Solidarität - Fachsymposium

Werbung
Ein Lob der Staatsverschuldung »
Junge Ordnungsökonomik
Die Ethik der Staatsverschuldung
Was hat die katholische Soziallehre damit zu tun?
Von Daniel Koch am 27. Juni 2011
Sie sind der 3276. Leser dieses Posts.
Beitrag
drucken
Beitrag mailen
Sind ethische Fragen in der gegenwärtigen Diskussion zur Staatsverschuldung relevant? Mit
welchem Leitfaden lässt sich eine konsensfähige normative Analyse der Thematik
durchführen? In welchem Verhältnis stehen moralische und ökonomische Beurteilung der
Staatsverschuldung?
Staatsverschuldung ist eines der derzeit beherrschenden Themen. Dabei dreht sich die
(ökonomische) Diskussion in erster Linie um Effizienzfragen. Nach der ethischen Dimension
der Thematik wird entweder gar nicht gefragt, oder es wird automatisch und ohne fundierte
Begründung angenommen, dass Staatsverschuldung abzulehnen sei. Die Moral zu
vernachlässigen mag aus Sicht der VWL zulässig sein, für die Öffentlichkeit hingegen ist sie
– insbesondere nach der jüngsten Finanzkrise – sehr wohl von Bedeutung. Die
Durchsetzbarkeit eines Vorschlags hängt entscheidend von seiner Legitimität ab, diese
wiederum hängt daran, ob er gleichermaßen als effizient und moralisch richtig empfunden
wird.
Die führenden Ökonomen in der Anfangszeit der sozialen Marktwirtschaft hatten dies
erkannt. Für Walter Eucken galt: „Die Wirtschaftspolitik aber soll die freie, natürliche,
gottgewollte Ordnung verwirklichen.“ ((Eucken 1990) S. 176.) Für Giersch war die normative
Ökonomik – verstanden als „auf das Wirtschaftsleben angewandte Ethik“ ((Giersch 1961) S.
26.) – ein selbstverständlicher Bestandteil jeder ökonomischen Analyse.
Damit stellt sich die Frage nach einem moralischen Leitfaden zur normativen Beurteilung der
Staatsverschuldung. Es gilt, eine Denkschule zu finden, die ausreichend breite
gesellschaftliche Relevanz und Akzeptanz genießt, die auf einem allgemein konsensfähigen
geistigen Fundament steht und die gleichzeitig umfassend genug ausgearbeitet und präzisiert
ist, dass sich aus ihr relevante Aussagen zu verschiedenen Spezialgebieten ableiten lassen.
Auch wenn der Name es nicht vermuten lässt, ist die katholische Soziallehre eine der wenigen
Denkschulen, die all diese Kriterien erfüllt. Anders als es der Name erwarten lässt, ist die
katholische Soziallehre eben keine religiöse Lehre, die auf christlich-biblischen Geboten fußt
und sich (nur) an gläubige Katholiken richtet. Vielmehr handelt es sich um ein streng
philosophisch argumentierendes Gedankengerüst, das sich an »alle Menschen guten Willens«
richtet. Man findet hier tatsächlich eine Denkschule vor, die zwar natürlicher Weise nicht von
allen geteilt wird, die aber von Struktur und Fundament her zumindest allgemein
konsensfähig sein kann.
Insbesondere der Umstand, dass die deutsche Verfassung und Wirtschaftsordnung
entscheidend von dieser Lehre geprägt wurden, zeigt, dass sie geeignet ist, als Richtschnur für
eine normative Untersuchung finanz- und wirtschaftspolitischer Fragen zu dienen. Für einige
der »Väter der sozialen Marktwirtschaft«, insbesondere Erhard, Müller-Armack und Briefs,
war die katholische Soziallehre neben dem von Eucken geprägten Ordoliberalismus der
Freiburger Schule eines von zwei Leitkonzepten, aus denen sie das neue System entwickelten.
Auch das Grundgesetz wurde in seiner Entstehung von der katholischen Soziallehre
beeinflusst. Dabei kommt ihr besonders zu Gute, dass sie bewusst keine konkreten Modelle
vorgibt. Sie versteht sich als gedanklicher Leitfaden, der Ziele und Grundprinzipien vorgibt.
Die Übertragung dieser Grundsätze auf konkrete Fragestellungen, wie in diesem Fall die
Staatsverschuldung, bleibt Aufgabe der jeweiligen Fachgebiete unter Maßgabe der aktuellen
wissenschaftlichen Erkenntnisse.
Aussagen der katholischen Soziallehre
Ziel der katholischen Soziallehre ist es, eine gute Gesellschaftsordnung zu prägen, und allen
Menschen ein gelingendes Leben zu ermöglichen. Dabei richtet sie sich an die gesamte
Gesellschaft und möchte über die Grenzen der religiösen Gemeinschaft hinauswirken. Um
diese universelle Anwendbarkeit zu erreichen, argumentiert die katholische Soziallehre streng
philosophisch und nicht theologisch. Sie greift dafür in erster Linie auf die Naturrechtstheorie
zurück. Unter Naturrecht wird im Allgemeinen eine Art ewiges Urrecht verstanden, das ein
verbindliches System rechtlicher Normen bildet, und welches vor und über allem positiven
Recht angesiedelt ist. Ein zweiter Grundpfeiler der katholischen Soziallehre, neben der
Naturrechtstheorie, ist das christliche Menschenbild.
Sie strebt zwei Ziele an, die sich wie ein roter Faden durch alle Überlegungen hindurch
ziehen:
- Die Sicherung des individuellen Wohlergehens
- Die Errichtung einer guten Gesellschaftsordnung
Um die genannten Ziele zu erreichen, müssen aus Sicht der katholischen Soziallehre drei
Grundnormen verwirklicht werden:
- Freiheit
- Gerechtigkeit
- Gemeinwohl
Ohne Freiheit kann sich das Individuum nicht entfalten, nicht zu seiner Bestimmung
gelangen, kann es also keine gute Gesellschaftsordnung geben. Gerechtigkeit wird im
aquin’schen Sinne verstanden als der Wille, jedem sein Recht zuzuteilen. Entsprechend muss
Gleiches gleich, und Ungleiches ungleich behandelt werden. Gemeinwohl heißt, dass es den
Menschen ermöglicht werden soll, sich zu entfalten und ihre Persönlichkeit zu entwickeln.
Aus diesen drei Normen leiten sich die Prinzipien ab, das sind die konkreten Forderungen der
katholischen Soziallehre, die als Maßstab an das Handeln des Staates, an die Struktur der
Institutionen, an den Aufbau der Gesellschaft angelegt werden sollen. Die Einhaltung dieser
Prinzipien führt zur Verwirklichung der Normen. Sie sind alle miteinander verbunden und
führen jeweils zur Erfüllung des anderen.
- Personalität
- Solidarität
- Subsidiarität
- Nachhaltigkeit
Das Personalitätsprinzip besagt, dass die menschliche Person unter allen Umständen
Gegenstand und Ziel aller gesellschaftlichen Einrichtungen sein muss. Alles – Staat, Gesetze,
Institutionen, Wirtschaftsordnung – muss dazu dienen, dass der Mensch sich entfalten und zu
seiner Bestimmung gelangen kann. Solidarität beruht auf einem allgemeinen
Zusammengehörigkeitsgefühl aller Glieder der Gesellschaft und besteht in dem Streben dach
einem Wohlergehen aller. Solidarität bedeutet, dass die einzelnen Glieder einer Gesellschaft
füreinander und für das Ganze einstehen. Beim Subsidiaritätsprinzip geht es um eine
funktionelle Strukturierung der Gesellschaft. Allgemein ausgedrückt besagt es, dass Aufgaben
auf einer möglichst niedrigen Ebene angesiedelt sein sollten, so lange diese dazu sinnvoll in
der Lage ist. Das Nachhaltigkeitsprinzip fordert, die Bedürfnisse der Gegenwart so zu
befriedigen, dass die Möglichkeit zukünftiger Generationen, ihre Bedürfnisse zu befriedigen,
nicht aufs Spiel gesetzt wird.
- zum Vergrößern bitte auf die Grafik klicken –
Die Ethik der Staatsverschuldung
Welche Schlussfolgerungen lassen sich nun aus dem bislang geschilderten für die ethische
Beurteilung der Staatsverschuldung ziehen? Wie lassen sich diese allgemeinen Aussagen der
katholischen Soziallehre für die Evaluierung der Staatsverschuldung operationalisieren?
Dafür gilt es, konkrete Kriterien abzuleiten und einen Kriterienkatalog aufzustellen, anhand
dessen sich verschiedene institutionelle Arrangements abprüfen lassen.
Setzt man Normen und Prinzipien der katholischen Soziallehre zueinander in Relation, lässt
sich eine Matrix aufspannen, in deren Felder sich konkrete Kriterien schreiben lassen, wie die
einzelnen Prinzipien zur Erreichung des jeweiligen Prinzips beitragen.
- zum Vergrößern bitte auf die Grafik klicken –
Eine detaillierte Diskussion aller Kriterien und ihrer Implikationen für die Staatsverschuldung
würde hier den Rahmen sprengen. Daher sollen nur die Kernpunkte herausgegriffen werden
(ausführlicher hier).
Eine eingehende Untersuchung der entsprechenden Kriterien zeigt, dass ausufernde
Staatsverschuldung der Erreichung des Freiheitsziels entgegensteht. Folgende Generationen
müssen ohne Gegenleistung höhere Steuern zahlen, was dem Kriterium der
Entfaltungsfreiheit entgegensteht. Die Einengung der Handlungsspielräume durch den
Zinsdienst verletzt das Kriterium der Entscheidungsfreiheit. Eine Ausnahme ergibt sich
jedoch beim Vorliegen einer Goldene Regel. Hier lässt sich Staatsverschuldung durch
intergenerative Solidarität bei der Finanzierung rechtfertigen. Des Weiteren schränkt
Staatsverschuldung die Organisations- und Handlungsfreiheit künftiger Generationen ein.
Etwas differenzierter ist das Bild im Hinblick auf das Gerechtigkeitsziel. Hier kann
Staatsverschuldung gleichermaßen ein Instrument zur Herstellung von Gerechtigkeit, wie
auch ein Verstoß gegen das Gerechtigkeitsgebot sein. Das Kriterium der Lastengerechtigkeit
erlaubt einerseits die Verteilung von Lasten gemäß des anfallenden Nutzens, wendet sich
jedoch gleichzeitig gegen die Weitergabe von Lasten, denen kein solcher gegenübersteht.
Ebenfalls aus dem Solidaritätsprinzip speist sich das Universalitätskriterium. Demnach fordert
die intergenerative Solidarität von späteren Generationen, der Gegenwart in besonderen
Notsituationen zu helfen. Konkret heißt dies, dass Kredite zur Bewältigung besonderer Krisen
eingesetzt werden können. Allerdings muss auch die Ausgangsgeneration zur Tilgung dieser
Lasten herangezogen werden. Es geht nicht darum, dass alle Lasten einfach weiterverschoben
werden dürfen. Die Beteiligungsgerechtigkeit fordert, die Ausgangssituation späterer
Generationen nicht zu verschlechtern. Staatsverschuldung für Investitionen sind damit
akzeptabel. Jenseits dieser engen Grenzen wird Staatsverschuldung auch unter
Gerechtigkeitsaspekten kritisch gesehen. Die negativen Folgen einer steigenden
Verschuldung, z.B. aufgrund nicht vorgenommener Abschreibungen oder konsumptiver
Kredite, Verstoßen gegen die Beteiligungsgerechtigkeit und das Nachhaltigkeitsgebot.
Spätere Generationen werden bevormundet, so dass ihre Eigenverantwortung eingeengt wird.
In eine ähnliche Richtung gehen die Schlussfolgerungen aus dem Gemeinwohlziel.
Staatsverschuldung ist zulässig, solange sie das Wohl der Betroffenen fördert, einen höheren
Nutzen als Kosten verursacht, späteren Generationen eine bessere Ausgangsposition
ermöglicht und effizient eingesetzt wird. Insbesondere bei kurzfristiger Verschuldung, die zur
Überbrückung von Schwankungen eingesetzt und zeitnah zurückgeführt wird, ist das der Fall.
Bei langfristiger Verschuldung ist das in der Realität jedoch leider nur zu selten der Fall. Es
kommt es zu unerwünschter Umverteilung, Wohlfahrtsverlusten, Inneffizienzen und
Politikversagen.
Zusammenfassend lässt sich festhalten: In engen Grenzen, wie z.B. bei außergewöhnlichen
Katastrophen oder für nützliche Investitionen, kann Staatsverschuldung ethisch zulässig sein.
Dabei muss jedoch sichergestellt sein, dass auch die Gegenwart sich schon an den Lasten
beteiligt, dass Investitionskredite nach ihrem Verbrauch wieder abgezahlt werden und dass es
zu keinem Missbrauch kommt. In allen anderen Fällen ist Staatsverschuldung unter
moralischen Gesichtspunkten abzulehnen.
Andersherum dargestellt lässt sich konstatieren, dass eine nicht durch eine Goldene Regel
gedeckte Staatsverschuldung die Personalität verletzt, unsolidarisch gegenüber späteren
Generationen ist, nicht dem Subsidiaritätsprinzip entspricht und unnachhaltig ist.
Die oben dargestellte allgemeine Kriterienmatrix der katholischen Soziallehre lässt sich
folgendermaßen auf das Unterthema Staatsverschuldung anpassen:
- zum Vergrößern bitte auf die Grafik klicken –
Verhältnis von Ethik und Ökonomie
Entgegen dem oft postulierten Widerspruch von Ethik und Ökonomie ist die moralische und
die wirtschaftliche Sichtweise auf Staatsverschuldung nahezu identisch. Auch weite Teile der
VWL kritisieren wirtschaftliche und politische Nachteile einer überbordenden Verschuldung
und fordern ihre Beschränkung.
Es ist moralisch wie ökonomisch gleichermaßen wünschenswert, dass Staatsverschuldung nur
in engen Grenzen zugelassen wird. Sie kann kurzfristig genutzt werden, oder in besonderen
Krisensituationen, ggf. auch im Rahmen einer Goldenen Regel. Langfristiger, konsumptiver
und nicht durch Gegenwerte gedeckter Verschuldung hingegen ist ein Riegel vorzuschieben.
Für eine wirksame Begrenzung von Staatsverschuldung einzutreten ist das Gebot der
ökonomischen Vernunft, wie auch ethische Verpflichtung.
Weiterführende Links
Eine Ausführlichere Darstellung dieser Überlegungen findet sich hier.
Vorschläge, wie eine ethisch und ökonomisch sinnvolle Begrenzung aussehen könnte finden
sich hier.
Literatur
Eucken, W. (1990): Grundsätze der Wirtschaftspolitik, Tübingen.
Giersch, H. (1961): Allgemeine Wirtschaftspolitik
Herunterladen