Konfliktbewältigung: destruktive und konstruktive Vorgehensweisen

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Konfliktbewältigung: destruktive und
konstruktive Vorgehensweisen –
Conflict Representations: Constructive
and Destructive Approaches to Fighting
Verfasst im Rahmen der Vorlesung „Verhandlungstechnik und
alternative Streiterledigung“ von Prof. Dr. Peter Liatowitsch
Erarbeitet anhand von:
OMER HAIM/ALON NACHI, Conflict representation: Constructive and destructive Approaches to
Fighting, the Psychology of Demonization, Laurence Publishing House, 2006
OMER HAIM/ALON NACHI/RUBEL TAMMY, Constructive Struggle Model
Lydia Walter, Fabienne Bretscher, Stephanie Brodbeck, Bettina Brodbeck
Inhaltsverzeichnis
I. Einleitung ...................................................................................................................... 1
II. Übersicht ...................................................................................................................... 1
III. Destruktive Vorgehensweise – Destructive Assumptions .............................................. 2
1. Essentielle Asymmetrie – Essential Asymmetry ...................................................................... 2
2. Die Pflicht zum Sieg – The Obligation to Win .......................................................................... 2
3. Das Prinzip der Vergeltung – The Principle of Retaliation ....................................................... 2
4. Das Bedürfnis nach totaler Kontrolle – The Need for total Control .......................................... 3
5. Verdächtigungen und Geheimniskrämerei – Suspicion and Secretiveness ............................... 3
6. Das Unmittelbarkeitsprinzip – The Immediacy Principle ......................................................... 3
IV. Konstruktive Vorgehensweise – Constructive Assumptions .......................................... 4
1. Die Pflicht zu widerstehen – The Obligation to resist .............................................................. 4
2. Ähnlichkeit und Vielstimmigkeit – Basic Similarity and Many-Voicedness ............................... 4
3. Asymmetrie der Mittel – Asymmetry of Means ...................................................................... 5
4. Die Illusion der Kontrolle – The Illusion of Control.................................................................. 5
5. Öffentlichkeit – Publicity ....................................................................................................... 5
6. Das Prinzip des Reifens – The Principle of Ripeness ................................................................ 6
IV. Fazit ............................................................................................................................ 6
I. Einleitung
Jedem Konflikt kann mit unterschiedlichen Lösungsansätzen begegnet werden, wobei insbesondere die
Gewaltbereitschaft und Zerstörungswut stark variieren können. Die israelischen Psychologen Hami Omer
und Nachi Alon entwickelten Lösungsmodelle, welche zwischen einem destruktivem und einem
konstruktiven Konfliktmanagement unterscheiden.
Bei der destruktiven Konfliktlösung findet eine Dämonisierung des Gegners statt; dem Feind soll möglichst
grossen Schaden zugefügt werden, der Streit eskaliert. Soll ein Konflikt konstruktiv gelöst werden, dürfen
sich die Parteien zwar mit allen möglichen Mitteln verteidigen, aber nicht zurückschlagen. Durch einen
solchen gewaltfreien Widerstand soll der Eskalation des Streites entgegengewirkt werden und das
eigentlich widersprüchliche Begriffspaar „Kampf“ und „Gewaltlosigkeit“ zusammengeführt werden. Zu
betonen ist, dass es dabei nicht um die Vermeidung von Konflikten oder darum, sich zu ergeben, geht.
Vielmehr soll durch gewaltloses Kämpfen eine konstruktive Lösung gefunden werden.
Obwohl Omer und Alon das Konfliktlösungsmodell in Bezug auf familiäre Streitigkeiten entwickelt haben,
sind sie der Ansicht dass es sich auch auf grössere, politische oder soziale Dispute übertragen lässt, da
jedem Konflikt die gleichen oder ähnliche Probleme und Mechanismen zugrunde liegen. Der Gedanke des
gewaltfreien Kampfes hat einen weit zurückliegenden Ursprung und wurde unter anderem bereits von
Gandhi und Martin Luther King propagiert, um sozialen Ungerechtigkeiten zu begegnen.
„Gewalt ist die Waffe des Schwachen, Gewaltlosigkeit die des Starken.“ (Gandhi)
II. Übersicht
Folgende Tabelle listet die sich gegenübergesetzten Prinzipien der konstruktiven und destruktiven
Konfliktbewältigung auf und soll als grobe Übersicht dienen. Die einzelnen Haltungen werden im folgenden
Text näher erläutert werden.
Destruktive Vorgehensweise
Konstruktive Vorgehensweise
Essentielle Asymmetrie
Ähnlichkeit und Vielstimmigkeit
„WIR sind die Guten, IHR seid die Bösen!!!“
„Wir haben gute und schlechte Seiten; ihr habt gute
und schlechte Seiten.“
Die Verpflichtung zu gewinnen
Die Verpflichtung zu widerstehen
„Wir müssen den Feind vernichten!“
„Wir wehren uns - aber ohne Gewalt anzuwenden.“
Das Prinzip der Vergeltung
Asymmetrie der Mittel
„Wie du mir, so ich dir!“
„Wir schlagen nicht mit denselben Mitteln zurück.“
Der Drang nach totaler Kontrolle
Die Illusion der Kontrolle
„Wir müssen den Gegner kontrollieren, damit wir
ihn jederzeit im Griff haben!“
„Wir müssen es einsehen: wir können unseren
Gegner nicht kontrollieren.“
Verdächtigung und Heimlichkeit
Öffentlichkeit
„Der führt nichts Gutes im Schilde, nehmt euch in
Acht!“
„Wir legen unsere Vorgehensweisen offen.“
Unmittelbarkeitsprinzip
Das Prinzip des Reifens
„Wir müssen den Gegner jetzt sofort attackieren!“
„Die Lösung unseres Konfliktes kann nicht sofort
gefunden werden.“
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III. Destruktive Vorgehensweise – Destructive Assumptions
Die destruktive Konfliktlösung ist geprägt von der Dämonisierung der Gegenseite. Der Feind wird als das
„Böse in Person“ angesehen, will Schaden und Leid zufügen und ist deshalb verantwortlich für unser
Leiden. Er muss zerstört werden, auch wenn dafür drastische Mittel erforderlich sind. Das Böse liegt im
Wesen des Feindes, in seiner Herkunft oder Religion und muss ausradiert werden. Anstatt das Problem
gemeinsam anzugehen, wird die andere Partei als das Problem angesehen.
Die Besonderheit bei persönlichen / familiären Konflikten besteht darin, dass diesen oft eine innige Liebesbeziehung
vorausgeht. Sobald aber der Rosenkrieg entfacht ist, beginnt sich die Wahrnehmung der ehemals Liebenden zu
verändern: Man glaubt erst jetzt das „wahre Gesicht“ seines Partners kennenzulernen. Der Dämonisierungsprozess
nimmt seinen Lauf.
1. Essentielle Asymmetrie – Essential Asymmetry
Da der Gegner das Böse verkörpert, befindet man sich in einem Verteidigungskrieg, den man gewinnen
muss. Durch die Annahme dieser Asymmetrie werden vermeintlich Zorn und Gewaltanwendung legitimiert.
So kommt es etwa vor, dass Kinder ihr Leben lang einen Groll gegen ihre Eltern hegen, da sie sich ungerecht
behandelt fühlen. Versuchen dann die Eltern, durch Zuneigung oder Geschenke die Situation zu verbessern, sehen dies
die Kinder als Bestätigung dafür, dass die Eltern tief in ihrer Schuld stehen. Die Kinder halten ihren Groll für
gerechtfertigt.
2. Die Pflicht zum Sieg – The Obligation to Win
Wird ein Konflikt destruktiv geführt, so haben die Parteien nur ein Ziel: Den Gegner auszuradieren, sprich
den absoluten Sieg zu erlangen. Es kann nur einen Sieger und einen Verlierer geben. Aus dieser Annahme
ergibt sich eine paradoxe Abhängigkeit vom Gegner: Erst wenn sich dieser ergibt und sich die Niederlage
eingesteht, ist der Sieg erreicht. Der Konflikt erhält dadurch einen Duell-Charakter, welcher dann dazu
führt, dass Mediation strikt abgelehnt wird.
Auch bei persönlichen Konflikten wird das Gewinnen als eine Verpflichtung angesehen. Auseinandersetzungen über
unbedeutende Kleinigkeiten eskalieren so zu Machtkämpfen, bei denen keine Partei nachgeben will, da sie nicht als
„schwach“ angesehen werden will. So hat etwa eine Mutter ihren gewalttätigen Sohn kontinuierlich
zurückgeschlagen, weil sie ihn nicht „gewinnen“ lassen wollte.
3. Das Prinzip der Vergeltung – The Principle of Retaliation
Vergeltung wird bei einem destruktiven Konflikt als obligatorisch und angemessen angesehen und als ein
starker innerer Antrieb wahrgenommen. Angemessen erscheint sie, da SIE es verdienen und ist darüber
hinaus zwingend, weil WIR die ANDEREN ansonsten gewinnen lassen würden. Solange die Vergeltung nicht
erfolgte, fühlen sich die Parteien rastlos. Erst wenn mit dem Gegner abgerechnet wurde, stellt sich ein
Gefühl der Befriedigung und Ausgeglichenheit ein: Der Zustand von „ausgleichender Gerechtigkeit“ ist dann
hergestellt. Aufgrund der Annahme, dass eine bestehende Ungerechtigkeit vergolten werden muss, fühlen
sich die Parteien legitimiert, zu drastischen Mitteln zu greifen.
So werden etwa bei einer Scheidung oft die Kinder von ihren Eltern in den Streit mit einbezogen und gewissermassen
instrumentalisiert. Obwohl es sich dabei grundsätzlich um liebevolle und verantwortungsbewusste Eltern handelt,
involvieren sie die Kinder beim Aufflackern eines Konfliktes trotz des augenscheinlichen Schadens ohne auch nur mit
der Wimper zu zucken. Dieses Paradox lässt sich mit dem Prinzip der Vergeltung erklären: Beide Seiten glauben, in
blosser Reaktion auf die Aggressivität des anderen zu handeln und sehen deshalb keine andere Alternative. Es
entsteht das Gefühl aus einer höchst moralischen Rechtfertigung heraus zu reagieren.
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4. Das Bedürfnis nach totaler Kontrolle – The Need for total Control
Der Ausgang des Konflikts muss die totale Kontrolle über den Gegner bedeuten, da sich ansonsten sein
dämonisches Wesen erholen und weitere Attacken planen kann. Das Bedürfnis nach der totalen Kontrolle
entsteht aus Angst vor der Gegenseite und wird als reiner Selbstschutz empfunden. Je nach Art des
Konfliktes strebt die totale Kontrolle verschiedene Ausgänge an:
a) Bekehrung
Der Feind soll die „Wahrheit“ vollumfänglich und bedingungslos akzeptieren, Reue zeigen und die
Schuld auf sich nehmen. Die Bekehrung erfolgt mit dem Eingeständnis des Gegners, dass er absolut
machtlos und unterlegen ist.
b) Unterwerfung
Da Gewalt die einzige Sprache ist, die der Gegner versteht, muss er mittels dieser zur „Einsicht“
gebracht werden. Ist er nicht einsichtig kann Folgendes nötig sein:
c) Austreibung
Dem Gegner müssen die schlechten, dämonischen Eigenschaften ausgetrieben werden, damit er
keinen Schaden mehr anrichten kann. Dies geschieht z.B. durch Exorzismus oder Vertreibung.
d) Elimination
War die Austreibung nicht erfolgreich, muss als Alternative dazu der Gegner zerstört werden.
Auch in familiären Konflikten wird oft nach Kontrolle gestrebt:
Versuche, rebellischen Kindern oder dem Ehepartner die eigene „Wahrheit“ in den „sturen“ Kopf zu hämmern,
erweisen sich oft nicht nur als wirkungslos, sondern lassen den Konflikt auch meist eskalieren. Insbesondere
Jugendliche interpretieren in Überzeugungsversuche der Eltern schnell die Absicht zur Kontrolle, fühlen sich
angegriffen und wollen sich wehren.
Auch in Ehestreitereien wird Gewalt oft als die letzte Möglichkeit angesehen, um den anderen zur Besinnung zu
bringen, nachdem alle anderen Versuche gescheitert sind. In solchen Situationen wird die Aufgabe, den Ehepartner
zu „Verstand“ zu bringen als Verpflichtung wahrgenommen, was dazu führt dass bei Unnachgiebigkeit Gewalt als
unausweichlich erscheint. Bleibt die Bekehrung erfolglos, kann die Drohung der Austreibung ins Spiel kommen (z.B.
das Kind ins Internat zu schicken oder den Ehepartner aus der gemeinsamen Wohnung zu vertreiben).
5. Verdächtigungen und Geheimniskrämerei – Suspicion and Secretiveness
Die dämonische Sichtweise des Gegners verlangt, diesem konstant zu misstrauen. Dies nicht zu tun
bedeutet, seinen eigenen Schutz zu vernachlässigen und somit vom Feind überrumpelt werden zu können.
Vermeintlich positiven Handlungen oder Erklärungen zu misstrauen ist ein Zeichen von realistischer
Verantwortung – alles andere wäre blosses Wunschdenken. Obwohl Vertrauen eigentlich als das viel
angenehmere Gefühl erscheint, kann stetes Misstrauen in einem destruktiven Konflikt eine Quelle von
emotionaler Befriedigung darstellen. Durch andauernde Verdächtigungen fühlt man sich weniger als
passives Opfer, sondern glaubt, den Gegner zu durchschauen und entwickelt dadurch ein Gefühl der
Überlegenheit.
6. Das Unmittelbarkeitsprinzip – The Immediacy Principle
In einem destruktiv geführten Konflikt wird jede Begegnung und jeder Moment als entscheidend
angesehen. Es wird befürchtet, dass jede Veränderung die Machtbalance ins Wanken bringt und eine Partei
die Oberhand gewinnt. Bei jedem Zwischenfall muss sofort gehandelt werden, da jede Verzögerung das
Risiko birgt, dass der Gegner den entscheidenden Schlag zuerst landet. Führt der erwartete „KO-Schlag“
nicht zum Ziel, so muss der nächste noch härter ausfallen.
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Langsame und nachhaltige Prozesse werden ignoriert, da diese nicht sofort über Gewinnen oder Verlieren
entscheiden können. Der Konflikt wird dadurch zu einer Aneinanderreihung von „Alles- oder NichtsKämpfen“ und endet in einer endlosen Spirale der Gewalt.
Auch in persönlichen Konflikten wird das Prinzip der Unmittelbarkeit grossgeschrieben. Jede Verzögerung des
Rückschlags wird als Zeichen der Schwäche aufgefasst.
IV. Konstruktive Vorgehensweise – Constructive Assumptions
Der konstruktive Lösungsansatz geht weit über das Verneinen von Krieg und Gewalt hinaus: Es handelt sich
dabei um eine eigentliche Art der Konfliktlösung. Im Laufe der Zeit hat sich unter mehrfachen
Anwendungen erwiesen, dass Konflikte so effektiver und vor allem deutlich weniger zerstörerisch gelöst
werden können.
1. Die Pflicht zu widerstehen – The Obligation to resist
Mahatma Gandhi stellte fest, dass Gewalt und Unterdrückung durch ein prinzipielles Ablehnen von Macht
nicht etwa verhindert, sondern sogar gefördert werden können. Nachgiebigkeit und Einfühlungsvermögen
können von der Gegenpartei als Schwäche oder Kapitulation interpretiert werden und dadurch ihre
Gewaltbereitschaft noch steigern. Auf der anderen Seite fördern auch Feindseligkeiten die negativen
Energien. Deswegen wird der bewusste Widerstand als eine eigentliche Art des Kämpfens verstanden und
lehnt Macht nicht grundsätzlich ab. Gewalt und Feindseligkeiten werden jedoch strikt vermieden, um
dadurch eine Gewaltspirale und letztendlich die Eskalation zu verhindern.
Speziell in Fällen von Gewalt in Familien ist es wichtig, dass die Opfer bewusst lernen, ihrem Angreifer zu widerstehen.
Diesem Punkt wird meist zu wenig Aufmerksamkeit geschenkt. Vielmehr versucht man den Streit durch
Psychotherapien oder durch die Trennung von Täter und Opfer zu deeskalieren. Um den (gewaltlosen) Widerstand zu
vermitteln, entwickelten Omer und Alon ein Programm für Eltern mit gewalttätigen Kindern. Den Eltern sollen
Werkzeuge aufgezeigt werden, die ihnen helfen, der Gewalt der Kinder die Stirn zu bieten ohne selbst gewalttätig
oder nachgiebig zu sein.
2. Ähnlichkeit und Vielstimmigkeit – Basic Similarity and Many-Voicedness
Im Gegensatz zur Einstellung „SIE sind schlecht – WIR sind gut“ betont der gewaltfreie Widerstand die
Koexistenz positiver und negativer Stimmen bei beiden Parteien. Bereits Mahatma Gandhi und Martin
Luther King Jr. vertraten diese Ansicht: Sie kämpften nicht gegen „die Briten“ oder „die Weissen“ sondern
gegen Unterdrückung und Gewalt. Derselbe Ansatz kann auch in alltäglichen Konflikten einen grossen
Unterschied bewirken. Betrachtet man das Verhalten des anderen als das Resultat der Beeinflussung
mehrerer innerer Stimmen, hilft dies zu differenzieren und die eigenen positiven Stimmen zu stärken
anstatt sie zu ignorieren.
Deutlich klar wird das Model der Vielstimmigkeit am Beispiel eines Suizidversuchs. Solange der Suizident zögert,
seinem Leben ein Ende zu setzen, besteht in seinem Kopf noch eine Mehrheit von Stimmen die für das Leben sprechen.
Ziel eines Helfers kann es nicht sein, den Suizidenten völlig umzustimmen, sondern eben eine solche Mehrheit zu
erzielen.
Die Annahme der Vielstimmigkeit erlaubt es, den Fokus auf die positiven Stimmen des anderen zu legen.
Folge davon ist, dass sich die Parteien mit grösserem gegenseitigem Respekt gegenübertreten und sich
inmitten des Widerstandes annähern. Dies darf jedoch nicht mit Nachgiebigkeit verwechselt werden. Vielen
Teilnehmern des Programms von Omer und Alon halfen die Annäherungen und Eingeständnisse den
Kindern gegenüber sogar, besser widerstehen zu können. Durch den Blick auf das Positive und die dadurch
entstehende Nähe fühlten sich Eltern trotz, oder gerade aufgrund ihres Widerstands, gleichzeitig
respektvoll und wohlwollend handelnd.
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3. Asymmetrie der Mittel – Asymmetry of Means
Entgegen dem Vergeltungsprinzip „Auge um Auge - Zahn um Zahn“, vermeidet der gewaltlose Kämpfer
systematisch, mit denselben Mitteln wie der Gegner zurückzuschlagen. Auf Gewalt soll nicht mit Gewalt
geantwortet werden. Der Kampf jedoch geht weiter.
Fast immer stehen sich in Konfliktsituationen zwei unvereinbare Ansichten mit total unterschiedlichen
Anknüpfungspunkten gegenüber. Die Fragen „Wer ist schuld?“ oder „Wer hat angefangen?“ führen somit
nicht weiter. Selbst wenn offensichtlich eine Partei den Konflikt begonnen hat, führt das strikte Streben
nach Symmetrie und danach, alles Geschehene rückgängig machen zu wollen, wohl immer zu einer
Verschärfung des Konflikts.
Das Ziel bleibt, die negativen Aktivitäten der Gegenpartei auszuschalten. Jedoch soll weder vergolten noch
geschadet werden. Dieses Vorgehen nimmt der Gewalt die Kraft: Sie verliert ihre Legitimation und wird
dadurch gehemmt. Bewusster Widerstand vermittelt Durchhaltevermögen, was die Gegenpartei
verunsichert. Zudem bringt das asymmetrische Vorgehen Sympathisanten und Unterstützung für die
gewaltfreie Seite mit sich, was den Effekt der Verunsicherung noch verstärkt.
Beim Abzug der Israeli aus dem Gazastreifen wurden beide Seiten trainiert, richtig auf Provokationen und Gewalt zu
reagieren. In den Vorbereitungen wurden Selbstbeherrschung als wahrer Wert und Quelle echten Teamgeists
vermittelt. Soldaten und Polizisten brauchten bei den Evakuierungen Statements wie: „Ich habe keine Wahl“ oder „Ich
führe nur aus, ich entscheide nicht“. Solche einseitigen Mitteilungen beziehen sich nicht auf die Gegenseite und
versuchen weder zu erklären noch anzuschuldigen. Hitzige Diskussionen und Eskalationen können dadurch vermieden
werden.
4. Die Illusion der Kontrolle – The Illusion of Control
Die Kernaussage dieses Prinzips ist, dass es unmöglich ist, das Verhalten oder die Gefühle von anderen
kontrollieren zu können. Sobald man dies realisiert hat, wird man vom Zwang, alles kontrollieren zu
müssen, befreit. Ein wichtiger Unterschied des gewaltfreien Widerstands zum gewalttätigen Kämpfen
besteht darin, dass man in den Widerstandshandlungen eine Pflicht sieht und nicht ein Mittel zur Kontrolle
über den anderen. Man konzentriert sich auf seine eigenen Handlungen und nicht mehr auf diejenigen des
anderen. Dadurch bändigt man seinen eigenen Kontrollzwang und verringert so die Gefahr einer Eskalation
des Konflikts.
Werden Eltern mit gewalttätigen Kindern konfrontiert, müssen sie davon wegkommen, dem Kind zeigen zu wollen,
wer der Stärkere ist. Sie sollten dem Kind klar kommunizieren, dass sie es nicht kontrollieren können, aber dass sie
sich selbst beschützen müssen und seiner Gewalt gewaltfrei widerstehen können .
5. Öffentlichkeit – Publicity
Geheimnisse und Verdächtigungen stellen eine wichtige Grundlage der Gewalt dar, da diese vor allem von
Furcht lebt. Bewegungen des gewaltlosen Widerstands lehnen Geheimhaltung deswegen grundsätzlich ab.
Sie nutzen Transparenz und die Öffentlichkeit als Unterstützung in ihrem gewaltfreien Kampf, sowohl zur
Mobilisierung von weiteren Kämpfern als auch zur Ausübung von Druck auf die gewalttätige Gegenseite. Es
entsteht ein gemeinsames Netz von Gegnern der Gewalt. Dadurch beginnt sich ein Gefühl der
Zusammengehörigkeit zu entwickeln, welches auch die Gegner mitumfasst.
Während der Umsiedelungsprozesse im Gazastreifen trug die Dokumentation von potentiell explosiven Anlässen
durch die Medien dazu bei, die Eskalation zu reduzieren. Die Öffentlichkeit sympathisiert normalerweise mit
derjenigen Partei, die gewaltlos handelt. So bemühten sich beide Seiten, möglichst keine Gewalt anzuwenden, um die
Sympathie der Öffentlichkeit für sich zu gewinnen.
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6. Das Prinzip des Reifens – The Principle of Ripeness
Das Ziel des gewaltfreien Kämpfers ist keine sofortige Lösung. Er arbeitet also nicht auf den alles
entscheidenden „K.O.-Schlag“ hin, sondern setzt sich unmittelbar erreichbare Ziele und sieht die
Bewältigung des Konfliktes als einen langfristigen Prozess an. Ein gewaltloser Widerstand ist deshalb
geprägt von Geduld, Durchhaltevermögen und der Fähigkeit, sich auf das Positive zu konzentrieren.
IV. Fazit
Die Vorgehensweise des destruktiven Kämpfers erscheint im ersten Moment als attraktiver, da schnelle
Resultate erzielt werden können. Insbesondere in Zeiten von sozialen Turbulenzen können kurzfristige,
impulsive Gegenschläge befriedigender wirken als die Verfolgung von langfristigen Zielen, da der Gegner
sofort „bestraft“ wird.
Die langfristige Denkweise des gewaltfrei Kämpfenden führt jedoch zu besseren Ergebnissen: Anstelle des
Alles- oder Nichts-Prinzips wird eine Lösung angestrebt, mit der beide Parteien leben können, ohne dass
vorausgehende Eskalationen, Dämonisierungen und Stigmatisierungen das Verhältnis belasten. Dies ist ein
wichtiger Punkt, da beispielsweise gerade bei familiären Problemen, für die das Modell der konstruktiven
Konfliktbewältigung entwickelt wurde, die Familie auch nach Beendigung des Konfliktes zusammenleben
muss.
Da die Natur des Menschen eine kurzfristige und impulsive Reaktion vorgibt, wäre für eine vermehrte
Durchsetzung des Modells des konstruktiven Widerstandes ein Umdenken und eine gewisse Überwindung
dieser Impulse erforderlich. Dies wäre eine sehr wünschenswerte Entwicklung, wie auch verschiedene
praktische Erfolge belegen: So findet man z.B. Elternanleitungen für die Kindererziehung
(https://www.verein-web.ch/docs/0b683407613318f581a9c6d5b29c1a4c/Elternanleitung.pdf),
Gewaltpräventionsprogramme in Schulen oder Kurse des Schweizerischen Roten Kreuzes. Wichtig erscheint
es, dass bereits Kindern beigebracht wird, „richtig zu streiten“. Auch in politischen Konflikten führte der
konstruktive Widerstand bereits zu Erfolgen: Im Rahmen des Gaza Konfliktes konnte unter dem Einfluss von
Haim Omer und Nachi Alon eine Aktion durchgeführt werden, bei welcher Israelis und Palästinenser
gemeinsam Blut spendeten um den Opfern des Konflikts zu helfen.
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