Vorlesung F1 Klinik und Poliklinik für Psychiatrie und Psychotherapie Psychiatrische Notfälle und deren Behandlung (ICD-10: F0-F9) Klinik und Poliklinik für Psychiatrie und Psychotherapie Zentrum für Psychosoziale Medizin Universitätskrankenhaus Hamburg-Eppendorf (UKE) Vorlesung F1 Klinik und Poliklinik für Psychiatrie und Psychotherapie Erstellung des Inhalts: Prof. Dr. Martin Lambert Lehrbeauftragter Klinik und Poliklinik für Psychiatrie und Psychotherapie Zentrum Psychosoziale Medizin Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf (UKE) Martinistr. 52, 20246 Hamburg Gebäude W37 Tel.: +49-40-7410-24041 Fax: +49-40-7410-52229 E-Mail: [email protected] Überblick Klinik und Poliklinik für Psychiatrie und Psychotherapie Allgemeine Aspekte • • • • Definition und Häufigkeit des psychiatrischen Notfalls Rechtliche Aspekte Vorgehen in der psychiatrischen Notfallsituation Psychopharmaka für den psychiatrischen Notfall Notfall-Syndrome und deren Behandlung • • • • Psychomotorische Erregungszustände Hypovigilant-hypoaktive psychiatrische Notfälle Suizidalität und akute Belastungsreaktion Spezifische Syndrome durch Intoxikation mit psychotropen Substanzen (Psychopharmaka, andere Medikamente, Drogen) Klinik und Poliklinik für Psychiatrie und Psychotherapie Allgemeine Aspekte Klinik und Poliklinik für Psychiatrie und Psychotherapie Definition des psychiatrischen Notfalls Ein psychiatrischer Notfall ist ein Zustand, der in der Regel durch eine psychische Erkrankung bedingt ist und der einen unmittelbaren Handlungszwang zur Abwendung von Lebensgefahr oder von anderen schwerwiegenden Folgen mit sich bringt. Er erfordert eine sofortige, an der akuten Symptomatik orientierte, gezielte Therapie, um eine Gefahr für die Gesundheit des Patienten und evtl. anderer Personen abzuwenden. 1. Pajonk et al. 2001. Der psychiatrische Notfall im Rettungsdienst. Nervenarzt 72: 685-692. Häufigkeit Klinik und Poliklinik für Psychiatrie und Psychotherapie Psychiatrische Notfälle machen etwa 10% aller notärztlichen Einsätze aus, in der Klinik 10-20%. Häufigkeiten: • 50-60% Auswirkungen einer bestehenden psychischen Erkrankung (v.a. Schizophrenie, Suchterkrankungen), • 25% zwischenmenschliche Konflikte • 20-25% Alkohol-assoziiert (Entzug, Intoxikationen, Delir) • 20% „seelische Krise“ • 10-20% Suizidalität bzw. nach Suizidversuch Überlappung und gleichzeitiges Bestehen von mehr als einer Notfallkategorie häufig! Pajonk et al. 2001. Der psychiatrische Notfall im Rettungsdienst. Nervenarzt 72: 685-692. Rechtliche / juristische Aspekte Klinik und Poliklinik für Psychiatrie und Psychotherapie Rechtliche Aspekte in der (Notfall)Behandlung: Schutz des Patienten und Dritter Rechte des Patienten Geschäftsfähigkeit / Einwilligungsfähigkeit Unterbringung Dokumentation Schweigepflicht Betreuung nach Entlassung Rechte des Patienten Klinik und Poliklinik für Psychiatrie und Psychotherapie Der Patient hat... das Recht, die Notfalleinrichtung zu verlassen (es sei denn, der Patient ist akut selbst- oder fremdgefährdend), das Recht, über geplante Behandlungen, zu erwartende Wirkungen sowie mögliche unerwünschte Folgen informiert zu werden, das Recht auf Rechtsberatung, wenn eine Unterbringung droht. Klinik und Poliklinik für Psychiatrie und Psychotherapie Geschäftsfähigkeit / Einwilligungsfähigkeit Geschäftsfähigkeit Einwilligungsfähigkeit Nach dem Gesetz sind alle Erwachsenen geschäftsfähig, es sei Einwilligungsfähig ist, wer Art, denn, dass die Voraussetzungen für Bedeutung und Tragweite (Risiken) der eine Einschränkung oder Aufhebung ärztlichen Maßnahme erfassen kann. der freien Willensbildung vorliegen (§§ 104, 105, 1896 BGB). Geschäftsunfähig ist (§ 104 BGB), wer das 7. Lebensjahr nicht vollendet hat wer sich in einem die freie Willensbestimmung ausschließenden seelischen Zustand befindet Einwilligungsunfähig ist, wer Art oder Bedeutung oder Tragweite (Risiken) der ärztlichen Maßnahme nicht erfassen kann. Klinik und Poliklinik für Psychiatrie und Psychotherapie Kriterien für freiheitsbeschränkende oder -entziehende Maßnahmen nach Unterbringungsgesetz (PsychKG) ...es muss eine psychische Krankheit festgestellt werden, infolge derer eine erhebliche Eigen- oder Fremdgefährdung vorliegt, die nur durch Unterbringung und Behandlung in einer psychiatrischen Klinik abzuwenden ist, ...bei Nichtbehandlung besteht eine akute, unmittelbare Gefahr für den Patienten und/oder Dritte bzw. deren Eigentum, ...die freie Willensbestimmung (Einsichts- und Urteilsfähigkeit) des Patienten ist krankheitsbedingt stark beeinträchtigt, ...die Zusammenhänge zwischen psychischer Erkrankung und drohender Eigen- oder Fremdgefährdung müssen objektivierbar sein und es muss mit einer Besserung des Krankheitszustandes aufgrund der Behandlung gerechnet werden können. Unterbringung Klinik und Poliklinik für Psychiatrie und Psychotherapie ...die Freiheit der Person, insbesondere vor staatlichen Maßnahmen, ist durch das allgemeine Persönlichkeitsrecht (Art. 2 des Grundgesetz) geschützt, ...alle Maßnahmen beruhen ausnahmslos auf der Fürsorgepflicht des Staates gegenüber kranken Personen und müssen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit wahren, ...für jede freiheitsbeschränkende oder -entziehende Maßnahme ist eine vormundschaftsgerichtliche Genehmigung durch das zuständige Amtsgericht einzuholen. Betreuungsgesetz (BtG) / Unterbringungsgesetzen (PsychKG) Klinik und Poliklinik für Psychiatrie und Psychotherapie Betreuungsgesetz (BGB) Unterbringungsgesetz (PsychKG) Betreuungsgesetz (BtG) Unterbringungsgesetz (PsychKG) Patient hat einen Betreuer (§1906, Minderjährige §1631b) Patient hat keinen Betreuer Arzt bringt Patienten nach PsychKG für 24h unter (§12) 2. Gericht 3. Bestellung 4. Betreuer Der Richter entscheidet innerhalb von 24h über Fortführung und Dauer der Unterbringung (§9) 1. Antrag ggf. Unterbringung des Patienten Klinik und Poliklinik für Psychiatrie und Psychotherapie Allgemeine Richtlinien für Zwangsmaßnahmen "Absonderung" bzw. "Isolierung" (engl.: seclusion), "Fixierung" (engl.: physical restraint) und medikamentöse Zwangsbehandlung (engl.: chemical restraint) sind nur anzuwenden, wenn: es die einzige Methode ist, um Schaden für sich selbst oder andere vorzubeugen sie einem offiziellen Verfahren folgen sie nur so kurz wie möglich angewendet werden sie in der Krankengeschichte dokumentiert werden und sie unter ständiger Beobachtung von qualifizierten Mitarbeitern stattfindet. Klinik und Poliklinik für Psychiatrie und Psychotherapie Vorgehen in der psychiatrischen Notfallsituation (I) Abschätzen, ob der Patient eine akute Gefahr für Untersucher, Personal oder sich selbst darstellt Ausschluss einer unmittelbaren vitalen Bedrohung durch internistische oder chirurgische (Grund)Erkrankung Vorläufige diagnostische Einschätzung von (a) Notfallsyndrom und (b) zugrundliegender psychiatrischer Störung durch Fremdanamnese und Verhaltensbeobachtung Festlegung der Behandlungsstrategie und -modalität (freiwillig – unfreiwillig, sofort – nach Aufnahme/Übernahme) Klinik und Poliklinik für Psychiatrie und Psychotherapie Vorgehen in der psychiatrischen Notfallsituation (II) Erste syndromale Verdachtsdiagnose stellen Psychopharmakologische Behandlung möglichst auf der Basis einer (vorläufigen) diagnostischen Einschätzung Nicht-pharmakologische Maßnahmen (u.a. verbale Deeskalation, Reizabschirmung) begleitend einsetzen Psychopharmaka zur Beruhigung und nicht zur Schlafinduktion einsetzen Patienten soweit wie möglich in die Auswahl und Applikationsform der Psychopharmaka mit einbinden Orale der parenteralen Medikation vorziehen Klinik und Poliklinik für Psychiatrie und Psychotherapie Psychopharmaka für den psychiatrischen Notfall Drei wesentliche Anforderungen: 1)Hohe Sicherheit (Verträglichkeit, Zulassung) bei häufig akut nicht einsichtsfähigen Patienten 2)Hohe Wirksamkeitswahrscheinlichkeit in Bezug auf die Zielsymptomatik 3)Hohe Applikationssicherheit und kurze Wirkdauer Klinik und Poliklinik für Psychiatrie und Psychotherapie Notfall-Psychopharmaka im Überblick (I) 1) Butyrophenone Haloperidol, Melperon (Eunerpan®) und Pipamperon (Dipiperon®) sind bewährte Substanzen mit relativer Sicherheit (Melperon und Pipamperon in sedierender und hypnotischer Indikation z.B. bei geriatrischen/internistischen Patienten). 2) Zuclopenthixolacetat i.m. ist Haloperidol i.m. gleichwertig (Metaanalyse Jayakody et al. 2012) und dient der Vermeidung wiederholter Injektionen. CAVE später Wirkeintritt (6-8h) und starke Sedierung. 3) Antipsychotika der 2. Generation: Wirksamkeit bei Agitation im Rahmen von Schizophrenie und Manie: Olanzapin i.m., Aripiprazol i.m. und Ziprasidon i.m. Einsatz von Ziprasidon i.m. wegen QTcVerlängerung und geringer Erfahrung umstritten. Klinik und Poliklinik für Psychiatrie und Psychotherapie Notfall-Psychopharmaka im Überblick (II) 4) Anwendung von trizyklischen niederpotenten Neuroleptika (z.B. Levomepromazin) im akuten Erregungszustand wird wegen anticholinerger und kardiovaskulärer Nebenwirkungen nicht mehr empfohlen. 5) Haloperidol plus Promethazin i.m. (CAVE delirogen) Monotherapie mit Haloperidol oder Olanzapin überlegen (Metaanalyse Huf et al. 2009). 6) Als Sedativum und Anxiolytikum wird das relativ kurz wirksame Benzodiazepin Lorazepam empfohlen (oral Tablette, oral Wafer, i.m., i.v.). 7) Clomethiazol hat sich bei prädeliranten bzw. deliranten Zuständen bewährt. Nachteile sind geringe therapeutische Breite und die nicht mehr zur Verfügung stehende parenterale Applikationsform. Klinik und Poliklinik für Psychiatrie und Psychotherapie Notfall-Psychopharmaka im Überblick (III) 8) Die Kombination von Antipsychotika mit Benzodiazepinen ist gut untersucht (v.a. Haloperidol plus Lorazepam) und bietet Vorteile gegenüber der Monotherapie (u.a. geringe jeweilige Dosen, Dämpfung möglicher Akathisien durch BZD). 9) Olanzapin i.m. plus Benzodiazepine wird nicht empfohlen (CAVE erhöhtes Mortalitätsrisiko, insbesondere in Kombination mit Alkohol). 10) Bei Erregungszuständen waren Risperidon oral und Haloperidol i.m. sowie Risperidon plus Lorazepam (oral) und Haloperidol i.m. plus Lorazepam i.m. gleich wirksam (Wilson et al. 2012). 11) Im Falle einer parenteralen Applikation ist eine Reduktion der Dosis erforderlich, i.v.-Injektionen müssen generell langsam erfolgen, als parenterale Form von Haloperidol wird ausschließlich die i.m.Injektion empfohlen (CAVE i.v.-Gabe Monitorpflicht). Applikationsformen von Notfall-Psychopharmaka Klinik und Poliklinik für Psychiatrie und Psychotherapie i.v., per inf. i.m., akut Schmelztabelle (Wafer) Lösung Orale Form -a + - + + Zuclopenthixolacetat - + (3 Tage) - - - Olanzapin - + + - + Aripiprazol - + + + + Ziprasidon - + - - + Risperidon - - + + + Substanz Antipsychotika Haloperidol Medikamente mit anxiolytischer und sedativer Wirksamkeit Lorazepam + + + - + Diazepam + + - + + Promethazin + + - + + Melperon - - - + + Pipamperon - - - + + a) Aufgrund von Verlängerung des QT-Intervalls im EKG und/oder ventrikuläre Arrhythmien/Torsade de pointes; auch wegen seltenen plötzlichen Todesfälle Klinik und Poliklinik für Psychiatrie und Psychotherapie Indikation Die wichtigsten Notfall-Psychopharmaka im Überblick (I) Dosierung Besonderheiten CAVE Gute kardiovaskuläre Verträglichkeit in geringeren Dosen EPMS-Risiko hoch (auch in geringen Dosen) QTc Verlängerung möglich In hohen Dosen nur mit Monitorüberwachung (ventrikuläre Tachyarrhythmie mit Gefahr Torsades de pointes): Haloperidol nicht i.v. verordnen! Kurzzeitdepot mit guter Wirksamkeit QTc Verlängerung möglich Verzögerter Wirkungseintritt (6-8h) Starke Sedierung Lange HWZ Frühdyskinesien möglich Haloperidol Psychotische und delirante Zustände, psychomotorische Erregung i.m., p.o. 5-10mg Bei älteren Patienten niedrige Dosierung (zunächst 0.51.5mg) Ggf. Wiederholung alle 30min Nicht mehr als 100mg/24h/oral und 60mg/24h/i.m. Zuclopenthixolacetat Initialbehandlung von akuten Psychosen, Manien oder Exazerbation chronischer Psychosen i.m. 50-150mg, 1-2malige Wiederholung alle 2-3 Tage Klinik und Poliklinik für Psychiatrie und Psychotherapie Indikation Die wichtigsten Notfall-Psychopharmaka im Überblick (II) Dosierung Besonderheiten CAVE Olanzapin Psychotische Zustandsbilder Psychomotorische Erregung bei Schizophrenie, Manie (insbesondere bei erhöhter EPMS Neigung) i.m. initial 2.5-5mg, maximal 20mg p.o. initial 10-20mg Wiederholung alle 30min. Möglich i.m. nicht mehr als 20mg/24h bis maximal 3 Tage Geringes EPMSRisiko Problemloser Übergang in Erhaltungstherapie QTc Verlängerung möglich Bei i.m. Therapie schnelle Umstellung auf orale Applikationsform anstreben Keine i.v. Applikation Keine Kombination mit BZD CAVE: Kombination mit Alkohol i.m. initial 9.75mg (1.3ml) als einmalige i.m.-Injektion; ggf. auch niedrigere Dosis (5.25mg, 0.7ml) Wiederholung nach 2h möglich Maximal 3 Injektion/24h Höchstdosis 30mg/24h Sehr geringe metabolische NW QTc Verlängerung gering Kaum EPMS Kaum Prolaktinerhöhung Datenlage zur Effektivität noch unvollständig Bei i.m. Therapie schnelle Umstellung auf orale Applikationsform anstreben Vorsicht bei Kombination mit BZD Aripiprazol Schnelle Beherrschung von Erregungszuständen bei Schizophrenie Klinik und Poliklinik für Psychiatrie und Psychotherapie Indikation Die wichtigsten Notfall-Psychopharmaka im Überblick (III) Dosierung Besonderheiten CAVE Ziprasidon Schnelle Beherrschung von Erregungszuständen bei Schizophrenie für die Dauer von 3 aufeinanderfolgenden Tagen i.m. Einzeldosis 10mg Wiederholung alle 2h möglich bis maximal 40mg/24h Umsetzen auf orale Applikation innerhalb von 3 Tagen Sehr geringe metabolische NW QTc Verlängerung gering Kaum EPMS Kaum Prolaktinerhöhung QTc Verlängerung möglich (dosisabhängig) Schnelle Umstellung auf orale Applikationsform anstreben Vorsicht bei Kombination mit BZD und anderen Psychopharmaka Relativ kurze HWZ Keine Aktiven Metaboliten Gut steuerbar Hypotonie und Atemdepression, v.a. bei hohen Dosen und bei i.v. Gabe i.v. Applikation sehr langsam Lorazepam Psychomotorische Erregung leichteren Grades Adjuvans bei stärkerer Erregung (v.a. mit Haloperidol) Angstzustände i.v./i.m. initial 0.5-1mg p.o. initial 1-2.5mg Ggf. Wiederholung alle 60min. Nicht mehr als 7.5mg/24h Klinik und Poliklinik für Psychiatrie und Psychotherapie Indikation Die wichtigsten Notfall-Psychopharmaka im Überblick (IV) Dosierung Besonderheiten CAVE i.v./i.m. initial 10-20mg, Höchstdosis 60mg/24h p.o. initial 5-10mg, Höchstdosis 60mg/24h Lange HWZ (72h) Aktiver Metabolit Rasche Wirkung, aber lange anhaltend Schlechte Steuerbarkeit Kumulationsgefahr CAVE: Hypotonie und Atemdepression, v.a. bei hohen Dosen und bei i.v. Gabe i.v. Applikation sehr langsam CAVE: Thrombophlebitis p.o. initial 50-100mg Höchstdosis 400mg/24h Gut sedierende Wirkung bei mäßig antipsychotischer Wirkung und fehlender anticholinerger Eigenschaften QTc Verlängerung möglich Ausgeprägte orthostatische Hypotension Keine parenterale Applikation Diazepam Symptomatische Behandlung von akuten und chronischen Spannungs-, Erregungs- und Angstzuständen Melperon Leichte bis mittelgradige psychomotorische Erregung und Unruhe bei geriatrischen oder internistischen Patienten Klinik und Poliklinik für Psychiatrie und Psychotherapie Indikation Die wichtigsten Notfall-Psychopharmaka im Überblick (V) Dosierung Besonderheiten CAVE Promethazin Unruhe und Erregungszustände im Rahmen von psychischen Erkrankungen i.v./i.m. initial 10-20mg, Höchstdosis 60mg/24h p.o. 5-10mg, Höchstdosis 60mg/24h Gute sedierende Eigenschaften Kombination mit Haloperidol i.m. evaluiert QTc Verlängerung möglich CAVE: Bei i.v. Applikation RR- und Atemkontrolle CAVE: Vorsicht bei Alkoholintoxikationen und anderen Psychopharmaka (v.a. Antidepressiva): kardiale NW, Delir, Senkung der Krampfschwelle p.o. initial 40-120mg Höchstdosis 360mg/24h Gut sedierende Wirkung bei mäßig antipsychotischer Wirkung und fehlender anticholinerger Eigenschaften QTc Verlängerung möglich Ausgeprägte orthostatische Hypotension Keine parenterale Applikation Pipamperon Schlafstörungen, insbesondere bei geriatrischen Patienten Psychomotorische Erregungszustände Klinik und Poliklinik für Psychiatrie und Psychotherapie Indikation Die wichtigsten Notfall-Psychopharmaka im Überblick (VI) Dosierung Besonderheiten CAVE Risperidon Schizophrenie, manische Episoden Kurzzeitbehandlung (max. 6 Wochen) von anhaltender Aggressivität bei Patienten mit Alzheimer-Demenz p.o. initial 1-2mg Höheres Lebensalter, z.B. Demenz: 0,25-1mg Höchstdosis 12mg/24h Antipsychotisch beruhigende Eigenschaften Auch bei Jugendlichen evaluiert QTc Verlängerung möglich Keine parenterale Applikation für die Akutbehandlung Klinik und Poliklinik für Psychiatrie und Psychotherapie Notfall-Syndrome und deren Behandlung Klinik und Poliklinik für Psychiatrie und Psychotherapie Psychomotorische Erregungszustände (engl. ‚agitation‘) Klinik und Poliklinik für Psychiatrie und Psychotherapie Psychomotorische Erregungszustände: Definition „Status (desorganisierter und zielloser) psychomotorischer Hyperaktivität mit impulsivem und/oder unberechenbarem Verhalten, gereizten und einschüchternden Verhalten, vermehrter Reaktivität gegenüber innerer und äußerer Stimuli, Irritabilität, unkooperativen Verhalten bzw. Widerstand gegen die Behandlung, reduziertem Schlaf und Aggressivität“ Allen et al. Expert Consensus Guidelines for Treatment of Emergencies. J Clin Psychiatry 2000 & 2005 Klinik und Poliklinik für Psychiatrie und Psychotherapie Psychomotorische Erregungszustände: Ursachen Psychosen (schizophren, schizoaffektiv, bipolar) Persönlichkeitsstörungen Intoxikationsbedingte Erregungszustände (besonders Alkohol, Kokain, Amphetamine) Ängstliche Erregung Delirantes Syndrom (v.a. Durchgangssyndrom und Alkoholdelir) Unruhezustände gerontopsychiatrischer Patienten Allen et al. Expert Consensus Guidelines for Treatment of Emergencies. J Clin Psychiatry 2000 & 2005 Klinik und Poliklinik für Psychiatrie und Psychotherapie Psychomotorische Erregungszustände: Prädiktoren Männliches Geschlecht Höheres Lebensalter Ausgeprägter Wahn, formale Denkstörungen, Manie Drogenmissbrauch oder -abhängigkeit Drogen- und/oder Alkoholintoxikation Komorbide Persönlichkeitsstörung (v.a. dissozialer oder emotional-instabiler Typ bzw. entsprechende Traits) Aufnahme gegen Willen Früheres gewalttätiges Verhalten Sprachschwierigkeiten Minderbegabung Allen et al. Expert Consensus Guidelines for Treatment of Emergencies. J Clin Psychiatry 2000 & 2005 Klinik und Poliklinik für Psychiatrie und Psychotherapie Psychomotorische Erregungszustände: Prädiktion PANSS-Item PANSS-Wert Erregung 1 2 3 4 5 6 7 Feindseligkeit Anspannung Unkooperatives Verhalten 1 1 1 2 2 2 3 3 3 4 4 4 5 5 5 6 6 6 7 7 7 Reduzierte Impulskontrolle 1 2 3 4 5 6 7 Gesamtwerte ≥ 25 oder Einzelwerte ≥ 6 gehen mit einem erhöhtem Risiko für einen psychomotorischen Erregungszustand einher! Allen et al. Expert Consensus Guidelines for Treatment of Emergencies. J Clin Psychiatry 2000 & 2005 Klinik und Poliklinik für Psychiatrie und Psychotherapie Psychomotorische Erregungszustände: Differentialdiagnose 1) Unklare und komplexe Erregungszustände 2) Psychotische Erregungszustände 3) Delir mit und ohne Entzug von Alkohol oder Benzodiazepine 4) Intoxikation mit zentralnervös stimulierenden (z.B. Amphetamine, Kokain) oder dämpfenden Substanzen (z.B. Alkohol oder Benzodiazepine) Allen et al. Expert Consensus Guidelines for Treatment of Emergencies. J Clin Psychiatry 2000 & 2005 Klinik und Poliklinik für Psychiatrie und Psychotherapie Allgemeine Empfehlungen zur med. Therapie von Erregungszuständen (I) Haloperidol i.m. wird gegenüber AAP im Notfall favorisiert. Zuclopenthixolacetat wird zur Vermeidung wiederholter Injektionen angewendet. Die Reihenfolge der Empfehlungen von i.m. applizierbaren AAP ist nicht eindeutig; bezüglich der Wirksamkeit ist Olanzapin zu bevorzugen, in Bezug auf Verträglichkeit und Kombinierbarkeit mit BZD Aripiprazol. Clomethiazol wird zur Behandlung des Alkoholdelirs empfohlen Als BZD wird v.a. Lorazepam empfohlen, Diazepam wird v.a. bei schweren Ausprägungen und erwünschter längerer Wirksamkeit empfohlen Wilson et al. West J Emerg Med. 2012 Feb;13(1):26-34. Klinik und Poliklinik für Psychiatrie und Psychotherapie Allgemeine Empfehlungen zur med. Therapie von Erregungszuständen (II) Erregungszustand Unklarer Erregungszustand oder komplexes Erscheinungsbild Kein Hinweis auf Delir, Intoxikation, Entzug Ohne psychotische Symptome: Lorazepam, Diazepam Mit psychotischen Symptomen: wie bei psychotischer Erregung Psychotische Erregung, bekannte psychiatrische Grunderkrankung Delir ohne Hinweise auf Entzug (Alkohol, BZD) 1. AAP p.o. Risperidon 2mg Olanzapin 5-10mg Internistische Basisbehandlung, BZD vermeiden 2. KAP p.o. Haloperidol 2-10mg und Lorazepam 1. AAP p.o. Risperidon 1-2mg Olanzapn 5-10mg 3. KAP i.m. Haloperidol 2-10mg i.m. und Lorazepam oder Promethazin 2. KAP p.o. Haloperidol <3mg 4. Zuclopenthixolacetat i.m. 50150mg/2-3 Tage 4. AAP i.m. Olanzapn 10mg Aripiprazol 5.259,75mg Ziprasidon 10mg 5. AAP i.m. Olanzapn 10mg Aripiprazol 9,75mg Ziprasidon 10-20mg 3. KAP i.m. Haloperidol < 3mg Wilson et al. West J Emerg Med. 2012 Feb;13(1):26-34. Delir mit Hinweisen auf Entzug (Alkohol, BZD) 1. Clomethiazol p.o. oder Lorazepam p.o. oder Diazepam p.o. 2. Lorazepam oder Diazepam i.m. oder langsam i.v. 3. ggf. + Haloperidol p.o. oder i.m. bei psychotischen Symptomen Intoxikation (stimulierende Substanzen, z.B. Amphetamine, Kokain) 1. Lorazepam oder Diazepam p.o. 2. Lorazepam oder Diazepam i.m. oder langsam i.v. Intoxikation (dämpfende Substanzen, z.B. Alkohol, BZD) BZD vermeiden 1. Haloperidol p.o. 2-10mg 2. Haloperidol i.m. 2-10mg Klinik und Poliklinik für Psychiatrie und Psychotherapie Unklare Erregungszustände (kein Hinweis auf Delir, Intoxikation, Entzug) Basistherapie mit einem Antipsychotikum: Risperidon 2mg p.o., Haloperidol 5-10mg p.o. oder i.m., ggf. 1-2malige Wiederholung im Abstand von 30min., maximal 100mg/24h p.o. bzw. 60mg/24h i.m., bei älteren Patienten 0.5-1.5mg. Alternativen: Olanzapin 10-20mg p.o., Aripiprazol 9.75mg i.m. (max. 3 Injektionen/24h, Ziprasidon 10mg i.m. (max. 40mg/24h), Olanzapin 2.5-5mg i.m. (max. 20mg/24h). Als Monotherapie (bei fehlenden psychotischen Symptomen) oder zusätzlich als Komedikation BZD: Lorazepam 1-2mg p.o. (Wafer) oder 0.5-1mg i.m./i.v. (CAVE: nicht in Kombination mit Olanzapin i.m.), ggf. Wiederholung in 30-minütigen Abständen bis maximal 7.5mg/24h. Wilson et al. West J Emerg Med. 2012 Feb;13(1):26-34. Klinik und Poliklinik für Psychiatrie und Psychotherapie Erregungszustände bei psychiatrischer Grunderkrankung Bei Erregungszuständen im Rahmen von schizophrenen, schizoaffektiven oder bipolaren Erkrankungen sind Antipsychotika BZD vorzuziehen, zumeist aber Kombination notwendig. • Bei Akzeptanz von p.o. Medikation beste Evidenz für Risperidon (Lim et al. 2010) • Kleinere Studien belegen auch die Effektivität von Olanzapin (Lambert et al. 2009) • Bei Notwendigkeit von parenteraler Medikation beste Evidenz für Haloperidol i.m., bei Notwendigkeit wiederholter Applikation Zuclopenthixolacetat i.m. • Bei initialer Ineffektivität zusätzlich Lorazepam (nicht bei Olanzapin i.m.) • Haloperidol i.v. vermeiden, und wenn dann nur mit Monitorüberwachung • Schnellst mögliche Umstellung auf orale Medikation anstreben Wilson et al. West J Emerg Med. 2012 Feb;13(1):26-34. Behandlungsalgorithmus für psychotische Erregungszustände Klinik und Poliklinik für Psychiatrie und Psychotherapie Psychotischer Erregungszustand • • • • • Orale Medikation Initiale Intervention Initiale Untersuchung Vitalparameter Erregungszustand Vorgeschichte Kurze visuelle Untersuchung Kurze psychiatrische Untersuchung Medikamentöse Vorbehandlung • • • • Mit Patienten sprechen und deeskalieren Hilfe anbieten Konfrontation vermeiden Konfliktlösung anbieten ja ja Patient kooperativ? Schizophrenie und normales Alter: • Antipsychotikum (Risperidon, Olanzapin oder Haloperidol), ggf. zusätzlich Benzodiazepine Schizophrenie und hohes Alter: • Antipsychotikum (Risperidon, Olanzapin oder Haloperidol) in niedriger Dosierung und nur ggf. Benzodiazepine nein Patient gefährlich? ja Patient kooperativ? Stärke zeigen nein Differenzierung nach Alter ja Parenterale Medikation und/oder körperliche Fixierung •Sicherheit für Patienten und Personal herstellen •Somatisches Monitoring •Psychiatrisches Monitoring Patient gefährlich? Parenterale Medikation nach Alter Schizophrenie und normales Alter Schizophrenie und hohes Alter Nachbesprechung/Verarbeitung ("Debriefing") für Patient / Angehörige / Personal 1. KAP i.m. Haloperidol 2-10mg i.m. (60mg/24h i.m.) plus Lorazepam oder Promethazin 2. Zuclopenthixolacetat i.m. 50-150mg/2-3 Tage 3. AAP i.m. Olanzapin 2.5-5mg i.m. (max. 20mg/24h), Aripiprazol 9.75mg i.m. (max. 3 Injektionen/24h, Ziprasidon 10mg i.m. (max. 40mg/24h) 1. KAP i.m. Haloperidol 5mg i.m. (20mg/24h i.m.) plus Lorazepam 2. AAP i.m. Olanzapin 5mg i.m. (max. 10mg/24h), Aripiprazol 5.25mg i.m. (max. 3 Injektionen/24h, Ziprasidon 5mg i.m. (max. 20mg/24h) Patient kooperativ? Klinik und Poliklinik für Psychiatrie und Psychotherapie Erregungszustände bei deliranten Syndromen (I) Leitsymptome: Bewusstseins-, Aufmerksamkeits- und kognitive Störungen (z.B. mnestische Störungen, Verwirrtheit) und Desorientierung. Zusätzlich können vorkommen: Wahrnehmungsstörungen mit - v.a. optischen – Halluzinationen, illusionäre Verkennungen und erhöhte Suggestibilität. Psychomotorische Störungen entweder in Form von Unruhe und Erregung oder psychomotorische Hemmung, Apathie. Fokalneurologische Symptome wie Ataxie, Dysarthrie, Tremor, vegetative Symptome wie Übelkeit, Erbrechen, Hyperhidrosis, Hyperthermie, Tachykardie, RR-Anstieg. Klinik und Poliklinik für Psychiatrie und Psychotherapie Erregungszustände bei deliranten Syndromen (II) Wichtige Merkmale und Ursachen: Delirante Syndrome sind in höherem Lebensalter häufiger (u.a. wegen Multimorbidität, Polypharmazie) Häufig mehrere Ursachen beteiligt, v.a.: • Entzugssyndrome (v.a. Alkohol) • Intoxikationen • Komplikationen bei internistischen und neurologischen Erkrankungen • Postoperativ, v.a. im höherem Lebensalter • Demenzielle Erkrankungen Klinik und Poliklinik für Psychiatrie und Psychotherapie Erregungszustände bei deliranten Syndromen (III) Die wichtigsten 12 Ursachen im Überblick: 1. Zentralnervöse Erkrankungen (Blutungen, Tumore, Schädel-Hirn-Trauma, Epilepsie, Meningitis, Enzephalitis, Schlafentzug) 2. Postanästhesie, postoperativ 3. Systemische Erkrankungen (Infektionen) 4. Metabolische Störungen (Hypoglykämie, Hyperglykämie, Nierenversagen, Leberversagen, Anämie, Azidose, Alkalose, Vitaminmangel, Endokrinopathien (Nebennierenrinde, Hypophyse, Schilddrüse) 5. Elektrolytstörungen (Na, K, Ca, Mg, HCO3, PO4, Dehydratation) 6. Medikamente (Medikamenten-induzierte Nebenwirkungen, Medikamentenintoxikation, Medikamentenentzug) 7. Drogen (v.a. Alkohol, aber auch BZD, Drogen) 8. Hypoxie, Hyperkapnie 9. Kollagen-Vaskulitis (z. B. Lupus erythematodes) 10. Kardiovaskulär (Herzinsuffizienz, Myokardinfarkt, Arrhythmie, Schock, Lungenembolie, COPD) 11. Schlafapnoe 12. Fieber Klinik und Poliklinik für Psychiatrie und Psychotherapie Erregungszustände bei deliranten Syndromen (IV) Diagnostik bei Verdachtsdiagnose Delir: Körperliche Untersuchung Vitalparameter, EKG, Körpertemperatur Laborchemische und hämatologische Parameter (v.a. Alkoholspiegel, Glukose, Elektrolyte, Leber- und Nierenparameter, Entzündungszeichen, Blutbild) Urin/Blutstatus mit Drogenscreening Thoraxröntgen Zerebrale Bildgebung, wenn möglich MRT Evtl. EEG zum Ausschluss epileptischer Aktivität Evtl. Lumbalpunktion Klinik und Poliklinik für Psychiatrie und Psychotherapie Erregungszustände bei deliranten Syndromen (V) Allgemeines Vorgehen: Immer ein lebensbedrohlicher medizinischer Notfall. Wenn möglich, ist die Beteiligung von Alkohol, BZD und anderen psychotropen Substanzen (Entzug oder Intoxikation) zu klären (Anamnese, Atem-, Urin- und Bluttests). Notfallbehandlungen von deliranten Syndromen bei Alkoholoder Benzodiazepinentzug und bei Intoxikationen folgen unterschiedlichen Empfehlungen! Im Zweifelsfall ist neben der internistischen Basistherapie am ehesten die Gabe von Haloperidol (p.o. oder i.m.) in möglichst niedriger Initialdosis (1-2mg) zu empfehlen. Delirantes Syndrom mit Erregungszustand (ohne Hinweis auf Alkohol- & Benzodiazepinentzug) (I) Klinik und Poliklinik für Psychiatrie und Psychotherapie Internistische Basistherapie: Flüssigkeitszufuhr bei Exsikkose, ggf. Elektrolytausgleich, kardiale Stabilisierung, ggf. Sauerstoffzufuhr, Beschränkung der Medikation auf das Notwendige. Psychopharmakologische Basistherapie mit einem Antipsychotikum: • Beginn mit niedrigen Dosierungen, insbesondere bei älteren Patienten • Wenn orale Gabe möglich: Risperidon 0.5-1mg, Olanzapin 5-10mg oder Haloperidol 1-2mg. • Haloperidol > 3mg/24h mit stark erhöhten EPMS-Risiko assoziiert • Quetiapin 50-100mg liegen zwei RCTs vor • Parenteral: Haloperidol 1-2mg i.m. 2-4h, die maximale Tagesdosis von 60mg sollte weit unterschritten werden; alternativ AAP i.m. BZD sollten vermieden werden, v.a. bei älteren Patienten können BZD, Opioide oder Antihistaminika delirante Zustände verstärken. Keine anticholinerg wirksamen Substanzen, verstärken Delir. Delirantes Syndrom mit Erregungszustand (ohne Hinweis auf Alkohol- & Benzodiazepinentzug) (II) Klinik und Poliklinik für Psychiatrie und Psychotherapie ® Zusätzlich ist die Gabe von Clomethiazol (Distraneurin , initial 1-2 Kps.) unter Beachtung der Kontraindikationen (u.a. zentrale Atemstörung, eingeschränkte Atemfunktion z.B. bei Asthma bronchiale) auch für die Behandlung von Verwirrtheits-, Erregungsund Unruhezuständen bei Patienten mit hirnorganischen Psychosyndrom im höheren Lebensalter unter stationären Bedingungen zugelassen. Als Behandlungsversuch kann Lorazepam 0.5-1mg p.o. oder i.v. 2-4 stündlich (nicht mehr als 7.5mg/24h) bei jüngeren Patienten zum Einsatz kommen. Delirantes Syndrom mit Erregungszustand (mit Hinweis auf Alkohol- & Benzodiazepinentzug) (I) Klinik und Poliklinik für Psychiatrie und Psychotherapie Alkoholentzugsdelir (Delirium tremens): Clomethiazol ist 1. Wahl Die Dosierung erfolgt nicht schematisch, sondern nach Sedierungsgrad und Schwere der Entzugssymptome. Die Erhebung der Entzugsschwere erfolgt z.B. mit dem Alkoholentzugssymptombogen (AESB) Ggf. in Kombination mit einem Antipsychotikum, v.a. Haloperidol 510mg oder Risperidon 1-2mg Alternativ Kombination von einem BZD (z.B. Oxazepam) mit einem Antipsychotikum (Haloperidol oder Risperidon) CAVE: Alleinige Gabe von Haloperidol führt zur erhöhten Mortalität, größere Anzahl schwerwiegender Nebenwirkungen und längerer Dauer des Delirs! Alkoholentzugssymptombogen (AESB) Klinik und Poliklinik für Psychiatrie und Psychotherapie 1. Blutdruck Alter 0 1 2 3 4 2. Ruhepuls 0 = <92/min 3. Tremor 0 = Kein Tremor Bis 30 Jahre bis 120/80 bis 135/90 bis 150/95 bis 160/100 bis 160/100 31-50 Jahre bis 130/85 bis 145/95 bis 160/100 bis 170/105 > 170/105 > 50 Jahre bis 140/90 bis 155/100 bis 170/105 bis 180/110 > 180/110 1 = 92-103/min 2 = 104-115/min 3 = 116-127/min 4 = >128/min 1 = Fingertremor bei ausgestreckten Fingern 2 = Händetremor bei ausgestreckten Armen 3 = Deutlicher Ruhetremor von Fingern und Händen 4 = Schwerer Ruhetremor von Armen und Beine 4. Schwitzen 0= 1= 2 = Umschriebene 3= 4= Kein Schwitzen Warme, feuchte Hände Schweißperlen Ganzer Körper feucht Massives Schwitzen 5. Übelkeit / Erbrechen / Durchfall 1 = Keine Übelkeit 2 = Mäßige Übelkeit 3 = Schwere Übelkeit 6. Ängstlichkeit / Nervosität 1 = Keine Ängstlichkeit 2 = Leicht Ängstlichkeit 3 = Mäßige Ängstlichkeit 4 = Schwere Ängstlichkeit 5 = Massive Ängstlichkeit oder Nervosität oder Nervosität oder Nervosität oder Nervosität oder Nervosität / Panik 7. Psychomotorische Unruhe 0 = Ruhige, unauffällige 1 = Zappeligkeit, leichte 2 = Mäßige 3 = Dauernde 4 = Massive Bewegungen Unruhe Bewegungsunruhe Bewegungsunruhe Unruhe und Erregtheit 8. Orientierung 0 = Voll 1 = Zur Zeit unscharf 2 = Zur Zeit nicht orientiert, 3 = Zur Person orientiert, zu 4 = Zur Person orientiert, 5 = vollständig orientiert orientiert, sonst orientiert sonst orientiert Ort /Zeit teilweise orientiert zu Ort/Zeit nicht orientiert desorientiert 9. Trugwahrnehmungen / Halluzinationen 1 = Wahrnehmungs2 = Vorübergehende 3 = Fluktuierende 4 = Länger andauernde 5 = Ständige 0 = Keine verschärfung Verkennungen Halluzinationen Halluzinationen Halluzinationen 10. Krampfanfall 1= Keiner 2 = Erster Anfall 2 = Ein Anfall zuvor 3 = ≥ 2 Anfälle zuvor Delirantes Syndrom mit Erregungszustand (mit Hinweis auf Alkohol- & Benzodiazepinentzug) (II) Klinik und Poliklinik für Psychiatrie und Psychotherapie Dosierung Clomethiazol nach AESB: 1 Kps. (192mg) äquivalent zu 6ml Mixtur (189mg) Tag 1-4: Überwachung in 2h-Intervallen, Tag 5: 3h-Intervall, Tag 6: 4h-Intervall, Tag 7: 6h-Intervall, Tag 8: 8h-Intervall, ab Tag 9: 12h-Intervall. Zu den Überwachungszeitpunkten Erfassung AESB: • • • • 0-4 Punkte: Keine Kps. 5-7 Punkte: 1 Kps. 8-10 Punkte: 2 Kps. ≥ 11 Punkte: 3 Kps. Delirantes Syndrom mit Erregungszustand (mit Hinweis auf Alkohol- & Benzodiazepinentzug) (III) Klinik und Poliklinik für Psychiatrie und Psychotherapie Dosierung Clomethiazol fixes Schema: Initial 2-4 Kps. oder 10-20ml Mixtur In den ersten 2h 6-8 Kps., Höchstsdosis 24 Kps./24h Nach Plateauphase von ca. 3 Tagen, schrittweise Reduktion von 2-3 Kps. täglich Maximale Verordnungsdauer 14 Tage CAVE: Abhängigkeitsgefahr CAVE: Atemdepression, bronchiale Hypersekretion Alkoholentzugsbehandlung Klinik und Poliklinik für Psychiatrie und Psychotherapie Medikamente Dosierung und Schemata Clomethiazol (Distraneurin®) Beginn mit 2-4 Kps. In den ersten 2h 6-8 Kps. möglich Dann alle alle 2h nach Symptomatik 1-3 Kps. Höchstdosis 24 Kps. täglich CAVE: Atemdepression, bronchiale Hypersekretion Oxazepam (Adumbran®) Tag 1: Beginn mit 25-50mg, Tageshöchstdosis 300mg Tag 2: Verteilung der (hochgerechneten) Tagesdosis auf 4 Einzeldosen Ab Tag 3: Reduktion um 25mg täglich 25mg Oxazepam = ca. 2 Kps. Clomethiazol Clonidin Bei sehr hohen RR-Werten zusätzlich Carbamazepin oder Valproat Bei vorherigen Krampfanfällen im Entzug oder entsprechenden EEG-Veränderungen Klinik und Poliklinik für Psychiatrie und Psychotherapie Erregungszustände bei Intoxikationen mit psychotropen Substanzen Bei Alkoholintoxikation zurückhaltender Einsatz von Psychopharmaka. Vermeidung von BZD und Clomethiazol wegen des überadditiven atemdepressiven Effektes. Einsatz von Haloperidol (p.o. oder i.m.). AAP bei Alkoholintoxikation nicht ausreichend untersucht. Bei Erregungszuständen durch Intoxikation mit Stimulanzien, Kokain und anderen zentralnervös stimulierenden Drogen BZD (Lorazepam oder Diazepam). Bei psychotischen Symptomen Haloperidol (p.o. oder i.m.). Bei Erregungszuständen durch Intoxikation mit Psychopharmaka (z.B. SSRI, SNRI) engmaschige internistische Kontrolle. Näheres bei Psychopharmaka-induzierte Notfälle. Klinik und Poliklinik für Psychiatrie und Psychotherapie Hypovigilant-hypoaktive psychiatrische Notfälle Einteilung Klinik und Poliklinik für Psychiatrie und Psychotherapie 1. Quantitative Bewusstseinsstörung: Störungen der Vigilanz mit starker Ausprägung von Benommenheit/Somnolenz über Sopor („schlafähnlicher Zustand, in dem nur starke Schmerzreize Reaktionen hervorrufen, z.B. Abwehrbewegungen“) bis zum Koma. 2. Qualitative Bewusstseinsstörung: Vorübergehende Bewusstseinsveränderung bzw. traumartige Einengung des Bewusstseins inklusive dissoziative Störungen (organisch/psychogen), Stupor (bei Katatonie, Depression/Manie, organisch, dissoziativ). Klinik und Poliklinik für Psychiatrie und Psychotherapie Quantitative Bewusstseinsstörungen (I) 1. Somnolenz Definition: Vigilanzminderung mit vermehrter Schlafneigung bei noch bestehender Erweckbarkeit Ätiologie: Neurologisch (z.B. postiktal, Meningitis/Enzephalitis, metabolische Enzephalopathien, Hirnstammprozesse, SHT), internistisch (z.B. Intoxikationen, Hyperglykämie, Hypothyreose) Diagnostik: Körperliche Untersuchung, Labor (E-Lyte, Entzündungs, Leber-, Nierenparameter, Glukose, SD-Werte, Blutbild, Urinstatus inkl. Drogenscreening), Lumbalpunktion, EEG, zentrale Bildgebung. Therapie: Absetzen von psychotropen Substanzen, Verzicht auf Psychopharmaka, bei hepatischer Enzephalopathie oder BZD Intoxikation Versuch mit Flumazenil i.v. Klinik und Poliklinik für Psychiatrie und Psychotherapie Quantitative Bewusstseinsstörungen (II) 2. Sopor / Koma Definition Sopor: Vigilanzminderung mit kurzfristiger Erweckbarkeit nur unter starken Schmerzreizen bei fehlender Spontanmotorik Definition Koma: Zustand tiefer Bewusstlosigkeit mit überwiegend fehlender Reponsivität auch auf Schmerzreize, ungezielte Abwehrbewegungen möglich. Schutzreflexe können vorhanden sein oder nicht. Ätiologie: siehe Somnolenz Diagnostik: siehe Somnolenz Therapie: Intensivbehandlung Klinik und Poliklinik für Psychiatrie und Psychotherapie Qualitative Bewusstseinsstörungen (I) 1. Organische dissoziative Störung Ätiologie: Überwiegend bei Epilepsie (iktal, postiktal), pathologischer Alkoholrausch, SHT, progressiver Paralyse, entzündliche ZNS-Prozesse Diagnostik: Körperliche Untersuchung, Labor (E-Lyte, Entzündungs, Leber-, Nierenparameter, Glukose, SD-Werte, Blutbild, Urinstatus inkl. Drogenscreening), Lumbalpunktion, EEG, zentrale Bildgebung. Therapie: Bei epileptischer Genese bzw. sicherem Ausschluss einer Intoxikation BZD (Lorazepam 0.5-1mg i.v./i.m. oder 1-2.5mg p.o.), beim pathologischen Rausch (Haloperidol 5-10mg p.o. oder i.m.) Klinik und Poliklinik für Psychiatrie und Psychotherapie Qualitative Bewusstseinsstörungen (II) 2. Psychogene dissoziative Störung Definition: Psychomotorische Hemmung mit Mutismus, stark eingeschränkte Reagibilität, dissoziative Krampfanfälle, alle ohne organischen Befund. Ätiologie: Dissoziative Störung (F44), Persönlichkeitsstörungen (F6, v.a. F63.1), psychogene Anfälle (F44.2). Diagnostik: Unmittelbar vorherige belastende Ereignisse, Ausschluss organische Genese, sicherste Diagnosestellung für dissoziative Krampfanfälle ist das Langzeit-Video-EEG. Therapie: Diagnostik zum Ausschluss, Reizabschirmung, Distanz von Belastung/Auslöser, verbale Intervention, Lorazepam (1-2.5mg p.o. oder 0.5-1mg i.v.; ggf. wiederholen), vorrangig psychotherapeutische Weiterbehandlung Stuporöse Zustände (I) Klinik und Poliklinik für Psychiatrie und Psychotherapie Definition: Abnormer Zustand psychomotorischer Hemmung mit eingeschränkter bzw. aufgehobener Reaktivität auf Umweltreize. Ätiologie: Katatonie im Rahmen schizophrener (psychotischer) Störungen, unspezifisch bei verschiedenen psychiatrischen und internistischen Erkrankungen inklusive depressiver und manischer Stupor, organische katatone Störung, dissoziativer Stupor Diagnostik: Körperliche Untersuchung, Labor (E-Lyte, Entzündungs, Leber-, Nierenparameter, Glukose, SD-Werte, Blutbild, Urinstatus inkl. Drogenscreening, Kreatinin, CK, Myoglobin), Lumbalpunktion, EEG, zentrale Bildgebung. Therapie: Therapie richtet sich nach Ursache bekannt (differenziert) oder unbekannt. Stuporöse Zustände (II) Klinik und Poliklinik für Psychiatrie und Psychotherapie 1. Notfalltherapie bei Stupor unklarer Genese Initialversuch mit Lorazepam 1-2.5mg p.o. oder 0.5-1mg i.v. (Höchstdosis 7.5mg/24h) Bei ausbleibendem Erfolg: Haloperidol 5-10mg p.o. oder i.m. (Höchstdosis p.o. 100mg/24h, i.m. 60mg/24h). CAVE: Malignes neuroleptisches Syndrom muss zuvor ausgeschlossen sein. 2. Notfalltherapie bei depressivem Stupor Akut mit Lorazepam 1-2.5mg p.o. oder 0.5-1mg i.v. (Höchstdosis 7.5mg/24h) Weiterbehandlung aus antidepressiver Therapie plus weiter Lorazepam! Stuporöse Zustände (III) Klinik und Poliklinik für Psychiatrie und Psychotherapie 3. Notfalltherapie bei manischen Stupor Akut mit Lorazepam 1-2.5mg p.o. oder 0.5-1mg i.v. (Höchstdosis 7.5mg/24h) Stationäre Weiterbehandlung mit Einstellung auf ein Phasenprophylaktikum bzw. Antipsychotikum mit phasenprophylaktischer Wirkung, ggf. in Kombination. 4. Notfalltherapie bei organischer katatoner Stupor Behandlung der Grunderkrankung Ggf. Haloperidol 5-10mg p.o. oder i.m. (Höchstdosis p.o. 100mg/24h, i.m. 60mg/24h). CAVE: Malignes neuroleptisches Syndrom muss zuvor ausgeschlossen sein. Stuporöse Zustände (IV) Klinik und Poliklinik für Psychiatrie und Psychotherapie 5. Notfalltherapie beim psychogenen Stupor Reizabschirmung, Distanz von Belastung/Auslöser, verbale Intervention, vorrangig psychotherapeutische Weiterbehandlung Akut mit Lorazepam 1-2.5mg p.o. oder 0.5-1mg i.v. (Höchstdosis 7.5mg/24h) Stuporöse Zustände (V) Klinik und Poliklinik für Psychiatrie und Psychotherapie 6. Stupor bei katatoner Schizophrenie (I) Bei der katatonen Schizophrenie kommen psychomotorische Hemmung, zumeist mit Mutismus und Stupor vor. Weitere Symptome sind v.a. die Flexibilitas cerea. Ein abruptes Umschlagen von katatonen Stupor in einen katatonen psychomotorischen Erregungszustand („Bewegungssturm“) ohne offensichtlichen äußeren Anlass ist möglich. Sehr selten: perniziöse Katatonie mit Fieber, autonomer Entgleisung, Akrozyanose, Petechien, Bewusstseinsstrübung. Differentialdiagnose: malignes neuroleptisches Syndrom (MNS). Stuporöse Zustände (VI) Klinik und Poliklinik für Psychiatrie und Psychotherapie 6. Stupor bei katatoner Schizophrenie (II) Akut mit Lorazepam 2-2.5mg p.o. oder 1-2mg i.v. (Höchstdosis 7.5mg/24h), bei schweren Ausprägungen bis zu 20mg/24h. In den meisten Fällen zusätzlich Haloperidol 5-10mg p.o. oder i.m. (Höchstdosis p.o. 100mg/24h, i.m. 60mg/24h). CAVE: Malignes neuroleptisches Syndrom muss zuvor ausgeschlossen sein. Längerer Verlauf, ausgeprägter Mutismus sowie vorhandene Erstrangsymptome sind negative Prädiktoren für eine LorazepamResponse während motorische Symptome positive Prädiktoren darstellen (Narayanaswamy et al. 2012). EKT ist nach Ausschluss anderer Ursachen zu erwägen. Klinik und Poliklinik für Psychiatrie und Psychotherapie Suizidalität und akute Belastungsreaktion Überblick (I) Klinik und Poliklinik für Psychiatrie und Psychotherapie Suizidalität kommt bei allen psychiatrischen Erkrankungen vor (v.a. bei Major Depression, bipolaren Störungen, schizophrenen Psychosen, Alkohol-bezogenen Störungen und Persönlichkeitsstörungen, v.a. Borderline-Persönlichkeitsstörung). Suizidalität kommt auch unabhängig von psychiatrischen Störungen vor (v.a. Terminalstadium von somatischen Erkrankungen, „Bilanzsuizid“ oder Lebenskrisen). Aktuelle Forschungen legen eine genetische Prädisposition für Suizidalität und suizidale Handlungen nahe (Galfalvy et al. 2011), zudem eine Gen-Umwelt-Interaktion, z.B. zwischen frühen Traumatisierungen und CRH-Rezeptor-Genvarianten (Roy et al. 2012) Überblick (II) Klinik und Poliklinik für Psychiatrie und Psychotherapie Bei 90% aller Suizide liegt eine psychiatrische Grunderkrankung vor; bei ca. 60% eine affektive Störung, Hauptrisikofaktor ist die Diagnose einer Major Depression. Weitere Risikofaktoren umfassen schwere Schlafstörungen, konkrete frühere Suizidversuche, komorbide Abhängigkeitserkrankung, fehlende soziale Einbindung, Verlust von Bezugspersonen und handlungsweisender Charakter der Suizidideationen. Ein generell höheres Suizidrisiko haben Männer, ältere und allein lebende Menschen, psychiatrisch ersterkrankte Patienten sowie alters- und diagnoseunabhängig Patienten mit schlechtem Behandlungserfolg. Besonders gefährdet sind Personen mit Suizidversuchen in der Anamnese mit aktuell depressiver oder dysphorisch-agitierter Symptomatik. Multiaxiale Evaluation Klinik und Poliklinik für Psychiatrie und Psychotherapie Individuelle Leitsymptome (psychopathologische Symptomatik: z.B. Depressivität, Hoffnungslosigkeit, Angst, Impulsivität, Aggressivität, psychotische Zustandsbilder, Intoxikationen) Psychosoziale Belastungsfaktoren (z.B. aktuelle Konflikte, Isolation, Misshandlung) Somatische Faktoren(z.B. chronische körperliche Erkrankungen) Schweregrad (z.B. Ausprägung der Letalitätsabsicht, Arrangement und Art der eventuell beabsichtigten Mittel) Umgang mit suizidalen Patienten Klinik und Poliklinik für Psychiatrie und Psychotherapie Jede Suizidäußerung ist ernst zu nehmen, eine ausführliche Exploration ist zwingend notwendig: Ausführliche Anamnese, bei V.a. Suizidalität diese offen und präzise thematisieren, Absprachefähigkeit des Patienten beurteilen Suizidale Patienten benötigen eine Intensivierung des zeitlichen Engagements und der therapeutischen Bindung. Akut suizidale Patienten, die nicht absprachefähig sind, sind unverzüglich in Begleitung in eine psychiatrische Klinik einzuweisen. Indikationen zur stationären Aufnahme umfassen (Nach S3-Leitlinie): akute Suizidgefährdung, Versorgungsnotwendigkeit nach einem Suizidversuch, Unsicherheit bei der Einschätzung der Suizidgefahr, keine tragfähige therapeutische Beziehung, Weiterbestehen von Suizidalität trotz adäquater Initialbehandlung Klinik und Poliklinik für Psychiatrie und Psychotherapie Die 7 Richtlinien der Suizidalität Notfalltherapie (I) 1. Die Therapie ist abhängig von der Grunderkrankung, stets kombiniert pharmakotherapeutisch und psychotherapeutisch vorgehen. 2. Suizidalität bei psychotischer Angst und/oder Erregungszuständen: Konsequente antipsychotische Behandlung in Kombination mit Lorazepam 2-4mg p.o. (Wafer). BZD lindern Hoffnungslosigkeit vorübergehend. 3. Suizidalität bei depressiven Störungen: Initial Lorazepam 2-4mg p.o. (Wafer). Antidepressive beginnen/fortführen, jedoch in der Notfallsituation zweitrangig. Bei hochsuizidalen-depressiven Patienten EKT 4. Suizidalität bei Persönlichkeitsstörungen: Initial Lorazepam 2-4mg p.o. (Wafer), niedrig dosiert Antipsychotika (Autoaggression- und Impulsivitätstherapie. Klinik und Poliklinik für Psychiatrie und Psychotherapie Die 7 Richtlinien der Suizidalität Notfalltherapie (II) 5. Suizidalität bei Suchterkrankungen: Bei akuter Alkohol- oder Drogenintoxikation zunächst stationäre Entgiftung. 6. Krankheitsbedingt ist für ausreichend Nachtschlaf (v.a. Durchschlafstörungen) zu sorgen. Sedierende Antipsychotika (z.B. Quetiapin, Melperon, Pipamperon) bzw. Antidepressiva (z.B. Mirtazapin) zur Nacht. Ggf. zusätzliche Verordnung eines (langwirksamen) Schlafmittels (z.B. Zolpidem, Zopliclon, Trazodon). 7. Das Vorgehen nach stattgefunden Suizidversuch richtet sich nach der jeweiligen Ausprägung, Sicherung und Überwachung vitaler Funktionen haben Vorrang. Bis zur fachpsychiatrischen Evaluation ist der Patient als weiter suizidal einzustufen und entsprechende Sicherungsmaßnahmen zu ergreifen. Klinik und Poliklinik für Psychiatrie und Psychotherapie Spezifische Syndrome durch Intoxikation mit psychotropen Substanzen (Psychopharmaka, andere Medikamente, Drogen) Ursachen Klinik und Poliklinik für Psychiatrie und Psychotherapie 1. Psychopharmaka-Intoxikationen Psychopharma-Intoxikationen ereignen sich zumeist in suizidaler Absicht. Sie kommen aber auch akzidentiell vor (z.B. Einstellungsphase, Wechselwirkungen, Überdosierung, Verwechslung von Medikamenten v.a. bei älteren Patienten). 2. Drogen-Intoxikationen Drogen-Intoxikationen ereignen sich zumeist als Folge von Dosis Fehleinschätzungen oder des additiven bzw. potenzierenden Effekts bei kombinierten Drogengebrauch, aber auch in suizidaler Absicht. Symptomatik Klinik und Poliklinik für Psychiatrie und Psychotherapie Schweregrad Symptome Überdosierung stimulierende Substanzen, z.B. Psychostimulanzien, SSRI, SNRI, Kokain, Halluzinogene, Alkohol (niedrig dosiert) 1 Schwitzen, Übererregbarkeit, Tremor, Mydriasis 2 Verwirrtheit, Fieber, Hypertension, Tachykardie 3 Delir, Agitation, Tachyarrhythmien 4 Krampfanfälle, Schock, Koma Überdosierung sedierende Substanzen, z.B. Benzodiazepine, Hypnotika, Antipsychotika, trizyklische Substanzen, Opiate 1 Somnolenz, Apathie 2 Sopor oder Koma Grad I 3 Koma Grad II, Atemdepression 4 Koma Grad III-IV nach Ziegenfuß 2007 Malignes neuroleptisches Syndrom (I) Klinik und Poliklinik für Psychiatrie und Psychotherapie Das Maligne Neuroleptische Syndrom (MNS; engl. Neuroleptic Malignant Syndrome) ist durch Hyperthermie und Muskelrigidität unter Neuroleptika gekennzeichnet. Das MNS kann im Prinzip jederzeit während einer antipsychotischen Therapie entstehen. Es entwickelt sich aber häufig in der Frühphase der antipsychotischen Behandlung. 96% manifestieren sich in den ersten 4 Wochen, bei 2/3 der Patienten sogar in den ersten 1-3 Tagen. Zum Teil ist das MNS jedoch auch erst nach monatelanger Einnahme bekannt. Meist und tritt es unter hochpotenten konventionellen Antipschotika bei jungen männlichen Patienten auf. Malignes neuroleptisches Syndrom (II) Klinik und Poliklinik für Psychiatrie und Psychotherapie Bereich Mögliche Symptome Extrapyramidal-motorische Störungen Vegetative Symptome – beispielsweise mit Psychische Symptome Auffällige Laborbefunde Akinese / Rigor (typisch); extreme Muskelsteife(Rigidität) (ähnlich dem Befund bei maligner Hyperthermie) nur gelegentlich: Tremor Hyporeflexie Opisthotonus, Trismus Blickkrämpfe, u. a. Fieber (typisch), starkem Schwitzen Tachykardie, Tachypnoe, Blutdruckänderungen Harn- bzw. Stuhlinkontinenz oder Harnverhalt Stupor Verwirrtheit Mutismus Bewusstseinsstörungen bis zum Koma Katatonie Extreme CK- sowie Transaminasen-Erhöhung Myoglobinurie (bei Rhabdomyolyse) Leukozytose metabolische Azidose Malignes neuroleptisches Syndrom (III) Klinik und Poliklinik für Psychiatrie und Psychotherapie Diagnostische Kriterien Antipsychotische Behandlung in den letzten 4 Wochen Hyperthermie (über 38 Grad) Muskelrigidität Mindestens 5 der folgenden Symptome erfüllt: - Änderung des mentalen Status (psychische Symptome s.o.) Tachykardie Hypotension oder Hypertension Inkontinenz Diaphoresis oder Sialorrhoe CK Erhöhung oder Myoglobinurie Metabolische Azidose Leukozytose Ausschluss anderer Ursachen Malignes neuroleptisches Syndrom (IV) Klinik und Poliklinik für Psychiatrie und Psychotherapie Die wichtigste kausale Therapie ist das sofortige Absetzen des auslösenden Medikamentes. Alle weiteren Maßnahmen sind eher unterstützend und beziehen sich auf die Sicherung der Lebensfunktionen und auf die Vermeidung weiterer Komplikationen. Medikamentöse Therapie: • Heparin zur Thrombose- und Embolie-Prophylaxe • Infusionstherapie zum Ausgleich der Dehydratation • Benzodiazepine zur Muskelrelaxation und ggf. zur Sedation (Lorazepam 24mg/24h i.v./i.m., maximal 7.5mg/24h) • Dantrolen zur Therapie der Muskelrigidität (i.v. 2.5mg/kg KG, danach Dauerinfusion i.v. bis zu 10mg/kg KG/24h, anschließend 2.5mg/kg KG/24h • Alternativ: Bromocriptin (Pravidel) 10-30mg/24h Zentrales Serotoninsyndrom (I) Klinik und Poliklinik für Psychiatrie und Psychotherapie Ausgelöst durch Psychopharmaka bzw. psychotroper Substanzen mit serotonerger Wirkkomponente, v.a. SSRI, Venlafaxin, Mirtazapin. TZA, MAOH, Tryptophan, Kokain, Amphetamine, Lithium. Tritt überwiegend in den ersten 24h nach Initialgabe auf und ist potenziell lebensbedrohlich. Trias aus Fieber, neuromuskulären Symptomen (Hyperrigidität, Hyperreflexie, Myoklonie, Tremor) und psychopathologischen Auffälligkeiten (delirante Syndrome mit Bewusstseins- und Aufmerksamkeitsstörungen, Desorientiertheit, Verwirrtheit). Dazu kommen gastrointestinale Symptome (Übelkeit, Erbrechen, Diarrhö) und vital lebensbedrohliche Komplikationen (epileptische Anfälle, Herzryhthmusstörungen, Koma, Multiorganversagen) Zentrales Serotoninsyndrom (II) Klinik und Poliklinik für Psychiatrie und Psychotherapie Therapie: Absetzen der Medikation (in 90% der Fälle ausreichend) Symptomatische Therapie: Kühlung, Volumensubstitution, b.B. Sedierung mit BZD Bei Persistenz (selten): Cyproheptadin (Peritol) 4-8mg initial p.o. bis 0.5mg/kg KG/24h. Bei Komplikationen: Notwendigkeit intensivmedizinischer Behandlung. Zentrales anticholinerges Syndrom (I) Klinik und Poliklinik für Psychiatrie und Psychotherapie Ursache: Ausgelöst durch Psychopharmaka bzw. psychotroper Substanzen mit anticholinerger Wirkkomponente, v.a. Clozapin, TZA. Periphere Symptome: Trockene Haut und Schleimhäute, Hyperthermie, Mydriasis, Harnverhalt, Obstipation,, Tachykardie, Herzrhythmusstörungen. Zentrale Symptome: delirante Symptomatik, Desorientierung, Verwirrtheit, evtl. optische oder akustische Halluzinationen, motorische Unruhe, Agitation, Dysarthrie, Krampfanfälle, auch sedative Verlaufsform mit Somnolenz bzw. Koma möglich. Zentrales anticholinerges Syndrom (II) Klinik und Poliklinik für Psychiatrie und Psychotherapie Therapie: Absetzen der anticholinergen Substanz Bei agitierter Verlaufsform BZD und oder Antipsychotika Bei schwerer Verlaufsform Applikation von 2-4mg Physostigmin (Anticholium Injektionslösung) i.m. oder langsam i.v.; CAVE: nur unter intensivmedizinischen Bedingungen Symptomatische Therapie: z.B. bei Hypotonie, Herzrhythmusstörungen, Elektrolytentgleisung, Krampfanfällen etc. Klinik und Poliklinik für Psychiatrie und Psychotherapie Drogenintoxikation: Opioide Symptomatik: Gefahr wegen häufiger multipler Intoxikation Anfänglich Euphorie und Analgesie Dann Vigilanzstörungen (Somnolenz bis Koma) Vegetative Symptome: Hypotonie, Herzrhythmusstörungen, Hypothermie, zentrale Atemlähmung, Miosis, Übelkeit, Erbrechen, Obstipation bis zum Ileus, Oligurie durch antidiuretischen Effekt Therapie: Symptomatische Therapie: Sauerstoffapplikation, antihypotensive Maßnahmen, kein Diazepam wegen zusätzlicher Atemdepression, Flüssigkeitsbilanzierung, Azidoseausgleich, ggf. Intensivbehandlung Antidot: Naloxon (Narcanti) i.v. in 0.2mg Schritten bis 2mg. Bei zu schneller Gabe Opiatentzugssymptome mit Erregungszuständen. Klinik und Poliklinik für Psychiatrie und Psychotherapie Drogenintoxikation: Kokain Symptomatik: Anfänglich: Euphorie, Unruhe, Reizbarkeit, Agitation, Krampfanfälle, psychotische Zustandsbilder Dann: Depression, Kopfschmerzen, Insomnie, Verwirrtheit, Verlangsamung, Hyporeflexie Vegetative Symptome: Übelkeit, Erbrechen, Vasokonstriktion mit ischämischen Komplikationen, Hypertension, Krampfanfälle Kokainschock: akute Komplikation, zumeist direkt nach Einnahme, Agitation, Erregung, Hypotonie, extreme Hautblässe, Bewusstseinstrübung Therapie: Magenspülung und Applikation von Carbo medicinalis (Aktivkohle) Sedierung bzw. antipsychotische Medikation (Haloperidol 5-10mg i.m.) Adjuvant BZD aufgrund herabgesetzter Krampfschwelle Bei Kokainschock: Adrenalin (Suprarenin) 0.5-1.0mg verdünnt i.v., 500-1000mg Prednisolon i.v. Klinik und Poliklinik für Psychiatrie und Psychotherapie Drogenintoxikation: Amphetamine und -derivate Symptomatik: Einteilung in 4 Schweregrade: • • • • Grad 1: Unruhe, Insomnie, Tremor, Hyperreflexie, Mydriasis Grad 2: Hypertonie, Tachykardie, Herzrhythmusstörungen, Verwirrtheit Grad 3: Delir, psychotische Symptomatik mit Sinnestäuschungen, Angst Grad 4: Krampfanfälle, Koma, Herz-Kreislauf-Versagen Therapie: Magenspülung und Applikation von Carbo medicinalis (Aktivkohle) Sedierung bzw. antipsychotische Medikation (Haloperidol 5-10mg i.m. Adjuvant BZD aufgrund herabgesetzter Krampfschwelle Symptomatische (Intensiv)Therapie Klinik und Poliklinik für Psychiatrie und Psychotherapie Drogenintoxikation: Ecstasy (MDMA) und Eve (MDA) MDMA Intoxikation ist ein eigenes Syndrom Ursache sind serotonerge und dopaminerge sowie zentrale und periphere sympathomimetische Wirkungen, hohe Varianz des toxischen Dosisbereichs Symptomatik: Hepatopathien, Transaminaserhöhungen, Lebersynthesestörungen bis zum fulminanten Leberversagen, ventrikulare Tacharrhythmien, Hypertonie, Elektrolytentgleisung, Krampfanfälle, schwere Gerinnungsstörungen, Rhabdomyolyse Therapie: Magenspülung und Applikation von Carbo medicinalis (Aktivkohle) Sedierung bzw. antipsychotische Medikation (Haloperidol 5-10mg i.m.) Adjuvant BZD aufgrund herabgesetzter Krampfschwelle Symptomatische (Intensiv)Therapie Klinik und Poliklinik für Psychiatrie und Psychotherapie Drogenintoxikation: Cannabis Geringe Toxizität Symptomatik: Initial psychische Stimulation mit Euphorie Später Sedierung und depressive Verstimmung, Halluzinationen, Agitation, Angstzustände, Krampfanfälle, Flashbacks, Tachykardie (in hohen Dosen Bradykardie), Hyper- später Hypotension, in extrem hohen Dosen Atemdepression, Übelkeit, Erbrechen Therapie: Keine Magenspülung und Applikation von Carbo medicinalis (Aktivkohle) wegen geringer oraler Bioverfügbarkeit Sedierung bzw. antipsychotische Medikation (Haloperidol 5-10mg i.m.) Adjuvant BZD aufgrund herabgesetzter Krampfschwelle Symptomatische (Intensiv)Therapie Klinik und Poliklinik für Psychiatrie und Psychotherapie Drogenintoxikation: Halluzinogene: LSD Vorwiegend zentral-serotonerge Wirksamkeit, periphere Intoxikationserscheinungen nur bei sehr hohen Dosen Symptomatik: Psychotische Symptome (Angst- und Erregungszustände, „Horrortrip“) mit optischen und akustischen Halluzinationen, Vigilanzstörungen bis zum Koma, Krampfanfälle,, Hyperreflexie, Mydriasis, Anisokorie, Flashbacks, Tachykardie, Hypertension, Atemdepression, Übelkeit, Erbrechen Therapie: Magenspülung und Applikation von Carbo medicinalis (Aktivkohle) Sedierung bzw. antipsychotische Medikation (Haloperidol 5-10mg i.m.) Adjuvant BZD aufgrund herabgesetzter Krampfschwelle Symptomatische (Intensiv)Therapie, v.a. Antihypertensiva und Antikonvulsiva Weiterführende Literatur Klinik und Poliklinik für Psychiatrie und Psychotherapie Akutmedizin – die ersten 24 Stunden Hrsg.: Madler, Christian; Jauch, Karl-Walter; Werdan, Karl; Siegrist, Johannes; Pajonk, Frank-Gerald Akutpsychiatrie: Das Notfall-Manual [Broschiert] Peter Neu (Herausgeber) Klinik und Poliklinik für Psychiatrie und Psychotherapie Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit! Bei Fragen bitte unter: www.uke.de/kliniken/psychiatrie/