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Dr. Helmut Gross
Flüchtlinge: Herausforderung an unsere Demokratie und unsere Werte
Zu diesem Thema sprach auf Einladung des Kreisverbands Vechta der EuropaUnion vor einer großen Zuhörerschaft am 17.02.16 in DinklageDr. Hajo Funke,
pensionierter Professor für Politik und Kultur an der Freien Universität Berlin.
Ausgangspunkt für ihn war die Feststellung: Durch unkluge und kurzsichtige
Politik der Großmächte und einiger Staaten in der Nachbarschaft unserer Region ist die Welt und ist die Europäische Union in einen instabilen Zustand
voller ungelöster politischer und sozialer Konflikte geraten. Denn:I
Als Folge staatlicher Misswirtschaft, ethnischer und religiöser Konflikte bei
gleichzeitiger Zunahme der Wüstenbildung haben viele Menschen im nördlichen Afrika und als Folge von Kriegen oder Bürgerkriegen viele Menschen in
Afghanistan, dem Irak und Syrien ihre Heimat verlassen und sind 2015 in
sprunghaft gestiegener Zahl in die EU geströmt. Die meisten kamen nach
Deutschland. Nur durch das Engagement vieler Tausender von Ehrenamtlichenist ihre Erstunterbringung gelungen und sind Kurse zum Erlernen der
deutschen Sprache sowie zur Vermittlung europäischer politischer und gesellschaftlicher Werte angelaufen.
Rechtspopulisten schüren bei uns Fremdenfeindlichkeit, und Politiker der etablierten Parteien verharmlosen die Herausforderungen durch den Flüchtlingszustrom. Sie sollten die Besorgnisse der Bevölkerung jedoch ernst nehmen, so
der Referent. Allen demokratischen Kräften empfahl er, klare Kante zu zeigen
für unsere Rechtsordnung und für die offene Gesellschaft. Unser Staat und
seine politische Mitte seien stabil. Und Angela Merkel habe bei ihrem überraschenden Entschluss zur vorübergehenden unbeschränkten Grenzöffnung
keine Gesetze verletzt. Den EU-Außenpolitikern legte er für ihre Krisendiplomatie in der Ukraine wie im Nahen Osten nahe, zusammen mit den USA aktiv
zur Friedensfindung und zur Herrschaft des Rechts als Grundlage des Zusammenlebens der Völker und Religionendort beizutragen. Anders seien diese
beiden blutigen Konflikte ohne neue Unterdrückungen von Menschen nicht
lösbar.
Während des Kalten Krieges gab es bei regionalen und internationalen Krisen
klarere Fronten als bei der jetzigen Lage in Tunesien und Libyen, im Irak und in
Syrien oder in Afghanistan. Im Irak wurde der Diktator Saddam Hussein zwar
gestürzt, die Amerikaner öffneten das Land danach aber nur für ausländische
Märkte und bauten nichts politischAnderes auf, wie nach 1945 in den drei
Westzonen von Deutschland. So brach der Staat durch den Gegensatz zwischen
Sunniten im Westen, Schiiten im Osten und Kurden im Norden auseinander
und konnten die Terrorgruppen von al-Kaida und Islamischem Staat dort Fuß
fassen. Rings um Syrien sind inzwischen 5 Millionen seiner Bürger auf der
Flucht.
Auch in Libyen kam es nach dem Sturz Gaddafis nicht zu einem staatlichen
Neuaufbau. Das Land brach in seine drei ethnischen Teile auseinander und ist
so innerlich zerrissen. Dadurch gelangen die Armutsflüchtlinge aus der Sahelzone bis an seine Nordküste, wo Schleuser sie zum riskanten Übersetzen in
kleinen Booten nach Malta und Italien verfrachten. Eine gemeinsame internationale Befriedungsinitiative für Syrien blieb lang aus, weil die früheren
Mandatsmächte Frankreich und Großbritannien sich nicht engagieren und
Präsident Obama keinen neuen internationalen Ordnungseinsatz beginnen
wollten. Die Türkei, der Iran und Saudi-Arabien drängten sich dagegen mit
eigenen Interessen vor, zuletzt auch Russland. Syrien selbst hateine Mehrzahl
von Volksgruppen und Religionen. Seinen dünn besiedelten Ostteil konnte der
IS weitgehend unter seine Kontrolle bringen. Die Hoffnungen liegen jetzt auf
einer baldigen und wirkungsvollen Einigung in der breit besetzten internationalen Syrienkonferenz.
Die Flüchtlingspolitik ist in der EU nicht vergemeinschaftet.Kommissionspräsident, Parlamentspräsident und Ratsvorsitzender können daher an die 28 Mitgliedsstaaten nur appellieren, die jetzige starke Zuwanderung zusammen zu
bewältigen und keine nationalen Alleingänge zu machen. Es muss zu einer gemeinsamen Politik zum Schutz der EU-Außengrenzen kommen, sonst ist der
Zustrom nicht zu kontrollieren und zu beeinflussen und ist das Schengener
Abkommen mit seinem freien Personen- und Güterverkehr innerhalb der beteiligten Staaten nicht zu halten. Das wäre nicht nur für leichteres Reisen,
sondern auch fürdas gemeinsame Wirtschaften nachteilig.
Funke ist zuversichtlich, dass Deutschland die 1.1 Millionen 2015 eingewanderten Flüchtlinge in unsere Gesellschaft und viele davon auch in den Arbeitsmarkt
integrieren kann. Frau Merkel habe mit ihrem Entschluss zur vorübergehenden
Grenzöffnung Anfang September keine Gesetze verletzt, sagte er.Und der
Massenzustrom hätte auch ohne diesen Entschluss eingesetzt. Nicht alle Diskutanten teilten diese Einschätzung, sondern meinten: Deutschland machte
einen Alleingang und will danach wieder EU-Solidarität. Und wir denken kaum
daran, was für eine Last wir mit unserem einseitigen Handeln den kleinen Staaten auf der Transitroute, die ärmer sind als wir, aufgeladen haben.
Die EU sollte aus dieser Krise heraus einen Weg nach vorne finden, zu neuen
Zielen, insbesondere zur Konsolidierung des Euroverbunds und zur Vergemeinschaftung weiterer Politikbereiche. In dem Zusammenhang bedauert es der
Referent, dass sie keinen Think Tank hat wie andere politische Global Player.
Denn dessen Sachverstand könnte den politischen Entscheidern Modelle dafür
ausarbeiten. Mit ihnen könnte dann über die notwendigenZukunftsentscheidungen sachhaltiger diskutiert und entschieden werden.
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