Der progressive Zehnten - Ausschuss Kirche und Gesellschaft

Werbung
Theologische und kirchliche Fragen
Ausschuss Kirche und Gesellschaft
Geben in Verantwortung - der "Progressive Zehnten"
nach Ronald J. Sider, "Der Weg durchs Nadelöhr, Wuppertal 1977
Geben in Verantwortung für die Armen
In dieser Welt leben immer noch 2/3 der Bevölkerung in Armut. Viele westliche Menschen sind zu beachtlichem Wohlstand gekommen. Das Geben war unter Menschen, die Jesus nachfolgten, nie umstritten. Im
Lukasevangelium werden die Menschen an einen Rat Johannes des Täufers erinnert. Auf die Frage nach
dem rechten Tun antwortete dieser: "Wer zwei Hemden hat, soll dem eins geben, der keines hat." (Lk
3,10). Für Christen galt von jeher, dass niemand aus der Gemeinde Not leiden solle (Apg 4,34).
Damit ist die grundsätzliche Verantwortung der Wohlhabenden für die Armen knapp umschrieben. Solange es auch nur einen Bedürftigen auf der Erde gibt, sind die Habenden gefordert.
John Wesleys Haltung zum Geben und Nehmen
Radikal sind die Aussagen John Wesleys. In der Predigt über den rechten Gebrauch des Geldes bringt er
es auf die kurze Formulierung: "Erwirb so viel du kannst, spare so viel du kannst, gib so viel du kannst".
Ab wann notwendiger Besitz zu beginnendem Reichtum wird, definiert Wesley so: "Wer immer ausreichend Nahrung zu essen und Kleidung anzuziehen hat, zusammen mit einem Platz, wo er sein Haupt
hinlegen kann, und etwas darüber, der ist reich."1
Für Wesley liegt das Hauptproblem des Reichtums aber nicht in dessen Sündhaftigkeit: "Es ist nicht
sündhafter reich zu sein, als arm zu sein. Aber es ist gefährlicher als man es in Worte fassen kann." 2 Und
weiter: "Zwei Drittel derer, die reich geworden sind, sind grossen Teils verkommen." 3
Wesley predigte nicht nur das Geben, sondern lebte es auch. Mehr als die Höhe seines ersten Gehalts
behielt er auch in späteren Jahren nicht, obwohl er natürlich mit der Zeit ein Vielfaches davon verdiente. 4
Mit dieser Haltung radikalisierte Wesley das Geben weit über das Mass langjähriger kirchlicher Praxis
hinaus. Die Kirche orientierte sich am Zehnten, dem alttestamentlichen Steuerkonzept, wonach der 10.
Teil von allem Gott, und damit dem Tempel und deren Beamten gehörte. Viele Christen geben auch heute
noch 10 Prozent ihres Geldes weiter.
Der progressive Zehnten
Doch ist das genug angesichts der Not in der Welt? Schützen wir uns auf diese Art ausreichend vor den
Gefahren des Reichtums?
Ronald J. Sider befasste sich im Buch "Der Weg durchs Nadelöhr - Reiche Christen und Welthunger“5 mit
diesen Fragen, und propagierte dort die "Progressive Selbstbesteuerung"6 zugunsten der Armen auf der
Welt. Sider schreibt dazu: „Die 'progressive Selbstbesteuerung' ist eines der zahlreichen Modelle, das
helfen kann, diese materialistische Fessel zu zersprengen... Natürlich ist es nicht das einzig mögliche.
Auch ist es keine biblische Norm, die man andern gesetzlich vorschreiben könnte...
Als meine Frau... und ich uns 1969 entschieden, eine abgestufte Skala für unsere Gaben zu machen,
setzten wir uns zusammen und versuchten herauszubekommen, was wir wohl in einem Jahr zum Leben
brauchten. Wir wollten einen Betrag finden, der uns zwar eine angemessene Bequemlichkeit, aber nicht
alle Luxusartikel erlaubte."7
Und so legte das Ehepaar Sider einen "ziemlich willkürlichen" Grundbetrag fest, von dem sie den Zehnten
abgeben wollten. In wiederum festgelegten Stufen wurde der Mehrverdienst progressiv besteuert. Als
Beispiel kann folgende Tabelle aus "Der Weg durchs Nadelöhr" dienen:
Dazu schreibt Sider weiter: „Wir fassten den Entschluss, von diesem Grundbetrag den Zehnten abzugeben. Für alle dazukommenden 2000 Mark über den Grundbetrag hinaus wollten wir, so wurde entschieden, unsere Gaben jeweils um 5 Prozent erweitern." 8 Das Beispiel in der Tabelle zeigt, "...wie das bei
einem Einkommen von 26000 Mark und einem Grundbetrag von 16000 Mark aussieht." 9
Es ist offensichtlich, dass die Zahlen aus dem Jahr 1969 heute völlig überholt sind. Doch die Idee ist immer noch gut, und löst ein Grundproblem des linearen Zehntens. Dieser stellt nämlich bei einem kleinen
Einkommen ein weitaus größeres Opfer dar als bei einem hohen Einkommen. Von einem Einkommen von
200'000 CHF bleiben nach Abzug des Zehnten immer noch 180'000 CHF. Wer aber nur 40'000 CHF verdient, kann kaum von den 36'000 CHF eine Familie ernähren.
Ein modifiziertes Konzept zum progressiven Zehnten
Wir haben daher die Idee von Ronald J. Sider aufgenommen und etwas modifiziert. Die beigelegte Exel 4xArbeitsmappe ermöglicht es, alle vier Werte zur Berechnung des progressiven Zehnten selbst zu bestimmen und
die Ergebnisse direkt berechnen zu lassen.
Einige Tipps zu den vier Parametern der ExelArbeitsmappe:
Bemessungsgrundbetrag
Sider nennt als möglichen Kriterien für den Grundbetrag
(In der Exel-Tabelle findet sich der Grundbetrag zu Beginn in der fettgedruckten Zeile):

einen für alle Menschen möglichen Lebensstandart,
durch den die Welt nicht zugrunde gerichtet wird

das Existenzminimum des jeweiligen Landes
Weitere Möglichkeiten wären:

Einen zusammengesetzter Betrag (pro erwachsene
Person z.B. 20'000 CHF, pro Kind z.B. 5'000 CHF (im
Ausgangsbeispiel gehen wir von einer fünfköpfigen
Familie aus = 55'000 CHF)

Das Steuerbare Einkommen und Vermögen

usw.
Ob man von Brutto- oder Nettozahlen ausgehen will, ob
der Betrag der Inflation angepasst werden soll, kann jede
Person selbst entscheiden.
Ausgangswert für die Bemessung in %
In unserem Ausgangsbeispiel sind hier 10% eingesetzt, in Anlehnung an den biblischen Zehnten. Doch ist
es natürlich nicht verboten mehr (oder weniger) einzugeben.
Seite 2 von 3
Progressionsabstufung in Währung
In unserem Ausgangsbeispiel haben wir hier 10'000 CHF eingesetzt. Nach Oben kann man so auch noch
ablesen, was jemand mit 235'000 CHF an Gaben weitergeben kann.
Progressionsabstufung in %
In unserem Ausgangsbeispiel erhöhen wir die Gaben für jede weiteren 10'000 CHF um 2%. Das ist im
Blick auf die Not in der Welt eigentlich sehr wenig. (Sider geht hier von 5% aus. Doch wer wäre wohl
bereit, ab einem Einkommen von 235'000 CHF nicht mehr für sich zu behalten als 126.000 CHF, John
Wesley einmal ausgenommen?)
Erweiterung der Spendentabelle nach unten
Gegenüber Sider haben wir die Spendentabelle nach unten ergänzt. Der Hintergrund unserer Überlegungen ist, dass wer unter dem Existenzminimum lebt, kaum den Zehnten geben kann noch sollte. So ist es
mehr als recht von diesen Menschen weniger zu erwarten. Sie geben so schon mehr als viele Wohlhabenden. (Siehe dazu Markus 12,41-44).
Weitere Empfehlungen aus dem Buch von Ronald J. Sider
"Die nachfolgenden Vorschläge können vielleicht denen helfen, die ihren eigenen Weg mit der 'progressiven Selbstbesteuerung' finden wollen.
Erstens, sprechen Sie die Sache mit der ganzen Familie durch. Sie muss jedem einsichtig sein, damit die
Familie zu einer gemeinsamen Entscheidung gelangen kann.
Zweitens, schreiben Sie Ihren Plan am Anfang des Jahres genau auf. Es tut nicht weh, ja es ist spannend,
ihn theoretisch auszuarbeiten. Und wenn Sie sich dann nach den abstrakten Zahlen richten, dann tut es
weniger weh, wenn Sie gleich jeden Monat die Spende abführen.
Drittens, sprechen Sie Ihr Vorhaben mit einem christlichen Freund oder Ehepaar durch, das ihr Interesse
und Ihre Anteilnahme an Fragen der sozialen Gerechtigkeit teilt.
Viertens, diskutieren Sie mit den-selben Leuten auch über die größeren Ausgaben. Es ist für einen etwas
objektiveren Beobachter leichter, Scheingründe für diese oder jene Entscheidung herauszufinden, als es
für Sie möglich ist.
Fünftens, versuchen sie jedes Jahr die Summe der Ausgaben zu verringern. Das Ziel sollte sein, die
Summe der Ausgaben (nicht den Grundbetrag, von dem man ja ein Zehntel abgibt) soweit zu verringern,
bis Sie einen Lebensstandard haben, den alle Menschen auf der Welt teilen könnten.
Wie der scharfsichtige Leser sicher schon bemerkt hat, handelt es sich bei der 'progressiven Selbstbesteuerung' um einen ziemlich zurückhaltenden Vorschlag... Dennoch ist er radikal genug, so dass seine
Durchführung den Dienst und das Leben der Kirche revolutionieren würde! Viele Christen experimentieren
mit weit radikaleren Möglichkeiten, um den Kampf gegen den Wohlstand zu gewinnen." 10
1
Thomas Lessmann, Rolle und Bedeutung des Heiligen Geistes in der Theologie John Wesleys, Stuttgart 1987, S.92
2
ebd. S. 93
3
ebd. S. 93
4
ebd. S. 94
5
Wuppertal 1978, Originaltitel: Rich Christians In An Age Of Hunger" 1977
6
Roland J. Sider, Der Weg durchs Nadelöhr, Wuppertal 1978, S. 162ff
7
ebd. S. 162
8
ebd. S. 163
9
ebd. S. 163
10
ebd. S. 165
Seite 3 von 3
Herunterladen