Soziologisches Institut der Universität Zürich Dominik Unternährer Seminar: Soziologie der politischen Parteien HS 2011 Prof. Dr. Hans Geser 22. Dezember 2011 Der Einfluss von Parteien und Wahlen auf die Staatsverschuldung Von Uwe Wagschal (1996) Staatsverschuldung gehört in westlichen Industrieländern zu den wichtigsten politischen Problemen. Die Untersuchung von Wagschal setzt sich damit auseinander und richtet das Augenmerk mit dem Einfluss von Parteien und den Auswirkungen des Wahlzeitpunktes auf zwei mögliche Bestimmungsfaktoren. Diese werden auf drei Vergleichsebenen untersucht: Dem Vergleich der 18 bzw. 21 OECD-Ländern von 1960 bis 1992 bzw. von 1973 bis 1992, dem Vergleich der alten Bundesländer (ausser Berlin) der BRD von 1960 bis 1992 sowie einer Untersuchung der kommunalen Kreditaufnahme von 468 Gemeinden der BRD zu den Zeitpunkten 1980, 1985 und 1990. Diese getrennte Analyse ermöglicht fundiertere Aussagen zu den beiden Bestimmungsfaktoren der Verschuldung, da jede staatliche Ebene unterschiedliche institutionelle Rahmenbedingungen aufweist. Zudem wird vermutet, dass der Einfluss der Parteien auf die Staatsverschuldung bei niedrigen Gebietskörperschaften eine geringere Rolle spielt und damit zusammenhängend auf Gemeindeebene eher Sach- denn Parteipolitik dominiert. Theoretische Grundlagen und Hypothesen Theoretische Grundlage für die Annahme, dass der Wahlzeitpunkt einen Bestimmungsfaktor für Staatsverschuldung darstellt, ist die Theorie des politischen Konjunkturzyklus im Rahmen der Neuen Politischen Ökonomie. Demnach steuern Regierungen manche makroökonomische Grössen bewusst. Sie orientieren sie sich per se nur an ihrer Wiederwahl und an Ämtern, verschiedene Interessenlagen von Links- und Rechtsregierungen werden dabei nicht unterschieden. Gestützt auf diese theoretischen Grundlagen formuliert Wagschal bezogen auf das Phänomen der Staatsverschuldung folgende Hypothese: Da Politiker ihre Wiederwahl sichern wollen, werden sie ihre Politikinstrumente, insbesondere eben die Staatsausgaben und Defizite, danach ausrichten. Dem Wahlzeitpunkt wird deswegen generell ein verschuldungserhöhender Effekt zugeschrieben. Für die Annahme, dass die parteipolitische Zusammensetzung der Regierung und somit also die Parteien einen Einfluss auf die Staatsverschuldung haben, ist Douglas Hibbs’ Differenzhypothese Ausgangspunkt. Demnach bewirken unterschiedliche ideologische Färbungen der Regierungen unterschiedliche Politikergebnisse. Hibbs (1977) geht davon 1 Soziologisches Institut der Universität Zürich Dominik Unternährer Seminar: Soziologie der politischen Parteien HS 2011 Prof. Dr. Hans Geser 22. Dezember 2011 aus, dass Regierungen ihre Wählerklientel begünstigen und so unterschiedliche Präferenzordnungen aus den bürgerlichen und sozialdemokratischen Regierungen hervorgehen. Bezogen auf das Phänomen der Staatsverschuldung schlussgefolgert Wagschal im Sinne Hibbs, dass linke Regierungen in Krisenzeiten eine höhere Verschuldung in Kauf nehmen als rechte Regierungen, da linke Regierungen vorrangig eine niedrige Arbeitslosenquote anstreben und dafür auch erhöhte Staatsverschuldung hinnehmen. Dieser Annahme widersprechen andere Autoren. Alesina und Tabellini (1990) sowie Person und Svensson (1989) sehen in der Staatsverschuldung ein strategisches Instrument von Regierungen, um den Handlungsspielraum ihrer Nachfolger zu beeinflussen. Konservative Regierungen können so im Mittel der Staatsverschuldung eine expansive Sozialstaatspolitik linker Regierungen konterkarieren. Wagschals „modifizierte Steuerglättungshypothese“ (1996) wiederum besagt, dass sich rechte Regierungen stärker als linke verschulden. Ausgangsgedanke dafür ist die Annahme, dass eine Art Wahlsituation zwischen den Einnahmegrössen Steuern und Kredite besteht. Weil bürgerliche Regierungen die Belastungen für ihre Bürger vermindern wollen senken sie Steuern und sind somit auf grössere Kredite angewiesen, was zu höherer Staatsverschuldung führt. Was den Einfluss der Parteien auf die Staatsverschuldung betrifft, gehen verschiedene Autoren also von unterschiedlichen Hypothesen aus. Gemeinsam ist ihnen jedoch, dass sie den Parteien einen Einfluss auf die Staatsverschuldung zurechenen, was als „partiesdo-matter“-Hypothese zusammengefasst wird. Die westlichen Industrieländer Die Regierung möchte, so die Theorie des politischen Konjunkturzyklus, ihre Wiederwahl sichern und deswegen in Wahljahren versuchen, die Arbeitslosenquote möglichst niedrig zu halten, was in der Regel zu höheren Staatsausgaben und somit auch zu höherer Staatsverschuldung führt. Wagschal überprüft diese Annahme in einem ersten Schritt, indem er untersucht, ob während Wahljahren ein überdurchschnittlich hohes Defizit anzutreffen ist. Er stellt fest, dass für die 21 untersuchten westlichen Industrieländer im Zeitraum von 1960 bis 1992 bzw. von 1973 bis 1992 kein statistischer Zusammenhang zwischen dem Wahljahr und dem jährlichen Haushaltsdefizit besteht. Da Verschuldung jedoch ein dynamisches Problem darstellt, ist der Vergleich der Durchschnittswerte nur eingeschränkt aussagekräftig. Doch auch bei der Betrachtung der Veränderungen der Haushaltsdefizite, ob dieses also steigt oder sinkt, besteht kein 2 Soziologisches Institut der Universität Zürich Dominik Unternährer Seminar: Soziologie der politischen Parteien HS 2011 Prof. Dr. Hans Geser 22. Dezember 2011 statistischer Zusammenhang zwischen dem Wahljahr und der Veränderung der jährlichen Haushaltsdefizite. Einzig bei den Ländern Schweiz, Finnland, Frankreich und teilweise Österreich lässt sich ein politischer Konjunkturzyklus erkennen, diese Länder weisen bis dato jedoch eine unterdurchschnittliche Staatsverschuldung aus. Ein Einfluss der Wahlzeitpunkte auf die Staatsverschuldung lässt sich auf dieser Untersuchungsebene empirisch somit nicht nachweisen. Der parteipolitische Einfluss auf die Staatsverschuldung wurde mittels des fünfstufigen Indikators von Schmidt empirisch überprüft. Dabei stellt Wagschal fest, dass bürgerliche Regierungen höhere Defizite und Schulden verursachen als linke Regierungen. Auf dieser Untersuchungsebene lässt sich also Wagschals „modifizierte Steuerglättungshypothese“ bestätigen. Wagschal begründet den Befund so, dass bürgerliche Regierungen in der Gestaltung ihrer finanzpolitischen Handlungen zwischen niedrigen Steuern und relativ hohem Defizit auf der einen und hohen Steuern und niedrigerem Defizit auf der anderen Seite wählen können. Im Hinblick auf ihre Widerwahl werden sie sich für ersteres entscheiden, da sie sich mit tiefen Steuern bei ihrer Wählerbasis kurzfristig populär machen, was ihre Wahlchancen erhöht. Der Grund dafür, dass sich Links-Regierungen im internationalen Vergleich also weniger verschulden, ist weniger der politische Wille dazu, sondern das „Drehen an der Steuerschraube“. Parteien und Verschuldung in den Ländern der BRD Beim Vergleich der „alten“ Länder der BRD besteht eine relativ starke Beziehung zwischen der parteipolitischen Färbung der Regierung und der Pro-Kopf-Verschuldung. Die Beziehung ist jedoch derjenigen des Ländervergleichs entgegengesetzt: In SPDdominierten Ländern ist die Verschuldung höher als in Ländern, wo die CDU oder die CSU dominiert hat. Wagschal erklärt den Befund so, dass aufgrund des Grundsatzes der „Einheitlichkeit der Lebensverhältnisse“ die einzelnen Bundesländer keine autonome Steuerpolitik betreiben können. Aus institutionellen Gründen also lässt sich im Bundesländervergleich die Differenz der unterschiedlichen Steuerpolitik nicht nachweisen. Den Grund für die erhöhte Verschuldung der SPD-dominierten Länder sieht Wagschal im Umstand, dass diese Regierungen, wollen sie denn interventionistische Politik betreiben, die benötigten Finanzmittel nur mit Hilfe von Krediten beschaffen können. Bezüglich des Einflusses des Wahltermins auf die Verschuldung stellt Wagschal empirisch fest, dass die SPD ihre Verschuldungspolitik wesentlich stärker nach dem 3 Soziologisches Institut der Universität Zürich Dominik Unternährer Seminar: Soziologie der politischen Parteien HS 2011 Prof. Dr. Hans Geser 22. Dezember 2011 Wahlzeitpunkt ausrichtet als bürgerliche Parteien. Ihre Steuerpolitik lässt sich also mit dem politischen Konjunkturzyklus erklären. Seiner Meinung nach liegt der Grund dafür in der starken Präferenz der CDU/CSU-Regierungen für einen ausgeglichenen Haushalt. Die Gemeindeebene der Bundesrepublik Deutschland Wagschal stellt empirisch fest, dass weder 1980, 1985 noch 1990 eine signifikante Korrelation zwischen Parteipolitik und Kreditaufnahme besteht. Es gibt also keinen Hinweis auf einen parteipolitischen Effekt der Verschuldung auf Kommunalebene. Wagschal sieht den Grund dafür jedoch nicht unbedingt in der Dominanz von Sachpolitik auf dieser Ebene, sondern in institutionellen und gesetzlichen Rahmenbedingungen (Kreditaufnahmen nur unter gewissen Umständen und nach Genehmigung durch kommunale Aufsichtsbehörden, Kredithöhe beschränkt, Personalobergrenzen, effiziente Rechnungsprüfungsämter). Fazit Bürgerliche Regierungen internationalen verschulden Vergleich Steuerglättungshypothese). sozialdemokratische sich stärker Auf aufgrund als linke Bundesländerebene Regierungen wegen von Steuersenkungen Regierungen der mangelnder BRD im (modifizierte verschulden sich Steuerautonomie der Bundesländer stärker als bürgerliche Regierungen. Kein Parteieneffekt ist auf Kommunalebene auszumachen, wobei dies nicht unbedingt auf die Dominanz von Sachpolitik auf dieser Ebene, sondern auf institutionelle und gesetzliche Rahmenbedingungen zurückzuführen ist. Der Einfluss des Wahlzeitpunktes auf die Staatsverschuldung lässt sich im internationalen Vergleich mit dieser Untersuchung nicht nachweisen. Auf Bundesländerebene ist der strategische Einsatz des Instruments der Verschuldung im Vorfeld von Wahlen insbesondere bei der SPD erkennbar. Literatur Wagschal, Uwe (1996): Der Einfluss von Parteien und Staatsverschuldung. In: Swiss Political Science Review 2 (4), 305-328. 4 Wahlen auf die