM
INTERPRET. DES
KORANS IN DER FAM.
INTERPRET. DES
KORANS IN DER
MOSCHEE
1.89
BEOBACHTUNG AND.
NICHTREL.
MITGLIEDER
TRADITIONEN IN DEN
FAM.
Einzuschätzen war diese Frage auf der folgenden Skala: Schränkt sehr ein (1),
schränkt ein, neutral, schränkt eher weniger ein, schränkt gar nicht ein (5). Von allen,
die eine Angabe gemacht haben, beantworten 128 (41,6 Prozent) diese Frage mit ja
und geben eine Einschätzung für die folgenden Bereiche.
Tendenziell schränkt der Islam durch seine Vorschriften das Leben der Muslime in
Deutschland ein. Die befragten Nicht- Muslime empfinden die Einschränkung, durch
die Traditionen der Familien, auch wenn diese nichts mit Religion zu tun haben, als
einschränkend.
44
TAVAK –Türk-Alman Eğitim ve Bilimsel Araştırmalar Vakfı Yayınları
Frage 10:
„Die Zahl der Moscheen wird in Zukunft wohl zunehmen. Was glauben Sie, wie
die nichtmuslimische Bevölkerung mehrheitlich darauf reagieren wird?“
Tabelle 24:
Reaktionen (Muslime)
Ergebnis
mit Abwehr
87,40%
mit Angst
83,80%
mit Zustimmung/ Akzeptanz
31,60%
mit Gleichgültigkeit
29,70%
(Mehrfachnennungen waren möglich!)
Anzahl der Personen
Tabelle 25:
200
180
160
140
120
100
80
60
40
20
0
Reaktion auf zunehmende Anzahl an Moscheen
(Nicht- Muslime)
60,1%
60,7%
42,2%
45,8%
24,0%
22,1%
14,3%
Die Teilnehmer der Befragung sind überwiegend
18,2%
Ja
Nein
der Ansicht, dass die
nichtmuslimische Bevölkerung auf die Zunahme von Moscheen mit Abwehr und
Angst reagieren wird. Mit Abwehr reagieren 87,4 Prozent der Befragten auf das
Zunehmen der Moscheen in Deutschland. Die hohe Ablehnung bei Nicht-Muslimen
und die Angst vor mehr Moscheen und die sehr geringe Zustimmung sind ein Zeichen
für einen politischen Handlungsbedarf. Ebenso müssten andere Akteure agieren – auch
45
TAVAK –Türk-Alman Eğitim ve Bilimsel Araştırmalar Vakfı Yayınları
die muslimischen Gemeinden selbst, die für mehr Transparenz sorgen müssten.
Während Kirchen geschlossen werden, werden Moscheen zunehmen bzw. stärker in
die Öffentlichkeit treten. Nur eine geringe Zahl der Befragten ist der Meinung, dass
die Erweiterung der Zahl der Moscheen mit Akzeptanz oder Gleichgültigkeit
aufgenommen wird.
46
TAVAK –Türk-Alman Eğitim ve Bilimsel Araştırmalar Vakfı Yayınları
Frage 11:
Viele Studien (z. B. Religionsmonitor der Bertelsmann Stiftung aus 2013) sagen,
dass von einer Mehrheit der deutschstämmigen Bevölkerung der Islam als
bedrohlich empfunden wird.
„Wo liegen Ihrer Meinung nach mögliche Gründe für Islamfeindlichkeit in
Deutschland?“
Tabelle 26:
Mögliche Gründe
(Muslime)
Ergebnis
Nichtmuslime in Deutschland haben ein unzureichendes Wissen
über den Islam
Die
mediale
überwiegend
87,30%
Berichterstattung
negativ
über
dargestellt
den
(z.B.
Islam
wird
Zwangsheirat,
Ehrenmord)
86,40%
Viele Politiker verbinden mit dem Islam oftmals Gewalt und
Demokratiefeindlichkeit
81,10%
Der Islam wird als bedrohlich empfunden, weil viele Attentate
in der Welt sich auf Allah oder den Islam berufen
Nichtmuslime
in
Deutschland
haben
Angst
70,50%
vor
einer
Überfremdung ihrer Kultur durch andere Kulturen
70,10%
In muslimisch geprägten Ländern existieren zu wenig
demokratische Regierungen
37,70%
Der Islam wird als bedrohlich empfunden, weil aus dem Koran und
der Scharia strenge Vorschriften zur persönlichen Lebensführung
abgeleitet werden
31,70%
(Mehrfachnennungen waren möglich!)
47
TAVAK –Türk-Alman Eğitim ve Bilimsel Araştırmalar Vakfı Yayınları
Tabelle 27:
Gründe für Islamfeindlichkeit
stimme voll zu (1) - stimme gar nicht zu (5)
(Nichtmuslime)
2.31
Islam bedrohlich wegen Koran und Scharia
Mangel an Demokratie in musl. Länder
Angst vor Überfremdung
2.11
2.01
2.78
Politik verb. Islam mit Gewalt
Unzureichendes Wissen
2.07
2.43
Neg. mediale Berichterstattung
Islam bedrohlich
1.95
Bewertung auf der folgenden Skala: stimme voll zu (1), stimme zu, neutral, stimme
eher nicht zu, stimme gar nicht zu (5):
Als mögliche Gründe für die herrschende Islamfeindlichkeit und für die wachsende
Islamophobie in Deutschland, sehen die befragten Muslime vor allem im
unzureichendem Wissen der Nichtmuslime über den Islam, negativer Berichterstattung
und in den Äußerungen von Politikern. Als weiteren Grund für die aufkommende
Islamophobie wird zudem der Einfluss der Politiker genannt, da viele den Islam mit
Gewalt und Demokratiefeindlichkeit verbinden. Ein Wunsch für die Zukunft seitens
der MuslimInnen ist mehr Zugeständnisse für sich und ihre Religion in den
Regierungsreihen der Deutschen Politik.
Eine Brückenfunktion um das Miteinander auszuweiten haben muslimische Migranten
an publikums- und öffentlichkeitswirksamen Knotenpunkten, sowie in repräsentativen
Positionen, um die Nicht- Muslime in Deutschland mit richtigen Informationen zu
unterrichten, da der interkulturelle Kontakt vor allem im Bereich der Medien
gemeinsam entwickelt und gefördert werden muss, um eine weitgehend korrekte
mediale Berichterstattung über den Islam zu erhalten. Dazu können im Medienbereich
spezielle Volontariate, Trainees, Hospitanten und Praktika angeboten werden die sich
48
TAVAK –Türk-Alman Eğitim ve Bilimsel Araştırmalar Vakfı Yayınları
ausschließlich mit solcher Thematik befassen und eine sensible Themenauswahl rund
um den Islam treffen. Nur so kann die einseitige Berichterstattung zukünftig abgebaut
werden.
Bei Muslimen sind die Gründe, die sie für eine Islamfeindlichkeit nennen mehr nach
außen gelagert, wie unzureichendes Wissen, negative Berichterstattung und
islamkritische Politiker. Die muslimischen Befragten zählen sich nicht zu der
herrschenden Islamophobie. Es sei viel mehr auf die radikale Interpretation des Korans
und deren Auslegung zurückzuführen, sowie auf die terroristischen Bestrebungen
religiöser Fundamentalisten.
Bei Nichtmuslimen liegt eine deutlich differenziertere Verteilung der Ursachen bei
gleichwohl jeweils hohen Werten der Zustimmung. Sie sehen aber Politik als geringen
Auslöser, was wiederum interessant ist.
49
TAVAK –Türk-Alman Eğitim ve Bilimsel Araştırmalar Vakfı Yayınları
Frage 12:
„Was glauben Sie kann zum Abbau der Islamfeindlichkeit beitragen?“
Tabelle 28:
Beiträge zum Abbau der Islamfeindlichkeit
Ergebnis
(Muslime)
differenziertere Berichterstattung
87,00%
islamischen Terror nicht auf in Deutschland lebende Muslime 84,00%
übertragen
mehr Austausch und Diskussion
80,90%
mehr Toleranz und Achtung zeigen
79,60%
mehr öffentliche Präsenz von Muslimen
76,30%
Moschee nur als Ort der Religionsausübung
69,30%
klare Verurteilung von muslimisch begründetem Terror
66,50%
Orientierung an mitteleuropäischen Werten
30,50%
Nur 30,5% der Teilnehmer gehen davon aus, dass die Islamfeindlichkeit durch die
Orientierung an mitteleuropäischen Werten abgebaut werden kann. Die Befragten
Muslime wünschen sich daher einen Abbau der Islamfeindlichkeit durch eine
differenzierte mediale Berichterstattung, mehr Toleranz und Achtung sowie mehr
öffentliche Präsenz der hiesigen muslimischen Vereine, die sich klar gegen
muslimisch begründeten Terror in der Welt abgrenzen. Diese Befragung zeigt
außerdem, dass der islamische Terror zu sehr verallgemeinert wird, aus Sicht der
Muslime. Diese Mutmaßung lässt sich durch eine klare Auseinandersetzung mit mehr
Austausch und spezifische Diskussionen verhindern.
50
TAVAK –Türk-Alman Eğitim ve Bilimsel Araştırmalar Vakfı Yayınları
Tabelle 29:
Datenreihe 1
5
4
3
2.57
2
1
Datenreihe 1
2.11
2.25
1.88
2.21
2.04
1.91
1.81
Keine
Austausch Orientieru
Moschee Übertrag.
differenz.
Toleranz
Verurteilu
öffentliche
und
ng an
als Ort der d.Terrors
Berichterst
und
ng von
Präsenz Diskussion europ.
Religionsa
auf
attung
Achtung
Terror
en
Werten
usübung deutsche
M.
2.11
2.25
1.88
2.04
2.57
2.21
1.91
1.81
Der Islam wird deswegen von Nichtmuslimen als Bedrohung empfunden, weil die
öffentliche Berichterstattung und Präsenz nicht der Realität entspricht. Bewertung auf
der folgenden Skala: stimme voll zu (1), stimme zu, neutral, stimme eher nicht zu,
stimme gar nicht zu (5). Dem Abbau der Islamfeindlichkeit durch eine differenziertere
Berichterstattung wird von allen Teilnehmern zugestimmt. Auch der Möglichkeit die
Islamfeindlichkeit durch eine stärkere öffentliche Präsenz abzubauen, wird
zugestimmt. Die Chance durch kulturellen Austausch und durch Diskussionen die
Islamfeindlichkeit abzubauen, wird durchaus stark zugestimmt. Bei der Frage nach der
Möglichkeit die Islamfeindlichkeit durch die Orientierung an mitteleuropäischen
Werten abzubauen, gehen die Meinungen auseinander. In Ahlen stimmen die
Befragten stark zu, wohingegen die Befragten aus Münster weniger stark und die
Befragten aus umliegenden Städten dies eher als neutral einschätzen. Die
Islamfeindlichkeit durch Toleranz und Achtung abzubauen, stimmen einige Befragte
zu. Viele jedoch stehen dem neutral gegenüber.
51
TAVAK –Türk-Alman Eğitim ve Bilimsel Araştırmalar Vakfı Yayınları
Der Abbau der Islamfeindlichkeit wird seitens der muslimischen Befragten eher
„anderen“ zugewiesen (vergleiche Frage 11) und von Nichtmuslimen differenzierter
mit jeweils hohen Zustimmungswerten für die unterschiedlichen Punkte betrachtet.
Frage 13:
Tabelle 30:
Für ein besseres Verstehen und Zusammenleben in Deutschland Ergebnis
sollte…
(Muslime)
… der Islamunterricht ein eigenständiges Schulfach werden
85,8%
… für alle die doppelte Staatsbürgerschaft und ein kommunales 83,7 %
Wahlrecht ermöglicht werden.
… eine Diskussionskultur zwischen den Kulturen und Religionen 80,2 %
entstehen, die Kritik am jeweils anderen zulässt ohne diese zu
missachten
… eine prozentuale Quote für die Beschäftigung von Menschen 76,3 %
mit
Migrationshintergrund
in
öffentlichen
Verwaltungen,
Organisationen und Parteien eingeführt werden.
Die muslimischen Teilnehmer der Befragung wünschen sich mehr Zugeständnisse für
sich und ihre Religion. Am meisten wurde der Islamunterricht als ein eigenständiges
Schulfach gefordert. Zugeständnisse bezüglich der doppelten Staatsbürgerschaft und
des kommunalen Wahlrechts würden für ein besseres Zusammenleben in Deutschland
sorgen
und
das
gespannte
Verhältnis
bezüglich
der
meist
diskutierten
Themenschwerpunkten entlasten. Bemerkenswert ist der hohe Anteil an muslimischen
Befragten, die sich eine wirksame Diskussionskultur zwischen den Kulturen und
Religionen wünschen. Diese Methode muss jedoch Kritikfähig sein und genügend
Platz für Auseinandersetzungen bieten. Dieser Wunsch nach einer Konfrontation mit
der jeweils anderen Religion hebt sich besonders hervor, weil Muslimen oft große
Empfindlichkeit und mangelnde Kritikfähigkeit an ihrer eigenen Religion unterstellt
wird.
52
TAVAK –Türk-Alman Eğitim ve Bilimsel Araştırmalar Vakfı Yayınları
Der
interkulturelle
Kontakt
zwischen
Deutschen
und
Menschen
mit
Migrationshintergrund muss gefördert werden, damit die Wahrnehmung beider Seiten
mit den Fakten übereinstimmen. Hier ist neben religiösem Austausch auch die
Errichtung eines internationalen Kulturzentrums ein Punkt. Die Einrichtung würde
gewährleisten, dass verschiedene Kulturen ihre Kultur am gleichen Ort leben, sodass
Hemmschwellen abgebaut werden und die Information direkt zu erreichen sind. Die
Migranten könnten als Akteure wirken und mit ihrer Herkunftskultur stärken gefördert
werden um somit in die öffentliche Wahrnehmung zu gelangen.
Frage 14:
Tabelle 31:
Um
mehr
Miteinander
zu
ermöglichen,
nichtmuslimische Einrichtungen und Vereine…
(Muslime)
… mehrsprachige Angebote anbieten.
sollten Ergebnis
75,4 %
… bei Veranstaltungen und Festen auch andere Kulturen 74,2 %
durch Speisen, Musik und Kultur einbeziehen.
… mehr Muslime für eigene Angebote gewinnen.
…
auf
Speisegewohnheiten
und
73,3 %
Kleidungsvorschriften 70,2 %
Rücksicht nehmen.
Tabelle 31:
Um
mehr
Miteinander
zu
ermöglichen,
sollten Ergebnis
nichtmuslimische Einrichtungen und Vereine…
(Nicht-Muslime)
… bei Veranstaltungen und Festen auch andere Kulturen durch 74 %
Speisen, Musik und Kultur mit einbeziehen
… mehr Muslime für eigene Angebote gewinnen
43,5 %
… mehrsprachige Angebote in unterschiedlichen Bereichen 36,4 %
anbieten.
…
auf
Speisegewohnheiten
und
Kleidungsvorschriften 32,8 %
Rücksicht nehmen.
53
TAVAK –Türk-Alman Eğitim ve Bilimsel Araştırmalar Vakfı Yayınları
Viele der befragten Muslime wünschen sich mehr Rücksicht seitens nichtmuslimischer
Vereine gegenüber ihrer Religion und kultureller Herkunft (z.B. Sprache), sowie eine
Sensibilität statt einer Ablehnung zum Beispiel bei Speisegewohnheiten und
Kleidungsvorschriften. Der Wunsch zu mehr Miteinander in nichtmuslimischen
Vereinen und Einrichtungen wird sowohl von Nicht-Muslimen, als auch von
Muslimen
gleichermaßen
erwünscht,
wobei
Nichtmuslime
deutlich
weniger
mehrsprachige Angebote und Rücksicht auf Speisegewohnheiten für wichtig halten.
Dies lässt entweder auf Anpassungswunsch oder Desinteresse schließen, während ein
hoher Wert bei der Teilnahme von anderen Kulturen durch Speisen, Musik und
kulturellen Ereignissen angeregt wird. Das könnte als ein Ja zur Vielfalt, aber nicht
zugleich als eine bedingungslose Zustimmung zur Rücksicht interpretiert werden.
Vielmehr überwiegt der Wunsch nach einem reformfähigen Islamverständnis, die auf
muslimischer Seite die Angst vor einer tiefgreifenden Assimilierung im Hinblick auf
religiöse Vorschriften hervorruft. Die muslimischen Befragten sind zum Großteil der
Meinung, dass sie mehr in nichtmuslimischen Einrichtungen und Vereinen einbezogen
werden sollten.
Nichtmuslimische Einrichtungen und Vereine, sowie die Volkshochschulen und
andere Bildungseinrichtungen können mehr Menschen mit Migrationshintergrund
gewinnen und einbeziehen, wenn sie bei ihren Angeboten, Programmen und
Veranstaltungen deren kulturelle Interessen, Historie, Lebensrealität stärker in
Betracht ziehen, um Angebote zu entwickeln, die die Zielgruppe erreichen. In
zuständigen Gremien sollte Platz für Migranten und ihre Kompetenz geschaffen
werden. Auch hier ist eine Evaluation der bisherigen Themen, Inhalte und der
Ansprache nötig, um Migranten als Kunden und Akteure mehr einzubeziehen.
54
TAVAK –Türk-Alman Eğitim ve Bilimsel Araştırmalar Vakfı Yayınları
Frage 15:
Tabelle 32:
Um mehr Miteinander zu
Einrichtungen und Vereine…
(Muslime)
ermöglichen,
sollten
muslimische
Ergebnis
… mehr deutschsprachige Angebote anbieten
…
das
Bekenntnis
zu
Deutschland
67,1 %
als
Heimatland
stärker 61,3 %
hervorheben.
… bei Veranstaltungen und Festen auch deutsche und internationale 58,1 %
Speisen, Musik und Kultur anbieten
... auch gemischt geschlechtliche und interkulturelle Angebote 32,8 %
anbieten
… Kritik an ihrem Verhalten nicht nur als Diskriminierung ansehen.
53,6 %
Tabelle 33:
Um mehr Miteinander zu ermöglichen, sollten muslimische Ergebnis
Einrichtungen und Vereine…
(Nicht- Muslime)
… Kritik an ihrem Verhalten nicht nur als Diskriminierung ansehen.
65,6 %
... auch gemischt geschlechtliche und interkulturelle Angebote 63 %
anbieten.
… mehr deutschsprachige Angebote anbieten.
60,4%
… das Bekenntnis zu Deutschland als Heimatland stärker 59,4%
hervorheben.
… bei Veranstaltungen und Festen auch deutsche Kultur mit 57,1%
einbeziehen.
Bei muslimischen Einrichtungen sind die Unterschiede zwischen den beiden Gruppen
nicht so groß und der Handlungsbedarf in Bezug auf die muslimischen Einrichtungen
und Vereine wird ähnlich eingeschätzt. Insbesondere Muslime erwarten von
muslimischen Vereinen mehrheitlich das stärkere hervorheben des Bekenntnisses zu
Deutschland, das Einbeziehen der deutschen Kultur und der deutschsprachigen
55
TAVAK –Türk-Alman Eğitim ve Bilimsel Araştırmalar Vakfı Yayınları
Angebote. Die letzteren drei Punkte findet man bisher selten bei muslimischen
Einrichtungen. Ebenso bedeutsam ist die Forderung nach gemischt geschlechtlichen
Angeboten. Muslime erwarten mehr Öffnung und sind im Hinblick dessen auch
selbstkritischer als die Nichtmuslime.
Das ist ein guter Ansatzpunkt für eine interreligiöse/ interkulturelle Öffnung
muslimischer Institutionen für mehr Miteinander. Muslimische Migrantenvereine, aber
auch andere (nichtmuslimische) Einrichtungen sollten mehr Leistung zeigen und auch
selbst integrierend, offen für alle wirken, sodass mehr Migranten in deutschen
Institutionen tätig sind.
56
TAVAK –Türk-Alman Eğitim ve Bilimsel Araştırmalar Vakfı Yayınları
Frage 16:
„Was ist für Sie als Muslim in Ihrem Glauben besonders wichtig?“
Tabelle 34:
Muslime
Ergebnis
Die Traditionen des Islam soll beibehalten werden
74,40%
Der Islam sollte sich besser auf die heutige Zeit einstellen
31,20%
Frauen sollten die islamischen Kleidungsvorschriften einhalten
25,10%
Männer sollten die islamischen Kleidungsvorschriften einhalten
20,90%
Tabelle 35:
Nichtmuslime
Der Islam sollte sich besser auf die heutige Zeit einstellen
Ergebnis
19,80%
Die Traditionen des Islam soll beibehalten werden
6,80%
Frauen sollten die islamischen Kleidungsvorschriften einhalten
1,60%
Männer sollten die islamischen Kleidungsvorschriften einhalten
0,60%
(Tabelle 34, 35; Mehrfachnennungen waren möglich!)
Die Mehrheit der muslimischen Befragten hält an den Traditionen, welche im Islam
verankert sind fest. Im Gegensatz dazu ist nur eine geringe Anzahl von Befragten der
Meinung, dass sich der Islam an die heutige Zeit anpassen soll.
57
TAVAK –Türk-Alman Eğitim ve Bilimsel Araştırmalar Vakfı Yayınları
Frage 17:
Tabelle 36:
Muslime sollten sich ohne Angst vor Kritik und Missachtung Ergebnis
durch andere Muslime…
(Muslime)
… ihre Freizeit so gestalten wie sie wollen.
91,3%
… so kleiden können, wie sie wollen.
87,9%
… Kinder kulturoffen erziehen.
80,8%
… als Frau so bewegen, wie sie es möchte.
76,7%
… als Mann so bewegen, wie sie es möchte.
73,4%
… sich mit dem anderen Geschlecht frei in der Öffentlichkeit 70,4%
zeigen können.
Kennzeichnend für diese Fragestellung ist, dass Muslime ihre Freizeitgestaltung
offener gestalten, wenngleich auch große Abwehrpotentiale vorhanden sind. Wenn
etwa 90 Prozent der Meinung sind, dass Frauen sich frei mit dem anderen Geschlecht
in der Öffentlichkeit zeigen sollten. Nichtmuslime haben bei allen Fragen eine volle
Zustimmung, was auf relevante Unterschiede im Meinungsbild der Muslime und
Nicht-Muslime verweist.
58
TAVAK –Türk-Alman Eğitim ve Bilimsel Araştırmalar Vakfı Yayınları
Tabelle 37:
Muslime sollten sich ...
stimme voll zu (1) - stimme gar nicht zu (5)
(Nicht- Muslime)
1.56
1.45
1.26
1.22
1.39
1.26
Frage 18:
„Wie könnte sich die Glaubenspraxis in muslimischen Gemeinden in den
nächsten Jahren entwickeln?“
Tabelle 38:
Vorschläge
Ergebnis
(Muslime)
der Islam soll sich nicht verändern
55,30%
neue Auslegung auf heutige Zeit
45,80%
deutliche Ablehnung von Gewalt an Frauen und Kindern
78,30%
Einsetzen für deutschsprachige Gebete
50,60%
59
TAVAK –Türk-Alman Eğitim ve Bilimsel Araştırmalar Vakfı Yayınları
Tabelle 39:
Vorschläge
Ergebnis
(Nicht-Muslime)
Islam soll sich weiterentwickeln
75,30%
deutliche Ablehnung von Gewalt an Frauen und Kindern
68,50%
neue Auslegung auf heutige Zeit
41,20%
Einsetzen für deutschsprachige Gebete
20,10%
8,40%
der Islam soll sich nicht verändern
(Tabelle 38, 39; Mehrfachnennungen waren möglich!)
Frage 19:
Tabelle 40:
„In Deutschland wird in Bezug auf den Islam häufig die Ergebnis
Gleichberechtigung zwischen Frauen und Männern thematisiert.“
(Muslime)
 Muslimische Frauen sollten auf ihre Gleichberechtigung beim 22,1%
Gebet oder stärkere Funktionen in Vereinsvorständen und in
der Glaubensverkündung hinarbeiten.
 Für die Ehre und das Ansehen der Familie ist besonders 16,3%
das Verhalten der Frau wichtig.
 Frauen und Männer sind im Islam gleich, haben aber 14,9%
unterschiedliche Rechte
 Im Islam gibt es eine gottgegebene Unterscheidung in der 14,4%
Rolle von Frauen und Männern in der Gesellschaft.
 Frauen und Männer sind im Islam gleichberechtigt.
13,5%
Beim Thema „Gleichberechtigung zwischen Männern und Frauen“ stimmen 22,1% der
Befragten der Aussage zu, dass muslimische Frauen auf Gleichberechtigung
hinarbeiten sollen. Außerdem sind 16,3% der Befragten der Meinung, dass die Ehre
und das Ansehen der Familie besonders durch das Verhalten der Frauen wichtig sei.
Hingegen 14,9% denken, dass Frauen und Männer im Islam gleich gestellt sind aber
unterschiedliche Rechte haben. Nur 13,5% der Befragten sind der Meinung, dass
60
TAVAK –Türk-Alman Eğitim ve Bilimsel Araştırmalar Vakfı Yayınları
Frauen und Männer im Islam gleichberechtigt sind. Eine Gleichberechtigung von
Mann und Frau im Islam sehen daher nur 13,5 Prozent der muslimischen Teilnehmer
der Befragung und es gibt auch wenig Hinweise auf Wunsch nach mehr Rechten. Das
Thema scheint in der muslimischen Gemeinde noch nicht angekommen zu sein.
Frage 20:
„Wie beurteilen Sie Alles in Allem die Akzeptanz des Islam in Deutschland?
(Bewertung in Schulnoten)“
Tabelle 41:
MUSLIME
Ungenügend Sehr gut
2,7%
3,2%
Mangelhaft
20,5%
Gut
9,1%
Befriedigend
37,7%
Ausreichend
26,8%
Die Mehrheit der befragten Muslime beurteilt die Akzeptanz des Islam in Deutschland
nur mit Befriedigend bis Ausreichend (Mittelwert: 3,6 befriedigend-ausreichend).
Davon sind 37,7% der Meinung, dass die Akzeptanz Befriedigend ist und 26,8%
Ausreichend. Nur 11,3% der Befragten denken, dass der Islam eine gut bis sehr gute
Akzeptanz in Deutschland hat.
61
TAVAK –Türk-Alman Eğitim ve Bilimsel Araştırmalar Vakfı Yayınları
Frage 21:
„Wie sehen Sie insgesamt die muslimische Zukunft in Deutschland?“
Tabelle 42:
MUSLIME
Eher negativ
11,6%
Negativ
6,2%
Positiv
11,1%
Eher positiv
28,4%
Neutral
42,7%
Nur 39,6% der befragten Muslime sehen der muslimischen Zukunft in Deutschland
positiv entgegen (positiv- eher positiv).
62
TAVAK –Türk-Alman Eğitim ve Bilimsel Araştırmalar Vakfı Yayınları
Frage 22:
„Von wem möchten Sie im Falle einer Erkrankung gepflegt werden?“
Tabelle 43:
MUSLIME
Weiß ich nicht
20,7%
Pflegekräfte
21,1%
Angehörige
58,2%
Über 58% der Befragten möchten sich lieber von Angehörigen pflegen lassen.
63
TAVAK –Türk-Alman Eğitim ve Bilimsel Araştırmalar Vakfı Yayınları
Frage 23:
„Setzen Sie für Ihre Elterngeneration bei der Pflege eine andere Orientierung als
für sich selbst an?“
Muslime
Ja, Elterngeneration braucht mehr religiöse und kulturelle Identität des Herkunftslandes.
Nein, ich möchte bei der Pflege genauso die religiöse und kulturelle Identitä des
Herkunftslandes spüren.
Ich kann mir auch eine religiös unabhängige und übergreifende Einrichtung (Altenheim)
vorstellen, wo unterschiedliche Kulturen zusammen alt werden.
33%
46,5%
33,5%
Mehrfachnennungen waren möglich!
Tabelle 44:
46,5% der Befragten meinen, dass ihre Elterngeneration eine andere Orientierung bei
der Pflege anordnet, als die bereits vorhandenen. Hingegen 1/3 der Befragten später
eine kulturell übergreifende Einrichtung in Betracht ziehen würde, während sich 2/3
der befragten Nichtmuslime eine religiös unabhängige Einrichtung vorstellen kann.
Das zeigt, wie stark Religion bei Muslimen alltagsleitend ist.
64
TAVAK –Türk-Alman Eğitim ve Bilimsel Araştırmalar Vakfı Yayınları
Tabelle 45:
Nichtmuslime
Ja, Elterngenaration braucht mehr religiöse und kulturelle Identität der eigenen Kultur.
Nein, ich möchte bei meiner Pflege genauso die religiöse und kulturelle Identität der eigenen
Kultur spüren.
Ich kann mir auch eine religiös unabhängige und übergreifende Einrichtung (Altenheim)
vorstellen,in der unterschiedliche Kulturen zusammen alt werden.
7,4%
12,7%
65,9%
14%
Mehrfachnennungen waren möglich!
Frage 24:
Tabelle 46:
Pflege sollte…
(Muslime)
… Fortbildung pflegende Angehörige ermöglichen.
Ergebnis
85,6%
… mehr Geldleistung zur Unterstützung der Familie bei der 85,3%
Pflege bieten
… Pflegedienste zu Hause vorrangig anbieten.
84,4%
… Pflegeeinrichtungen für die, die nicht mehr zu Hause leben 83,8%
können, anbieten.
… Wohngemeinschaften oder betreutes Wohnen in der eigenen 74,3%
Wohnung mit allem Service bieten
Allgemein wird sich im Bereich der Pflege mehr staatliche Unterstützung gewünscht.
Insbesondere Geldleistungen und Fortbildungen sind ausschlaggebend.
65
TAVAK –Türk-Alman Eğitim ve Bilimsel Araştırmalar Vakfı Yayınları
Pflege sollte...
Tabelle47:
Pflege sollte ...
stimme voll zu (1) - stimme gar nicht zu (5)
(Nicht-Muslime)
1.67
1.81
GELDLEISTUNGEN
BIETEN
PFLEGE ZU HAUSE
1.67
1.5
BETREUTES WOHNEN EINRICHTUNGEN FÜR
BIETEN
SCHWERE FÄLLE
1.43
FORTBILD. FÜR
ANGEHÖRIGE
Frage 25:
„In welchem Land möchten Sie beerdigt werden?“
Tabelle 48:
MUSLIME
Im Herkunftsland
6.70%
17.80%
5.40%
In Deutschland
46%
Weiß ich nicht
Das Land ist nicht wichtig
24.10%
Sonstiges (Kinder entscheiden,
wo man sich aufhält/ für die
Angehörigen ist es wichtiger)
66
TAVAK –Türk-Alman Eğitim ve Bilimsel Araştırmalar Vakfı Yayınları
Tabelle 49:
NICHT-MUSLIME
4,5% 4,2%
6,8%
7,5%
12,7%
64,3%
In Deutschland
Das Land ist nicht wichtig
Weiß ich nicht
Im Herkunftsland
Sonstiges (Kinder entscheiden/wo man sich aufhält/ für die Angehörigen ist es wichtiger)
Keine Antwort
Während fast die Hälfte der befragten MuslimInnen es bevorzugt im eigenen
Herkunftsland beerdigt zu werden, äußern nur 24,1 Prozent der Befragten, dass sie in
Deutschland beerdigt werden wollen. An dieser Stelle ist interessant zu beobachten,
dass 17,8 Prozent der Befragten sich nicht sicher sind, wo genau sie beerdigt werden
möchten. Der wohl wichtigste Grund dafür ist, dass in Deutschland die Möglichkeiten
und
Infrastrukturen
fehlen
wie
insbesondere
muslimische
Friedhöfe
und
Beerdigungsrituale. Zu dieser Kategorie fallen auch kleine Gruppen die im
Herkunftsland beerdigt werden möchten.24,1 Prozent der befragten Muslime wollen in
Deutschland beerdigt werden, wünschen sich jedoch einen muslimischen Friedhof,
während das für Nicht-Muslime kaum von Bedeutung ist.
67
TAVAK –Türk-Alman Eğitim ve Bilimsel Araştırmalar Vakfı Yayınları
Frage 26:
„Was ist für muslimische Beerdigungen in Deutschland wichtig?“
Tabelle 50:
Wichtig für muslimische Beerdigungen
Ergebnis
(Muslime)
Muslimischer Friedhof
75,60%
Islamische Beerdigungsrituale
72,90%
Ort zum religionsbezogenen Trauern
42,20%
Muslimische Grabstellen auf Friedhöfen
29,30%
Kann ich nichts dazu sagen
8,90%
Tabelle 51:
Wichtig für muslimische Beerdigungen
(Nicht-Muslime)
Ergebnis
Durchführung von islamischen Beerdigungsrituale
38,60%
Kann ich nichts dazu sagen
34,40%
Ort zum religionsbezogenen Trauern
31,80%
Muslimische Grabstellen auf Friedhöfen
28,90%
Muslimischer Friedhof
(Tabelle 50, 51; Mehrfachnennungen waren möglich!)
16,20%
Für eine Beerdigung in Deutschland wären für die Befragten ein muslimischer
Friedhof und die Durchführung von muslimischen Beerdigungsritualen wichtig.
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Fazit
Zusammenfassung der Auswertung Fragebogen von 2.7
Weil das Vorgängerprojekt „Ahlen 2030 –Teilhabe und Verantwortungsübernahme
der Migranten stärken“, als zentrales Ergebnis festgehalten hat, dass die Kulturen
einander fremd geblieben sind, wurde bei Islam 2030 ein Schwerpunkt auf die Fragen
gelegt, ob es Konfliktlinien gibt, die sachlich begründet sind, oder ob es gefühlte
Empfindungen sind, die für eine Islamfeindlichkeit stehen und Gründe für die spürbare
kulturelle Distanz hergeben.
Natürlich waren die Fragen auch darauf ausgelegt herauszufinden, ob eine kulturelle
Distanz besteht und ob sich gegebenenfalls die Wahrnehmung und der Wunsch nach
mehr Miteinander nur nicht richtig entfalten kann, weil es zu viele Hemmnisse auf
beiden Seiten gibt oder vielleicht Bemühungen nicht von Erfolg gekrönt waren.
Andererseits bieten die Auseinandersetzungen um Pegida, wo sich die große Mehrheit
der Bevölkerung mit und ohne Migrationshintergrund für ein buntes und vielfältiges
Leben und Miteinander einsetzt eine große Chance kulturelle Differenzen zu
überwinden, indem man gemeinsam für bestimmte Ziele und Werte kämpft.
Zur Zeit unserer Befragungen hat es diese Gemeinsamkeit zwischen der Politik und
gesellschaftlichen Gruppen der Zivilgesellschaft noch nicht gegeben. Diese Erkenntnis
sei während der Auswertung der Studie in Betracht zu ziehen.
Der entscheidende Unterschied zwischen Muslimen und Nichtmuslimen, der sich
durch alle Antworten auf die verschiedenen Fragestellungen zieht, ist der Einfluss der
Religion. Dieser hat große Bedeutung für das Alltagsleben bei Muslimen. Bei NichtMuslimen hat der religiöse Einfluss für die alltägliche Lebensweise und die dazu
gehörenden Wertvorstellungen nur eine untergeordnete Funktion.
Die verschiedenartigen Religionen der Befragten Gruppen bilden somit die Grundlage
für Diskrepanz. Das ist eine Annahme, die sich bei den Christen nur schwer durch
positive Erscheinung seitens der Muslime, abbauen lässt. Muslime wiederrum wollen
nicht wahrhaben, dass sich durch die negative Berichterstattung eine Islamophobie
seitens der Nicht-Muslime aufgebaut hat und sich
dadurch eine immer größer
werdende Abneigung gegenüber dem Islam gebildet hat. Bei der Islamophobie gehen
69
TAVAK –Türk-Alman Eğitim ve Bilimsel Araştırmalar Vakfı Yayınları
die Muslime davon aus, dass die Multiplikatoren die Nicht-Muslime sind. Die
Vorbehalte auf beiden Seiten sind jedoch so groß, dass es zwingend notwendig ist,
eine Lösung zu finden, um diese auf Dauer abzubauen. Dazu können Modelprojekte
und bestimmte Maßnahmen herangezogen werden.
Diese Erkenntnis ist belegt durch den Grad der Religiosität wo sich etwa 92% der
Muslime für “sehr religiös” oder “religiös” halten. Die Auswertung der Nicht-Muslime
hingegen hat wie zu erwarten ergeben, dass sie sich zu “nicht-religiös” einordnen
würden.
Durch diese unterschiedlichen Einstellungen ist es verständlich, dass die Religion und
der Gotteshausbesuch für Muslime und Nichtmuslime differenziert bewertet werden,
wie die Tabellen zu den Fragen 2,4 und 6 zeigen.
Zum Thema der Diskriminierung in Deutschland durch die Religionszugehörigkeit
zum Islam stimmen zwei Drittel der Muslime und ein Viertel der Nichtmuslime zu.
Die zustimmenden Gruppen sind sich dabei in den Feldern in denen die
Diskriminierung am stärksten wirkt einig, nämlich in den Bereichen Politik,
Berufsleben und Behörden, während Kita/Schule, Freizeit und Vereine weniger
genannt werden.
Ebenso einig sind sich diejenigen die einer Einschränkung der Muslime durch den
Islam zustimmen, wenn gleich dabei nur ein Viertel der Muslime und über 40% der
Nichtmuslime eine Benachteiligung sieht. Hier wird in beiden Zustimmergruppen die
Benachteiligung durch die Familie und das Umfeld deutlich höher bewertet als der
Koran selbst.
Interessant ist, dass in beiden Fragen 40% der Nichtmuslime keine Meinung haben,
was auf den ersten Blick vielleicht verständlich ist, aber andererseits für eine
mangelnde Auseinandersetzung mit der Frage spricht, obwohl in der Region viele
Muslime leben.
Aufschlussreich ist in diesem Zusammenhang, dass weit über 80% der Muslime der
Meinung sind, dass eine Zunahme von Moscheen mit Angst und Abwehr bei den
Nichtmuslimen verbunden werden kann. Während dies von den Nichtmuslimen nur
70
TAVAK –Türk-Alman Eğitim ve Bilimsel Araştırmalar Vakfı Yayınları
etwa 60% negativ betrachten und 20% eine Reaktion mit Gleichgültigkeit oder
Zustimmung erwarten.
Wenn man im Hinblick auf die Islamophobie, die Antworten auf die Gründe für die
immer wieder festgestellten Ängste vor dem Islam anschaut, fallen große Unterschiede
auf. Außerdem stellt man bei einer Analyse fest, dass bei beiden Gruppen eine gewisse
Diskrepanz gegenüber Andersgläubigen besteht. Diese Vermutung lässt sich anhand
der Fragebogenanalyse und den Expertengespräche feststellen.
Laut aktueller Umfragen scheinen für viele Nicht-Muslime der Islam nicht ausreichend
informativ und nicht gegenwärtig. Bei den Muslimen stellt man fest, dass die
Vorbehalte gegenüber den Nicht-Muslimen nicht zu einem Konflikt führen. Diese
Entwicklung stellt man auch bei der Studie „2030 in Ahlen“ fest. In diesem Bereich
sind die konfliktmildernden Maßnahmen notwendig und wichtig. Vorurteile abzulegen
scheint besonders im schulischen und gesellschaftlichen Leben bei den jüngeren
Gruppen essentiell. Den älteren fällt es jedoch schwer Vorurteile abzubauen. Hier
werden sowohl die Einflüsse der katholischen als auch der evangelischen Kirche eine
Rolle spielen. Wichtig ist es, dass diese Gruppen zusammenkommen und gemeinsam
geschult werden, zum Beispiel in Vereinen.
Muslime sehen die Ursachen, in dem mitunter unzureichenden Wissen der
Nichtmuslime und der negativen Medienberichterstattung, sowie der negativen
Politikerhaltung. Ein geringer Anteil sieht die Ängste in den wenig demokratischen
Systemen in islamischen Ländern oder in dem strengen Koran oder der Scharia
Auslegungen. So werden bei Nichtmuslimen alle genannten Faktoren, also auch Angst
vor Überfremdung und den islamisch motivierten Attentätern gesehen, während
Politikern am wenigsten Verantwortung zugemessen wird.
Beim Abbau der Islamfeindlichkeit gibt es auch wieder starke Unterschiede. Bei
Muslimen ist eine differenzierte Berichterstattung mit 87% zu finden und die
Meinung, dass der islamistische Terror nicht auf die hier lebenden Muslime zu
übertragen sei an erster Stelle, die Islamfeindlichkeit abzubauen.
71
TAVAK –Türk-Alman Eğitim ve Bilimsel Araştırmalar Vakfı Yayınları
Bei den Nichtmuslimen hingegen ist eine Verurteilung von Terror und mehr
Austausch
und
Diskussion
zwischen
den
„Parteien“
notwendig
um
der
Islamfeindlichkeit entgegen zu wirken.
Im Gegensatz dazu wird mehr Toleranz und Achtung, also öffentliche Präsens der
Muslime als neutral eingeschätzt und wenig wirksam anerkannt.
Das „multikulturelle Zusammenleben“ wird in Deutschland eingehend diskutiert.
Einerseits geht man davon aus, dass das Zusammenleben ein wichtiger Bestandteil der
deutschen Gesellschaft sein sollte. Andererseits wartet dort die Leitkultur des
christlichen Abendlandes. Die Vielfältigkeit der Kulturen ist besonders in den
untersuchten Städten wichtig, da dort der Anteil der muslimischen Bevölkerung sehr
hoch ist.
Für das bessere Miteinander wünschen sich die Muslime mehr Zugeständnisse für sich
und ihre Religion. Ein Beispiel hierfür ist der Islamunterricht, welcher als
eigenständiges Schulfach unterrichtet werden soll. Zudem soll aber auch eine
Diskussionskultur zwischen den Kulturen und Religionen, welche auch kritisches
Hinterfragen beinhaltet entstehen. Ebenso werden die doppelte Staatsbürgerschaft und
ein kommunales Wahlrecht hoch geschätzt. Bei den Nichtmuslimen wird lediglich im
Bereich der Diskussionskultur zugestimmt.
Die anderen Punkte werden neutral gewertet, dies könnte an dieser Stelle für einen
Mangel an Interesse oder Auseinandersetzung mit der Lage von Muslimen sprechen.
Ebenso halten ¾ der Muslime eine Beschäftigungsquote für Migranten für sinnvoll.
Nichtmuslime stehen der Frage eher verhalten und neutral gegenüber.
In der Zukunft stehen Muslime offen gegenüber Veränderungen. Bei den
Vereinsaktivitäten zum Beispiel fordern Muslime von den nichtmuslimischen
Akteuren zu über 70% Rücksicht auf eine andere Sprache, Kultur und
Speisegewohnheiten. Nichtmuslime jedoch präferieren die Mehrsprachigkeit und die
Rücksichten auf Speisegewohnheiten nicht. An dieser Stelle, wird eher die Anpassung
der Muslime an die nichtmuslimischen Gewohnheiten und kulturellen Gegebenheiten
erwartet.
72
TAVAK –Türk-Alman Eğitim ve Bilimsel Araştırmalar Vakfı Yayınları
Andererseits werden von muslimischen Vereinen, welche in Bezug auf die Umfrage
nicht zwingend in Muslime und Nichtmuslime eingeteilt werden konnten, mehr
deutschsprachige Angebote in den kulturellen Bereichen gewünscht.
Unterschiede
gibt
es
lediglich
im
Bereich
gemischtgeschlechtlicher
und
interkultureller Angebote, dort bestand die Mehrheit aus 2/3 Nichtmuslimen und zu
1/ 3 aus Muslimen.
Das spricht einerseits für eine deutliche Veränderung der muslimischen Aktivitäten
und Feste, die sich bisher kaum an Interessen deutscher oder nicht der eigenen Kultur
entstammenden Angeboten orientieren. Andererseits steht diesfür mehr Offenheit und
kritischem Miteinander, was aber häufig in vorauseilendem Gehorsam gegenüber einer
Political Correctness oder nicht anecken zu wollen,zurückgestellt wird.
Die Ergebnisse machen Mut zumkonstruktiven Streit und zur Auseinandersetzung in
Form von unterschiedlichen Vorstellungen und Wünschen. Insbesondere ein großer
Teil der Muslime bevorzugt es in gemischten Wohngegenden zu wohnen.
Wie geht es weiter mit der Entwicklung muslimischer Glaubenspraxis und inwieweit
werden Dogmen und Traditionen in Frage gestellt, soll sich der Islam an die Neuzeit
anpassen? Oder eine Neuauslegung von Koran und Mohammeds Aussagen
vornehmen. Da etwa die Hälfte der Befragten sich für eine Neuauslegung des Korans
auf die heutige Zeit ausspricht, ist es ein ermutigendes Zeichen und zeigt den Weg den
auch das Christentum durch die Aufklärung gegangen ist. Andererseits ist auch das
Beharrungsvermögen groß, welches allerdings vornehmlich an den konservativen
Islamverbänden liegt, die einer Anpassung im Wege stehen.
Allein die Fragestellung, was würde Mohammed heute sagen, wie werden Koranverse
interpretiert die heute nicht mehr passen und nicht mehr Leitmotiv für das eigene
Handeln sind. Zum Beispiel die Verse, welche Gewalt und Bestrafung legitimieren,
würden für Barrieren im Miteinander und in der Wahrnehmung von Muslimen sorgen.
Auch der Wunsch nach deutschsprachigen Gebeten bei 50% und natürlich auch
deutschsprachiger Predigt, die immerhin die Hälfte der Muslime befürworten würde
entspricht nach mehr Transparenz und Offenheit und dem Wunsch ein deutscher
Muslim zu sein.
73
TAVAK –Türk-Alman Eğitim ve Bilimsel Araştırmalar Vakfı Yayınları
Die Identität durch den Islam zu stiften ist bei der Mehrheit der Muslime deutlich
stärker als bei Christen und deshalb ist die Frage, welcher Islam mit welchen Werten
und Interpretationen und in welcher Sprache ein wichtiger Indikator für das eigene
Verhalten und die Wahrnehmung.
Kommt die Verkündigung zum Beispiel aus der Türkei mit einem deutlich anderen
und repressiverem Religions-und Gesellschaftsverständnis, oder begründet sich der
Islam vor dem Hintergrund der Werte der Zivilgesellschaft im 21.Jahrhundert, dann ist
die entscheidende Frage: „Drinnen oder Draußen?“, für das Miteinander und die
Mitgestaltung der Muslime in Deutschland oder gegen ein Miteinander(vergl.Tibi
u.Euro Islam).
Die Mehrheit der befragten Muslime die die Zukunft für sich und die Akzeptanz des
Islam eher skeptisch sehen, ist nicht verwunderlich und nur in einer Dialektik von
unterschiedlichen Kraftfeldern. Auf der einen Seite steht die innerislamische Reform
und Anpassung an die Zivilgesellschaft und deren Gestaltung, wobei Religion weniger
Einfluss auf das gesellschaftliche Verhalten der Gläubigen haben darf.
Auf der anderen Seite steht die Anerkennung und eine Vielfalt an Beschäftigung,
zudem die kritische Auseinandersetzung mit den Wünschen der Muslime.
74
TAVAK –Türk-Alman Eğitim ve Bilimsel Araştırmalar Vakfı Yayınları
a. Auswertung der Flughafenbefragung
1. Möchten Sie, dass der Islam eine Staatsreligion wird?
Nein
45%
Ja
55%
2. Wie würden Sie reagieren, wenn Ihr Kind mit einer Person
christlichen
Glaubens
oder
einer
anderen
islamischen
Glaubensströmung heiraten würde.
Hätten Sie damit Schwierigkeiten?
Ja
35%
Nein
65%
75
TAVAK –Türk-Alman Eğitim ve Bilimsel Araştırmalar Vakfı Yayınları
3. Würde es Sie stören, wenn sich in einem deutschen
Krankhauszimmer, in dem Sie liegen, eine Bibel oder ein Kreuz
befinden würde?
Ja
28%
Nein
72%
4. Viele TürkInnen bezeichen sich als Ahlener TürkIn, Münchener
TürkIn. Wie würden Sie sich vorstellen (lokale Zugehörigkeit/ nationale
Identität) ?
Mit der
lokalen und
nationalen
Idenität
42%
Nur mit der
nationalen Identität
58%
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TAVAK –Türk-Alman Eğitim ve Bilimsel Araştırmalar Vakfı Yayınları
5. Was prägt Ihrer Meinung nach die Leitkultur: die nationale
Identität oder die religiöse Identität?
religiöse Identität
19%
nationale Identität
81%
6. Angenommen in der Schule würde Islamunterricht stattfinden,
würden Sie bezüglich Ihres Kindes dennoch auf einen zusätzlichen
Besuch der Koranschule bestehen?
Ja
27%
Nein
73%
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TAVAK –Türk-Alman Eğitim ve Bilimsel Araştırmalar Vakfı Yayınları
7. Viele muslimische Jugendliche fasten, obwohl sie einen Abend zuvor
mit Freunden ausgegangen sind und unter Umständen auch alkohlische
Getränke konsumiert haben. Finden Sie dieses Verhalten in Ordnung
oder nicht ?
Nicht in Ordnung
51%
In Ordnung
49%
8. In letzter Zeit ist es für MuslimInnen zunehmend von Bedeutung,
dass die Tiere nach islamischen Vorschriften geschlachtet werden
(Halal-Fleisch). Ist es für Sie wichtig oder eher nicht so wichtig?
Nicht so wichtig
36%
Wichtig
64%
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TAVAK –Türk-Alman Eğitim ve Bilimsel Araştırmalar Vakfı Yayınları
9. Wenn es in Ihrer Nähe einen muslimischen Kindergarten gäbe,
würden Sie Ihr Kind dorthin schicken?
Ja
37%
Egal, besteht kein
Unterschied
40%
Nein
23%
10. Würden Sie ihre Eltern in ein Altersheim übergeben?
Unsicher
17%
Nein
75%
Ja
8%
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TAVAK –Türk-Alman Eğitim ve Bilimsel Araştırmalar Vakfı Yayınları
11. Legen Sie darauf Wert in welchem Land Sie beerdigt werden; in
Deutschland oder im Heimatland (Türkei)?
Egal
40%
Türkei
57%
Deutschland
3%
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TAVAK –Türk-Alman Eğitim ve Bilimsel Araştırmalar Vakfı Yayınları
3.4 Flughafenbefragung: Interpretation der Auswertungsergebnisse
Islam als Staatsreligion
In erster Linie kann man aus den Ergebnissen der Flughafenbefragung entnehmen,
dass mit 55 Prozent knapp über die Hälfte der Befragten die erste Frage „Möchten Sie,
dass der Islam eine Staatsreligion wird?“mit einem "Ja" beantwortet hat und die
Meinung vertritt, dass der Islam in Deutschland als Staatsreligion anerkannt werden
sollte. Bisher ist der Islam seit 1912 nur in Österreich als Staatreligion anerkannt: das
österreichische
Islamgesetz,
bezüglich
der
Anerkennung
des
Islam
als
Religionsgesellschaft wurde am 15. Juli 1912 verkündet. Die „Islamische
Glaubensgemeinschaft in Österreich“ (IGGIiÖ), die ihre Grundlage im Islamgesetz
hat, gehört seit 1979 zu den Kirchen und Religionsgesellschaften, die von der
Römisch-Katholischen Kirche bis zu kleinen Gemeinschaften, insgesamt 14 religiöse
Gemeinschaften umfassen.
Während die Religionsgesellschaften sich dazu bekennen, die mit der Anerkennung
verbundenen Pflichten und die im Staat geltenden Gesetze anzuerkennen und zu
wahren, schafft diese Gesetzgebung eine öffentlich-rechtliche Grundlage für die
Kooperation von Staat und Religionsgesellschaften. Dieses Modell wäre für
Deutschland eine Herausforderung und eine Weiterentwicklung zugleich.
Multiple Identitäten
Die vierte Frage ist besonders interessantund aufschlussreich über das Empfinden der
Zugehörigkeit von türkischen Migranten. Die Auswertung dieser Frage ergab, dass 42
Prozent der TürkInnen sich erstrangig mitdem lokalen Wohnort in Deutschland
vorstellen, während 58Prozent beim Vorstellen die Türkei als ersten Zugehörigkeitsort
angeben würden. Dennoch darf der positive Bezug zum Herkunftsland (der Eltern)
nicht als ein Widerspruch oder gar als ein Hindernis bezüglich der positiven
Beziehung
zur
deutschen
Gesellschaft
aufgefasst
werden.
Denndas
Zugehörigkeitsgefühl ist nicht statisch, da es möglich ist, dass man sich zu mehreren
Volksgruppen unterschiedlich oder gleich stark zugehörig fühlen kann. Wie zu Beginn
81
TAVAK –Türk-Alman Eğitim ve Bilimsel Araştırmalar Vakfı Yayınları
angesprochen, ist das Bild des Zusammenlebens in Deutschland und Europa vor allem
durch das Konzept des dynamischen Gesellschaftsprozesses geprägt. In diesem
Rahmen ist auch die Ethnizität als ein dynamisches Konzept zu betrachten. So basiert
die Ethnizität (griech. Ethnos„Volk“), beziehungsweise die ethnische Identität auf
subjektiven und sich ständig verändernden Kriterien. Je nach Anlass kann eine andere
Gruppe als Identifizierungsfaktor gewählt werden, da sich die Ich-Identität aus
mehreren Gruppenidentitäten zusammensetzt.„Im Hinblick auf Gruppen kann man
feststellen, dass man sich nicht nur mit einer Gruppe identifizieren kann, sondern mit
mehreren gleichzeitig. Je komplexer die Gesellschaft, je multipler sind auch die
Identitäten.“1Auf die ethnische Dimension bezogen bedeutet es, dass man sich als
Ahlener, Münchener, als Deutscher, als Europäer, als Türke und als Istanbuler
zugleich sehen kann und die Identitäten sich überlagern können.
Debatte: "Deutsche Leitkultur" vs. "multikulturelle Gesellschaft "
Bei der fünften Frage geht es zentral um im Zuge der Einwanderungspolitik geprägten
Begriff der „Leitkultur“. Ursprünglich geprägt hat den Begriff Leitkulturder Politologe
Bassam Tibi, um grundlegende gesellschaftliche Werte zu beschreiben, wie
Demokratie, Aufklärung, Laizismus und Menschenrechte. Durch seine kontroverse
Äußerung in einem Artikel der Zeitung "Die Welt" vom 25. Oktober 2000 stieß
Friedrich Merz, der damalige CDU-Fraktionsvorsitzende im Bundestag, die Debatte
um die sog. "Deutsche Leitkultur" an. Merz verstand die Deutsche Leitkultur als
Gegenmodell zur "multikulturellen Gesellschaft". Die Debatte nahm die Richtung an,
was die Einwanderer in Deutschland respektieren und wie sie sich an die deutsche
Kultur anpassen sollten. Bei der Frage, ob die Leitkultur von der nationalen Identität
oder der religiösen Identität geprägt wird, vertreten 81 Prozent der Befragten die
Meinung, dass die Leitkultur und die damit verbundenen Wertvorstellungen die
1
Zimmermann, 1994:84f
82
TAVAK –Türk-Alman Eğitim ve Bilimsel Araştırmalar Vakfı Yayınları
nationale
–
ethnische
Identität
zur
Grundlage
haben.Das
Modell
des
Multikulturalismus sollte die Vorstellung des gleichberechtigten Zusammenlebens von
Menschen unterschiedlicher Kulturen und religiöser Zugehörigkeit in einem Staat
erfüllen und kein Raum für den Assimilationsdruck lassen.
Die 6 Frage zeigt die Bedeutung des staatlichen Religionsunterrichtes, denn fast ¾
reicht eine schulische Unterweisung aus bzw.sie halten diese wohl eher für besser als
die Koranschulen.Gerade weil Kranschulen einerseits als undurchsichtig und
traditionell eingeschätzt werden, andererseits wird die schulische Religionspraxis als
eine Öffnung und wahrscheinlich reflektierter Glaubenspraxis angesehen.
Der siebten und achten Frage kann entnommen werden, dass Islamische
Speisevorschriften, wie den ausschließlichen Verzehr von Halal-Fleischoder dem
Verzicht auf Alkohol, für den Großteil muslimischer Einwanderer von wichtiger
Bedeutung ist. So antworteten 64 Prozent der Befragten auf die Frage „In letzter Zeit
ist es für MuslimInnen zunehmend von Bedeutung, dass die Tiere nach islamischen
Vorschriften geschlachtet (geschächtet) werden. Ist es für Sie wichtig oder eher nicht
wichtig?“mit "wichtig".
Kultursensible Pflege
Die vorletzte Frage „Würden Sie ihre Eltern in ein Altersheim übergeben?“ ist eine
Frage, die meist vermieden und tabuisiert wird. Sie gibt jedoch Aufschluss darüber,
welche Probleme uns als "alternde" Gesellschaft in naher Zukunft v.a. im
Gesundheitssektor erwarten.75 Prozent der Befragten würden ihre Eltern nicht in ein
Altersheim übergeben. Es ist davon auszugehen, dass dieser Anteil tatsächlich die
Haltung der Mehrheit muslimischer MigrantInnen repräsentiert, da sie (neben
religiösen und kulturellen Gründen) auch bezüglich der Defizite im Bereich der
Kranken- und Altenpflege Bedenken haben. Ebenso ist die 17 Prozentige
„Unsicherheit“ auf diese Defizite zurückzuführen. In diesem Zusammenhang werden
die kultursensible Pflege und ein dementsprechend ausgebildetes Pflegepersonal für
die SeniorInnen mit Migrationshintergrund zunehmend wichtig.
83
TAVAK –Türk-Alman Eğitim ve Bilimsel Araştırmalar Vakfı Yayınları
Bei 4 Millionen muslimischen Migranten ist die Frage nach der Beisetzung im
Eintreten eines Todesfalles ebenso wichtig wie das Thema rund um die Pflege im
Alter. Wie diese "stichprobenartige" Flughafenbefragung vor Augen führt, bevorzugt
bis heute ein Großteil der muslimischen Migranten nach dem Tod in ihrem Heimatland
beigesetzt zu werden. Nur 3 Prozent der Befragten gaben auf die Nachfrage hin in
welchem Land sie beigesetzt werden wollen, die Antwort „Deutschland“, während
über die Hälfte (57 Prozent) in der Türkei bestattet werden wollen. Ein
ausschlaggebender Grund für diese Entscheidung ist mitunter, dass das Amt für
religiöse Angelegenheiten (DITIB) für die muslimischen Migranten die Möglichkeit
anbietet Sterbeversicherung abzuschließen, damit der Leichnam in die Türkei
überführt wird.
84
TAVAK –Türk-Alman Eğitim ve Bilimsel Araştırmalar Vakfı Yayınları
3. Auswertung der Leitfadeninterviews und
der offenen Diskussionsrunde zum Forschungsthema
„Zusammenleben“ (KatHO)
Der Untersuchungsgegenstand „Zusammenleben“ im Forschungsprojekt setzt sich aus
sechs Ergebnisfeldern zusammen:
a) Ergebisfeld 1: „Schule und Bildung“
Die muslimischen TeilnehmerInnen kritisieren einen Trend, der ihrer Beobachtung
nach darin besteht, dass zunehmend wohlhabende, herkunftsdeutsche Familien ihre
Kinder auf konfessionell orientierten Privatschulen wie etwa der Marienschule in
Hamm
anmelden.
An
derartig
geprägten
Bildungsinstitutionen
können
Integrationsprojekte und interkulturelle Angebote nicht „andocken“. Möglicherweise
steht mit dieser Äußerung eine weitere geäußerte Kritik in Zusammenhang: demnach
existiert an deutschen Schulen ein „Schülerbild“, das sich in den Lehrplänen und in der
konzeptionellen Ausrichtung widerspiegelt und das „den Deutschen“ und dessen
Kultur in den Mittelpunkt rückt. Darüber wird versäumt, das Potential zu nutzen über
anderskulturelle, -ethnische und -religiöse Phänomene aufzuklären und zu informieren,
wodurch Distanzen und „Fremdheitsgefühle“ abgebaut werden könnten. Die
muslimischen und nicht-muslimischen TeilnehmerInnen richten den Wunsch an die
Schulpolitik und die Kommunen, die Schulen als einen Ort der Gemeinschaftsbildung
und kulturellen Aufklärung/Sensibilisierung zu begreifen. Der Klassenverband und die
durchschnittliche Klassengröße stellen optimale Bedingungen dar, um in einem
geschützten Rahmen für das Zusammenleben zu „trainieren“ und sich mit fremden
Symbolen, Traditionen und Verhaltensweisen auseinanderzusetzen. Die Politik hat
nach
Ansicht
der
TeilnehmerInnen
jedoch
davon
abweichende,
eher
pragmatische/funktionale Erwartungen an die Schulen: Es existiert eine wachsende
türkeistämmige SchülerInnenschaft, die ein hohes Leistungsniveau erreicht und unter
85
TAVAK –Türk-Alman Eğitim ve Bilimsel Araştırmalar Vakfı Yayınları
entsprechenden Förderungsbedingungen z.T. erfolgreicher ist als herkunftsdeutsche
SchülerInnen. Die Kommunen wollen aus wirtschaftlich orientierten Gründen diese
(Leistungs-)Potentiale nutzen (handlungsutilitaristische Motive).
Dem widerspricht eine weitere Beobachtung der TeilnehmerInnen an anderer Stelle:
Pädagogisch
wenig
interkulturell
sensibilisierte
Lehrkräfte
erkennen
die
Leistungsstärke von SchülerInnen mit einem Migrationshintergrund häufig nicht,
wenn Sprachdefizite vorliegen. In solchen Fällen würden Schulformen empfohlen, die
unter dem tatsächlichen Leistungsniveau der SchülerInnen liegen. Die Äußerung einer
muslimischen Teilnehmerin geht in eine ähnliche Richtung: Sie beschreibt, dass Eltern
mit einem Migrationshintergrund im Rahmen der Orientierungsstufe häufig mitgeteilt
wird, dass ihr Kind „es nicht schaffen wird“, woraufhin diese (die Eltern) ihr Kind von
der Schule wieder abmelden. Die Erprobungsstufe ist auch nach Ansicht weiterer
TeilnehmerInnen zu früh angesetzt und macht lediglich den Eltern Angst - dies sei
auch
eine
Form
der
Diskriminierung
gegenüber
Eltern/Schülern
mit
Migrationshintergrund. Ein weiterer Kritikpunkt an den LehrerInnen ist, dass sie die
Schulformempfehlung der SchülerInnen nicht dem Leistungsniveau der Schüler
anpassen,
sondern
aufgrund
von
Sprachbarrieren
ihre
Leistungskapazität
herunterstufen. Der Vorschlag eines Teilnehmers, ein derartiges Fehlverhalten der
Lehrkräfte zu sanktionieren oder unter Strafbewehrung zu stellen, wird abgelehnt. Dies
sei nicht die richtige Strategie; stattdessen müssten positive Anreize geschaffen
werden. Mit der Unterstützung der Landesregierung lassen sich Bildungs- und
Entwicklungschancen junger Menschen mit Migrationshintergrund fördern und
verbessern – auch zum Mehrwert der Stadt. Die Idee des Sprachcamps mit einer
gezielten Sprachförderung, spielerischen Maßnahmen und der Sensibilisierung der
Eltern kann im (Schul-)Alltag verankert als kontinuierlich begleitende Institution
langfristig die Sprachkompetenz und damit die berufliche Perspektive von jungen
Migranten erhöhen.
Einen vergleichsweise hohen Anteil im Gruppengespräch besaß die Diskussion über
die Rolle von Bildung für Integration. Auf der einen Seite wurde dargestellt, dass
86
TAVAK –Türk-Alman Eğitim ve Bilimsel Araştırmalar Vakfı Yayınları
Bildung eine hohe Bedeutung für Integration erfüllt, da nur durch entsprechende
Informationen und Aufklärung die Strukturen im Lebensraum verstanden werden
können. Das Verstehen der Strukturen, die den Einzelnen umgeben bewirkt, dass
dieser sich dazugehörig fühlt und dementsprechend stärker partizipieren kann und will.
Integration könnte demnach bedeuten, dass auch bildungsfernere Milieus teilhaben
können müssen. Wohlhabende deutsche Familien melden ihre Kinder auf
konfessionell geprägten Privatschulen an. Diese Interpretation der ForscherInnen wird
durch die Aussage eines muslimischen Teilnehmers gestützt, wonach es sich um
„einen anderen Integrationsbegriff“ handeln würde, wenn Bildung als Voraussetzung
formuliert wird. Betrachtet man die Schule über einen Bildungsort hinaus auch als ein
Ort der Gemeinschaftsbildung, sind kulturelle Aufklärung und Sensibilisierung an
deutschen Schulen ein zentraler Punkt. Auch Kommunen erkennen Potential in
wachsender Schülerschaft mit Migrationshintergrund.
Der Klassenverband muss als eine Art „Trainingsfeld“ für das Zusammenleben
zwischen unterschiedlichen Ethnien, Kulturen und religiösen Zugehörigkeiten genutzt
werden. Eine Integration durch Bildung öffnet Partizipationsmöglichkeiten durch das
Verstehen der Strukturen und durch die Veränderung im Selbstbild.Kinder als
„unbeschriebene Blätter“ sind Hoffnungsträger auf nachrückender Generation. Ihre
Eigenwahrnehmung und ihr Selbstbild dürfen die Kinder nicht über falsche Stereotype
und negativer Fremdbilder definieren, sondern lernen sich die positive Vielfalt der
deutschen Gesellschaft zu erkennen.
b) Ergebnisfeld 2: „Innere Haltung“
Hinsichtlich der inneren Haltung der teilnehmenden MuslimInnen und NichtMuslimInnen lässt sich die von Hacking als „Loopingeffekt“ bezeichnete
Übertragungswirkung erkennen: Insbesondere von den muslimischen TeilnehmerInnen
wird ein „Aktivierungsproblem“, angezeigt. Es wird beschrieben, dass die Problematik
die mit dem Selbstbild der Menschen zusammenhängt nur auf dieser Ebene aufgelöst
87
TAVAK –Türk-Alman Eğitim ve Bilimsel Araştırmalar Vakfı Yayınları
werden kann. Wer sich einer Minderheit zugehörig fühlt - dabei ist es offenbar nicht
entscheidend, ob dies im direkten Vergleich zu anderen Gruppen tatsächlich zutrifft
oder nur eine (handlungsleitende) „gefühlte Wahrheit“ darstellt - und glaubt, durch den
Minderheitenstatus bedingt nicht viel bewirken und mitgestalten zu können,
partizipiert weniger.
Diese Darstellung entspricht möglicherweise einer abwärts gerichteten Spirale, die
Otto und Ziegler nach Elster mit dem „Modell der adaptiven Präferenzen“
beschreiben, das darzustellen versucht, wie Menschen „unerreichbar erscheinende
Ziele aus dem Horizont des Wünschbaren“ (Otto/Ziegler 2010, S. 100) ausschließen.
In
nahezu
allen
Differenzkategorien
fanden
sich
Merkmale,
die
das
Minderheitenselbst- und Fremdbild hervorbringen. Die Angst vor Kultur- und
Identitätsverlust existiert sowohl auf Seiten der MuslimInnen als auch der NichtMuslimInnen.
Ethnizität und Religionszugehörigkeit sind nur zwei Aspekte unter vielen. Darüber
hinaus ist beispielweise die geographische Lokalität entscheidend. Ein Selbstbild oder
eine
innere
Haltung
wird
durch
bestimmte
Merkmale
in
verschiedenen
Differenzkategorienaber nicht nur hervorgebracht. Andersherum bestimmt eine innere
Haltung auch, wie bestimmte Merkmale wahrgenommen oder auch explizit nicht
wahrgenommen werden.In den Fremdwahrnehmungen ist MigrantIn daher nicht gleich
MigrantIn. Beispielsweise wirken MuslimInnen „fremder“ als Deutsch-russische o.
deutsch-polnische Menschen, da sie sich weniger zum „Deutschsein“ bekennen.
Es gibt verschiedene Auffassungen zu erfragen, welche die muslimische Kultur
betreffen. Für ein besseres Verstehen und ein friedliches Miteinander muss das
Nachfragen
erlaubt
sein,
aber
dennoch
verraten
manche
überspitzte
Frageformulierungen die fehlende Akzeptanz der Mehrheitsgesellschaft. Daher kann
sich hinter dem Nachfragen teilweise auch die Botschaft „Du wirst nicht
akzeptiert!“verbergen.Des
Weiteren
verhindern
Unsicherheiten
durch
88
TAVAK –Türk-Alman Eğitim ve Bilimsel Araştırmalar Vakfı Yayınları
Abschiebeängste oder beschränkter Arbeitserlaubnis die identifikatorische Integration.
Ferner gilt die Türkische Gemeinde als Vorreiter unter den Migrationsgesellschaften.
Die Traditionen – so auch die islamische Tradition - sind nicht starr, sondern
prozesshaft und werden durch nachkommende Kohorte verklärt, aufgeweicht oder gar
aufgelöst.Aber sie sorgen als Vehikel für Sicherheit und Orientierung in fremden
Settings. Die Identitäten setzen sich aus vielfältigen Zugehörigkeiten zusammen und
nach dem Sozialwissenschaftler Amin Maalouf neigen die Migranten dazu, sich in
ihrer am stärksten angegriffenen Zugehörigkeit wiederzukennen; wenn es die religiöse
Zugehörigkeit ist, dann definieren sie ihre Identität über den Glauben. Die Bewegung
für ein friedliches Miteinander und gegenseitige Toleranz wird nicht von „irgendeinem
Amt für Teilhabe“ ausgehen, sondern von der Gesellschaft. Die regionale Identität und
das „Wir-Gefühl“ sind gerade bei jugendlichen Migranten maßgeblich für ihren
Integrationserfolg. Die Steigerung von Teilhabe und Verantwortung, die Einstellung
als Lokalpatrioten und stolze Duisburger oder Dortmunder aus der Türkei und anderer
Nationen zu sein, lässt sich positiv in die Öffentlich tragen und innerhalb von Imageund Stadtmarketing aufgreifen.
89
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c) Ergebnisfeld 3: „Konfessionen/Religionsgemeinschaften“
Für die Religionsgemeinschaften werden aufgrund der zunehmenden Säkularisierung
ein Attraktivitäts- und darüber ein Mitgliederverlust prognostiziert. Das trifft sowohl
auf Moscheen als auch auf christliche Kirchen zu. Die Empfehlung/der Wunsch
seitens der TeilnehmerInnen an die Religionsgemeinschaften lautet daher, dass diese
sich neu ausrichten, mehr öffnen und interkonfessionell im Stadtteil/Sozialraum
zusammenwirken sollen.
Ausgehend von der Beobachtung, dass sich die Religionsgemeinschaften bereits
einander annähern und dies auch müssen, wenn sie ihren Einfluss wahren wollen, wird
vermutet, dass die ACK-Klausel und derartige Formen der strukturellen Segregation
durch die Religionsgemeinschaften 2030 so nicht mehr bestehen werden.
•
Attraktivitäts-/Mitgliederverlust aufgrund zunehmender Säkularisierung
•
Bedeutungsverlust Religionsgemeinschaften
•
Wunsch/Forderung an Religionsgemeinschaften
Mehr öffnen/interkonfessionell im Stadtteil/Sozialraum zusammenwirkt
•
Religionsgemeinschaften stehen vor Paradigmenwechsel
d) Ergebnisfeld 4: „Historische Hintergründe“
Es wird kritisiert, dass im Rahmen von Integrationspolitik häufig Begriffe verändert,
jedoch nicht die dahinter liegenden Phänomene behandelt werden. So verändern sich
zwar die Bezeichnungen für eine bestimmte Gruppen: Ausländer, Migrant, Mensch
mit Migrationsbiographie usw. - nicht aber der Umgang mit Ihnen. Hacking beschreibt
diese Kritik als „vorübergehende“ Phänomene (vgl. Hacking 1999, S. 159): Dabei sind
nicht die „realen“ Merkmale, die beschrieben werden, vorübergehend - eine Person
mit türkischen Wurzeln kann schließlich ihre Vergangenheit nicht verändern - sondern
die Begriffe und Ideen sind epochenvariable Kulturleistungen, die mit der interaktiven
90
TAVAK –Türk-Alman Eğitim ve Bilimsel Araştırmalar Vakfı Yayınları
Art „Mensch“ interagieren. Semantische Werkzeuge haben jedoch Grenzen: Den
TeilnehmerInnen zufolge, lernt die Politik nicht substanziell aus den historischen
Begebenheiten und wiederholt gleiche Fehler beispielsweise in der aktuellen
Flüchtlings- und Asylpolitik.
In den Anfangsjahren des Anwerbens von Gastarbeitern wurde bewusst auf
Segregation geachtet, zum Beispiel wurden die Kinder der Gastarbeiter in
Parallelklassen unterrichtet und auch im Wohnumfeld wurden diese Menschen von der
einheimischen Bevölkerung getrennt. Dass die Gastarbeiter und ihre Familien in
Deutschland bleiben würden, war über eine lange Zeit nicht optional. Diese historisch
gewachsenen Umstände werden aus Sicht der TeilnehmerInnen immer noch zu wenig
anerkannt.
Im Zusammenhang mit der Gegenwart und Zukunft ist auch die Vergangenheit
insbesondere für die muslimischen TeilnehmerInnen sehr relevant. Nach Ansicht des
Projektteams „Islam 2030“ kann und sollte das Thema „Zukunft“ daher nicht ohne die
Einbeziehung und Aufarbeitung der Vergangenheit bearbeitet werden. Möglicherweise
erwarten die MuslimInnen von dieser Perspektive eine Art „individuellen
Schuldfreispruch“. Eine systematische Betrachtung der Historie macht deutlich, dass
Integrationsprobleme politisch-strukturell und nicht in der muslimischen Kultur
begründet sind.
e) Ergebnisfeld 5: „Politik und Arbeitsmarkt“
Beschrieben wird eine Diskrepanz zwischen theoretischen/politischen Zielen und der
Umsetzungspraxis auf dem Arbeitsmarkt und der Politik selbst. Dies wurde während
des Workshops u.a. auch unter dem Stichwort der „Alibiquoten“ diskutiert. Ein
politisches Ziel, das in Leitbildern der Integrationsarbeit deutlich wird, besteht darin,
mehr Menschen mit Migrationsvorgeschichte im städtischen Dienst zu beschäftigen
und die politische Partizipation dieser zu fördern. Die Einstellungstests, die den
91
TAVAK –Türk-Alman Eğitim ve Bilimsel Araştırmalar Vakfı Yayınları
Zugang zum Dienst in den städtischen Apparat ermöglichen, unterstützen diese
Leitziele jedoch nicht. Stattdessen wird in den Testverfahren ein sprachliches Niveau
erwartet, dass Menschen ohne Deutsch als Muttersprache nicht erreichen können, da
die Fragen selbst für Deutsch-Muttersprachler noch sehr schwierig formuliert sind.
Weiter wurde kritisiert, dass durch die fehlende Anerkennung von ausländischen
Berufsabschlüssen und Zertifikaten, vielen MuslimInnen der Zutritt in den
Arbeitsmarkt verwehrt bleibt oder Menschen mit akademischen Abschlüssen dazu
gezwungen
werden,
unter
ihrem
Ausbildungsniveau
tätig
zu
sein.
Die
TeilnehmerInnen wünschen sich daher, dass die praktischen Rahmenbedingungen auf
dem Arbeitsmarkt entsprechend den politischen Leitzielen verändert werden. Es wird
zur Erreichung von Chancengleichheit auf dem Arbeitsmarkt vorgeschlagen, eine Art
„Nachteilsausgleich“ einzuführen, der den Nicht-Herkunftsdeutschen bei den
Einstellungstests entgegenkommt. Des Weiteren sollten anonymisierte Bewerbungen
gesetzlich flächendeckend eingesetzt werden. Ohne diese wirksamen, substanziellen
Veränderungen wird lediglich weiterhin von „Integration“ gesprochen, dennoch findet
Assimilation statt. Resümierend stellen die TeilnehmerInnen fest, dass sich die meisten
Menschen, egal aus welchem Kulturkreis stammend, über Arbeit und Bildung
definieren. Wenn daher eine Chancengleichheit auf Arbeit besteht, steigt automatisch
die Beteiligung am gesellschaftlichen Leben und somit auch die politische
Partizipation.
Die Repräsentanz von Menschen mit Migrationshintergrund ist neben dem
öffentlichen Sektor sowie dem Arbeitsmarkt und besonders im kulturellen Bereich
wichtig. Bei Projekten wie Schulaufführungen, Theater- und Musikgruppen sowie im
Angebot von Konzerten, Aufführungen und Ausstellungen sollten die Interessen von
Migranten in der Auswahl berücksichtigt werden, wenn sie als Besucher und
Teilnehmer gewonnen werden wollen. Gegebenenfalls bieten sich Sponsoringzusammenarbeiten mit Firmen, Unternehmen, Stiftungen und Einrichtungen an. Gut
ausgebildete Fachkräfte, Migranten an publikums- und öffentlichkeitswirksamen
Knotenpunkten sowie in repräsentativen Positionen haben eine Brückenfunktion mit
hoher Strahlkraft. Strukturelle wie identifikatorische Integrationsprobleme sollten nach
92
TAVAK –Türk-Alman Eğitim ve Bilimsel Araştırmalar Vakfı Yayınları
Ansicht des Projektteams „Islam 2030“ als Produkt aus Merkmalen und Defiziten in
verschiedenen Differenzkategorien gesehen werden.
f) Ergebnisfeld 6: Sozialwesen/ Angebote der Migrationsarbeit
Zu Gesprächskreisen wie dem durch die Studierenden veranstalteten Workshop
erscheinen oft nur dieselben engagierten Menschen und debattieren konsensual über
Integration. Die Inhalte der Diskussionen und Gespräche werden jedoch kaum nach
außen getragen, was die Beteiligten nach eigener Aussage „demotiviert“. Anstelle von
großen Kampagnen sollten daher mehr öffentliche Mittel zur Verfügung gestellt
werden, um Angebote der aufsuchenden Sozialen Arbeit im direkten Wohnumfeld und
Sozialraum zu fördern. StreetworkerInnen mit einer Multiplikatorenfunktion könnten
eine
Integrationskultur
lebensweltorientiert
und
nachhaltig
direkt
vor
Ort
implementieren. Zum einen könnte dies einen „Schneeballeffekt“ auslösen, zum
anderen könnten auch Personen erreicht werden, die nur einen schwachen Zugang zu
institutioneller Partizipation besitzen. Institutionelle Angebote richten sich nach
Ansicht der TeilnehmerInnen zu exklusiv an einebestimmte Gruppe. So existieren
bspw. Sprachkursangebote, denen aber das Übungsfeld fehlt; es besteht jedoch der
Wunsch nach direkter praktischer Umsetzung des Gelernten in der Kommunikation
mit Muttersprachlern. Speziell die MuslimInnen betreffend, wurde außerdem der
Wunsch geäußert, dass bei der Konzeption von Angeboten zukünftig nicht mehr
TürkInnen mit MuslimInnen gleichgesetzt werden, sondern die Vielschichtigkeit unter
den MuslimInnen und Menschen mit Migrationsvorgeschichte anerkannt wird.
93
TAVAK –Türk-Alman Eğitim ve Bilimsel Araştırmalar Vakfı Yayınları
4.1 Kurze Zusammenfassung der Workshops
Die Auswertung der Workshop-Ergebnisse hat im Bereich „Schule und Bildung“
ergeben, dass die Tendenz dazu steigt nichtmuslimische Kinder auf eine konfessionell
orientierte Privatschule anzumelden, als auf einer öffentlichen Schule, um einen
Kontakt zu ausländischen Kindern zu vermeiden. Diese Einstellung führt zu großen
Distanzen zwischen Muslimen und Nichtmuslimen und dadurch können keine
Fremdheitsgefühle abgebaut werden, sondern durch diese Haltung wird diese
Abneigung gefördert. Ein weiteres Thema ist, in wie fern Bildung eine Rolle für
Integration spielt. Auf der einen Seite wurde festgestellt, dass Bildung eine zentrale
Bedeutung für eine gelungene Integration darstellt, da durch einen hohen Grad von
Bildung laut Aussagen die Strukturen im Lebensraum verstanden und somit akzeptiert
werden. Die Schule soll darüber hinaus als einen Ort der Gemeinschaftsbildung dienen
und dort sind kulturelle Aufklärungen und Sensibilisierung ein wichtiger Bestandteil.
Das Ergebnisfeld „Innere Haltung“ zeigt, dass diejenigen die sich einer Minderheit
angehörig fühlen, durch ihren Status bedingt nicht viel bewirken und mitgestalten
können. Unterschiedliche Faktoren zeigen auf, dass die Angst vor Kultur- und
Identitätsverlust sowohl auf Seiten der Nicht-MuslimInnen als auch bei Muslimen
existiert. Außerdem zeigt die innere Haltung auf, wie bestimmte Merkmale
wahrgenommen oder auch nicht wahrgenommen werden. Die Auswertung der
Fremdwahrnehmung weist darauf hin, dass Muslime fremder wirken als deutschpolnische Menschen beispielsweise. Die muslimischen Traditionen wirken als Gefahr
für Sicherheit und Orientierung in fremden Settings. Nach dem Sozialwissenschaftler
Amin Maalouf setzen sich die Identitäten aus vielfältigen Zugehörigkeiten zusammen
und Migranten neigen dazu, sich in ihrer am stärksten angegriffenen Zugehörigkeit
wiederzuerkennen. Der Antrieb für ein friedliches Miteinander wird nicht vorgegeben
sondern geht von der Gesellschaft aus. Das „Wir-Gefühl“ ist gerade bei jugendlichen
Migranten maßgeblich für ihren Integrationserfolg.
Zu
dem
Thema
„Konfessionen/Religionsgemeinschaften“
ist
durch
die
Expertengruppen festgestellt wurden, dass die Religionsgemeinschaften aufgrund der
94
TAVAK –Türk-Alman Eğitim ve Bilimsel Araştırmalar Vakfı Yayınları
zunehmenden Säkularisierung an Attraktivität verlieren und darüber hinaus ein
Mitgliederverlust zu erkennen ist. Die Religionsgemeinschaften nähern sich zwar an,
aber im Zuge dessen wird vermutet, dass durch die strukturelle Segregation diese
Gemeinschaften 2030 so nicht mehr bestehen werden.
Das Ergebnisfeld „historische Hintergründe“ zeigt auf, dass sich in der
Integrationspolitik
Begriffe
wie
Ausländer,
Migranten,
Mensch
mit
Migrationsbiographie etc. häufig ändern, eine Diskussion um die dahinter liegenden
Phänomene jedoch ausbleibt. Während die Begriffe oft kurzlebige semantische
Werkzeuge sind, gibt es selten eine Debatte ihrer Hintergründe und somit eine
Verhinderung bestimmter sich wiederholender Fehler in der Flüchtlings- und
Asylpolitik. Die TeilnehmerInnen weisen auch auf die historisch entstandene
Umstände hin, durch welche Migranten als ‚temporäre Gäste‘ wahrgenommen
wurden. Diese Tatsache zeigt auf, dass für die Gestaltung der Zukunft eine
Einbeziehung
und
Aufarbeitung
der
Vergangenheit
notwendig
ist.
Im Ergebnisfeld „Politik und Arbeitsmarkt“ wird erläutert, dass eine Diskrepanz
zwischen theoretischen Zielen auf der politischen Ebene und deren Umsetzung
besteht. Oftmals werden Ziele der Integrationsarbeit damit abgehakt, ‚Alibiquoten‘ zu
erfüllen anstatt strukturelle Änderungen vorzunehmen. Durch Testverfahren, die ein
sprachliches Niveau voraussetzen, welches durch nicht-Muttersprachler kaum zu
erreichen ist, wird vielen MuslimInnen, deren Muttersprache nicht Deutsch ist, der
Zutritt zum öffentlichen Dienst verwehrt. Die TeilnehmerInnen wünschen sich daher,
dass die praktischen Rahmenbedingungen auf dem Arbeitsmarkt entsprechend den
politischen Leitzielen verändert werden. Es wird auch vorgeschlagen, den nichtHerkunftsdeutschen durch einen ‚Nachteilsausgleich‘ entgegenzukommen und
dadurch Chancengleichheit zu fördern. Anonyme Bewerbungen flächendeckend
einzuführen wäre ein weiterer Schritt zur Verbesserung der Chancengleichheit. Da
sich ein Großteil der Menschen über Arbeit und Bildung definiert, kann eine
Verbesserung der Situation auf diesem Gebiet eine generelle Beteiligung am
gesellschaftlichen Leben fördern. Weitere Vorschläge sind die Berücksichtigung der
Interessen von Migranten im kulturellen Bereich, wie zum Beispiel bei Theater- und
95
TAVAK –Türk-Alman Eğitim ve Bilimsel Araştırmalar Vakfı Yayınları
Musikgruppen, sowie die gezielte Förderung von Migranten durch Sponsoringzusammenarbeiten mit Firmen, Unternehmen, Stiftungen und Einrichtungen.
Das Feld „Sozialwesen und Angebote der Migrationsarbeit“ weist darauf hin, dass in
Gesprächskreisen oft nur sehr konsensual über Integration diskutiert wird und in
welchen Ergebnisse kaum nach außen getragen werden. Institutionelle Angebote
sollen in Zukunft auch nach außen getragen werden und dort Anschluss finden.
96
TAVAK –Türk-Alman Eğitim ve Bilimsel Araştırmalar Vakfı Yayınları
4.2 Forderungen und Zukunftsperspektiven
Die Auswertung der quantitativen und qualitativen Fragebögen, sowie die Ergebnisse
der offenen Diskussionsrunden von MuslimInnen und Nicht-MuslimInnen sind
Grundlage dieses Forschungsprojektes, da sie neben statistischen Ergebnissen auch
praktische Erfahrungen/ Erkenntnisse aus dem alltäglichen Zusammenleben liefern.
Die aus „Ahlen 2030“ gewonnenen Erkenntnisse reichen über eine reine Untersuchung
und über ein Festhalten statistischer Daten hinaus. Sie sind zugleich eine Forderung an
die Gesellschaft, Politik und unterschiedliche Institutionen. Hinsichtlich dessen gibt es
nicht nur einen Adressat von Forderungen.
Es geht um die Frage was die Zivilgesellschaft des 21. Jahrhunderts von der heutigen
Mehrheitsgesellschaft und der (immer stärker werdenden) Minderheitsgruppen
erwarten darf und muss, damit die gesellschaftliche Zukunft von Zusammenhalt und
Verantwortungsethik, statt Diskriminierung und Segregation, geprägt wird. Die
interkulturellen, beziehungsweise interreligiösen Konflikte müssen diskussionsfähig
gemacht werden, anstatt diese zu tabuisieren.
In der Gegenwart wird den Menschen mit Migrationsvorgeschichte die Teilhabe am
gesellschaftlichen Leben in den Bereichen Arbeit und Politik noch schwer gemacht.
Da jedoch gerade über die Arbeit die Möglichkeiten auch der politischen Teilhabe
steigt, sollten zukünftig mehr auf Chancengleichheit im Bereich Arbeit geachtet
werden. Dazu sollte:
-
mehr
Rücksicht
genommen
werden,
auf
die
Lebensbiografie
(Bsp.
Muttersprache vs. Zweitsprache; bereits erarbeitete Zertifikate, die zwar nicht
anerkannt werden, aber vorhandene Kompetenzen dennoch sehen und
einbeziehen)
97
TAVAK –Türk-Alman Eğitim ve Bilimsel Araştırmalar Vakfı Yayınları
-
Die Integrationspolitik nicht nur theoretisch gute Ansätze zeigen sondern diese
auch umsetzen
-
Die
Arbeitsgeber
mehr
sensibilisiert
werden;
Bsp.
Interkulturelle
Kompetenztrainings
-
Die Glaubensgemeinschaften ihren Einfluss nutzen und positiv mitwirken
Die säkulare Gesellschaft in Deutschland entfernt sich immer mehr von ihren
christlichen Wurzeln. Die Haltung gegenüber anderen Glaubensrichtungen bleibt aber
distanziert. Ein Beispiel ist Essen-Katernberg: Während dort die Kirchen schließen,
haben die knapp 5.000 Migranten für fünf Millionen Euro eine Moschee gebaut. Diese
Entwicklung wird nicht mit Wohlwollen sondern mit Überfremdungsangst gesehen.
Wie es jetzt noch der Fall ist, wer soll dann 2030 die wirtschaftlichen, sozialen und
kulturellen Potentiale der deutschen Städte und Regionen heben?Im Jahre 2030 wird
klar das wirtschaftliche, soziale und kulturelle Potenzial der deutschen Städte und
Regionen mit Migranten verschiedene Probleme haben. Zwar wird in 2030, wenn man
von den heutigen Entwicklungen ausgeht, dass die Migranten sich weiterhin
selbständig machen und keine großen Belastungen an den Arbeitsmarkt bringen und
durch die selbstständige Erwerbstätigkeit Arbeitsplätze sogar für die nicht Muslime
errichten, sollen wirtschaftliche Probleme weniger sein. Die sozialen Probleme kann
man folgendermaßen darstellen:
Ghettoisierung muss zurückgedrängt werden
Die soziale Lage der Migranten wird sich besonders in der Rhein- Ruhr Region noch
problematischer darstellen. Zwar wird die Ghettoisierung abnehmen, weil die
Migranten weiterhin neue Wohnungen erwerben und darauf Wert legen, dass die
Wohnungen nicht in Stadtteilen in denen sehr viele Muslime wohnen befindet, damit
man sich von der Ghettoisierung distanziert.Ferner können die Ghettos von
Problemfeld zum integrationsfördernden Stadtteil gewandelt werden. In keinem Fall
sollten diese als eine neue Parallelgesellschaft gelten. Die Geschäfte in Ghettos dort
sollen anders dargestellt werden wie nach dem Modell von Duisburg Marxloh, wo
98
TAVAK –Türk-Alman Eğitim ve Bilimsel Araştırmalar Vakfı Yayınları
neues Leben zwischen Migranten und Deutschen stattfindet und gemeinsam aufgebaut
wird. Der Dialog, sowie das Miteinander werden auf diese Weise optimal gefördert.
Benachteiligung der Frauen
Es wird sich bei den sozialen Problemen der muslimischen Frauen nicht sehr viel
ändern. Die sozialen Probleme der Migrantenfrau sind von dem Herkunftsland
abhängig, weil sie dort teilweise von ihrer Familien, sowohl von ihrer eigenen als auch
von ihren Ehemännern gegen die Autorität des Ehemannes gerettet werden, wird man
jedoch diese Gelegenheit in Deutschland nicht in dieser Form stattfinden. Deswegen
sollen bis zu 2030 im Bereich der Frauen neue Strukturen neue Frauenvereine
eingerichtet werden, damit der Schutz der Frau gegenüber der Unterdrückung des
Mannes zunimmt. Dabei sollen die Migranten Organisationen befähigen.
Weiterhin im kulturellen Bereich ist festzustellen, dass in Deutschland die Muslime,
hauptsächlich die Türken ihr Freizeitverhalten geändert haben und ihre eigenen
Strukturen wie Diskotheken und Jugendzentren gebildet haben. In diesem Bereich soll
es vorgesehen werden, dass diese getrennten kulturellen Institutionen und
Infrastrukturen gemildert sogar abgeschafft werden.
Selbsthilfe und Potenzial
In dem Bereich sollen die Multiplikatoren der Migranten in verschiedenen Gebieten so
ausgebildet werden, dass sie diese Probleme beenden. In dem Bereich werden die
Mitarbeiter der islamischen Einrichtungen mehr säkularer ausgebildet. In jedem Fall
ist die Intention dass im Jahre 2030 im wirtschaftlichen Bereich die selbständigen
Migranten gut eingegliedert werden. Im dem Bereich bis zu 2030 soll bei den
Migranten bei den neueren Generationen auch Selbsthilfepotenzial mehr gefördert
werden, das Interesse an Rotary Clubs und Sportvereine außer Fußballvereinen ergänzt
werden. In dem Bereich sollen die Medien der muslimischen Migranten hauptsächlich
die türkischen Migranten während der Projektphase dazu befähigt werden.
Migrantenvereine müssen mehr tun
Auf der anderen Seite gibt es zahlreiche Migrantenvereine, die nur wenig Bemühen
zeigen, eine erfolgreiche Integration zu fördern. Dabei können gerade diese Vereine
eine wichtige Brückenfunktion für die Integration darstellen, da sie Anlaufstelle für
99
TAVAK –Türk-Alman Eğitim ve Bilimsel Araştırmalar Vakfı Yayınları
zahlreiche
Migranten
sind.
Wie
kann
es
einerseits
gelingen
Vorurteilen
entgegenzuwirken und andererseits die Transparenz dieser Einrichtungen zu erhöhen?
Wie kann es gelingen, dass diese Vereine Anreize für Integration schaffen und unter
ihren Mitglieder dafür werben, in deutschen Unternehmen und Institutionen aktiv zu
werden?
Volkshochschulen und Bildungseinrichtungen in NRW
Auch die Volkshochschulen und andere Bildungseinrichtungen in NordrheinWestfalen möchte das Projekt in den Blick nehmen. Diese Einrichtungen müssen
Menschen mit Migrationshintergrund zu einer Aus- oder Weiterbildung bewegen.
Gerade die Förderung der Sprache ist von entscheidender Bedeutung. Diese
Institutionen müssen ihre Angebote, Programme und Veranstaltungen stärker an die
kulturellen Interessen, und die Lebensrealitäten anpassen um die Zielgruppe der
Migranten zu erreichen und fördern, dass die Migranten selbst zu Akteuren und
Lehrern in diesem Bildungsbereich werden.
Solche Angebote sollten unmittelbar im Sozialraum stattfinden (Einsatz von
Streetworkern als Multiplikatoren) und über keine dichotome Adressatenformulierung
(MuslimInnen/Nicht-MuslimInnen)
verfügen,
sondern
offene
Angebote
sein.
Fokusgruppe(n) mit VertreterInnen der Schulpolitik und „BürgerInnen“ zum Thema:
„Was kann die Schule zur interkulturellen Gemeinschaftsbildung beitragen?“
Arbeit und Bildung
Alle egal aus welchen Kulturkreis, definieren sich im Alltag über Arbeit und Bildung;
wenn alle gleiche Chancen auf Arbeit haben, steigt automatisch die Beteiligung am
gesellschaftlichen Leben: Daher sollte die Lebensbiografie mehr berücksichtigt
werden. Die Integrationspolitik muss in dieser Hinsicht die „guten Ansätze“einhalten
und der Arbeitgeber muss Offenheit gegenüber denKonfliktvermeidungsstrategien
zeigen.
100
TAVAK –Türk-Alman Eğitim ve Bilimsel Araştırmalar Vakfı Yayınları
5. Bestandsaufnahme
der
Problematik
in
sozialen
Einrichtungen
Fokus: „Zusammenleben von Christen und Muslimen und nicht religiös
gebundenen Menschen in säkular geprägten Gesellschaften“
An Hand einer ersten Bestandsaufnahme wurde festgehalten, in welchen
unterschiedlichen Einrichtungen und Lebensbereichen (Kindergarten, Schule,
Altenheime, etc.) durch den muslimischen Glauben geprägte Werte und
Verhaltensweisen konflikthaft auf westlich orientierte und christlich geprägte
Vorstellungen
treffen.Bestandsaufnahme
der
Situation
in
Deutschland,
insbesondere im Ruhrgebiet. Einige Gedanken hierzu seien thesenartig zugestellt:
5.1
Altersheime (und Krankenhäuser):
Das Phänomen des Alterns ist eines der vielen Probleme, das die Menschen hier zu
Lande beschäftigt. In Deutschland kommen viele der ehemaligen ArbeitsmigrantInnen
der ersten Generation zunehmend ins Pensionsalter. Einige kehren in ihr
Herkunftsland zurück, doch ein großer Teil bleibt in Deutschland, weil sie ihren
Lebensmittelpunkt (Kinder, Enkel, o.ä.) hier haben oder aus gesundheitlichen oder
aber auch wirtschaftlichen Gründen. Die älter werdenden Migranten stehen neuen
Herausforderungen, betreuungspsychologischer Natur, gegenüber. Bei muslimischen
Migranten sind durch die religiöse Differenz die Anforderungen an die Altenbetreuung
besonders groß.
Altersstruktur der Muslime
Im Vergleich zur gesamtdeutschen Gesellschaft ist die Gruppe der Muslime
mit Migrationshintergrund deutlich jünger. Vor allem unter Muslimen, die
aus dem Nahen Osten und aus Südosteuropa eingewandert sind, ist der
Altersdurchschnitt deutlich niedriger. Der muslimische Altersdurchschnitt
insgesamt liegt bei 30,1 Jahren (Quelle: http://www.deutsche-islamkonferenz.de). Den Prognosen zur Folge wird jedoch im Jahre 2030 ein
101
TAVAK –Türk-Alman Eğitim ve Bilimsel Araştırmalar Vakfı Yayınları
Viertel der in Deutschland lebenden älteren Menschen Migranten sein.
Darunter birgt sich auch eine hohe Zahl der Migranten muslimischen
Glaubens.
Im Bereich der Altenpflege kam es in Deutschland Ende der 1990er Jahre zu einer
„interkulturellen Öffnung“ mit dem Kernaspekt der „kultursensiblen Pflege“. Mit dem
Konzept der kultursensiblen Pflege soll das „Verständnis anderer Kulturen und
Religionen“ und die Bedeutung „der kulturellen Prägungen und Bedürfnisse“ als
Grundpfeiler der Pflegedienstleistungen genommen werden2, um religiöse und
kulturelle
Sensibilität
bei
der
Altenpflege
von
Migranten
zu
schaffen.
Kultursensibilität beruht laut Ertl3 auf gegenseitiger Achtsamkeit und Wertschätzung
trotz kultureller und religiöser Unterschiede.
Diese wechselseitige Anerkennung führt dazu, dass Kompromisse eingegangen
werden und ein sensibles Verhalten gegenüber dem Anderen eintritt. Kultursensibles
Handeln ist darum bemüht, Verständnis- und Begegnungsmöglichkeiten zu finden,
wenn unterschiedliche Individuen unterschiedlicher Glaubenssysteme und Kulturen
aufeinander treffen.4
Für eine kultursensible Betreuung und Beratung von Migranten ist es notwendig ihr
kulturell (sowie religiös) geprägtes Krankheitsverständnis und ihr Empfinden speziell
im Alterungsprozess zu kennen, da bezüglich dessen kulturelle Unterschiede zwischen
der Minderheits- und Mehrheitsgesellschaft herrschen. Den Umfragen zur Folge ist
festzustellen, dass eine geringe Inanspruchnahme der Angebote der Altenpflege durch
muslimische MigrantInnen anzutreffen ist, sodass Pflegeheime bisher keine Option in
der Altersplanung darstellen. Neben dem (noch) geringen Bedarf ist das fehlende
Angebot an Einrichtungen für eine kultursensible Altenbetreuung mitunter ein Grund.
In den nächsten Jahren wird der Anteil der betreuungsbedürftigen älteren Population
mit Migrationshintergrund, darunter eine große Zahl muslimischer Migranten, rasch
ansteigen wird.
vgl. Arbeitskreis Charta für eine kultursensible Altenpflege, 2002: 19 In dem Arbeitskreis „Charta für eine
kultursensible Altenpflege“ haben sich verschiedene Institutionen, Verbände und Einzelpersonen
zusammengeschlossen, die mit Migrations- und Integrationsfragen, sowie Fragen der Altenhilfe befasst sind und
für eine interkulturelle Öffnung eine gemeinsame Arbeitsgrundlage erarbeitet haben.
3
vgl. Ertl, 2002: 6
4
vgl. Arbeitskreis Charta für eine kultursensible Altenpflege, 2002: 19
2
102
TAVAK –Türk-Alman Eğitim ve Bilimsel Araştırmalar Vakfı Yayınları
Kulturelle, religiöse und sprachliche Unterschiede müssen in naher Zukunft bei der
Planung und Einführung von kultursensiblen Pflegeangeboten berücksichtigt werden.
Daher stehen die Einrichtungen der Altenpflege ebenso wie muslimische MigrantenSeniorInnenvor einer neuen Herausforderung, da sie ihre für Personen mit
Migrationshintergrund öffnen müssen, da sie bis dato auf eine kultursensible
Betreuung nicht vorbereitet sind.
„Es reicht nicht aus, Migrantinnen und Migranten als neuen Kundenkreis zu
gewinnen
und
dann
alle
Kunden
gleich
zu
behandeln.
Eine
Gleichbehandlung blendet bestehende Unterschiede aus. Eine gleichwertige
Behandlung hingegen erfordert eine Bedürfnis- und Biografie orientierte
Pflegebeziehung. Migrantinnen und Migranten dürfen dabei nicht auf eine
vorgeblich homogene Herkunftskulturreduziert werden. Der Pflegeprozess
ist im Dialog mit den Pflegebedürftigen vor dem Hintergrund der
jeweiligen Lebenserfahrung, Selbstdefinition und des Erlebens der
Pflegesituation
sicherzustellen.
Die
Steuerung
des
kultursensiblen
Pflegeprozesses ist Aufgabe der Pflegedienstleistung,beziehungsweise des
Unternehmensleitbildes. Die Gestaltung der notwendigen Kommunikation
erfordert
von
den
Pflegenden
interkulturelle
Kompetenz,
die
in
interkulturellen Pflegebeziehungen, im Team und in der Aus- und
Fortbildung gewonnen werden kann.“5
Interkulturelle Kompetenz bedeutet, dass die Person unabhängig von der eigenen
Kultur und religiösen Orientierung, im Kontakt zu Menschen aus einem anderen
kulturellen Kontext sensibles Verhalten aufweisen kann. Bis heute bestehende
Zugangsbarrieren der interkulturellen Altenpflege sind vor allem sprachliche
Barrieren, mäßiger Informationsstand der Migranten über Betreuungsmöglichkeiten,
sowie fehlende kultursensible Kompetenz der Fachkräfte und Betreuungsstrukturen
für das Körper – und Gesundheitskonzept von Menschen muslimischen Glaubens.
5
vgl. Memorandum für eine kultursensible Altenhilfe, 2009: 5
103
TAVAK –Türk-Alman Eğitim ve Bilimsel Araştırmalar Vakfı Yayınları
Eine kulturspezifische Altenbetreuung umfasst ein breites Spektrum an Maßnahmen,
um auf die Bedürfnisse der Migranten-SeniorInnen eingehen zu können. Im Folgenden
einige Beispiele hierzu:
- muttersprachliches Betreuungspersonal
- religiösen Speisevorschriften angepasste Ernährung
- Erfüllung der religiösen Hygienevorschriften, sowie Waschungsriten
- Berücksichtigung von Gebets-, Fest-, und Fastenzeiten in der Strukturierung des
Pflegealltags
- Wahrung und Respektierung kulturell geprägter Geschlechterkonzepte
-die Sicherstellung der Totenversorgung nach religiösen Vorschriften
5.2
Friedhöfe und islamische Bestattungskultur
Migration hat viele Facetten. Auch das Sterben fern der Heimat gehört bei 4 Millionen
muslimischen Migranten in Deutschland dazu. Den Lebensabend in der Fremde zu
verbringen war von den Meisten mit Migrationsgeschichte ursprünglich nicht
beabsichtigt. Die Entscheidung sich in einem fremden Land nieder zu lassen, sich dort
eine Existenz aufzubauen, eine Familie zu gründen, all dies ergibt sich von selbst,
wenn Menschen immigrieren. Was früher oder später aber auch zum Thema wird, ist
das Sterben bzw. die Bestattung in der fremden Heimat. Der Entschluss, sich in
fremder Erde beerdigen zu lassen ist ein bedeutender, weitreichender Schritt.
Vielleicht sogar der entscheidende Schritt im langen Prozess, sich an das neue Land zu
gewöhnen. Denn mit der Bestattung, der letzten Ruhestätte, werden nachfolgende
Generationen an dieses Land gebunden. Auch die Entscheidung von Angehörigen, den
Toten in der Fremde zu bestatten, hat Folgen: die Bindung zur alten Heimat wird
gelockert und eine neue Heimat wird geschaffen.
104
TAVAK –Türk-Alman Eğitim ve Bilimsel Araştırmalar Vakfı Yayınları
Noch werden die Muslime über eine Heimatversicherung beim islamischen Verband
DİTİB in ihrem Heimatland beerdigt, bei der die DİTİB alle Kosten übernimmt. Nach
einer ersten Befragung der TAVAK Stiftung geben zurzeit 7% der Türken an, in
Deutschland beerdigt werden zu wollen, 25% ist es egal ob sie in Deutschland oder in
ihrem Heimatland beerdigt werden.
Der ausschlaggebende Beweggrund für die Überführung des Leichnams ins eigene
Heimatland ist der Wunsch einer islamisch vorgeschriebenen Bestattungszeremonie
gerecht zu werden. In Deutschland gilt im Normalfall die Sargpflicht, wohingegen im
Islam die Beisetzung im Leichentuch vorgesehen ist. Die neuere Entwicklung zeigt,
dass
Bundesländer
wie
Baden-Württemberg
und
Nordrhein-Westfalen
ihre
Bestattungsgesetze überarbeiten und in Zusammenarbeit mit Friedhofsverwaltungen
versuchen Muslimen in Deutschland Beisetzungen nach islamischem Brauch zu
ermöglichen:
-
Beisetzung im Leinentuch, ohne Nähte
-
rituelle Waschung des Leichnams (bei männlichen Toten durch den Imam, bei
weiblichen Verstorbenen durch ein weibliches Familienmitglied)
-
das rituelle Totengebet (al-Fatiha)
-
Grab und Gesicht des Leichnams muss in Richtung der Kaaba ausgerichtet sein
„Die in islamischen Ländern gängige Praxis, Tote innerhalb eines Tages zu
beerdigen, lässt sich in der Bundesrepublik nicht umsetzen – aus
verwaltungstechnischen Gründen und auch wegen der Frist, wie sie in den
meisten Bundesländer gesetzlich festgelegt ist: Zwischen Ableben und
Beisetzung müssen mindestens 48 Stunden verstreichen“ (Quelle:
http://www.deutsche-islam-konferenz.de)
Es wird davon ausgegangen, dass in den kommenden Jahrzehnten zunehmend mehr
muslimische Bürger und Bürgerinnen sich in Deutschland bestatten lassen möchten,
damit ihre Grabstätte in der Nähe ihrer Kinder und Enkelkinder liegen, die ihr Leben
in Deutschland fortsetzen werden.
105
TAVAK –Türk-Alman Eğitim ve Bilimsel Araştırmalar Vakfı Yayınları
Daher wurde sowohl in Nordrhein-Westfalen, als auch in Baden-Württemberg in
diesem Jahr (2014) von den jeweiligen Landeskabinetten Gesetzesentwürfe erlassen,
indem die Sargpflicht aufgehoben wurde und in Zukunft eine Erleichterung bei der
Durchführung muslimischer Bestattungen vorgesehen ist6. In NRW gab es zwar auch
vor dem Gesetzesentwurf keinen Sargzwang, aber dennoch soll das neue
Bestattungsgesetz den Weg für muslimische Organisationen freimachen, sodass sie ab
2014 eigene Friedhöfe nach islamischen Vorschriften betreiben dürfen7.
5.3
Bildungseinrichtungen/ KITA
Michael Schmid stellt sich mit seiner Arbeit Christen und Muslime in der Schule und
Möglichkeiten und Wege interreligiöser Begegnungen (2010) einer Situation, in der
nicht nur Schülerinnen und Schüler verschiedener Religionen im schulischen Leben
zusammen
sind,
sondern
geht
auch
der
christlichen
und
islamischen
Religionspädagogik nach. „Für das interreligiöse Lernen in der Schule heißt das, dass
an der Realität der muslimischen Schüler angeknüpft werden muss. Sie leben zwischen
Integration und Assimilation, zwischen traditionell überlieferten Vorstellungen und
der freiheitlich-demokratischen Ordnung in Deutschland. Dabei soll das Wissen der
Schüler als Ressource aufgenommen werden. Eine Direktbegegnung bietet die
Möglichkeit, Fragen zu stellen, Antworten zu bekommen und sich selbst hinterfragen
zu lassen.“8
Dazu führt er das von Theo Sundermeier entwickelte Konvivenzmodell als einen
besonderen Weg für ein konstruktives, interreligiöses Zusammenleben in die
religionspädagogische Debatte ein. Sundermeier entwickelt den Begriff der
Konvivenz, der ein Zusammenleben in Nähe und Differenz verwirklichen will. 9 Die
Religionspädagogik in die Integrationsgespräche einzubringen, ist insofern von
Bedeutung, da bisher dem religionspädagogischen Diskurs wenig Achtung geschenkt
6
7
8
9
http://dtj-online.de/deutschland-muslime-tod-friedhof-2136
http://dtj-online.de/muslime-baden-wuerttemberg-sargpflicht-23093
Schmid, 2010: 11f
Schmid, 2010: 11
106
TAVAK –Türk-Alman Eğitim ve Bilimsel Araştırmalar Vakfı Yayınları
worden ist, obwohl es für wichtige Problemfelder interreligiöser Begegnung gerade
auch im schulischen Bereich, neue Perspektiven zu geben vermag.
„Im Konvivien Zusammensein wird Identität nicht aufgegeben, sondern
Raum zur Identitätsfindung geschaffen. Das Trennende verbindet, das
Verbindende wird das Trennende, weil ich lerne mich aus den Augen des
Anderen zu sehen. Hier sollte keine harmonisierende Weltanschauung ihren
Platz haben, sondern ein verstehendes Miteinander seinen Anfang haben.
Der Andere bleibt er selbst, ich verändere mich nicht grundlegend, aber ich
lerne mich aus der Sicht des Anderen kennen. Dieser Perspektivwechsel
verändert, er weitet den Horizont. Sundermeier sieht dies als ein
partnerschaftliches, wechselseitiges Geschehen, das als symmetrische
Kommunikation erlebt werden kann. Beide sind Subjekt des Gesprächs,
beide sind Lehrender und Lernender zugleich. So verstanden wird das
Gespräch zum Dialog.“10
Im bildungspolitischen Bereich der integrativen Maßnahmen sind folgende Themen
von Bedeutung:
-
Gestaltung der Lehrpläne und Schulbücher (Wie ist im Schulsektor der Islam
und die islamische Welt in Lehrbüchern konzipiert?)
-
islamischer
Religionsunterricht
(am
Beispiel
der
NRW)multikulturelle
Erziehung?
-
Welche muslimischen Familien schicken ihre Kinder in deutsche Kindergärten?
Wie sieht die Situation in Kindergärten mit kirchlicher Trägerschaft aus?
-
interreligiöser Dialog zwischen den Akteuren der Schule (SchülerInnen,
LehrerInnen)
10
Sundermeier, Die Begegnung mit dem Anderen, 1991: 19 in: Schmid, 2010: 49
107
TAVAK –Türk-Alman Eğitim ve Bilimsel Araştırmalar Vakfı Yayınları
5.4
Sportvereine
Bei den Sportvereinen findet die Integration im Bereich Fußball sehr gut statt. Sehr
viele Jugendliche muslimische Migranten gehen zu deutschen Sportvereinen, spielen
Fußball, weil sie das Ziel ihre Selbstverwirklichung durch Fußball zuhaben gestalten.
Interessant ist mitzuteilen, dass heutzutage in der türkischen Nationalliga über hundert
türkischstämmige Deutsche oder Türken aus Deutschland Fußball spielen und
ziemlich gut Geld verdienen.
Bei den Sportvereinen sollen auch die Zusammenarbeit im Bereich Ringen mehr
gefördert werden, da hauptsächlich viele Türken am Ringen sehr interessiert sind, das
gleiche gilt auch fürs Boxen. Doch bei fast allen anderen Sportarten wie Basketball
und Volleyball,Tischtennis oder Tennis sind die muslimischen Migranten sehr
unterrepräsentiert, auch im Frauenfußball sind die muslimischen Frauen wenig
repräsentiert. In dem Bereich können Vereine dazu animiert werden die Frauen mehr
anzusprechen. Der Essener Sportbund hat vor einigen Jahren eine Aktionen gestartet
„Gemeinsames
schwimmen
mit
christlichen
und
muslimischen
Frauen“.In
verschiedenen Städten soll das mehr gefördert werden. Dadurch kann man die Frauen
mehr im Sport und sozialen Eingliederung mit einbeziehen.
Folglich wurde eine Basis geschaffen ein friedliches Miteinander und gemeinsames
Werteverständnis in Zukunft zu sichern. Um eine Vorstellung über bisherige
Forschungsresultate zu haben und die Auswertung der qualitativen Interviews besser
einordnen zu können, sollen im Folgenden bisherige Erkenntnisse aus dem
Forschungsstand über Muslime in Europa und Deutschland ausgeführt werden.
108
TAVAK –Türk-Alman Eğitim ve Bilimsel Araştırmalar Vakfı Yayınları
6. Islam in Deutschland
6.1 Muslimisches Leben in Deutschland (2009)
Eine erste bundesweit repräsentative Studie über die muslimische Bevölkerung lieferte
das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) mit dem Forschungsprojekt
„Muslimisches Leben in Deutschland“. Die im Auftrag der Deutschen Islamkonferenz
(DIK) durchgeführte Studie wurde im Juni 2009 veröffentlicht und ihre Auswertung
belegt die Vielfältigkeit der in Deutschland lebenden Musliminnen und Muslime in der
Auslegung ihres Glaubens. Für die Studie „Muslimisches Leben in Deutschland“
wurden bundesweit Personen aus 49 muslimisch geprägten Herkunftsländern und
unterschiedlichen sozio-kulturellen Kontexten zu Religion im Alltag, sowie zu
Aspekten der strukturellen und sozialen Integration befragt (vgl. 2009: 11). Insgesamt
wurden 6.004 Personen telefonisch interviewt; zusammen mit den Angaben über die
Haushaltsmitglieder stützen sich die zentralen Ergebnisse auf Informationen über fast
17.000 Personen islamischen Glaubens.
„Erstmalig wurde durch die direkte Befragung von Migranten eine
bundesweite Datenbasis über die muslimische Bevölkerung geschaffen. Auf
der Basis dieser repräsentativen Daten wurden die Zahl der in Deutschland
lebenden Muslime und die Anteile an den verschiedenen islamischen
Glaubensrichtungen neu geschätzt. […] Im Ergebnis belegt die Studie
anhand empirischer Daten die Vielfältigkeit muslimischen Lebens in
Deutschland.“11
Mit dieser Studie wurde die bisher unsichtbare Zahl der Muslime in Deutschland
durchleuchtet und eine demographische Datenbasis für weitere Untersuchungen
geschaffen. Demnach sind der Studie des Bundesamtes zu Folge zwischen 4,6 und 5,2
Prozent der deutschen Gesamtbevölkerung Musliminnen und Muslime. Bei einer
Gesamtbevölkerung von rund 82 Millionen entspricht dieser Anteil zwischen 3,8 und
11
Haug, Müssig, Stich, 2009: 4f
109
TAVAK –Türk-Alman Eğitim ve Bilimsel Araştırmalar Vakfı Yayınları
4,3 Millionen Menschen muslimischen Glaubens in Deutschland (Stand 2009). Die bis
dato gemachten Schätzungen bezüglich der muslimischen Bevölkerung in Deutschland
bewegten sich zwischen 3,1 und 4 Millionen.
„Diese Schätzungen basierten auf einer indirekten Methode, nach der nur
die in Deutschland lebenden Staatsangehörigen aus 20 muslimisch
geprägten Herkunftsländern und die Einbürgerungen von Staatsangehörigen
aus diesen Ländern von 1988 bis 2005 addiert wurden. Die Studie des
Bundesamtes berücksichtigt dagegen auch die Zuwanderer aus einer
Vielzahl von weiteren Ländern und die Nachkommen von Einbürgerten“
(2009: 12).
Wird die muslimische Bevölkerung in Deutschland genauer in Betracht gezogen, wird
deutlich, dass es keine homogene Einheit ist. Die muslimischen Gruppen
unterscheiden sich nach Herkunftsländern, sowie nach der Konfessionszugehörigkeit
innerhalb der islamischen Strömungen. Letztlich sind die Muslime in Deutschland
unter sich sowohl kulturell als auch in ihren religiösen Ansichten vielfältig und das
Urteilen nach Stereotypen führt lediglich zu einer Stigmatisierung und untermauert das
verzerrte Bild über die Muslime.
Die
Forschungsfragen
wurden
zu
einzelnen
Themen
wie
Herkunftsland,
Religionszugehörigkeit, Gläubigkeit und religiöse Praxis im Alltag gestellt und tragen
dazu bei, über religiöses Alltagsleben und den Glauben sowie über sozio-kulturelle
Verhaltensmuster der muslimischen Bevölkerung in Deutschland aufzuklären. Die
fehlenden Kenntnisse über die Pluralität innerhalb der muslimischen Gruppen liefern
ein unvollständiges Bild über ihre Lebenswirklichkeit. Mit dem Projekt „Muslimische
Leben in Deutschland“ (MLD) wurde ein Forschungsvorhaben umgesetzt, das zum
Ziel hat, die Anzahl der Muslime in Deutschland sowie ihre religiöse
Zusammensetzung so genau wie möglich zu bestimmen(s.20).
110
TAVAK –Türk-Alman Eğitim ve Bilimsel Araştırmalar Vakfı Yayınları
Diese differenzierte Betrachtung ist für ein friedliches Zusammenleben von Christen
und Muslimen in der deutschen Gesellschaft von grundlegender Bedeutung, um nicht
von Stereotypen auszugehen und gegenseitige Fremdbilder zu erzeugen. Eine
fruchtende Integration und der Abbau von Parallelgesellschaften ist nur möglich, wenn
der Prozess des einander Kennenlernens fortgesetzt wird und Berührungspunkte im
Alltag geschaffen werden. Leider wird das muslimische Leben in Deutschland in erster
Linie meist mit Islam-Ghettos (Tibi, 2000:58) in deutschen Großstädten wie Berlin
(Stadtteil
Kreuzberg,Neukölln
Mannheim
(Stadtteil
Jungbusch)
oder
Köln
(Keupstraße) veranschaulicht. Die Stigmatisierung und Reduzierung auf die Realität
der islamischen Ghettoisierung repräsentiert nicht die muslimische Lebenswirklichkeit
in Deutschland. Wobei die Ghettoisierung bzw. die Bildung der Parallelgesellschaften
in unterschiedlich hoher Exkludierung der Bewohner/Zugehörigen weitaus verbreiteter
sind.
Muslime nach Herkunftsländern
Zentralasien/GUS
Sonstiges Afrika
Iran
Süd-/Südostasien
Nordafrika
Naher Osten
Südosteuropa
Türkei
0,4%
1,5% 1,7%
4,6%
6,9%
8,1%
13,6%
63,2%
Quelle: Hochrechnungsergebnisse auf Basis des Datensatzes MLD 2008 über alles
Haushaltsmitglieder sowie der AZR- Daten zum Stand 30.06.2008 (Tabelle 5,
mittlerer Wert), Abb.10 in Bamf, 2009: 96)
Betrachtet man die Zusammensetzung der in Deutschland lebenden
Muslime insgesamt nach ihrer Herkunft zeigt sich, dass mit einem Anteil
111
TAVAK –Türk-Alman Eğitim ve Bilimsel Araştırmalar Vakfı Yayınları
von 63 Prozent die deutliche Mehrheit aus der Türkei stammt. Bei der
zweitgrößten Gruppe handelt es sich um Muslime aus Südosteuropa, die mit
einem Anteil von knapp 14 Prozent vertreten sind. Zwischen 5 und 8
Prozent der Muslime sind aus Süd-/ Südostasien, Nordafrika oder dem
Nahen
Osten
zugewandert
bzw.
weisen
einen
entsprechenden
Migrationshintergrund auf. Iraner und Muslime aus dem sonstigen Afrika
stellen jeweils 2 Prozent der in Deutschland lebenden Muslime dar. Aus
Zentralasien und den GUS-Staaten stammen unter 1 Prozent der Muslime in
Deutschland (Quelle: Bamf, 2009: 96f).
Muslime nach Glaubensrichtungen
Hinsichtlich der regionalen Herkunft wird eine Vielfalt von religiösen Orientierungen
an die Tagesordnung gelegt, da die einzelnen Herkunftsgruppen hinsichtlich ihrer
religiösen Zugehörigkeit und Orientierung unterschiedlich zusammengesetzt sind. Die
Annahme alle muslimischen Migranten seien gläubige und praktizierende Muslime ist
falsch. Dennoch wird die pluralistische Realität teilweise immer noch vom medialen
Zerrbild und der einschlägigen Literatur überschattet. Die Muslime untergliedern sich
in viele unterschiedliche Richtungen mit verschiedenen religiösen Vorschriften, Riten
und Maximen, sowie mit unterschiedlichen Graden an Religiosität. Unter den in
Deutschland lebenden Muslimen ist die sunnitische Glaubensrichtung am stärksten
vertreten. Diese inner-islamische Pluralität von religiös bis weniger religiös, bis hin
zur sunnitischen, alevitischen und schiitischen Orientierung der muslimischen
Gruppen verhält sich in Deutschland wie folgt (in Prozent):
112
TAVAK –Türk-Alman Eğitim ve Bilimsel Araştırmalar Vakfı Yayınları
Schiitisch, 7.10%
Ahmadi , 1.70%
Alevitisch, 12.70%
Sufi, 0.10%
Sonstige , 4%
Sunnitisch, 74.10%
Ibadit,
0.30%
Quelle: MLD 2008, Datensatz aller Haushaltsmitglieder, gewichtet. Abb.11 in Bamf, 2009: 97)
Regionale Verteilung auf die
Bundesländer
Über die alten Bundesländer
hinweg
sind
die
Muslime
räumlich stark verteilt. Der
höchste
Anteil
ist
in
dem
bevölkerungsreichen
Bundesland
Nordrhein-
Westfalen zu finden. Jeder dritte
Muslim in Deutschland ist dort
ansässig.
Es
Württemberg,
folgen
Bayern
Badenund
Hessen mit Anteilswerten über
10
Prozent.
In
den
113
TAVAK –Türk-Alman Eğitim ve Bilimsel Araştırmalar Vakfı Yayınları
verbleibenden zumeist kleineren sieben alten Bundesländern leben rund 25 Prozent der
Muslime.
6.2 Muslimisches Leben in NRW (2011)
Im Jahre 2011 veröffentlichte das Ministerium für Arbeit, Integration und Soziales der
Landesregierung NRW die Zusatzstudie „Muslimisches Leben in NordrheinWestfalen“ zu der bereits 2009 erschienen Studie „Muslimisches Leben in
Deutschland“. Der Landesregierung war es von besonderer Wichtigkeit konkrete
Ergebnisse für die Vielfalt des muslimischen Lebens in Nordrhein-Westfalen zu
erhalten, sodass das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge beauftragt wurde eine
Sonderauswertung für das Bundesland anzufertigen. Anhand dieser Auswertung wurde
„sowohl die ethnische Bandbreite als auch die Pluralität in der religiösen Praxis der
hier lebenden Musliminnen und Muslime“ beleuchtet, so der Integrationsminister der
NRW Guntram Schneider.
Das Potential der Studie lag darin, dass durch das Gesamtprojekt Vergleiche sowohl
mit Angehörigen christlicher Religionsgemeinschaften in Deutschland, als auch mit
Muslimen in anderen Ländern gezogen werden können. Zu dieser Zeit gab es wenig
konkrete Studien über Muslime in NRW, beschränkt wurde es generell auf die
türkischstämmigen Migranten, abgesehen von Muslimen und nicht Muslimen. Obwohl
die türkischstämmigen Migranten den Hauptteil der Muslimen ausmachen, kann man
damit zur generellen Situation der Muslime in Deutschland keine Aussage machen.
114
TAVAK –Türk-Alman Eğitim ve Bilimsel Araştırmalar Vakfı Yayınları
7. Darstellung des methodischen Vorgehens
7.1 Quantitative Studien vs. Qualitative Forschungsprojekte
Die Ergebnisse dieser beiden Forschungsprojekte erfassen viele quantitative Daten und
Fakten auf die sich die vorliegende Studie bezieht. Aus diesen beiden Studien zur
Sozialstruktur und Demographie der muslimischen Bevölkerung lassen sich viele
Fragen ableiten. Dennoch was die oben erwähnten quantitativen Studien nicht leisten,
ist nach den Konsequenzen der demographischen Entwicklung zu fragen, wo
Konfliktpotential vorhanden ist oder steigt, wo Ressourcen sind, die genutzt werden
können und wie gewisse Probleme gesellschaftspolitisch angegangen, vermittelt und
aus erkannten Handlungsbedarfen Maßnahmen frühzeitig eingeleitet werden können.
Die quantitativen Studien sind zwar ein guter Ausgangspunkt für weitere Forschungen,
aber sie sind eher deskriptiv, hypothesen-testend und lebenslagenorientiert sind und
sich auf einzelne Gruppen fokussieren. Das vorliegende qualitative Forschungs(teil)projekt „Islam 2030 – Zukunft gemeinsam gestalten“ erweist einen hohen Grad an
Offenheit und ist hypothesen-generierend. Durch die qualitative Vergleichsstudie, die
neben
Fragebögen
auch
auf
halbstrukturierten
Interviews
basiert,
ist
lebensweltorientiert und regionalbezogen.
Die Absicht der vorliegenden Studie ist es selbstverständlich die Integration, die sich
im Allgemeinen als die gleichberechtige, gesellschaftliche Teilhabe12 einer Gruppe
innerhalb der Mehrheitsgesellschaft definieren lässt, auch unter den sich ändernden
demographischen Bedingungen und Lebensumständen zu sichern.
„Dabei kommt es zu einer wechselseitigen Beziehung zwischen der
Mehrheitsgesellschaft und der Minderheitsgesellschaft. Einerseits muss sich
die Minderheitsgesellschaft willens zeigen, grundlegende Werte der
Mehrheitsgesellschaft zu teilen und Rechte und Pflichten zu übernehmen.
12
vgl. Schmid, 2010: 25
115
TAVAK –Türk-Alman Eğitim ve Bilimsel Araştırmalar Vakfı Yayınları
Auf
der
Grundlage
einer
positiven
Identifikation
mit
der
Mehrheitsgesellschaft eröffnen sich neue Perspektiven für die Migranten,
jedoch kann der kulturelle Hintergrund gewahr bleiben. Religiöse wie
kulturelle Gewohnheiten können weiter gepflegt und eine gesunde Bindung
an das Heimatland kann gewahrt werden. Andererseits bietet die
Mehrheitsgesellschaft einen Raum, in dem kulturelle Bedürfnisse entfaltet
werden können. Eine aktive und nachhaltige Identifikation kann zwar
eingefordert werden, sollte jedoch keine überfordernde Verwandlung
voraussetzten. Die Mehrheitsgesellschaft ist organisatorisch gefordert die
Beziehungen
aktiv
zu
gestalten,
sollte
jedoch
aus
freiheitlich-
demokratischer Überzeugung bereit sein auch Raum für Differenzen zu
lassen.
Die
Minderheitsgesellschaft
ist
gefordert
sich
mit
der
Mehrheitsgesellschaft aktiv auseinander zu setzen und sie durch
gesellschaftliches Engagement kulturell zu bereichern. Gescheiterte
Integration kann Assimilation oder Parallelgesellschaften nach sich
ziehen“.13
Eine Integration in diesem Sinne kann nur auf einer neutralen Basis fruchten. Die
kulturelle
Zerrissenheit
unter
den
muslimischen
Migranten
und
die
gleichermaßen negative Wahrnehmung des Islam in der deutschen Gesellschaft
erschweren den Dialog zunehmend. In diesem Kontext integrativer Arbeit
nehmen
die
bundesdeutschen
Auslandsberichterstattungen
-
Medien
als
und
Nahtstelle
die
westlich
zwischen
geprägten
gesellschaftlicher
Wahrnehmung und politischen Zugeständnissen – eine entscheidende Rolle ein14.
Dennoch haben einseitige Medienberichte, öffentliche Diskurse über den Islam
und die Integrationsdebatten auf beiden Seiten15erheblich zur Polarisierung und
zunehmender Intoleranz geführt.
13
Schmid, 2010: 25
vgl. Hafez, 2013: 212 „Dennoch haben gerade die großen Massenmedien, zumindest in der
Öffentlichkeitstheorie von Jürgen Habermas, eine wesentliche Funktion, die man als »kommunikative
Integration« bezeichnen könnte.“
15
gemeint ist Minderheitsgesellschaft und Mehrheitsgesellschaft
14
116
TAVAK –Türk-Alman Eğitim ve Bilimsel Araştırmalar Vakfı Yayınları
8. Das mediale Islambild in Deutschland
Das öffentliche Interesse Deutschlands am Islam und am Leben muslimischer
Migranten war lange Jahre nur sehr schwach entwickelt. Die entscheidenden
Impulse des 21. Jahrhunderts für die Befassung mit dem Islam waren zunehmend
von negativer Natur, da der mediale Fokus auf fundamentalistische Ereignisse
gesetzt wurde und auch das heutige Islambild von den stereotypen Bildern
geprägt ist. In diesem Zusammenhang spielen die Medien eine entscheidende
Rolle, da sie einen steuernden Einfluss auf die Dialogprozesse innerhalb der
Gesellschaft haben16.
Bis Anfang der 1980er Jahre war das Interesse der deutschen Öffentlichkeit am
Islam und den muslimischen Migranten nur schwach entwickelt. Allerdings auch,
weil der Islam erst am Anfang der 1980iger Jahren, beginnend durch die
Khomeini Revolution im Iran, der Förderung des inner-islamischen Konfliktes
durch Irak/ Irankrieg und die Unterstützung islamistischer Gruppierungen gegen
die Stützpunkte der Sowjetunion in Afghanistan, sowie das Bewusstsein
eigenerStärke aus Ölvorkommen in den arabischen Staaten, einerseits zu einer
stärkeren islamischen Identitätsbildung und andererseits zu einer Konflikthaltung
beigetragen hat.
In den letzten Jahren ist das deutsche Medieninteresse am Islam und an der
muslimischen Identität, vor allem in Bezug auf die in Deutschland lebenden
Muslime, gewachsen. Dennoch ist diese Entwicklung nicht nur als positiv zu
betrachten, da die entscheidenden Impulse die eine deutsche (so wie eine
europäische) Auseinandersetzung mit dem Islam unumgänglich machten,
ausschließlich negativ belegt waren. Die Integrationsdebatten basieren bis heute
Hafez, 2013: 207: „Es geht heute durchaus um die unterschiedlichen Facetten sozialer und politischer
Kommunikation. Massenmedien spielen eine erhebliche Rolle bei der Frage der Anerkennung des Islams und der
Integration der Muslime. Fragen der Gleichberechtigung oder Hegemonie in Medien und Öffentlichkeit sind zu
klären.“
16
117
TAVAK –Türk-Alman Eğitim ve Bilimsel Araştırmalar Vakfı Yayınları
auf einem negativ geprägten Islambild deutscher Medien, die den Islam im
Kontext
konfliktgeladener
Ereignisse
(Selbstmordattentate,
Ehrenmorde,
Terrorangriffe, verletzter Menschenrechte o.ä.) thematisieren und diese Art von
selektiver Berichterstattung nicht mit neutralen oder positiven Meldungen
kompensieren. Die „ungelungene Integration“ von Migranten wird gelegentlich
neben der Herkunft auch durch die Religion begründet. Das Bild von Muslimen,
die nicht zu Deutschland passen ist weit verbreitet in der deutschen Gesellschaft,
welches insbesondere durch die deutschen Medien ausgelöst wird. Das einseitige
Interesse deutscher Medien, die den Islam mit Negativthemen in Verbindung
setzen, führen zu einem zugespitzten Islambild.
„Die Iranische Revolution war das Erweckungserlebnis für die deutschen
Medien. Bis dahin gab es zwar Nahostberichterstattung, aber der Islam war
ein Randthema für die Medien. Das Aufkommen des politischen Islam hat
dies grundsätzlich verändert. […]Immer wieder findet man etwa seitdem in
deutschen Medien die Annahme einer Untrennbarkeit von Politik und
Religion im Islam. Verbreitet ist auch die Gleichsetzung von politischem
Islam mit radikalem Fundamentalismus und von Fundamentalismus mit
Terrorismus und Extremismus. […] Hier herrscht nicht nur eine selektive
Wahrnehmung vor, sondern auch eine Psycho-Logik im Sinne von WorstCase-Annahmen. Wenn nämlich der Islam gleichzusetzen ist mit Politik,
die Politik identisch ist mit Fundamentalismus und dieser mit Extremismus,
dann
ist
die
Folgerung
logisch,
dass
dem
Islam
in
seiner
Gesamtheit Gewaltbereitschaft unterstellt werden muss – womit man die
Verbindung zwischen dem aktuellen Mediendiskurs und der verbreiteten
These Samuel Huntingtons vom „Kampf der Kulturen“ gefunden hat.
Huntington behauptet nichts anderes als einen grundsätzlichen und
gewaltsamen Antagonismus zwischen dem Islam und dem Westen (die
„blutigen Grenzen“ des Islam) – eine essentialistische Position, die politisch
einseitig ist, weil sie kooperative Interaktionen ausblendet, und die
118
TAVAK –Türk-Alman Eğitim ve Bilimsel Araştırmalar Vakfı Yayınları
kulturtheoretisch naiv ist, weil sie subkulturelle Differenzen (des Islam)
negiert.“17
Die Vielfalt der gesellschaftlichen Äußerungsformen innerhalb des Islam, sowie
die unterschiedlichen Lebensformen der Muslime werden auf einzelne
Phänomene des religiösen Extremismus reduziert. So erscheint der Islam wie ein
radikal ideologischer Gegenentwurf zur westlichen Gesellschaftsordnung. Das
undifferenzierte Islambild der Medien, sowie ihre selektive Berichterstattung
beeinflusst die Gesellschaft insofern, dass die Menschen den Islam unterbewusst
mit
Negativthemen
(wie
Terrorismus,
internationalen
Konflikten,
Menschenrechtsverletzungen u.ä.) assoziieren. „Die mediale Öffentlichkeit wird
bestimmt von katastrophenartigen Ereignissen wie dem 11. September 2001,
deren nachfolgenden Terrorattentaten in London, Madrid und den weiteren
Anschlägen in ganz Europa. Diese Ereignisse einem Dialog zugrunde zu legen,
wird weder der Realität der Weltreligion Islam gerecht noch den in Deutschland
lebenden Muslimen.“18
Der interkulturelle, beziehungsweise interreligiöse Dialog19 erfordert Wissen
über den anderen und das fehlende, sowie das lückenhafte Halbwissen führt
dazu, dass der Islam und die in Deutschland lebenden Muslime im öffentlichen
Bewusstsein verstärkt als ein drängendes Integrationsproblem empfunden
wird.Selbstverständlich sind die Medien nicht der einzige Faktor der negativ
geprägten, gesellschaftlichen Wahrnehmung im Integrationsprozess. „Sie
erzeugen aber Fremdenbilder und liefern Stoff für eine ideologische Deutung und
Meinungsbildung, indem sie Minderheiten und deren Verhalten in einem
bestimmten Licht erscheinen lassen (sog. framing: »Rahmung«). Sie bestimmen
zudem, worüber eine Gesellschaft sich verständigt, welche Themen und
Probleme diese erörtert und welche sie ignoriert (sog. agenda setting:
»Themenstrukturierung«). In beiden Bereichen sind die Medien umso
17
Hafez, 2013: 216
Schmid, 2010: 11f
19
vgl. Kulturdialog in Tibi, 2000: 68
18
119
TAVAK –Türk-Alman Eğitim ve Bilimsel Araştırmalar Vakfı Yayınları
wirkungsvoller, je geringer der Kontakt der Menschen zu Minderheiten ist und je
weniger diese über alternative Informationsquellen verfügen.“20
Das Verhältnis von Kernsätzen bzw. der Interpretation des Islam durch die heute
in überwältigenden Maße konservative Islamtheologie ist natürlich die
Grundlage und Anknüpfungspunkt für salafististische und darin wieder
Verknüpfungen
zu
gewaltorientierter
Islamrezeption.
Die
radikale
und
terroristisch motivierte Orientierung der islamistischen Gruppierungen lässt sich
ohne die Debatte über eine dem 21.Jahrhundert angemessene Korandeutung und
Bewertung der Sunna und Scharia nicht lösen.Eine Emanzipation vom
„Wahrheitsgehalt“oder Unveränderlichkeit der vor 1400 Jahren gemachten
Aussagen im Islam ist - wie im Christentum auch - notwendige,wenn auch nicht
hinreichende Bedingung um in der Zivilgesellschaft des 21. Jahrhunderts einen
versöhnlichen,versöhnenden und gestaltenden Platz einzunehmen.
8.1 Dialoge der Anerkennung als Basis der Integration
Das Status quo21 der gesellschaftlichen Wahrnehmung muss überwunden werden, um
überspitzte Selbstbilder und Fremdbilder auf beiden Seiten zu korrigieren und
polarisierende Vorurteile nicht mehr zur Grundlage des interreligiösen Gesprächs zu
machen. Die Selbstzentrierung auf beiden Seiten22, gemeint ist der Eurozentrismus und
der Islamozentrismus, schafft keine Verständigung, geschweige denn eine kulturelle
Anerkennung auf der Basis eines Dialoges. Die Frage ist daher nicht, ob ein
Miteinander christlicher, nicht religiös gebundener und muslimischer Menschen in
einer säkularen Gesellschaft möglich ist, sondern wie das Zusammenleben gelingen
20
Hafez, 2013: 211f
vgl. Tibi, 2000:71; Hafez, 2013: 207ff „Gerade auf den Höhepunkten von Krisen und großen Debatten
jedoch, die sich um den Islam ranken –z.B. in der Rushdie-Affäre, im Karikaturenstreit und ohnehin nach dem
11. September – schalten sich die Chefredakteure und Leitartikler als Hüter eines dezidiert Islam-kritischen und
oft sehr verallgemeinernden Status quo der gesellschaftlichen Wahrnehmung ein.“
22
vgl. Tibi, 2000: 66 „[…], die Selbstzentrierung ist nichts spezifisch Westliches; es gibt auch einen
Islamizentrismus. Das bedeutet, daß auch Muslime Weltbilder haben, die sie ohne Anerkennung des anderen auf
nicht-islamische Teile der Welt übertragen.“
21
120
TAVAK –Türk-Alman Eğitim ve Bilimsel Araştırmalar Vakfı Yayınları
kann. Öffentliche Integrationsdebatten über muslimische Migranten sind kein Zeichen
der Anerkennung, sondern lediglich eine Form der Verfestigung populistischer
Islamophobie. Nur der Akt des Dialoges bildet auf längere Sicht eine integrative
Grundlage, die eine Begegnung zwischen der Aufnahmegesellschaft und den
(muslimischen) Migranten ermöglicht. Die gegenteilige Entwicklung sind die
islamophoben Diskurse. Doch „entscheidend für den öffentlichen Dialog über
Anerkennung ist, dass nicht nur über, sondern auch mitMigranten gesprochen werden
muss.“23 Für den Erfolg des Dialogs ist es notwendig herauszufinden, wie die
Deutschen die Welt des Islam beurteilen und wie die Zukunftsvorstellungen der
MuslimInnen für ein friedliches Zusammenleben in Deutschland aussieht.
Eine hoffnungsvolle Entwicklung in diesem Dialog zeigt sich nach den fürchterlichen
Anschlägen in Frankreich im Januar 2015..Erstmals in der Debatte um muslimischen
Terrorismus
hat
es
ein
Parteien,gesellschaftlichen
deutliches
Verbänden
Miteinander
und
von
weiteren
politischen
Gruppen
der
Mehrheitsgesellschaft und Repräsentanten und Dachverbänden der Muslime
gegeben.Durch die verschiedenen Aktionen zur Verteidigung von Demokratie und
Pressefreiheit,von Vielfalt und Friedfertigkeit im Streiten über Werte der
Zivilgesellschaft und des Koran bzw. dessen Interpretation ist zu einem Miteinander
geworden,das eine neue Qualität erhoffen lässt.Auch die Anti-Pegidademonstrationen
zeigen,
dass
gemeinsame
Interessen
und
Werte
von
Mehrheits-und
Minderheitsgesellschaft gemeinsam in Aktion umgesetzt werden können.
Insbesondere ist die bisher doch stark durch Zurückhaltung geprägte Arbeit der
Islamverbände ein ermutigender Fortschritt,weil sie sich implizitgegen eine
konservative
Islaminterpretation
aus
der
salafistischen
Szene
abgrenzen.Dementsprechend werden diese Verbände auch stärker in der Öffentlichkeit
als Partner für einen „gemeinsamen demokratischen Weg, bezogen auf die Rolle des
Islam in der Gesellschaft wahrgenommen.Wird diese Entwicklung fortgesetzt kann es
einerseits zu einem Abbau von Islamophobie und andererseits zu einer zeitgemäßen
Hafez, 2013: 213; 231 „Der Dialog mit den Muslimen erfordert nach Habermas die Anerkennung der
Gleichwertigkeit und –rangigkeit der Dialogpartner: Man sollte also nicht nur über, sondern mit Muslimen
sprechen.
23
121
TAVAK –Türk-Alman Eğitim ve Bilimsel Araştırmalar Vakfı Yayınları
Koraninterpretation für das 21.Jahrhundert kommen,die allerdings auch unverzichtbar
für eine Kompatibilität des Islam mit den Werten der Zivilgesellschaft des
21.Jahrhunderts in einem säkularisierten Staat ist.
9. Islam in Europa
Muslimische Bevölkerung in Europa
Land
Muslimische Bevölkerung
Österreich
525.000
Belgien
638.000
Dänemark
248.000
Finnland
60.000
Frankreich
5.500.000
Deutschland
4.119.000
Griechenland
527.000
İrland
43.000
Italien
1.583.000
Luxemburg
13.000
Holland
1.100.000
Portugal
62.000
Spanien
1.221.000
Schweden
480.000
Vereinigte Königreich
2.869.000
Bulgarien
980.000
Rumänien
180.000
Balkan Staaten
60.000
Polen
280.000
Slowenien
40.000
Slowakei
45.000
Ungarn
85.000
Zypern
285.000
20.943.000
Quelle: PEW- 2010/ TAVAK 2015
Die Bedeutung des Islam in
Europa wächst mehr und mehr.
Dies ist nicht allein der steigenden
Zahl der Muslime geschuldet,
sondern auch der Tatsache, dass
die Auseinandersetzung mit der
"fremden" Religion seit dem 11.
September eine neue Qualität
bekommen hat. Die Vereinbarkeit
von islamischer Tradition und
westlicher
Moderne
werden
diskutiert, die Muslime angesichts
des
islamisch-
fundamentalistischen
Terrors
verstärkt zu einer Klärung der
eigenen Position veranlasst.
Gegenwärtig wächst in allen EUStaaten der Bevölkerungsanteil
der
Muslime.
Innerhalb
der
Grenzen der heutigen EU gab es
122
TAVAK –Türk-Alman Eğitim ve Bilimsel Araştırmalar Vakfı Yayınları
bis 1961 beispielsweise nur rund 140.000 türkischstämmige Muslime, die in erster
Linie als Minderheit in Griechenland lebten. Im Rahmen der Gastarbeitermigration
und des Familiennachzugs wurde der Islam aber dann zu einer der großen
Religionsgemeinschaften in der EU.
Sind die Muslime in Europa integriert? Leben sie in einem Zustand kultureller
Zerrissenheit? Wie bewältigen Muslime in der Migration das Spannungsfeld zwischen
Tradition und Moderne? Dies sind oft gestellte Fragen, deren Beantwortung je nach
gesellschaftspolitischer
wissenschaftlicher
Zielvorstellung,
Herangehensweise
sehr
politischer
Ausrichtung
unterschiedlich
ausfallen
oder
kann.
Letztendlich stellt sich die Frage, welche Art von Islam in Europa momentan
vorherrscht und wie er in Zukunft aussehen wird.
In allen 57
muslimisch geprägten
Staaten unterscheidet sich der Islam.
Terrorbewegungen wie die FIS in Algerien, die Muslimbruderschaft in Ägypten, die
Taliban in Afghanistan, die ISIS in Syrien und der islamische Fundamentalismus in
der Türkei stehen nicht für den Islam als Ganzes, erwecken aber große Befürchtungen
vor den Muslimen insgesamt.
Der Islam in der Migration unterliegt einem dynamischen Wandel, dessen Endprodukt
ein Islamverständnis sein könnte, das sich von nicht-pluralistischenTraditionslinien der
Religionsentwicklung
deutlich
emanzipiert.
Diese
Erkenntnis
ist
umso
bemerkenswerter, als diese Entwicklung seitens der deutschen Aufnahmegesellschaft
bisher kaum aktiv gefördert wurde. Die quasi erzwungene Modernisierung der
Lebensweisen in der Migration hat ebenso wenig in einer Verfestigung eines
traditionellen Religionsverständnisses wie in einer Abkehr vom Islam resultiert –
sondern in religiös-kulturellen Wandel. Dies bedeutet, dass eine aktive Förderung
eines europäischen, pluralistischen Islam bei den muslimischen Migranten in Europa
auf fruchtbaren Boden fallen würde und damit aus integrationspolitischer Sicht mehr
als lohnend erscheint. Es gibt Bewegung, und diese Bewegung deutet für die absolute
123
TAVAK –Türk-Alman Eğitim ve Bilimsel Araştırmalar Vakfı Yayınları
Mehrheit der Muslime nicht in Richtung der Einigung unter dem Dach von
Fundamentalismus oder Islamismus.
Allerdings müssen die islamischen Organisationen in Europa diesen Wandel ihrer
Klientel deutlich entschlossener mit vollziehen und theologisch begleiten als es bisher
der Fall ist. Ein Euro-Islam entwickelt sich, er ist aber noch nicht in dem Sinne
integriert, als sich das Problem der kulturellen Zerrissenheit für seine Angehörigen
nicht mehr stellen würden.
Mitgliedstaaten der Organisation für Islamische Zusammenarbeit
Afghanistan
Libyen
Ägypten
Malaysia
Albanien
Malediven
Algerien
Mali
Aserbaidschan
Marokko
Bahrain
Mauretanien
Bangladesch
Mosambik
Benin
Niger
Brunei
Nigeria
Burkina Faso
Oman
Dschibuti
Pakistan
Elfenbeinküste
Palästina
Gabun
Saudi-Arabien
Gambia
Senegal
Guinea
Sierra Leone
Guinea-Bissau
Somalia
Guyana
Sudan
Indonesien
Suriname
Irak
Syrien
124
TAVAK –Türk-Alman Eğitim ve Bilimsel Araştırmalar Vakfı Yayınları
Iran
Tadschikistan
Jemen
Togo
Jordanien
Tschad
Kamerun
Tunesien
Kasachstan
Türkei
Katar
Turkmenistan
Kirgisistan
Uganda
Komoren
Usbekistan
Kuwait
Vereinigte Arabische Emirate (VAE)
Libanon
Islam in der Europäischen Union
In den 28Mitgliedsstaaten der Europäischen Union leben, wenn auch teilweise in sehr
unterschiedlich großen Zahlen, Muslime. Bei dem übergroßen Teil handelt es sich um
Muslime, die in den vergangenen Jahrzehnten zugewandert sind bzw. um deren Kinder
und Kindeskinder. Neben Staaten, in denen nur sehr wenige Muslime leben – wie
beispielsweise in Irland, Finnland und Portugal -, gibt es andere EU-Staaten, in denen
die Zahl der Muslime eine beachtliche Größe erreicht hat. Die Staaten mit den
höchsten Zahlen in der EU sind Frankreich (6 Millionen), Deutschland (4 Millionen)
und Großbritannien (1,9 Millionen). Ebenfalls in größeren Zahlen leben Muslime in
den Niederlanden (850.000) und Italien (700.000), Spanien (550.000), Belgien
(450.000), Österreich (410.000). Im Falle Griechenlands (370.000) ist auf eine
Besonderheit hinzuweisen: Hier handelt es sich überwiegend um langansässige
Muslime (Türken und Pomaken).
125
TAVAK –Türk-Alman Eğitim ve Bilimsel Araştırmalar Vakfı Yayınları
Mitgliedsstaaten
Zahl der Muslime/Anteil an Bevölkerung
o.Migranten ist wichtig zu wissen
Belgien
450.000
Dänemark
151.000
Deutschland
4.000.000
Frankreich
6.000.000
Finnland
21.000
Griechenland
370.000
Großbritannien
1.900.000
Irland
10.000
Italien
700.000
Luxemburg
7.500
Niederlande
850.000
Österreich
410.000
Portugal
40.000
Schweden
305.500
Spanien
550.000
Bulgarien
1.100.000
Rumänien
160.000
Kroatien
90.000
Slowakei
30.000
Malta
3.000
Zypern
300.000
Estland
20.000
Lettland
10.000
Litauen
15.000
Slowenien
60.000
Polen
200.000
126
TAVAK –Türk-Alman Eğitim ve Bilimsel Araştırmalar Vakfı Yayınları
Ungarn
160.000
Gesamt
17.913.000
Facetten des Islam
Unter den 57 islamisch geprägten Ländern und Staaten gibt es verschiedene
Interpretationen des islamischen Glaubens und die MuslimInnen bilden keine
monolithische Glaubensgemeinschaft. Da es innerhalb des Islam verschiedene
Glaubensrichtungen und Strömungen gibt, und die geographische Verteilung von
Asien, über Afrika bis hin nach Europa reicht, unterscheiden sich die MuslimInnen
weltweit sowohl in der Auslegung, als auch in der Praktizierung des islamischen
Glaubens. So unterscheidet sich beispielsweise der Islam in Afrika deutlich vom Islam
in Saudi-Arabien, ebenso hat der Euro-Islamwenig mit dem islamischen Leben in
asiatischen Staaten, wie Malaysia oder Indonesien gemeinsam. Es gibt nicht den Islam,
sondern viele Facetten des islamischen Glaubens auch innerhalb der islamischen
Gemeinschaft in Europa und Deutschland.
Um dieser Entwicklung entgegenzuwirken, war es längst an der Zeit, sich mit der
gesellschaftlichen Stellung des auf heute 21 Mio. Menschen in der Europäischen
Union
und
des
Bevölkerungsanteils
auf
in
4
Mio.
Deutschland,
Menschen
angewachsenen
auseinanderzusetzen.
Für
muslimischen
ein
besseres
Verständnis des Islam sind in den letzten Jahren die Bemühungen für eine neue
Strukturierung des Islamverständnisses im Rahmen des Euro-Islam gestiegen.
Das Forschungsprojekt betont nachdrücklich, dass eine religiöse und traditionelle
Einstellung und Lebensweise nicht vorschnell mit Extremismus und Islamismus
gleichgesetzt werden darf. Der Islam lehrt keineswegs die Gewaltbereitschaft als
Glaubensziel, und ein Moslem, der fünf Mal täglich betet, darf nicht als ein
Sympathisant einer terroristischen Organisation eingestuft werden.
127
TAVAK –Türk-Alman Eğitim ve Bilimsel Araştırmalar Vakfı Yayınları
10.
Der Euro-Islam nach Bassam Tibi
10.1Ein Konzept für dasfriedliche Zusammenleben der MuslimInnen und
Christen
Der ehemalige Politikprofessor Bassam Tibi erwähnt ausdrücklich, dass nicht der
Islam sondern der Islamismus eine Gefahr für die säkular geprägte europäische
Gesellschaft darstellt. Angesichts dessen ist es von Bedeutung das Bild der in Europa
lebenden Muslime im Gesamtrahmen zu betrachten und die Integrationsgespräche
nicht auf einzelne Teilaspekte zu beschränken, die lediglich zu einer verstärkten
Polarisierung beitragen.
„Im 21. Jahrhundert ist Europa im Inneren durch globale Migration aus der
Welt des Islam und im Äußeren durch seine islamische Umgebung vom
Islam betroffen. In diesem zeitgeschichtlichen Rahmen befindet sich
Europa in der Realität in einem schicksalhaften Zivilisationskonflikt […].
Wenn Europa einen Euro-Islam für seine Wohnbevölkerung fördern würde,
könnte es einen Schari’a-Djihad-Islam abwenden“ (Tibi, 2009: 23)
Seine Prognose stützt Tibi auf dem stetig wachsenden Anteil der muslimischen
Bevölkerung innerhalb der europäischen Grenzen und formuliert seine Vision vom
europäischen Islam, das zur Lösung des Wertekonfliktes zwischen der islamischen und
der christlich, säkular geprägten Gesellschaft beitragen soll. Tibi geht von der
Annahme aus, dass die europäische Gesellschaft und die muslimischen Gruppen sich
in ihren Werten unterscheiden, der als Zivilisationskonflikt gedeutet wird.
Die Bedeutung der Einschätzung von Tibi wird durch die Konfliktlinien der letzten
Jahre deutlich,die zwar auf unterschiedlicher Ebene und Schärfe sind,aber doch Tibis
Einschätzung
von
einem
desLehrstuhlinhabersProf.
Dr.
Grundkonflikt
Chorchide
bestätigen.
-
für
die
Die
Ernennung
erste
islamische
Religionslehrerausbildung in Münster – hat bei den großen Islamverbänden ein
128
TAVAK –Türk-Alman Eğitim ve Bilimsel Araştırmalar Vakfı Yayınları
Konflikt ausgelöst. ChorchidesVerständnis vom Islam im 21.Jahrhundert als eine an
die Moderne und heutige Zeit angepasste Religion, sowie seiner Vorstellung eines
nicht strafenden und offenen Islamverständnisses wurden von muslimischen Vertretern
massiv kritisiert. An den alltäglichen Leben angepasster Islamund das Gottesbild von
Chorchide wurden von den Verbänden, als die einzigen organisierten Islamvertreter,
geradezu als ein blasphemisches oder moderater ausgedrückt zumindest inakzeptables
Islamverständnis gebrandmarkt, weil er den Propheten Mohammed und den Koran
nicht beim Wort nimmt und rezitiert.So gesehen sind die Verbände allem Pluralismus
zum Trotz ins 7.Jahrhundert rückwärtsgewandert und dem Salafismus („Altvorderen“)
im Grunde näher als einem aufgeklärten historisierten Religionsverständnis.Man mag
nun einwenden,dass das in der Orthodoxie der katholischen Kirche auch ähnlich
ist,aber dort ist die Bindewirkung auf die Christen vor Ort ungleich geringer.
Der gewalttätige Islamismus in Gestalt des IS (Islamischer Staat),aber nicht nur des IS
sondern
einer
weltumspannenden
vernetzten
politisch-fundamentalistischen
Herrschafts- und Gewaltphantasie und deren Attraktivität bei vor allem jungen
Menschen zeigt die Notwendigkeit einer grundlegenden Debatte und Domestizierung
orthodoxer Glaubensgrundsätze im Islam. So will eine Schneisegeschlagen werden
zwischen dem konservativem Islamverständnis, das friedlich, Individuum und
Pluralismus akzeptierend ist und dem instrumentalisierenden, fundamentalen Islam er
in Gewaltbereitschaft und ähnlichen Machtansprüchen agiert Faschismus (vergleiche
Hamed Adel Samad).
Tibi als Professor für Internationale Beziehungen führt an der Georg-AugustUniversität in Göttingen den Begriff „Euro-Islam“ erstmals im Jahre 1992 auf einer
Pariser Tagung in die wissenschaftliche Diskussion ein. Am Institut du Monde Arabe
suchten Experten und wissenschaftliche Mitarbeiter inmitten der steigenden Migration
aus der islamischen Welt, nach Konzepten für den Umgang mit Assimilation und
Integration. Bereits 1992 stand der Islam und die muslimische Migration auf Grund
der beobachtbaren Islam-Diaspora24 in europäischen Ländern im Mittelpunkt dieser
24
Tibi, 2009: 23
129
TAVAK –Türk-Alman Eğitim ve Bilimsel Araştırmalar Vakfı Yayınları
Tagung. Bis heute stellen die Musliminnen und Muslime in Europa und in der
französischen Bevölkerung die größte Gruppe unter den Migranten dar.
Der größte Konflikt besteht darin, dass die islamische Lebensweise und die
muslimische Identität nicht ausreichend in das kulturelle System Europas inkludiert
werden. Das Konzept des Euro-Islam ist ein Versuch die europäische Identität und
islamischen Glauben miteinander in Einklang zu bringen25. Diese kulturelle Synthese
ist nur dann möglich, wenn die muslimischen Einwanderer das säkulare, europäische
System anerkennen, ebenso wie die Europäer den Islam anerkennen müssen.
Muslimische Migranten „kommen ohne eine Reform des Islam mit dieser
Weltanschauung Eine Europäisierung des Islam ist nach Tibi, ohne eine kulturelle
Anpassung, die wiederum religiöse Reformen erfordert, nicht möglich nach Europa
und geraten hierdurch in einen Konflikt mit Europas Modell einer westlichen
Gesellschaft, das auf der kulturellen Moderne fußt“26. Die Zusammenarbeit sollte darin
bestehen die muslimische Identität in das säkular orientierte Wertesystem mit
christlichem Hintergrund zu inkludieren. Hinsichtlich dessen lautet die Grundthese
von Bassam Tibi wie folgt:
„Der Zivilisationskonflikt findet zwischen zwei Weltanschauungen statt.
Eine hiervon ist europäisch, die andere ist islamistisch. Die säkulare
zivilisatorische Identität Europas ist dem Modell nach inklusiv, und sie
kann einen offenen Islam aufnehmen sowie europäisieren, aber nur, wenn
dieser von Schari’a und Djihad abgekoppelt wird.“27
Diese Vision von einer euro-islamischen Brückenbildung zwischen den muslimischen
Migranten und der säkularen Gesellschaft in Europa hat seither zunehmend die Gestalt
eines Integrationskonzeptes angenommen. Dabei warnt Tibi nicht vor dem Islam,
25
Tibi, 2009: 11
Tibi, 2009: 8
27
Grundthese in Tibi, 2009: 10
26
130
TAVAK –Türk-Alman Eğitim ve Bilimsel Araştırmalar Vakfı Yayınları
sondern vor einer Schari’a-Djihad orientierten Islamisierung Europas und vertritt im
Rahmen des euroislamischen Konzeptes, dass es einen europäisierten Islam geben
kann, der mit der säkularen Zivilgesellschaft vereinbar ist. Dies erfordert den
gemeinsamen Willen der Muslime und Europäer zusammen eine friedliche Zukunft in
Europa zu gestalten.28
„Ein europäisierter Islam könnte, wenn er gefördert werden würde, die
Verbreitung des islamischen Fundamentalismus in Europa unterminieren.
Wir leben im „Zeitalter der Völkerwanderungen“, die demographische
Verschiebungen in sich birgt, die auch Konflikte zwischen den
Zivilisationen bedingen. Heute ist Europa die „Hauptattraktion“ und das
Ziel der globalen Migration auch für Muslime aus dem Mittelmeerraum.
Die Kultur einer Zivilgesellschaft muss auch für die islamischen und
anderen Migranten gelten, wenn man einen weltanschauliche Krieg der
Zivilisationen abwenden will, der aus dem Zivilisationskonflikt hervorgeht.
Ein dafür notwendiger weltanschaulicher Pluralismus beinhaltet eine
Verteidigung der säkularen Demokratie als der politischen Kultur
Europas.“29
Bassam Tibi betont, dass die Integration der in Europa lebenden Muslimen nur mit
einem europäisierten Islam, der die kulturelle Werteorientierung einer säkularen
Gesellschaft einschließt und die Kultur des Pluralismus annimmt, möglich ist. Des
Weiteren besteht Tibi darauf, dass ein einzig Schari’a-Djihad orientiertes
Islamverständnis nicht im Einklang mit den Grundinhalten der europäischen
Gesellschaft und dem dazugehörigen kulturellen System steht.
Sein Konzept des Euro-Islam, das Tibi erstmals auf der Pariser Tagung darlegt und die
Leistungen die von muslimischen Migranten, sowie von Europäern zu Gunsten eines
friedlichen Zusammenlebens in Europa erbracht werden müssen, erläutert der
ehemalige Politikprofessor im Rahmen des Konzeptes. Ein europäischer Islam müsste
als Werteorientierung folgendes umfassen (siehe Tibi, 93ff):
28
29
vgl. Tibi, 2009: 20
Tibi, 2000: 86
131
TAVAK –Türk-Alman Eğitim ve Bilimsel Araştırmalar Vakfı Yayınları
1. Die Laizität beziehungsweise Säkularität ist im beschränkten
Sinn einer Trennung zwischen Religion und Politik in das
islamische Denken einzubauen. Entsprechend darf der Schari’aIslam als „Straf-, Staats- und Wirtschaftssystem“ nicht im
Namen einer falsch verstandenen Toleranz Zugang nach
Europa finden.Säkularisierung darf jedoch nicht zu einer
umfassenden
Heiligtümer
Profanisierung
mehr
kennt.
führen,
Wir
weil
finden
diese
diese
keine
wichtige
Unterscheidung zwischen „institutioneller Säkularisierung“ und
„kultureller Profanisierung“ bei dem Harvard-Soziologen
Daniel Bell. Auch in einer europäisch-säkularen Gesellschaft
soll es noch immer „Heiligtümer“ geben: zum Beispiel die
individuellen Menschenrecht und die Demokratie; sie zu
verletzen, bedeutet die europäischen Heiligtümer zu schänden.
Auf profaner Ebene kann dies nicht geleistet werden.
2. Die Verbindung von Laizität und säkularer Toleranz, die sich
erheblich von der islamischen Toleranz unterscheidet, ist zu
akzeptieren.
3. Außerdem
Pluralismus,
gehört
der
dazu
ein
religiöser
Relativismus
und
und
kultureller
Neoabsolutismus
gleichermaßen abweist.
4. Dann zählt zu den Bestandteilen eines Euro-Islam die säkulare
Demokratie,
das
heißt
ein
moderner
Staat,
der
auf
demokratisch-säkularen Grundlagen beruht und parallel zu
einer als Zivilgesellschaft zu definierenden „open-society“
existiert.
132
TAVAK –Türk-Alman Eğitim ve Bilimsel Araştırmalar Vakfı Yayınları
5. Als letztes Element ist die bereits angeführte Zivilgesellschaft
zu nennen, die Grenzen zwischen Öffentlichem und Privatem
setzt. Die Zivilgesellschaft erkennt Religion als Privatsache an
und entfernt sie im Interesse des inneren Friedens aus dem
öffentlichen Leben, so dass die öffentliche Sphäre streng
säkular ist.
Die mit diesen fünf Bereichen verbundenen Inhalte machen den
Kern […] vom Euro-Islam aus. Das Plädoyer für einen Euro-Islam
ist gerichtet an die islamischen Migranten, die eine demokratische
Brücke zwischen Orient und Okzident sein können, wenn sie dies
wollen. Wenn die deutsche Islam-Diaspora sich dagegen sträubt
und die Perspektive der Schari’a im Kontrast zu der diametral
entgegengesetzten
kulturellen
Moderne
bevorzugt,
dann
verschließen sich die Muslime für Europa. Ohne es zu wollen,
nähren sie hierdurch jede Form der Islamophobie, weil sie Europa
fremd bleiben.
Unter den Bedingungen der muslimischen Zuwanderung gibt es demnach zweierlei
Szenarien: zum einen das Szenario einer Ghettoisierung der islamischen Gruppen und
eine schleichende Islamisierung in Europa, zum Anderen die Option einer Versöhnung
des Islam mit der säkularen Demokratie und den Euro-Islam als eine Perspektive für
ein friedliches Miteinander in Europa ohne gegenseitige Fremdbilder zu erzeugen.
Ferner ist der Dialog mit dem Islam nicht nur eine außenpolitische Angelegenheit mit
der islamischen Welt, sondern bestimmt im Kontext der Migration auch die
Innenpolitik der einzelnen europäischen Länder. Innenpolitisch gesehen ist es für die
Zukunft Deutschlands wichtig für einen Dialog mit den muslimischen Migranten die
Islamisten und den Fundamentalisten (etwa 100 000 von ca. 4 Millionen) von
gläubigen Muslimen zu unterscheiden.
133
TAVAK –Türk-Alman Eğitim ve Bilimsel Araştırmalar Vakfı Yayınları
Die Erzeugung von Feindbildern ist folglich genauso integrationshemmend wie die
ausnahmslose Heroisierung alles Fremden in einer Form er multikulturellen Toleranz30
Tibi spricht sich daher ausdrücklich gegen den Import des Islamismus im Namen
derToleranz31. Er erläutert, dass Islamisten die demokratischen Freiheiten sich zu
Nutze machen und die Toleranz für sich beanspruchen, um sich eine Freizone in der
säkularen Gesellschaft schaffen. Auf diese Weise wollen sie ihre fundamentalistischen
Ideologien schleichend zu unterbreiten32. Selbstverständlich ist die gegenseitige
Toleranz unabdingbar für einen Dialog.
„Es ist eine Seltenheit, gute Nachrichten aus dem Dialogbereich zu lesen.
Gleichzeitig dominieren Katastrophen-; Terror- und Kriegsmeldungen aus
der islamischen Welt und aus dem Bereich des gewaltbereiten politisch
motivierten
Islamismus
die
öffentliche
Wahrnehmung.
Vor
dem
übermächtigen Bild eines als inhärent gewaltbereit dargestellten Islams
sinkt die Bereitschaft, sich lokal im Dialog zu engagieren“ (Miehl, :159).
Nicht die Gesamtheit aller Muslime, sondern der islamische Fundamentalismus und
ihre Anhänger sind als eine Gefahrenquelle zu erkennen. Gleichermaßen muss seitens
der Muslime die freiheitlich-demokratische Ordnung und säkulare Gesellschaft
Europas (hier: Deutschlands) verbindlich anerkannt werden.
Um nicht in einer polemischen Debatte, wie es in den Medien und öffentlichen
Diskussionen oftmals der Fall ist, zu münden, sollte demnach zunächst von den Fakten
ausgegangen werden. „Durch die einseitige Konzentration auf Themen wie die
Verschleierung der Frau (Kopftuch) und die religiöse Unterweisung muslimischer
Kinder wird die Diskussion verkürzt und verzerrt, indem sie auf Teilaspekte
verschoben wird. Die Folge ist, dass die Problematik der Integration einer
Menschengruppe mit anderen zivilisatorischen Werten und Normen vernebelt wird,
statt über sie aufzuklären.“33
Ferner
gibt
es
nicht
den
monolithischen
Islam
sondern
unterschiedliche
Glaubensströmungen innerhalb des Islam, sowie eine innereuropäische Pluralität,
30
vgl. Tibi, 2000: 22;71
vgl. Tibi, 2000: 23
32
vgl. Tibi 2009: 70;99
33
Tibi, 2000: 21f
31
134
TAVAK –Türk-Alman Eğitim ve Bilimsel Araştırmalar Vakfı Yayınları
sodass diese beiden zivilisatorischen Größen eine innere Vielfalt aufweisen. Dennoch
gibt es einen Kern-Islam und einen Kern der Idee Europas, von der ausgegangen muss,
um eine kulturelle Synthese und die Inklusion im Kontext der Migration anzustreben.
Mittlerweile leben die Migranten muslimischen Glaubens bereits in der dritten
Generation in Deutschland. Die Problematik der gesellschaftlichen Integration dieser
Menschen wurde von der Politik und den Parteien lange Zeit vernachlässigt oder lange
Zeit mit den falschen Konzepten angegangen. Während das konservativ-bürgerliche
Lager die Bundesrepublik lange Zeit nicht als Einwanderungsland betrachten wollte,
hing das linksliberale Lager multikulturellen Wunschvorstellungen nach. Beide
Perspektiven waren auf ihre Weise realitätsblind und führten in der Kombination dazu,
dass integrationspolitische Probleme nicht angegangen wurden. Dadurch waren viele
Migranten nicht dazu angehalten, sich mit der Sprache und Kultur des Landes, in das
sie eingewandert waren, auseinanderzusetzen. Als Folge kam es, gerade in urbanen
Zentren, zu
Ghettoisierungsprozessen
und
zur
Bildung so
genannter
Parallelgesellschaften.
Solange die muslimischen Mitbürger nicht in das Gemeinwesen der europäischen
Länder eingebunden werden, werden sie sich zunehmend von der Gesellschaft
abschirmen und Parallelgesellschaften aufbauen.Das gilt zu verhindern.
135
TAVAK –Türk-Alman Eğitim ve Bilimsel Araştırmalar Vakfı Yayınları
10.2Der Euro-Islam und Islam in Deutschland
Die Hauptberührungspunkte Deutschlands mit dem Islam haben ihren Ursprung in der
jungen Geschichte deutsch-türkischer Beziehungen. Mit der Anwerbung türkischer
Arbeitskräfte in den sechziger Jahren wuchs die muslimische Präsenz in Deutschland
und nahm erstmals eine gesellschaftlich wahrnehmbare Größe an. Anfang der 1980er
wurden erste Moscheebauten genehmigt.
„Spätestens Anfang 2000 entdeckten die politischen Parteien Muslime als
Wählerpotential und bezogen Muslime in ihre Programme ein, die Medien
gaben
Muslimen
vermehrt
eine
öffentliche
Plattform
für
Meinungsäußerungen. Die gesellschaftliche Teilhabe wurde in den letzten
50 Jahren schrittweise ausgebaut und muslimische Positionen werden
mittlerweile als selbstverständlich zur Kenntnis genommen34“
Dennoch besteht noch in vielen Lebensbereichen Handlungsbedarf. Trotz des türkisch
geprägten Charakters ist zu beachten, dass die muslimische Gesellschaft nicht exklusiv
türkisch ist und die Gleichsetzung der Muslime mit den Türken nicht der tatsächlichen
Lage entspricht.Mit der Heterogenität der islamischen Migration weltweit und der
wachsenden muslimischen Gemeinschaft, nahm die konfessionelle und kulturelle
Vielfalt innerhalb der islamischen Gemeinde in Deutschland gleichermaßen zu.
Seit den 1960er Jahren hat sich die Gesamtzahl der Muslime auf in Deutschland auf
circa 4 Millionen Menschen erhöht und ihre Zugehörigkeit zumIslam ist mitunter ein
Aspekt ihrer kulturellen Identität.
„Menschen sind in ihrer seelischen und geistigen Verfassung, also in Bezug
auf ihre Identität und ihre Weltbilder, nicht durch die Zugehörigkeit zu
Staaten, sondern durch lokale Kulturen geprägt. Ähnlich ausgerichtete
lokale Kulturen gruppieren sich zu übergeordneten Zivilisationen. Auch
Muslime verinnerlichen ihre Weltanschauungen durch ihre familiäre
Sozialisation und ihre soziale Umwelt.
34
Schmid, 2010: 22
136
TAVAK –Türk-Alman Eğitim ve Bilimsel Araştırmalar Vakfı Yayınları
Trotz der bereits angesprochenen lokal-kulturellen Vielfalt im Islam gibt es
eine einheitliche islamische Weltanschauung. Kurz: Die Muslime in Europa
gehören weltanschaulich zu islamischen Zivilisation.“35
Ebenso hat auch Deutschland als ein europäisches Land eine eigene säkular geprägte,
kulturelle Identität, die nicht-islamisch ist. Wenngleich die Integrationganz oben auf
der politischen Tagesordnung steht, hat sich weder die deutsche Politik und
Gesellschaft bis heute als integrationsfähig, noch die muslimische Bevölkerung in
Deutschland als integrationswillig erwiesen. Die Integrationsdebatten nehmen eine
Form der Polarisierung an. Sind wir uns der Bedeutung dieser Aussage bewusst,wenn
wir sie so aufschreiben und was folgt daraus?
Die
deutsche
Suche
nach
einem
islamischen
Gesprächspartner scheint ein Konzept für eine Politik der
Integration zu ersetzen. Jede deutsche Islam-Politik muss
aber
folgende
Basis-Probleme
und
Gegebenheiten
berücksichtigen und daraus Konsequenzen bei der
Erstellung der erforderlichen Konzepte ziehen36:
1) Die islamische Gemeinde ist vielfältig geworden und
nicht mehr exklusiv türkisch. Ein Drittel der in
Deutschland lebenden Muslime sind sprachlich und
kulturell keine Türken. Dies zwingt zu einer neuen
Sicht
der
Problematik
und
zur
Aufgabe
der
Gleichsetzung des Islams mit den »den Türken«.
2) Die islamische Gemeinde in Deutschland besteht nicht
exklusiv aus Sunniten […], so dass der von
sunnitischen Islamisten getragen Islam-Rat nicht für
alle Muslime sprechen kann.
35
36
Tibi, 2000: 64f
Tibi, 2000: 14f
137
TAVAK –Türk-Alman Eğitim ve Bilimsel Araştırmalar Vakfı Yayınları
3) Entsandte Lehrer aus dem Ausland sind ein Hindernis
für die Integration a) weil sie die Probleme der hier
geborenen Kinder und die Gesellschaft nicht kennen
und b) weil sie Instrumente ihrer fremdstaatlichen
Herkunfts-Institutionen zur Einwirkung auf die IslamGemeinde in Deutschland sind.
4) Eine einheitliche Islam-Gemeinde kann es unter
Anerkennung des Grundrechts auf Glaubensfreiheit in
Deutschland nicht geben a) weil die Moschee ein
Gebetshaus für alle Muslime und keine einheitliche
Kirche ist und b) weil es eine große religiöse Vielfalt
im Islam gibt, der kein »Rat« und keine Institution
Rechnung tragen kann.
5) Jenseits des konfessionellen und ethnischen Zwists
innerhalb der Islam-Diaspora kann der Islam nach
einer liberalen Interpretation in Einklang mit der
säkularen
Demokratie
stehen.
Islamismus
und
Orthodoxie stehen dagegen in Kontrast, ja in Konflikt
mit jeder säkularen Demokratie, mit den individuellen
Menschenrechten und einer pluralistisch aufgebauten
Zivilgesellschaft. Diese Einschätzung ist für den
Islam-Unterricht von höchster Relevanz und zwingt zu
entsprechenden Konsequenzen.
Die heutige Realität ist, dass etwa 5 Prozent der Bevölkerung in Deutschland dem
muslimischen Glauben angehören. Ein Großteil dieser rund 4 Millionen Menschen
kam
im
Zuge
der
Anwerbungsmaßnahmen
in
den
Jahren
des
138
TAVAK –Türk-Alman Eğitim ve Bilimsel Araştırmalar Vakfı Yayınları
„Wirtschaftswunderlands“ Bundesrepublik in den 1950er und 1960er Jahren nach
Deutschland. Wie es der bezeichnende Begriff „Gastarbeiter“ aussagt, ging man
seinerzeit – und aus heutiger Perspektive blauäugig – davon aus, die Menschen
würden einige Jahre als Arbeitskräfte bleiben und dann wieder in ihre Heimat
zurückkehren. Der Schweizer Schriftsteller Max Frisch brachte die Problematik mit
dem viel zitierten Diktum auf den Punkt: „Wir riefen Arbeitskräfte, und es kamen
Menschen.“
Mit der Verlagerung des Lebensmittelpunktes nach Deutschland wurden die deutsche
Gesellschaft und die muslimischen Migranten vor neuen Herausforderungen gestellt
und der muslimisch-christliche Dialog gewann innenpolitisch betrachtet eine neue
Dimension. Es dauerte bis zum Jahr 2010, als mit Christian Wulff ein deutscher
Bundespräsident feststellte, dass der Islam inzwischen zu Deutschland gehöre – eine
Aussage,
die
zu diesem
Zeitpunkt
bereits
seit
mehreren
Jahrzehnten
die
gesellschaftliche Realität in Deutschland widerspiegelte.
Mittlerweile ist die Integration von Migranten wieder verstärkt Thema der politischen
Debatte.
Besonders
die
Kommunen
erwarten
von
Bund
und
Ländern
Lösungsvorschläge für die zahlreichen Herausforderungen und Probleme.
Wenn in 20 Jahren die Mehrheit der Menschen unter 50 Jahren – in vielen kleineren
und größeren Städten – einen Migrationshintergrund hat und wenn ein großer Teil
dieser Mehrheit immer noch
•
Deutlich schlechter deutsch spricht,
•
Deutlich weniger qualifizierte Ausbildungs- und Arbeitsplätze hat
•
Und so deutlich unterrepräsentiert ist in gesellschaftlichen Organisationen wie
Sportvereinen, Rettungsorganisationen, sozialen und kulturellen oder politischen
Initiativen und Gruppen.
Die außenpolitischen Beziehungen mit der islamischen Welt wurden zunehmend zu
einem wichtigen Aspekt der Innenpolitik und der interreligöse Dialog ist auch heute
noch unbeantworteten Fragen hinsichtlich eines friedlichen Zusammenlebens
ausgesetzt. In wieweit kann die islamische Lebensweise der muslimischen Gruppen in
die säkular geprägte, christliche Gesellschaft inkludiert werden und wie kann das
139
TAVAK –Türk-Alman Eğitim ve Bilimsel Araştırmalar Vakfı Yayınları
Miteinander glücken? In diesem Sinne sollte nach einer Bestandsaufnahme der
heutigen Situation und im Rahmen einer wissenschaftlichen Aufarbeitung auch die
Frage gestellt werden, in welchen Bereichen des Alltags sich das christlichmuslimische Leben immer mehr als schwierig erweist und wie sich die Zukunft besser
gestalten lässt.
Für eine zukunftsorientierte Perspektive ist der Schwerpunkt, wie anfänglich
dargelegt, auf die gesellschaftlichen Prozesse und auf interreligiöse Begegnungen im
gewöhnlichen Alltag zu setzen. In welchen Lebensbereichen und sozialen Feldern
(Moschee-Entwicklung, Kindergarten, religiöse Unterrichtung muslimischer Kinder,
Altenpflege, Krankenhausaufenthalt (ambulant und stationär – muslimische und
gemischte Einrichtungen), Begräbnispraxis (getrennte und gemeinsame Friedhöfe,
islamisches Bestattungsritual), soziale Kontrolle in muslimischen Gemeinschaften)
gibt es beispielsweise weiterhin Handlungsbedarf.
Die christlich-muslimische Dialoglandschaft wird in den letzten 30 Jahren in
bundesweiten Dachverbänden, sowie in Stiftungen und verschieden Initiativen für den
interreligiösen Dialog organisiert. Die Islamwissenschaftlerin Melanie Miehl versuchte
bereits 2005 auf einer Fachtagung zu „Islam und Deutschland“ den Fokus von
Gesprächen
über
"missglückte"
Integrationsbemühungen
auf
das
gelungene
Miteinander zu richten. Um diese Thematik kurz anzuschneiden, bietet sich daher der
Beitrag „Begegnung von Muslimen und Christen in Deutschland“ von Miehl, die
selber 2003 bis 2008 zu einer der christlichen Vorsitzenden des Dachverbands
Koordinierungsrat des christlich-islamischen Dialogs in Deutschland (KCID)
angehörte, an. Miehl verschafft einen Einblick in das zivilgesellschaftliche
interreligiöse
Engagement
anhand
unterschiedlicher
Vereinigungen
sowie
bundesweiten Dachverbänden von Dialoginitiativen37. Wichtig sei es aber, „dem
Dialog auf Bundesebene eine Stimme zu geben, wie sie bisher leider gefehlt hat. 30
Jahre Erfahrung im christlich-islamischen Dialog können so für Politik und
Gesellschaft, Kirchen und muslimische Organisationen erschlossen werden“38
37
38
Miehl, 2005: 164ff
Miehl, 2005: 168
140
TAVAK –Türk-Alman Eğitim ve Bilimsel Araştırmalar Vakfı Yayınları
10.3 EuroIslam und EuroMuslime
a) Die Ablehnung einer traditionellen, überkommenen Scharia
Knapp 21 Millionen Muslime die innerhalb der Europäischen Union leben weichen
natürlich von den traditionellen islamischen Staaten ab. Diese Personen wollen nicht
nach den Scharia Gesetzen wie in Saudi Arabien oder andere Staaten Leben. Die sind
Bestandteileiner säkularen Gesellschaft und sind loyal zu den Verfassungen des
Landesund die kann man vergleichen mit den islamischen Staaten wie die Türkei
Indonesien oder aber Tunesien.
b)Das Prinzip der Säkularität
Da die über fast 25% der Euromuslime aus der Türkei stammen und seit 1924
Bestandteil des säkularen Systems sind haben auch von ihrem Heimatland her die
Säkularität voll akzeptiert und oder stark akzeptiert und an ihre Kinder übertragen.
Man kann diese Aussage auch für diejenigen sagen die aus den Maghreb Staaten
stammen wie Tunesien und Algerien.Natürlich war diese Säkularität auch bei dem
alten Jugoslawien unter Tito auch ein Bestandteil der Gesellschaftd.h. die Säkularität
aus den Heimatländer sind auch in den jeweiligen EU Staaten gepflegt worden.
c) Kompatibilität islamischer Lebensweisen mit den Normen der Industriegesellschaft
Migration aus islamisch geprägten Staaten fing im Jahre 1961 mit dem Ankara
Abkommen an. Die Migration ist teilweise von industrialisierten Regionen derTürkei
oder Exjugoslawien gekommen und sie haben natürlich die Normen der
Industriegesellschaft teilweise aus ihren Heimatland gesehen aber haben sehr stark bei
ihrem Leben während der 60er Jahre in den Industriegesellschaften Deutschland
Frankreich oder Österreich voll akklimatisiert. Die haben nach den Grundsätzen der
Industriegesellschaft
d.h.
Arbeitszeiten
werden
nicht
durch
islamische
Angelegenheiten wie beten oder fasten unterbrochen.
d) Treue zu verfassungsmäßigen Ordnung der Aufnahmeländer und Zustimmung zu
Demokratie und Pluralität
Die Bekenntnis und Treue an die verfassungsmäßige Ordnung der Aufnahmeländer ist
für ein friedliches Zusammenleben erforderlich. Die Akzeptanz der Demokratie und
141
TAVAK –Türk-Alman Eğitim ve Bilimsel Araştırmalar Vakfı Yayınları
der Pluralität der Aufnahmeländer sind ein Bestandteil der westlichen Ordnung, die in
muslimisch geprägten demokratischen Staaten von den Migranten teilweise bekannt
ist. Diese Treue an die Ordnung wird oft durch die Aufnahmeländer betont, da einige
Migranten sich mehr an ihre Heimatländer gebunden fühlen.
e)Abnehmende Solidarität in der Generation der Industriegesellschaft
Traditionsmäßig haben die Migranten, die nach Europa gekommen sind ihre
Solidarität mit ihren Eltern ausgeübt d.h. muslimische Migranten haben auch die
Pflege ihrer Eltern in ihrem Heimatland übernommen. In der Industriegesellschaft
stellt man fest, dass die Zahl der Familien immer kleiner wird. Zurzeit beträgt die Zahl
der Personen pro Familie bei den türkischen Migranten in Deutschland 3,4. Nach einer
Untersuchung der TAVAK-Stiftungmit katholischen,griechisch-orthodoxen und
muslimischen Migranten d.h. Italiener,Griechen und Türken war es festzustellen, dass
57% der älteren Italiener im Notfallin ein Altersheim gehen würden. Bei der älteren
Generation der türkischen Migranten betrug dieser Anteil nur 7% aber als man die
gleiche Frage jungen türkischen Migranten gefragt hat, hatten 28% der muslimischen
jugendlichen gar nichts dagegen, wenn ihre Elternin einAltersheim gehen.
Der Solidaritätskonflikt der Generationen steigt durch die Integration in die
Industriegesellschaften der jungen Migranten. In Frankreich kann man dies sehr gut
beobachten, da die muslimische Migranten aus den Maghreb Staaten sich von der
kollektiven Natur ihrer älteren Generation abwenden und die individualistische
Industriegesellschaft aneignen.
142
TAVAK –Türk-Alman Eğitim ve Bilimsel Araştırmalar Vakfı Yayınları
10.4Euro-Islam als empirischer Tatbestand
Es muss betont werden, dass die quasi zwanghafte Modernisierung der muslimischen
Bevölkerung in Deutschland eben so wenig in einer Verfestigung eines traditionellen
Religionsverständnisses wie in einer Abkehr vom Islam resultierte – die
Modernisierung und das Leben in der Migration haben vielmehr zu religiöskulturellem Wandel geführt. Wo dieser Wandel nicht stattfindet, scheint sich indessen
eher die Annahme der Abhängigkeit statischer (oder sogar sich vertiefender)
traditionell-religiöser
Orientierungen
von
der
schlechten
Teilhabe
an
den
gesellschaftlichen Ressourcen und Prozessen in Deutschland zu bestätigen […] als die
Behauptung eines Islamismus als Speerspitze einer alternativen Modernisierung.
Insofern finden die jungen Attentäter des 11. September auch keine Entsprechung in
den soziodemographischen und sozioökonomischen Zusammenhängen mit dem
Religionsverständnis der muslimischen Migranten in Deutschland.
Dies bedeutet, dass eine aktive Förderung eines europäischen, pluralistischen Islam bei
den muslimischen Migranten in Deutschland auf fruchtbaren Boden fallen würde und
damit aus integrationspolitischer Sicht mehr als lohnen erscheint. Bestimmte
normative Forderungen wären an einen solchen "Euro-Islam" zu stellen. Er müsste auf
fünf Säulen fußen: der Ablehnung einer traditionellen, überkommenen Scharia, dem
Prinzip des Laizismus, der Kompatibilität islamischer Lebensweisen mit den Normen
der Industriegesellschaft, Treue zur verfassungsmäßigen Ordnung der Aufnahmeländer
und Zustimmung zu Demokratie und Pluralität.
Das Potential für einen europäischen Islam ist also vorhanden. Allerdings wird auch
deutlich, dass in der Realität noch immer ein Spannungsfeld zwischen Religiosität und
Integration verbleibt. Diese zu schließen ist eine wichtige Aufgabenstellung sowohl
für die deutsche Politik wie auch die islamischen Gemeinden. Letztere müssen sich
verstärkt einer Theologie zuwenden, die die veränderte Lebenswirklichkeit der
Muslime aufgreift und sie nicht in einen Spagat zwischen Islam und Moderne zwingt.
Flankiert werden muss eine solche Entwicklung durch eine möglichst weitgehende
Gleichstellung des Islam und Muslime in Deutschland. […]
143
TAVAK –Türk-Alman Eğitim ve Bilimsel Araştırmalar Vakfı Yayınları
Der Islam in Europa weist in den unterschiedlichen Aufnahmeländern sehr
unterschiedliche, herkunftsspezifische Ausprägungen auf. Ob die sich in der Zukunft
in der Migration herausbildenden, authentischen und neuen Formen des Islam
tatsächlich auch eine Annäherung der Muslime in Europa an einen gemeinsamen
Euro-Islam bedeuten werden oder ob dieser zunächst eine normative Setzung bleibt, ist
noch offen. Aber eines ist sicher: Es gibt Bewegung, und diese Bewegung deutet für
die absolute Mehrheit der Muslime nicht in Richtung der Einigung unter dem Dach
von Fundamentalismus oder Islamismus.
144
TAVAK –Türk-Alman Eğitim ve Bilimsel Araştırmalar Vakfı Yayınları
11.
Resümee der Forschungsauswertung
Der Euro-Islam und Islam in der Diaspora
Am Ende der Untersuchung sollte die Theorie vom Euro-Islam geprägt werden. Es
gibt
auf
der
Welt
57
islamisch
geprägte
Staaten,
die
bei
islamischen
Koordinierungskreisen organisiert sind, aber der Islam variiert von Staat zu Staat sehr
stark voneinander. Unabhängig von den Staaten sind die Regierungen für den Islam
maßgebend. In einer Stadt wie Essen, in der 20.000 türkischstämmige MuslimInnen
leben sind 17 Moscheevereine vorhanden, während der Moscheebau in Aserbaidschan
seit 1991 nach dem Zerfall der Sowjetunion und jahrelanger Verdrängung des Islam
erst in den letzten Jahren angestiegen ist.
Beim Euro-Islam ist es indes möglich einen Wandel festzustellen. In der Europäischen
Union, in der 21 Million Muslime leben, darunter 5,4 Millionen Türken und Araber
aus den Maghreb-Staaten, stellen wir fest:
1. Nicht alle Migranten islamischen Glaubens sind Anhänger der Scharia. Es
existiert an einen Alltag und an die heutige Zeit angepasstes Islamverständnis.
Eine Distanzierung von den Scharia-Gesetzen unter den muslimischen
Migranten.
2. Daraus ergibt sich, dass die Mehrheit der in Deutschland lebenden
MuslimInnen zu den Verfassungen des Staates in der sie leben loyalist und die
Gesetze achten.
3. Die Solidarität in der Industriegesellschaft unter Generationen geht verloren.
Selbst wenn die ältere Generation muslimischerMigranten das Altersheim nicht
als eine Option wahrnimmt, hat die dritte Generation muslimischerKinder keine
Einwände gegen eine Pflege in einem (interreligiösen, interkulturellen) Pflegeund Altersheim. Daraus folgt, dass die in Deutschland aufwachsende
Generation mit Migrationshintergrund nicht zwangsläufig an anatolische,
arabische und traditionelle Familienstrukturen gebunden ist.
4. Es ist maßgebend das in Industriegesellschaften nach den Normen gelebt wird,
sodass den Gebetszeiten fünf Mal täglich nicht regelmäßig nachgegangen
werden kann.Im Gegenzug wächst die Bedeutung am Freitagsgebet; das
145
TAVAK –Türk-Alman Eğitim ve Bilimsel Araştırmalar Vakfı Yayınları
zugleich den Zusammenhalt und das Gemeinschaftliche symbolisiert. Auch die
Fastenzeit (Ramadan) und das Opferfest (Kurban Bayrami) werden von den
muslimischen Migranten befolgt.
Der Kern desIslam ist auch unter den MuslimInnen in Deutschland derselbe geblieben,
aberes ist eine Werteverschiebung festzustellen. In der Diaspora nehmen muslimische
Migranten ihre Werte mehr in Anspruch und die Grundpfeiler des islamischen
Glaubens werden konsequenter befolgt.Aber diesen Zustand als integrationshindernd
zu bezeichnen wäre nicht korrekt. Als Beispiel sind die muslimischen Organisationen
zu erwähnen, die jährlich während dem Fastenmonat Ramadan bundesweitchristlichmuslimische Fastenbrechen in unterschiedlichen Einrichtungen organisieren und sich
für die Integration aktiv und offensichtlich einsetzen.
Feindbild Islam
Bis zum Zerfall der Sowjetunion und der Unabhängigkeitserklärung der einzelnen
Sowjetstaaten im Jahre 1991, prägte die UdSSR das Feindbild des Westens. Nach dem
sich dieses Feindbild nach der Ära Gorbatschows zu einem Freundbild entwickelt hat,
brauchte der Westen ein neues Feindbild. Mit der FIS in Algerien, Muslimbrüder in
Ägypten, Al Qaida in Afghanistan, dem Chomeini im Iran, sowie der Hamas im
Libanon und der Necmettin Erbakan Bewegung in der Türkei, wurde und wird dieses
Feindbild bis heute nachhaltig geprägt.
Einerseits ist der Islam durch den 11. September 2001 in den letzten 10 Jahren in
einen Generalverdacht geraten, anderseits hat aus dem Blickwinkel von 2014 der
islamisch begründete Terror enorm zugenommen. Die Islamisierung und als bestes
Beispiel die jüngsten Erdogan-Aussagen zur Stellung der Frau und dass der Westen
die Muslime und ihre Kinder nur tot sehen wollen, hinterlassen in Deutschland
prägende Wirkung und verstärken die Abwehr und das Kopfschütteln bei aufgeklärten
Menschen. Nach Putin steht Erdogan als Staatsoberhaupt der Türkei an zweiter Stelle
der am meist kritisierten Politiker. Angefangen von seinen Äußerungen in der Türkei
oder seiner teilweise antidemokratischen Haltung (als die jüngsten Ereignisse die
Proteste um den Gezi-Park) trifft die Politik vom Staatspräsidenten Erdogan in den
deutschen Regierungsreihen auf Ablehnung. Auf der anderen Seite wurde festgestellt,
146
TAVAK –Türk-Alman Eğitim ve Bilimsel Araştırmalar Vakfı Yayınları
dass der Stimmenanteil von Erdogan bei türkischen Muslimen bei über 72 Prozent
liegt. Viele der in Deutschland lebenden (türkischstämmigen) Muslime identifizieren
sich mit Erdogan. Bei dieser Entwicklung spielt die Vernachlässigung der deutschen
Regierung gegenüber den Migrantengruppen, die Nazi-Morde die jahrelang nicht
entdeckt worden oder fragwürdige Brandfälle, wie der letztere in Ludwigshafen eine
entscheidende Rolle. Die weitgehend passive Haltung, die Angela Merkel und Ihre
Koalition in solchen Fällen beibehalten, führte bei muslimischen Migranten zu einer
Abkehr gegenüber der deutschen Politik.
Erdogan
wie
auch
die
Islamverbände
mit
ihrem
Bekämpfen
liberaler
Islamwissenschaft – am Beispiel des Prof. Chorchide an der Uni Münster sind Wasser
auf die Mühlen von Angstmachern vor dem Islam und zeigen den vorhandenen
Wertekonflikt wie Tibi ihn auch beschreibt.Seit Tibis Thesen hat sich der von ihm
beschriebene Konflikt im Sinne eines zivilisatorischen Konfliktes zwischen dem Islam
und der Zivilgesellschaft des 21. Jahrhunderts verschärft.
Noch immer wirkt der Islam als rückständig und mit der Demokratie, sowie den
Menschenrechten als nicht vereinbar. Die religiöse Zugehörigkeit zum Islam wird
zunehmend
mit
Terror,
Gewalt,
Frauenunterdrückung
und
Menschenrechtsverletzungen in Verbindung gesetzt, da die Medien den Kontext für
eine negative Wahrnehmung des Islam liefern. Die Erwartungshaltung in Form einer
Distanzierung vom Islam, auch unterbreitet von den Medien, hat sich nach den
Terrorbewegungen in der Gesellschaft festgesetzt. Von den einflussreichen
islamischen Organisationen und muslimischen Verbänden erwartet man insbesondere
eine Reformierung des Islam. Im Grunde ist diese Haltung ein Maßstab für die
Außenwahrnehmung des islamischen Glaubens.
147
TAVAK –Türk-Alman Eğitim ve Bilimsel Araştırmalar Vakfı Yayınları
Transparenz des Islam
Dennoch kann die Mehrheitsgesellschaft keine Reformen bezüglich der Religion einer
Minderheit erwarten. So wie man von griechisch-orthodoxen Christen und von Juden
nicht verlangen sollte ihre Religion zu ändern, kann man so was von den muslimischen
Migranten in der Diaspora nicht verlangen. Es muss zwischen Terror und dem im
Alltag praktiziertem Glauben klar unterschieden werden. Was man von den Muslimen
verlangen kann, um einige Beispiele genannt zu haben, ist, dass sie sich so weit
öffnenMischehen
zwischen
Geschlechtertrennung
bei
zwei
Religionen
ärztlichen
zu
tolerieren
Behandlungen
und
absehen.
von
einer
Derartige
Hemmschwellen sollten und müssen in der Tat überwunden werden.Bei Christen,
Juden und Muslimen ist es grundsätzlich, dass sichbeide Gesellschaften in ihrer
religiösen Zugehörigkeit akzeptieren. Man sollte immer die Theorie von Gotthold
Ephraim Lessing in „Nathan der Weise“ in der Nibelungen Aussage bringen: "
welcher Ring ist der richtige von den drei Ringen". Entweder sind alle drei falsch oder
alle drei sind richtig. Wir gehen davon aus, dass alle drei richtig sind. Als
Mehrheitsgesellschaft kann von MuslimInnen verlangt werden, dassich der Islam und
die muslimischen Migrantender Mehrheitsgesellschaft öffnen und sich von der
Mehrheitsgesellschaft nicht verbergen. Der Islam muss in der Diaspora mehr an
Transparenz gewinnen.
148
TAVAK –Türk-Alman Eğitim ve Bilimsel Araştırmalar Vakfı Yayınları
Forschungs- und Handlungsempfehlungen
Die TeilnehmerInnen verdeutlichen, dass Gesprächskreise häufig nur unter
ExpertInnen und FunktionsträgerInnen in Form von exklusiven Veranstaltungen
stattfinden. Gesprochen wird über die Lebenswelten bestimmter Personen, jedoch
nicht mit den betreffenden Menschen. Eine Sozialraumbegehung mit NichtFunktionsträgern und unter Vermeidung einer dichotomen Aufteilung, d.h. mit
Personen unterschiedlicher Kultur, Ethnizität und Religionszugehörigkeit sowie
soziokultureller Milieus des jeweiligen Quartiers könnte dazu dienen, Menschen zu
erreichen, die an institutionellen oder universitären/hochschulischen Programmen
nicht teilnehmen und deren Lebenswelten zu erkunden und gemeinsam zu gestalten.
Man muss davon ausgehen wenn jetzt junge Türken oder andere Muslime an
deutschen Hochschulen im Religionsbereich ausgebildet werden, werden sie den
Euroislam näher kennenlernen und pflegen. In jedem Falle soll islamischer
Religionsunterricht gewährleistet werden und die Lehrer sollten möglichst in
Deutschland
ausgebildet
sein.
Wenn
muslimische
Studenten
im
Studium
Religionslehrer oder islamische Religionstheorie als Hauptfach wählen, könnten sie
eine bessere Struktur des Islams durch ein Curriculum verwirklichen. Das heißt, wenn
der Islam als Religionsunterricht anerkannt wird, soll das Curriculum nicht komplett
aus dem Senderland stammen, aber auch nicht nur aus Deutschland kommen, sondern
eine Curriculum-Entwicklungsgesellschaft sollte mit 15 Personen erstellt werden. Fünf
Personen aus den Herkunftsländern, fünf Experten aus Deutschland und fünf
Migranten aus Deutschland. Dadurch, dass die neue Generation in Deutschland
aufgewachsen ist und die Religionslehrer, sowiedie Imame in Deutschland ausgebildet
worden sind, kann das Curriculum erstellt werden und sich besser etablieren.
In diesem Zusammenhang können Einrichtungen des Sozialwesens auch als Vermittler
zwischen (Kommunal-) Politik und BürgerInnen in den Stadtteilen fungieren: Die
Zieldivergenzen bspw. den Bereich Schule betreffend könnten in einem weiteren
Themenworkshop „Was kann die Schule zur interkulturellen Gemeinschaftsbildung
beitragen?“
mit
SchulpolitikerInnen
und
BürgerInnen
aus
unterschiedlichen
Gesellschaftsbereichen bearbeitet werden.Die Kontakte und kulturellen Kenntnisse
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TAVAK –Türk-Alman Eğitim ve Bilimsel Araştırmalar Vakfı Yayınları
zwischen Migranten und Deutschen in Nordrhein-Westfalen sind angesichts des hohen
Migrantenanteils gering. Hier ist zu prüfen, welche Informationen, Angebote und
Veranstaltungen die jeweils "andere Gruppe" erreichen, beziehungsweise verfehlen
und entsprechend die positiven Effekte nachzubessern. Institutionen, Organisationen
und Vereine beider Seiten müssen die jeweils andere als Zielgruppe begreifen und sie
auf dieser Basis erreichen. Religiösen Einrichtungen kommt hier besondere
Verantwortung zu.
Das multikulturelle NRW lässt sich, gegebenfalls in der Erweiterung des Slogans
„Zusammenleben ist das Ziel“, zu einer Großkampagne aller Bereiche bündeln und ins
Stadtmarketing einbinden und als positiv konnotiertes Merkmal nach außen
tragen.„Zusammenleben ist das Ziel“ sollte als Integrationsbegriff und Symbol von
interkultureller Gemeinschaft auch in anderen Bereichen Verwendung finden und kann
als Marke eine Stadt, Zukunftsausrichtung und einzelne Projekte zusammenfassen und
auf die Gesellschaft übertragen. Sowohl Feste von Deutschen als auch Feste von
Migrantenorganisationen müssen ihre Angebote so gestalten, dass unterschiedliche
Kulturen in ihren Bedürfnissen angesprochen werden. Für eine Initiative der
Institutionen und Verbände ist in den nächsten Jahren gezieltes Handeln erforderlich.
Neben den religiösen Einrichtungen kommt den Medien, Bildungseinrichtungen,
Kindergärten, dem Einzelhandel, sowie Vereinswesen und Unternehmeneine große
Bedeutung zu.
So könnten Unternehmen und Betriebe von Migranten stärker in die wirtschaftliche
Strategie,
Ausrichtung
und
den
Austausch
untereinander
(z.
B.
Wirtschaftsförderungsgesellschaft, Rotary etc. ) eingebunden werden und sich dort
engagieren. Neuinvestitionen von Migranten in der Region sollen mit ausländischen
Arbeitgebervereinen besprochen werden damit zukünftig qualitative hochwertige
Betriebe entstehen. Die Stadt und die Wirtschaftsförderungsgesellschaft könnten eine
gezielte Strategie für die Förderung einer Migrantenökonomie entwickeln und
zunächst eine Bestandsaufnahme zu Zahl, Struktur, Umsatz, Mitarbeitern und
Förderbedarf
durchführen.Im
Bereich
der
Wirtschaftsgesellschaft
und
solltenMigranten motiviert werden, sich selbstständig zu machen und für die Stadt (als
150
TAVAK –Türk-Alman Eğitim ve Bilimsel Araştırmalar Vakfı Yayınları
Standort) zu engagieren. Im Medienbereich können spezielle Volontariate, Trainees,
Hospitanten und Praktika bei lokalen Zeitungen einen entsprechenden Input für die
Redaktion bewirken und gleichzeitig die Zeitung als Medium in die Haushalte
bringen.Neue Modellprojektemüssen im Bereich der Medien gemeinsam entwickelt
werden. Darüber hinaus können Medien Leser, Hörer und freie Mitarbeiter mit
Migrationshintergrund über eine sensible Themenauswahl gewinnen.
151
TAVAK –Türk-Alman Eğitim ve Bilimsel Araştırmalar Vakfı Yayınları
Das Projekt: „Islam 2030“
„Islam 2030“ konnte im Hinblick auf die Forschungsfrage nach dem „muslimisch
nicht-muslimischen Zusammenleben im Jahr 2030“ darstellen, dass die Zielgruppe des
Projekts durchaus auch positive Entwicklungen und Ressourcen sieht; gleichzeitig
existieren Barrieren und Hemmschwellen, die ein fortschrittliches Zusammenleben in
Teilen behindern, die aber anders als in der öffentlichen Wahrnehmung mitunter
vermutet und durch einige Forschungsarbeiten scheinbar bestätigt, nicht oder nicht
ausschließlich kausal mit der muslimischen Glaubenskultur zusammenhängen. Das
wurde
durch
die
„breite“
Untersuchung
der
Differenzkategorien
und
Klassifikationsübertragungen zwischen Erstgenannten deutlich: Eine Erkenntnis, die
ggf. noch hätte erweitert werden können, wenn nicht auch der Workshop - trotz des
scheinbar vorteilhaften Ansatzes MuslimInnen und Nicht-MuslimInnen gemeinsam zu
befragen - noch ein zu exklusiv institutionelles Moment unter FunktionsträgerInnen
dargestellt hätte. Der Appell des „Islam 2030“-Teams lautet daher: Interkulturelle
Sozialforschung und Migrationsarbeit muss unmittelbar in die Lebenswelten und
Sozialräume einsteigen.
Gesamtauswertung der wesentlichen Ergebnisse
Die Auswertung der quantitativen und qualitativen Fragebögen, sowie die Ergebnisse
der offenen Diskussionsrunden von MuslimInnen und Nicht-MuslimInnen sind
Grundlage dieses Forschungsprojektes, da sie neben statistischen Ergebnissen auch
praktische Erfahrungen/ Erkenntnisse aus dem alltäglichen Zusammenleben liefern.
Die Gesamtbewertung der Befragung stellt Wünsche und Forderungen an die
Zivilgesellschaft sowie die an die Politik dar. Wie können diese Konflikte entschärft
bearbeitet und tolerant gelöst werden?
Es wird zum einen im Bereich Schule und Bildung gefordert, dass die Schule nicht nur
als Bildungsort fungieren soll, sondern auch einen Ort für Gemeinschaftsbildung
ausmacht sowie für kulturelle Aufklärung und Sensibilisierung agieren soll. Häufig
handeln Schulen laut Fragebogenauswertung in den befragten Städten nicht aus
Eigeninitiative und dieses Verhalten versäumt es das Potential zu nutzen, um über
152
TAVAK –Türk-Alman Eğitim ve Bilimsel Araştırmalar Vakfı Yayınları
anderskulturelle, -ethnische und religiöse Phänomene aufzuklären. Die Klassengröße
und die damit verbundene Gemeinschaft stellen optimale Bedingungen zum
Zusammenleben dar. Der Fokus liegt hierbei auch darauf, die kulturelle
Auseinandersetzung in dem genannten Kollektiv zu fördern. Die junge Generation in
der Gesellschaft welche sich durch Normen und Werte definiert, ist objektiv und ohne
jegliche Präjustiz. Die Mehrheit der Nicht-Muslimen prognostiziert bei einem
fehlenden Halt innerhalb des Gesellschaftssystems ein sozial auffälliges Verhalten bei
den Muslimen.
Diese Hypothese könnte zu einer Diskussionskultur führen, welche den kulturellen
Austausch verstärkt. Außerdem wird von den Befragten der Wunsch geäußert
Migranten in die säkular geprägten Feste und Rituale besser zu integrieren und in
Bezug auf diese Annahme Rücksicht, auf ihrer Kulturbedingten und religiös geprägten
Eigenschaften zu nehmen. Um den kulturellen Austausch fördern zu können wird von
vielen Befragten sowohl von Muslimen als auch von Nichtmuslimen immer wieder der
Wunsch
nach
einem
internationalen
Kulturzentrum
geäußert,
um
das
Entwicklungshemmnis in Bezug auf das Miteinander, aufzulösen welches in vielen
Bereichen vorhanden ist. Die Zukunft kann nur unter Einbeziehung und Aufarbeitung
der
Vergangenheit
stattfinden,
diese
Fiktion
macht
deutlich,
dass
das
Integrationsproblem politisch-strukturell und nicht in der muslimischen Kultur
begründet wird. Daneben wird von vielen Elternteilen der Wunsch bekundet,
Konfessionen und Religionsgemeinschaften neu auszurichten und mehr zugänglich zu
gestalten. Um den Bildungspolitischen Bereich auszuweiten und gegenwartsbezogen
zu gestalten, gilt es die Lehrpläne und Schulbücher dementsprechend zu assimilieren.
Zudem treten teilweise durch ethnische, -religiöse und kulturelle Differenzen
Spannungen zwischen den Gesellschaftsgruppen unterschiedlicher Herkunft auf.
Zum anderen wird im Zusammenhang von Politik und Arbeitsmarkt von vielen
Teilnehmern ausgesprochen, dass die Rahmenbedingungen auf dem Arbeitsmarkt
entsprechend den politischen Leitlinien verändert werden sollen, welche Richtlinien
im Einzelnen gemeint sind, geht aus der Befragung nicht hervor. Ein weiterer
relevanter Punkt ist, die Chancengleichheit auf dem Arbeitsmarkt. Im Zuge dessen
153
TAVAK –Türk-Alman Eğitim ve Bilimsel Araştırmalar Vakfı Yayınları
strebt die Gesellschaft das Ziel an, einen sogenannten „Nachteilsausgleich“ einführen
zu wollen. Final soll dies zur Erleichterung führen bezüglich der Einstellungstests für
Nichtdeutsche. Eine weitere Ambition in dem Bereich soll die Einführung von
anonymisierte Bewerbungen sein und die Beschäftigungsquote für Migranten.
In Bezug auf Gremien wird gefordert, dass auch dort mehr Rücksicht auf Migranten
genommen werden soll und sie zudem in die politische Arbeit miteinzubinden. Bisher
ist dies laut Interviewfragen nicht der Fall, immer wieder werden Muslime aus
Gremien ausgeschlossen. Des Weiteren wird der interkulturelle Kontakt im Bereich
der Medien in Frage gestellt. In diesem Kontext wird von den Befragten eine objektive
statt subjektive Berichterstattung erwartet. Die muslimischen Befragten sind der
Meinung, dass dadurch eine sensible Themenauswahl rund um den Islam erfolgen
muss, um die Objektivität zu stützen. Aber nicht nur in dieser Sektion ist Toleranz ein
wichtiger Bestandteil, sondern in allen öffentlichen Bereichen.
Im öffentlichen Bereich wird seitens der Nicht-Muslime an die sozialen Netze der
Migranten und ihre zunehmende Bedeutung für die lokale Ökonomie als Unternehmer
und Immobilienbesitzer appelliert, die Basis für eine intensive Mitwirkung in der
Stadtteilentwicklung zu sein. Um dieses Postulat erfüllen zu können muss die
muslimische Gemeinschaft ihre Verbände und Einrichtungen öffentlich zugänglich
machen und die deutsche Leitkultur miteinbeziehen, zum Beispiel durch
deutschsprachige Angebote. Die Aufgabe Angebote zur Kommunikation und
Begegnung und zum interkulturellen Dialog zu schaffen liegt laut Aussagen bei der
Stadt NRW. Allerdings betrachten die Teilnehmer diese Annahme als kritisch denn es
sei zweifelhaft ob sie auch die Migranten erreichen. Die Auswertungen der Umfragen
haben weiterhin ergeben, dass engagierte Bürgerinnen und Bürger bei der
Selbstorganisation, Projektentwicklung und Umsetzung subventioniert werden wollen.
In den Sektoren in den es bereits funktionierende Netzwerke gibt, trägt das
bürgerschaftliches Engagement maßgeblich zur erfolgreichen Stadtteilentwicklung bei.
Ein großes Thema sowohl bei der Befragung als auch bei den Interviews war
Gesundheit und Pflege. Speziell die Muslime äußern ihre genaue Vorstellung zu dieser
Thematik. Sie befürworten, dass mehr Wert auf die Ausbildung in diesem Komplex
154
TAVAK –Türk-Alman Eğitim ve Bilimsel Araştırmalar Vakfı Yayınları
gelegt werden soll. Der Fokus liegt darin, die religiösen Gegebenheiten zu achten und
zu wahren. In diesem Feld soll die Ausbildung Sensibilisieren und Aufklärung leisten.
Viele der Befragten fühlen sich nicht dementsprechend behandelt und sehen dies als
ein Hindernis in der christlich geprägten Gesellschaft. Gesundheitsförderung schränkt
sich nicht auf den medizinischen Bereich ein, sondern muss auch an den Humanismus
angepasst werden. Speziell für Muslime gilt es, Präventions- und Gesundheitsangebote
sowie Programme zur Gesundheits- und Ernährungsberatung bereitzustellen. Die
junge muslimische Generation sieht in den Hygienevorschriften, Ritualen und in der
Kommunikation ein weiteres Defizit, welches es zu ändern gilt. Somit ist ein
Ansatzpunkt
gegeben,
der
zum
nächsten
umstrittenen
Thema
führt.
Die
Totenversorgung ist auch für die in NRW lebenden Muslime zu einem der wichtigsten
Themen geworden, das geht aus den Befragungen in allen Städten hervor. Das Sterben
der fast 4,3 Millionen Muslimen in NRW gehört mittlerweile auch dazu. Denn mit der
letzten Ruhestätte, werden nachfolgende Generationen an das Auswanderland
gebunden. Auch die Option von Angehörigen, den Toten in der „Fremde“ bestatten zu
lassen, lockert die Bindung zur alten Heimat. Diese Hypothese bestätigen viele der
Befragten.
Elementar für die Überführung des Leichnams ins eigene Heimatland ist der Wunsch
einer islamisch vorgeschriebenen Bestattungszeremonie. In Deutschland gilt im
uneingeschränkt die Sargpflicht, wohingegen im Islam die Beisetzung im Leichentuch
vorgesehen ist. Die neuere Entwicklung zeigt, dass Bundesländer wie BadenWürttemberg und Nordrhein-Westfalen ihre Bestattungsgesetze überarbeiten und in
Zusammenarbeit mit Friedhofsverwaltungen versuchen Muslimen in Deutschland
Beisetzungen nach islamischem Brauch zu ermöglichen. Diese Entwicklung verläuft
sehr progressiv und die muslimischen Befragten sehen dies als einen entscheidenden
Prozess, der ihnen das Gefühl gibt, akzeptiert zu werden.
In der Freizeitgestaltung begrüßen viele Befragte die positive Entwicklung im Bereich
Fußball. Viele Jugendliche muslimischer Migranten sind aktiv in deutschen
Sportvereinen tätig, weil sie dort unter anderen Jugendlichen sind und somit ihre
155
TAVAK –Türk-Alman Eğitim ve Bilimsel Araştırmalar Vakfı Yayınları
Selbstverwirklichung ausleben können. Diese Modifikation lässt sich allerdings nur
bei den männlichen Muslimen erkennen.
Final lässt sich sagen, dass in vielen Milieus eine Veränderung festzustellen ist, welche
die Befragten sowohl annehmen als auch ablehnen. Allerdings gibt es trotz der
positiven Entwicklung noch einige Aspekte die unvermeidlich durch Projekte
verbessert werden müssen, an vielen dieser Stellen gibt es noch Handlungsbedarf.
156
TAVAK –Türk-Alman Eğitim ve Bilimsel Araştırmalar Vakfı Yayınları
Literaturverzeichnis:
Tibi,
Bassam,Euro-Islam:
Die
Lösung
eines
Zivilisationskonfliktes,WBG
(Wissenschaftliche Buchgesellschaft), Darmstadt 2009
Tibi, Bassam, Der Islam und Deutschland: Muslime in Deutschland, Deutsche
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Boztepe, Ahmet Fuat, Türken in Deutschland, in: Integration und Islam hrsg.:
Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF), Nürnberg 2006, online verfügbar:
http://www.bamf.de/SharedDocs/Anlagen/DE/Publikationen/SchriftenreiheAsyl/schrif
tenreihe-band-14.pdf?__blob=publicationFile, S.86-101
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