M1 Was ist „Liquid Democracy?“

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Fachredaktion Gemeinschaftskunde, www.gemeinschaftskunde-bw.de
Liquid Democracy
Grundlage der Texte sind folgende Quellen, die auch im Unterricht eingesetzt
werden können:
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Film „Liquid Democracy einfach erklärt“
Seite des Vereins „Liquid Democracy e.V.“
Zeit-Artikel zum Thema „Liquid Democracy“
Film Liquid Democracy. Theorie und Vorbehalte“
Vortrag „Liquid Feedback“
Film von Jennifer Paetsch (Liquid Democracy e.V.): Liquid Democracy - Die
Zukunft der Demokratie? Jennifer Paetsch vom LiquidDemocracy e.V.
berichtet über zwei Beispiele, wo diese Bürgerbeteiligung schon Realität
ist.
Liquid Democracy in der Schule
Masterarbeit zur Liquid Democracy (2013)
Masterarbeit „Liquid Democracy in der Piratenpartei“ (2013)
Wiki Piratenpartei
mit Schaubildern
Als Einstieg in das Thema bietet sich ein Film, eine Wordcloud (der Masterarbeit
zu entnehmen, S. 3) oder ein Gedankenspiel an, wie jeder Schüler am
Schulleben und an Entscheidungen beteiligt sein könnte.
Anschließend wird mithilfe des Materials das Thema erarbeitet. Dabei soll
zunächst der Begriff „Liquid Democracy“ geklärt werden, um anschließend die
Umsetzung sowie Pro- und Contra-Argumente zu erarbeiten. Als Abschluss bietet
sich der Text Falk Steiners an, in der er das Scheitern der Piratenpartei (M3)
beleuchtet.
Fakultativ kann auf das Liquid Feedback eingegangen werden. Weitere
Informationen:
 Homepage Liquidfeedback.org
 Piratenpartei Deutschland
 ZEIT-Artikel „Wenn alle mit allen über alles reden. Immer“
 Spiegel-Artikel über Liquid-Feedback und die Piratenpartei
Anzusetzen sind zwei Schulstunden.
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„Liquid Democracy" (=flüssige Demokratie) ist eine Mischform zwischen indirekter und direkter
Demokratie. Bei der indirekten Demokratie wird ein Abgeordneter zur Vertretung der eigenen Interessen
bestimmt, bei der direkten Demokratie nimmt der Einzelne alle Interessen selbst wahr. Bei der Liquid
Democracy ist der Übergang fließend zwischen direkter und indirekter Demokratie.
Der Kern ist das „delegated voting“. Dabei wird die bisher geltende Trennung zwischen „repräsentativdemokratischen
Entscheidungen
und
direktdemokratischen
Entscheidungen
aufgehoben“1.
Unterschieden werden muss generell zwischen den Anwendungsfällen der Liquid Democracy in der
Gesamtgesellschaft und innerhalb von Organisationen (z. B. der Piratenpartei).
Man kann selbst entscheiden oder seine Stimme an eine andere Person, die beliebig ist, delegieren, die
dadurch ein größeres Stimmgewicht erhält. Jeder Einzelne entscheidet dabei selbst, wie stark er seine
eigenen Interessen wahrnimmt oder wie stark er sie von anderen vertreten lassen möchte. Der Delegat
kann zu jeder Zeit sein Stimmrecht zurückfordern, das er auf jemand anders übertragen hat und muss
nicht bis zu einer neuen Wahlperiode warten. Dadurch entsteht ein Netzwerk von Delegationen, das
ständig im Fluss ist.
Es gibt drei Möglichkeiten der Umsetzung2:
1. Zeitliche Begrenzung: Wählen nur einmalig alle 4 Jahre
LD ermöglicht:
 Abstimmung Open-End (permanent, ohne Ende)
 Abstimmung mit Deadline (permanent bis zum Stichtag)
 Abstimmung mit Quorum (permanent bis zum Erreichen einer bestimmten Zustimmung)
 klassische Abstimmung (einmalig alle vier Jahre (Nutzen unklar, aber weniger Aufwand))
2. Inhaltliche Begrenzung: Auswahl nur zwischen wenigen “Komplettpaketen” (Parteien)
Mit LD können User nach Belieben über einzelne Gesetze selbst abstimmen (direkte Demokratie)
und in Bezug auf andere Gesetze (oder Bündel von Gesetzen) ihre Stimme an jemand anderen
delegieren (repräsentative Demokratie).
Beispiel: X erhält meine Stimme für alle Abstimmungen im Bereich Ökologie, Y für alle
Abstimmungen im Bereich Steuern und das Bündnis “Greenpeace” erhält meine Stimme für alle
Abstimmungen, die für das Bündnis-Ziel wichtig sind.
3. Partizipatorische Begrenzung: Ausarbeitung von Gesetzen nur für politische Eliten
Mit LD kann jeder Wähler auch an jedem Gesetzestext u.ä. mitarbeiten. Es ist gemeinschaftliches
Schreiben (nach dem Wikipedia-Prinzip) kombiniert mit Stimmengewichtung. Jeder Wähler kann
also gute Ideen einbringen und um Stimmen für diese werben.
Befürworter sind der Meinung, dass dieses System sich durch die elektronische Kommunikation schnell
umsetzen lasse und gerechter sei, denn „wenn über den hochkomplexen Fiskalpakt 620 Abgeordnete
des Bundestages beraten, dann machen sie gerade mal 0,0008 Prozent der deutschen Bevölkerung aus.
Da viele von ihnen die Materie selbst nicht durchdringen, brauchen sie Berater und Hilfe. Am Ende wird
nicht klar, wer die Entscheidung eigentlich getroffen hat.“3
Die Piratenpartei, von der man immer weniger hört, schlug schon vor längerer Zeit die Liquid
Democracy vor. Ziel wäre es, das bestehende System zu „verflüssigen“, feste Wahlperioden aufheben,
alle Wählenden über einzelne Gesetze zu informieren, anstatt nur über Komplettlösungen informiert zu
werden, über die die Regierenden entschieden haben. Ideal wäre es laut der Befürworter, dass Einzelne
die Möglichkeit haben sollten, sich direkt an der Entstehung der Gesetzestexte zu beteiligen. Dabei ist
das Ergebnis generell nicht vorhersehbar, da die Wählenden direkt teilhaben, steigt sicher auch das
Interesse und die Bereitschaft, sich zu informieren. Kritiker äußern Bedenken, dass die Demokratie
instabil werde, politische Meinungen sich theoretisch täglich ändern könnten. Zudem sei bewiesen, dass
Menschen die eigene Kompetenz oft überschätzen und sich bilden Urteile, deren Folgen sie nicht
erkennen können. Damit gehe man auch eine Gefahr ein. Ein weiteres Problem sei die Abstimmung,
denn es gibt (bisher) keinen Weg, über das Internet oder einen Computer geheim abzustimmen. Die
Ergebnisse können immer manipuliert werden und es würde immer irgendwo eine Information anfallen,
die bekannt gibt, wer was gewählt hat.
https://liqd.net/schwerpunkte/theoretische-grundlagen/liquid-democracy/
Mit freundlicher Genehmigung von Liquid Democracy eV.: https://liqd.net/schwerpunkte/theoretische-grundlagen/liquiddemocracy/
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Julia Schramm: Dabei sein ist alles, in: DIE ZEIT, 24/2012. Online abrufbar: http://www.zeit.de/2012/24/P-Demokratie
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M2 Abstimmung in der Liquid Democracy4
„Abstimmende links von der […] Linie haben ihre Stimme delegiert.
Die Abstimmenden rechts von der Linie haben direkt abgestimmt. Die
Zahlen geben die Anzahl der Abstimmenden an, die von jedem
Delegierten vertreten werden (einschließlich des Delegierten selbst)“.
(Quelle: wikipedia)
M3: Falk Steiner – Gescheiterte Piraten
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Falk Steiner, geb. Lüke,
verdient sein Geld mit
geschriebenem und
gesprochenem Journalismus. Seit 2013 arbeitet
er im Hauptstadtstudio
des Deutschlandradio als
freier Korrespondent mit
dem Schwerpunkt
Netzpolitik, beschäftigt
sich vor allem mit Politik-
Experiment erfolgreich gescheitert
Gescheitert sind die Piraten an der Politik. „Klarmachen zum Ändern“
ist leicht gerufen, so leicht gerufen, wie „Revolution“. Doch: welche
Revolution? Was sollte geändert werden? Alles sollte besser werden.
Aber welches besser? Die Piraten haben bis heute kein Wertegerüst,
für das sie stehen. Nicht, dass die anderen Parteien noch ein klar
definiertes solches hätten, aber eine in-etwa-Verortung ist bei ihnen
möglich.
Sind die Piraten eine soziale Partei? Nein, sozial geht es bei ihnen nun wahrlich selten zu.
Sind die Piraten eine liberale Partei? Nein, denn Liberalismus bedeutet auch Toleranz, und
daran mangelt es zwischen den Piraten und gegenüber allen anderen politischen
Strömungen. Sind die Piraten eine Partei, die Konzepte für die digitalen Fragen dieser Zeit
anbieten kann? Nein, sie haben in ihrem Kernfeld bis heute versagt. Sind die Piraten eine
Partei, die erfolgreich moderne Formen der politischen Willensbildung betrieben hat?
Immerhin, so viel muss man den Piraten zu Gute halten, haben sie die digitalen Debatten
auch in den anderen, von ihnen oft arrogant belächelten Parteien vorangetrieben. Und
damit sind wir bei dem wohl wichtigsten Punkt, um den sich die Piraten verdient gemacht
haben: sie haben sich, während sie sich selbst entzauberten, verdient gemacht in der
praktischen Demokratie-Feldforschung. Sie sind ein real existierendes Politikexperiment, bei
dem – wie bei den meisten Versuchsaufbauten – fast alles schief geht, und doch das eine
oder andere gelingt.
Die Piraten haben den Weg gezeigt, wie digitale Mitbestimmung nicht funktionieren kann,
und darüber haben sie durchaus klug – wenn auch oft sehr lautstark und in menschlich
trauriger Weise – gestritten. Sie haben gezeigt, dass es nicht reicht, sich als gemeinsame
Gruppe von der Politik enttäuschter unter einem gemeinsamen Banner zusammenzufinden
und Veränderungen zu versprechen, die danach per Mitbestimmungsprozessen
basisdemokratisch entschieden werden. Sie haben allen noch einmal vor Augen geführt,
warum politische Partizipation aller nur ein Mittel ist, das die tagtäglich dauerhafte
professionelle Beschäftigung mit Politik, oft verächtlich gemacht als Berufspolitikerdasein,
nicht ersetzen aber doch ergänzen kann – und dass dies wünschenswert ist. Diese
Prozesserkenntnisse sind wertvoll und man darf sich sicher sein, dass andere diese nutzen
werden.
Die digitalen Themen, sie waren bereits vor den Piraten virulent – und sie werden bleiben.
Online abrufbar unter https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Democracy.png, „Democracy“ von SVG conversion: Ilmari Karonen
(Diskussion)Democracy.gif: Common Good Finance Corporation/Society to Benefit Everyone - Based on
http://www.commongoodbank.com/images/democracy.gif (from http://www.commongoodbank.com/democracy/representatives.html), originally
uploaded to Commons by Karmen Sandiegoas Democracy.gif. Lizenziert unter CC BY-SA 3.0 über Wikimedia Commons https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Democracy.svg#/media/File:Democracy.svg
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Hier haben die Piraten leider kaum etwas zum Fortschritt der Debatten beigetragen. Die
Klugheit ihrer Debatten lag oft nur insofern über vergleichbaren in Union und SPD, dass die
technische Ebene besser durchdrungen war. Doch zu politischen Debatten gehört mehr,
und vor allem die Definition von Zielen und: Neugierde.
Was heißt es denn, wenn wir unsere Lebenswelt digital repräsentieren, verknüpfen und
optimieren – und so unser Leben, die Wirtschaft, die Demokratie und die Menschlichkeit nur
technisch global weitgehend egalitär organisieren, ohne politisch Schritt zu halten? Was
bedeuten technische Standards als internationale Regelwerke? Was bedeutet es, wenn wir
das weitgehend von privaten Betriebene Netz wie einen öffentlichen Raum nutzen? Was
bedeutet es, wenn der territoriale Nationalstaat nicht mehr in der Lage ist, seine Regeln
durchzusetzen – und wir stattdessen dem Wohl und Wehe derjenigen unterliegen, die – aus
welchem Grunde auch immer – diese Regeln definieren können?
Das alles sind Fragen, die sich die gesamte Gesellschaft stellen muss. Das Experiment, dass
die Piraten dazu einen wesentlichen Beitrag leisten könnten, war lohnenswert – und doch
ist es wohl gescheitert. Ihr Verdienst wird bleiben, die Schläfer jenseits ihrer Partei mit
ihrem Getöse aufgeweckt zu haben. Weshalb man mit ihnen nicht zu hart ins Gericht gehen
sollte: das Experiment Piraten ist gescheitert, aber das gehört bei Experimenten dazu. Die
Demokratie im digitalen Zeitalter jedenfalls, sie hat davon profitiert. Für den digitalen
Wandel jedoch ist sie derzeit noch keineswegs gerüstet.
Mit freundlicher Genehmigung des Autors Falk Steiner, online abrufbar unter http://falksteiner.de/2014/07/piraten-experiment-erfolgreich-gescheitert/
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Aufgaben:
 Erklären Sie in eigenen Worten, was die „Liquid Demcracy“ ist.
 Fassen Sie mithilfe von M1 und M2 zusammen, wie Abstimmungen in der
„Liquid Democracy“ vonstattengehen (könnten).
 Sammeln sie aus M1 und M3 Pro- und Contra-Argumente und überlegen Sie,
ob Ihnen weitere einfallen.
 Erklären Sie, warum die Piraten scheiterten.
 Nehmen Sie begründet Stellung zur „Liquid Democracy“.
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