Erziehung in der Pubertät

Werbung
Dipl.Psych. Sybille Herold, Hasselwerder Str. 5, 12439 Berlin, Tel.: 030 63331661
Verhaltensempfehlungen für Eltern Pubertierender
So ist es mit Regeln den Umgang mit Menschen immer: keine gilt immer und überall, keine
passt in jede Familie, keine hat einen Garantieanspruch. Und doch haben sich diese
Empfehlungen in etlichen Familien bewährt.
Probieren Sie es einfach mal!
l. Benennen Sie so klar und sachlich wie möglich, was Sie von Ihrem Pubi (vom
Pubertierenden) erwarten.
Nicht: Kannst du nachher bitte den Müll runterbringen? (Klar kann er!)
Nicht: Würdest du bitte die Wäsche aufhängen? Besser: Ich möchte, dass du noch vor dem
Abendbrot die Wäsche aufhängst.
Gut: Räume bitte - bevor du mit Susi ins Kino gehst - den Geschirrspüler aus.
Dein Fahrrad liegt im Gras. Bitte stelle es in die Garage!
Folgende Fehler sollten Sie bei Ihren Aufforderungen vermeiden:
alte Hüte - Vorige Woche musste ich dir schon das Skateboard nachräumen.
Kettenklagen - Und die Luftpumpe liegt auch schon wieder nicht an ihrem Platz.
Generalisierungen und Dramatisierungen mit „ständig“, „immer“ und „nie“ - Immer liegt
überall dein Zeug rum! Könntest du nicht wenigstens einmal...
Verteidigungen Ihrerseits - Es ist so eine Kleinigkeit, um die ich dich bitte. Und dabei habe
ich gestern schon den Großeinkauf erledigt.
Appellierendes Moralisieren: Du solltest jetzt wirklich endlich mal...Hier folgt ein
10minütiger Fachvortrag über Arbeitsteilung, Gerechtigkeit und Ihre Verdienste als Eltern.
Sagen Sie, was Sie erwarten und verlassen Sie sofort „das Feld“. So machen Sie auch
nonverbal deutlich, dass Sie nicht diskutieren werden.
2. Kündigen Sie rechtzeitig und möglichst vollständig an, was Sie am jeweiligen Tag
erwarten. Nichts nervt mehr, als wenn nach einer erfüllten Aufgabe immer eine neue
folgt.
Sie können auch eine kleine Tagesliste auf den Tisch legen. Manchmal ist die Schriftform
generell effektiver als das ständige Ermahnen/Auffordern im Alltag. Man kann auch
vorbereitete Schilder an die Zimmertür/Klinke hängen: Heute bin ich dran! Dein
Meerschwein.
Stellen Sie sich schon vorher darauf ein, dass Sie damit keine Begeisterung auslösen
werden und
lassen Sie sich weder zu Begründungen noch zu anderen Kommentaren hinreißen.
Verbale Abwehr
gegen alles, was man tun soll, gehört zu jedem Pubi. Oder zumindest ein verzweifeltes
Stöhnen, gern in Kombination mit einem Augenrollen.
Manchmal kann man diese vorwegnehmen: Ich weiß, es nervt dich kolossal, wenn ich
möchte, dass du deine Schuhe wegstellst, aber wir hatten das so abgemacht.
3. Nach der Aufforderung können Sie ggf. die Konsequenz einer Nichtbefolgung
ankündigen (Diese sollte möglichst logisch und sachbezogen sein.)
„Bitte bring mir die Wäsche in die Waschküche. Danke!“
“Später!”
„Nein, bitte sofort!” „Muss das ausgerechnet gleich sein? Reicht doch auch heute Abend!“
„Nein, sofort, bitte, wie abgesprochen, sonst wasche ich dein Zeug nicht“
Wenn der Pubi dann brummend die Wäsche bringt - nur noch anfügen „Dankeschön!“ (Kein
Nachmoralisieren: Warum muss ich immer erst mit dir diskutieren! Geht doch!)
4. Sie sind gut beraten, wenn Sie sich in dieser Nerven raubenden Zeit auf Wesentliches
konzentrieren und nicht an Kleinigkeiten rummeckern.
Hilfreich ist oft auch zu unterscheiden, um wessen Problem es sich handelt.
a) Wenn Ihnen die ungekämmten Haare Ihres Pubi nicht gefallen, so ist das eindeutig Ihr
Problem. Der Pubi fühlt sich vermutlich wohl damit.
b) Wenn Pubi mit der von Ihnen vorgegebenen Zeit des Nachhausekommens nicht
einverstanden ist, so ist das sein Problem.
c) Wenn es um die Auswahl eines gemeinsamen Urlaubsziels geht (falls sich Ihr Pubi noch
aufopfern sollte, mit Ihnen gemeinsam in den Urlaub zu fliegen), handelt es sich um ein
gemeinsames Problem.
d) Es gibt bereits ausdiskutierte Sachverhalte, z.B. dass sich alle an der Hausarbeit beteiligen
müssen.
e) Und es gibt Angelegenheiten mit Diskussionsbedarf, z.B. steht nach dem Geburtstag
möglicherweise an, die Ausgehzeiten neu zu bestimmen.
Haben Sie ein Streitthema einer der Kategorien zugeordnet, helfen jeweils die folgenden
Strategien:
a) Versuchen Sie für sich zu klären, ob Sie sich noch das Recht nehmen wollen, über diesen
vielleicht sehr persönlichen Bereich im Leben Ihres Pubi zu bestimmen Wenn Sie es sich
nicht zugestehen, haben Sie immer noch die Möglichkeit, vor einem gemeinsamen
Einkaufsbummel um die Kammbenutzung zu bitten, weil es Ihnen unangenehm ist, mit einem
Struwelpeter unterwegs zu sein.
(Sich schweren Herzens mit einer Verhaltensweise abfinden heißt nicht, die Flinte völlig ins
Korn zu werfen. Immerhin passiert ohnehin die meiste „Erziehung“ über die Einwirkung Ihres
Vorbildes.)
b) Es ist wichtig, sich in den Jugendlichen hineinzuversetzen und auch zu signalisieren, dass
man für vieles Verständnis hat. (So ist es unangenehm, bei einer Party früher als die anderen
aufzubrechen. Jugendliche können es nachvollziehbar als ungerecht erleben, eher zu Hause
sein zu müssen als Gleichaltrige...) Und trotzdem kann es gute Gründe für Sie geben, sich auf
eine bestimmte Zeit festzulegen, z.B. weil Sie sich um die Sicherheit des Jugendlichen sorgen
und keine andere Möglichkeit finden, sie abzusichern (wie Abholen von einer bestimmten
Stelle, Finanzierung eines Taxis oder ähnliches). Oder der Jugendliche hat nachweislich am
Morgen danach Probleme mit der Schule. Oder...
Es ist ein Unterschied für Ihren Pubi, wenn er sieht, dass Sie ihn verstehen und nach einer
Lösung suchen als wenn Sie nur eine Anordnung treffen.
c) Wenn Sie ein Problem erörtern wollen, konzentrieren Sie sich auf das Wesentliche: Wählen
Sie zunächst einmal eine geeignete Zeit die „Familienkonferenz“ aus und kündigen Sie diese
und das Thema an.
Dabei sollte zunächst jeder seine Vorstellungen äußern können und dabei auch über das
sprechen, was ihm besonders wichtig ist und was er auf gar keinen Fall will. Danach folgt
eine Phase des „Brain Storming“: alle möglichen und unmöglichen Lösungen werden
zusammengetragen, ohne sie gleich zu bewerten. Es darf dabei durchaus gelacht werden.
Dann erst werden diese Lösungsideen nach brauchbaren Bestandteilen durchforstet. Wenn Sie
Glück haben, finden Sie einen Kompromiss, mit dem alle leben können. Anderenfalls ist es
sinnvoll, zu vertagen und dann neu zu verhandeln.
d) Da Ihr Kind vermutlich nicht geistig behindert ist, sollte Sie hier darauf vertrauen, dass es
Sie schon verstanden hat, keine neue Diskussion eröffnen, sondern nur an Ihre Absprache
erinnern und signalisieren, dass Sie davon nicht abweichen werden.
e) Auch hier können sie eine Familienkonferenz ansetzen. s. c)
6. Wenn Sie etwas kritisieren wollen, stellen Sie möglichst etwas Positives voran:
Ich finde, wir kommen in der letzten Zeit besser miteinander aus, und ich wünsche mir, dass
wir auch bei diesem Problem eine Einigung finden. Wichtig ist das „und“. Ein „Aber“ würde
das Lob sofort zerschlagen.
Immer wenn man mit einem Menschen in der Hoffnung spricht, sein Verhalten zu
beeinflussen, gibt es eine Kurzzeit- und eine Langzeitwirkung (gilt auch vor und nach der
Pubertät). Diese stimmen sehr oft nicht überein. Wenn Sie jemanden kritisieren, wird er die
Kritik oft von sich weisen‚ sich verteidigen, behaupten, es sei gar nicht so oder nicht mehr so.
Die Kurzzeitwirkung ist zunächst also entmutigend.
Später merken Sie, dass er sich doch bemüht, sein Verhalten zu verändern. (Langzeitwirkung)
Bekommen Sie sehr schnell ein Versprechen, dass von nun an alles anders wird =
Kurzzeitwirkung (so wird man übrigens einen Kritiker am schnellsten losi), ist das oft
durchaus nicht der Fall. (Langzeitwirkung)
Lassen Sie sich nicht zu schnell entmutigen, wenn Sie zunächst keine Einigung oder
Einsicht erreichen. Im günstigsten Fall werden Sie später überrascht.
Für Pubis scheint es1ebensnotwendig zu sein, das Gesicht zu wahren, also nur nicht
zuzugeben, dass man Unrecht hatte oder etwa nachzugeben. (Das fällt übrigens auch manchen
Eltern schwer.)
7. Verstärken Sie auch die Anstrengungsbereitschaft und loben Sie nicht nur gute
Resultate:
Ich kann gut verstehen, dass du enttäuscht bist, weil es trotz Lernerei nur eine Drei geworden
ist. Du hast dich ja richtig dahintergeklemmt. Bleib dran. Es lohnt sich!
Statt: Naja ne Drei und das trotz der Lernerei! Beim nächsten Mal musst du eben noch mehr
lernen, dann wird es hoffentlich endlich eine gute Note.
8. Entstehen explosive Situationen, so nehmen Sie den Blickkontakt weg und senken Sie
die Stimme. Wenn Lautwerden unumgänglich ist, vermeiden Sie bitte Etikettierungen
wie:
Aus dir wird höchstens mal ein Hilfsarbeiter!
Du landest noch mal unter der Brücke!
Oft reichen ein kurzes „STOP!“ oder „HEY!“ aus.
Wenn sich die Wogen wieder geglättet haben, sollten Sie niemals unmittelbar danach zum
Aufarbeiten ansetzen. Gehen Sie zum normalen Tagesablauf über. Erst deutlich später können
Sie, wenn es denn sein muss, das Problem noch einmal ansprechen. Sonst gibt es sofort
wieder die nächste Explosion. Gehen Sie lösungsorientiert vor, d.h. nach dem Motto: Das war
für uns beide eine unschöne Situation. Lass uns gemeinsam überlegen, wie wir die in Zukunft
vermeiden können.
9. Wenn sich die Geschwister in den Haaren liegen –
können Sie in der Regel nicht vollständig nachvollziehen, wer wann wie angefangen hat.
Auch wenn es öfter der eine der beiden sein mag. Ungerechtfertigte Generalverdächtigungen
geben nur einen Freibrief: Wenn eh alle denken, dass ich es war und ich deshalb Ärger krieg,
dann kann ich es auch ruhig tun!
Trennen Sie die beiden Streithähne kurz und bündig! Lassen Sie kein Petzen zu! Sagen Sie
mit tiefer Stimme und Blickkontakt „Stopp!“ und schicken Sie sie aus dem Feld.
10. Im Alltag helfen klare Regeln, bei denen keine Diskussionen zugelassen werden:
Wer darf wann in welches Zimmer kommen? Ist anzuklopfen oder nicht? Wann darf man die
Sachen eines anderen benutzen? Wer macht wann und wie welche Hausarbeit? Wie ist die
Taschengeldregelung? Gibt es Vorschüsse? Wer bestimmt über das Geld?
Es wird - z.B. in einer Familienkonferenz - ausdiskutiert, wie die Regeln sind. Diese gelten
dann bis zur nächsten “Vertragsverhandlung”, erst da darf wieder diskutiert werden.
Wenn Herr Alzheimer öfter in Ihrer Familie zu Gast ist, sollten Sie schriftlich festhalten, was
Sie vereinbart haben und das für alle gut sichtbar irgendwo aufhängen.
11. Die Zeit der „Erziehung“ ist bei Jugendlichen vorbei.
Sie haben jedoch eine gute Chance, einen Beratervertrag zu bekommen. Versuchen Sie, auf
jeden Fall im Gespräch zu bleiben. Zeigen Sie Verständnis, wann immer Sie welches
aufbringen können. Erinnern Sie sich immer wieder an die eigene Pubertät mit ihren zu
umschiffenden Klippen zurück. Aber klagen Sie nie laut, dass es Eltern damals viel leichter
hatten und es zu Ihrer Zeit so etwas nie gab. Zum Glück haben wir heute andere Zeiten, die
Zeit bleibt nicht stehen. Bieten Sie Ratschläge an, aber drängen Sie sie nicht auf. Jedes Kind
muss eigene Erfahrungen machen. Und dazu auch Fehler machen. Alle Eltern wollen ihren
Kindern schlechte Erfahrungen ersparen, bisher ist es noch niemandem gelungen.
Hauptmodul Ihrer Erziehung bleibt aber das Vorleben. Frei nach dem Spruch: “Wundere dich
nicht, dass deine Kinder nicht auf dich hören. Sie machen dir eh alles nach!”
12. Versuchen Sie, möglichst wenig persönlich zu nehmen.
Das meiste ist es nicht. Bemühen Sie sich‚ jeden Tag neu zu beginnen, tolerant zu sein, Raum
für Ausprobieren und für Fehler (aus denen man nur lernen kann) zu geben und in diesen
bewegten Zeiten, in denen Ihr Pubi oft von inneren Stürmen umtost wird, ruhig wie ein Fels
in der Brandung zu stehen. Manchmal hilft auch eine Prise Humor! Und eine große Kanne
Baldriantee. Fast alle Eltern verzweifeln in der Pubertät ihrer Kinder irgendwann einmal.
Doch zum Glück wird aus den meisten Menschen trotzdem oder vielleicht auch dadurch doch
etwas ganz Passables.
Manchmal hilft es zur Gelassenheit, einmal zu bilanzieren, was man in den vergangenen
Jahren eigentlich schon alles erfolgreich angelegt hat im Kind. Auch wenn es derzeit
vielleicht etwas verschüttet erscheint. Irgendwann werden die von Ihnen gelegten
Samenkörnchen aufgehen, vielleicht sind sie schon 1 mm vor dem Durchbruch!
Gutes Gelingen!
Sybille Herold
Herunterladen