Der öffentliche Nahverkehr Die Verkehrsbetriebe entdecken die Fahrgäste neu. Vor einiger Zeit herrschte noch das Denken vor, der Fahrgast solle zufrieden sein, überhaupt mit genommen zu werden und habe aus diesem Grunde keine großen Ansprüche zu stellen. Die über Jahre hinweg mehr oder minder stattgefundene Abwanderung in's eigene Auto hat in den Chefetagen der öffentlichen Verkehrsunternehmen allmählich zu einem Umdenken geführt. Inzwischen versuchen Verkehrsbetriebe in unterschiedlicher Weise, den öffentlichen Nahverkehr attraktiver zu gestalten und ihn als tatsächliche Alternative zum Auto zu präsentieren. Umfang und Art der Maßnahmen sind sehr vielfältig. Viele kosten das Unternehmen nichts oder nur wenig, andere bedürfen Investitionen in Millionenhöhe. Einige Beispiele sollen zeigen, wsa jedes Unternehmen selbst zu einem attraktiveren Nahverkehr beisteuern kann. "Nächste Haltestelle Hauptbahnhof. Beim Aussteigen bitte den Schirm aufspannen, es regnet! Auch so könnte ein Busfahrer oder ein(e) Straßenbahnfahrer(in) die nächste Haltestelle einmal ausrufen. Unterlassene Ansagen sind noch immer auf der Tagesordnung, und wer über genügend Ortskenntnis verfügt, sitzt oft hilflos und ratsuchend in der Bahn. Abhilfe können hier Durchsagen von Tonbändern bringen. Sie sind jedoch immer noch die Ausnahme. Gefragt sind Informationen über Fahrpläne, Tarife, Sonderangebote u.s.w. Und wer dann aussteigt, möchte sich auch an Umgebungsplänen über den Weg zu seinem Ziel orientieren. Zu den wenigen Verkehrsbetrieben, die ein solches Informationsspektrum anbieten gehört die Rheinische Bahngesellschaft in Düsseldorf. Ihre Kunden werden erstens über Lautsprecher an Haltestellen oder in den Fahrzeugen über Verspätungen und Störungen unterrichtet. Zweitens an den Haltestellen über Displays über die Ankunftszeit des nächsten Wagens informiert und drittens das Informationspaket durch wettergeschützte und beleuchtete Wartehallen abgerundet. Bei den Wartehallen da die Seitenscheiben aber weder bis zum Boden noch bis zum Dach reichen. pfeift der Wind durch sämtliche Fugen. Wesentlich teurer als das Aufstellen von Wartehallen ist es aber, ein "Rechnergestütztes Betriebsleitsystem" aufzubauen. Gerade sie sind in den ersten Jahren in fast allen Großstädten aufgestellt worden. Allerdings im eher Interesse der aufstellenden Werbefirma, denn die Wartehalle wird zugleich als Litfaßsäule genutzt. Dabei handelt es sich um ein umfassendes Informationssystem zwischen der Unternehmensleitung, den einzelnen Fahrzeugen und den Fahrgästen. Durch den Vergleich der Soll- und Istdaten der Fahrpläne werden der Leitstelle nämlich per Bildschirm Verspätungen angezeigt. Bei sehr starkem Fahrgastaufkommen kann die Betriebsleitstelle ohne große Probleme einen zusätzlichen Einsatzwagen auf den Weg schicken. Bei Betriebsstörungen etwa infolge von Unfällen oder Staus ist es dem Betriebsleiter fast immer möglich, in das Betriebsgeschehen zum Beispiel durch den Einsatz zusätzlicher Wagen oder durch das Fahren anderer Strecken einzugreifen und dadurch das Angebot sicher zu stellen. Mit öffentlichen Nahverkehrsmittel nur zur Arbeit oder zum Einkaufen? Das oft ungenügende Angebot in den Abendstunden oder an Wochenenden lässt die Frage bejahen. Gefragt sind Angebote für bestimmte Fahrgastwünsche. Bekannt sind die " Theaterwagen ", die nach Ende der Vorstellung die Besucher nach Hause bringen. Die hohe Zahl verunglückter Jugendlicher auf der nächtlichen Fahrt von der Diskotek nach Hause haben in sehr vielen Orten zur Einrichtung von so genannten "Disco-Buslinien" geführt. Sie verbinden die wichtigsten Knotenpunkte im Liniennetz mit Diskotheken in der Stadt oder am Stadtrand. Überwiegend positiv ist auch die Resonanz auf die von zahlreichen Unternehmen angebotenen "Fahrradbusse". Gerade der Freizeitbereich kann dem öffentlichen Nahverkehr neue Fahrgäste bringen. Dazu bedarf es jedoch spezieller Ausflugslinien an den Wochenenden. Der eingeschränkte Fahrplan am Wochenende ist für Erholung suchende keine Alternative. Wer möchte denn schon an Sonntagen 50 Minuten auf den Bus warten? Ansprechend sind auch Busse und Bahnen, die einer rollenden Galerie gleichkommen. Ein Beispiel hierfür ist der "Kunstbus" der Stadtwerke Wiesbaden. In ihm können Künstler jeweils 4 Wochen lang ihre Werke einem breiten Publikum zeigen. In Stuttgart können sich die Fahrgäste an Gedichten erfreuen, die auf Plakate aufgezogen in Bahnen und Bussen ausgehängt werden. "Kombikarten" sind das Zauberwort, wenn es darum geht, daß Besucher von Großveranstaltungen mehr und mehr mit dem öffentlichen Nahverkehr anreisen. Dies können Sportveranstaltungen Theateraufführungen oder Messen sein. Wie gut dies klappt, wenn im Preis der Eintrittskarte zugleich der Preis für die Hin- und Rückfahrt enthalten ist, zeigen Beispiele aus Köln, Frankfurt und Stuttgart. Die "Sesamkarte" der Verkehrsbetriebe in Kassel erinnert an dee Märchen aus Tausendundeiner Nacht. Met ehr werd zwar nicht der Zugang zu Schätzen frei, sehr wohl aber der Eintritt in Museen und andere Einrichtungen der Stadt. Was aber tun, wenn man in nächtlicher Stunde von seiner Haltestelle noch zu Fuß durch dunkle Seitenstraßen zu seiner Wohnung gehen muss oder noch Gepäck zu tragen ist? Die Oldenburger Verkehrsbetriebe ermöglichten als erste ihren Fahrgästen, über den Busfahrer ein Taxi zu einer beliebigen Haltestelle bestellen zu können. Nach dem Umsteigen muß das Taxi dann nur noch für die kurze restliche Strecke bezahlt werden. Aber auch Fahrräder und Autos können Zuträger zu Verkehrsmitteln öffentlichen. Die Verkehrsverbünde bemühen sich an ihren Schnellbahnstationen und den weiteren Ausbau von Abstellplätzen. Abschließbare Boxen für Fahrräder oder auch bewachte Unterstände bieten dabei die Gewähr, auf der Rückreise das gute Stück wohl behalten wieder aufzufinden. Gepäck ist ein Stichwort, bei dem der öffentliche Nahverkehr ebenfalls Mängel aufweist. Man stelle sich einmal die Mitnahme von großen Paketen. in Bussen und Straßenbahnen vor. Lobenswert ist es, wenn "Gepäckbusse" in den Fußgängerzonen aufgestellt oder ein Auslieferungsservice installiert wird. Die Auslieferung von Gepäckstücken wird leider nur von wenigen Verkehrsunternehmen und dann auch nur in der Vorweihnachtszeit praktiziert. Was spricht denn eigentlich dagegen, diesen Service an allen verkaufsoffenen Samstagen und an den "langen Donnerstagen" anzubieten? "Runter mit dem Wagenboden" lautete die Parole von Behindertenverbänden, um Behinderten die Mitfahrt in den öffentlichen Verkehrsmitteln zu ermöglichen. Längst haben die Verantwortlichen erkannt, dass ien stufenloser Einstieg nicht nur Behinderten dient, sondern auch Fahrgästen mit Kinderwagen oder Gepäck oder Gehbehinderten die Nutzung von Bus und Bahn doch außerordentlich erleichtert. Während die technischen Probleme beim Bus relativ einfach zu lösen sind, sind sind die Techniker bei den Straßenbahnen stärker gefordert. Problem Nummer eins ist der Antrieb der Fahrzeuge. Die herkömmlichen Motordrehgestelle benötigen viel Platz. Dies hat bei den bereits im Einsatz befindlichen Niederflur-Straßenbahnen die Folge, dass der Fahrgastraum nur über Stufen über den Motordrehgestellen erreichbar ist. Jetzt werden aber schon die ersten niederflurigen Straßenbahnen getestet. Zusammenfassend kann gesagt werden, dass alle hier beschriebenen Möglichkeiten wie die Teile eines Puzzles sind. Jedes für sich macht den Nahverkehr attraktiver. Aber nur in der Gesamtheit stellen sich Busse und Bahnen als Alternative zum Individualverkehr dar. Ein attraktives Angebot umfaßt Folgendes ein gutes Fahrplanangebot besonders auch an Wochenenden und abends; ein gutes Informationssystem; den Einsatz kundenfreundlicher Fahrzeuge; Mitarbeiter, die sich um ihre Kundschaft bemühen; auch ein positives Erscheinungsbild der eingesetzten Fahrzeuge All das trägt zum Eindruck des Produkts "Öffentlicher Nahverkehr" bei. Die tägliche Fahrt durch die Waschanlage, aber auch das Befreien der Fahrzeuge von Dosen oder Essensresten während des täglichen Einsatzes müsste möglich sein. Es gibt viel zu tun. Ideen gibt es in Hülle und Fülle. Auch - oder besonders- im Zeichen der Vollmotorisierung ist ein leistungsfähiges, attraktives und für den Nutzer nicht zu teures Nahverkehrsangebot erforderlich. In den Großstädten und in den Ballungsgebieten kann es nicht den Platz geben, dass jeder mit seinem eigenen Auto zu seinem Arbeitsplatz fährt. Zudem gibt es dort wie auch auf dem dünner besiedelten flachen Land immer noch große Teile unserer Gesellschaft, die auf ein öffentliches Verkehrsangebot angewiesen sind. Die Probleme in den Ballungsgebieten und auf dem flachen Land sind nicht nur in dieser Hinsicht unterschiedlich. Gemeinsam ist ihnen in beiden Fällen nur eins: Das Angebot des öffentlichen Nahverkehrs kostet deutlich mehr, als die Nutzer zu zahlen bereit oder in der Lage sind. Das eigene Auto ist flexibel und komfortabel und ist daher als Verkehrsmittel unschlagbar. Und es ist auch bei der vorherrschenden Grenzkostenbetrachtung des Benutzers preiswert. Wer ein Auto hat - und das sind heute fast alle Berufstätigen-, bedarf schon eines großen Anreizes, um auf dessen Benutzung zu verzichten. In den Ballungsräumen ist der negative Anreiz durch fehlende Parkplätze am Ziel und durch verstopfte Zufahrtstarßen am ehesten gegeben. Auf dem flachen Land fehlt für den Autobesitzer ein Anreiz zum Umsteigen fast vollständig. Der "Kostendeckungsgrad" bewegt sich zwischen 50 Prozent und 70 Prozent. Umgekehrt heißt das, 30 - 50% der Kosten des Verkehrsanbieters müssen aus anderen Quellen als aus Fahrgeldeinnahmen gedeckt werden. Die Kosten dafür kann man pro Jahr auf circa 10 Millionen DM ansetzen. Da die Schienenbahnen, S-Bahnen, Stadt- und Straßenbahnen recht anlageintensiv sind, kann eine steigende Nutzung des Angebotes der öffentlichen Verkehrsmittel den Kostendeckungsgrad relativ verbessern, ohne sich dass Summe absolute die der Kostenunterdeckung nennenswert reduziert. Doch eine steigende Nutzung des öffentlichen Nahverkehrs setzt Umsteigeanreize voraus. Gerade hier unterscheiden sich die politischen Geister. Auf der einen Seite stehen die Gruppierungen, die dem privaten Autoverkehr mit Gewalt das Leben schwermachen wollen - Sperrung der Innenstädte, drastische Erhöhung der Mineralölsteuer und damit der Kosten für die Nutzung des Autos. Auf der anderen Seite steht die stetig abbröckelnde Front derer, die das Heil ausschließlich in einer extremen Erhöhung der Attraktivität des öffenlichen Nahverkehrs sehen - dichte Taktfolge, garantierter Sitzplatz, Haltestellen an jeder Straßenecke, kurze Fahrzeiten - das dann allerdings auch mehr kosten muss und darf. Zwischen diesen beiden Meinungsextremen muss ein Kompromiß gefunden werden, und zwar ein Kompromiss, der sich an die Grundprinzipien der sozialen Marktwirtschaft anlehnen sollte. Doch sieht es im Augenblick so aus, als ob sich dieser Kompromiss stärker zur ordnungspolitischen denn zur Seite der Marktwirtschaft neigt. Wenn wir heute ein Mehr an Autoverkehr haben, als wir es uns im Interesse der Lebensfähiqkeit unserer Städte leisten können, dann muss das Auto fahren teurer gemacht werden. Die Steuereinnahmen aus dem Kraftfahrzeugbereich decken zwar die Straßenbaukosten und auch die Unterhaltung unseres Straßennetzes mehr als ab. Sie decken jedoch nicht die soziale Kosten - am allerwenigsten in den Ballungsräumen. Das sind keine Alternativen zur marktwirtschaftlichen Steuerung. Die immer mehr verlangten Verkehrsverbote, die zusätzliche Einschränkungen des Parkplatzangebotes in den Städten oder die künstlichen Engpässe bei der Einfahrt in die Innenstadtregionen. Die Steuerung muss vielmehr bei dem Verkauf auf der Kostenseite angesetzt werden, der für die Lebensfähigkeit der Ballungsräume am unverträglichsten ist, nämlich dem Berufsverkehr. Einen marktwirtschaftlichen Weg hat Frankreich vorgegeben: Ballungsraumabgaben für die Arbeitgeber, die dort zur Kostendeckung des öffentlichen Nahverkehrsangebotes eingesetzt werden. Andere Städte verlangen unterschiedslos von allen Bürgern Einfahrgebühren in die überlasteten Städte. Ähnlich machen es andere Städte, die für nicht voll besetzte Privatautos und Taxis während der Hauptverkehrszeiten eine besondere Gebühr erheben. Entscheidend ist jedoch die drastische Versteuerung bzw. andere Bewirtschaftung (streng überwachte Parkzeitbeschränkung) des Parkraumangebotes in den Städten mit dem Ziel, den dort für acht bis zehn Stunden parkenden Pkw des in den Innenstadtregionen Beschäftigten zu verdrängen. Denn nur so kann Platz für den Wirtschaftsverkehr geschaffen werden, der diese Städte am Leben hält. Es ist nicht einzusehen, dass das knapppe Gut Parkraum in den Städten an den vergeben wird, der zuerst kommt. Es muss vielmehr so eingesetzt werden, dass aus dem Angebot der größte Nutzen erzielt wird. Es gibt sicher ausreichende Möglichkeiten, um das soziale Element in marktwirtschaftliche Regelungen einzubauen, auch bei stärker an den Kosten orientierten Tarifen öffentlicher Nahverkehrsmittel. Eine drastische Reduzierung des Dauerparkens muss dabei keinesfalls bedeuten, dass die Bewohner der Innenstädte auf ihr Auto verzichten müssen. Hier haben sich Parkerlaubnisse für Anwohner in vielen Städten schon seit langem bewährt. Natürlich verlangen solche Lösungen auch ein entsprechendes Angebot an öffentlichem Nahverkehr; ist er nicht attraktiv, lassen sich Beschränkungen dieser Art durchsetzen und schütten Wasser auf die Mühlen derjenigen, die das Heil nur auf dem Verbotswege sehen und damit langfristig auch die Lebensfähigkeit unserer Städte beschränken. Um nicht mißverstanden zu werden: Heute wird mit den schon erwähnten zehn Milliarden DM weitgehend gleichmäßig subventioniert. Eine soziale Komponente findet sich neben dem kleinen Segment der Behindertenfahrten praktisch nur im Schülerverkehr der Bundesbahn. Eine Politik ausschließlich gegen das Auto kann nicht Ziel der Bemühungen sein, die Lebensfähigkeit ihrer Städte zu sichern. Ein Miteinander ist hier – genau so wie auf dem flachen Land - notwendig. Dass dazu natürlich auch das Angebot im öffentlichen Nahverkehr ausgebaut muss werden und alle Möglichkeiten der Komforterhöhung in erster Linie Erreichbarkeit und dichte Taktfolge genutzt werden müssen, steht außer Frage Hier ist trotz hoher Investitionen in den letzten 1 ½ Jahrzehnten noch zu wenig geschehen. Die MINERALÖLSTEUER bietet genügend Möglichkeiten zur allgemeinen Steuerung und auch zur Finanzierung der Investitionen für den Nahverkehr. Die Flut von Vorschlägen