Zum Abdruck frei unter Nennung von Klett-Themendienst und Autorin. Pubertät Yvonne Pöppelbaum (YP) Auf dem Weg zum Erwachsenwerden stehen Schüler, Lehrer und Eltern vor besonderen Herausforderungen. Prof. Dr. Marianne Horstkemper (Universität Potsdam) über den Umgang mit Pubertierenden als Chance für die Gesellschaft. Frau Dr. Horstkemper, Sie haben sich in Ihrer wissenschaftlichen Laufbahn intensiv mit Genderthemen im Schulkontext beschäftigt. Wie hat sich aus Ihrer Sicht die Phase der Pubertät oder die Wahrnehmung dieser Phase im Lauf der Jahre verändert? Die Pubertät hat sich im Vergleich zu früher zeitlich nach vorn verlagert. Gelegentlich wirft sie ihre Schatten schon in der Grundschule voraus. Das liegt an vielen Faktoren – zum Beispiel der in unseren Breiten guten Ernährungssituation und der Achtsamkeit vieler Eltern auf eine gesunde und förderliche Entwicklung. Gleichzeitig sind die Verläufe aber sehr individuell, weil ja auch die Lebenslagen der Kinder sehr verschieden sind. Diese Phase wird in aller Regel immer noch als anstrengend und schwierig erlebt. Gleichzeitig ist aber auch deutlich geworden, welche neuen Entwicklungsschübe in dieser Zeit stattfinden – und dass dies nicht nur für die Jugendlichen wichtig ist, sondern auch für unsere Gesellschaft. Wir brauchen den Schwung der Jugendlichen, die Dinge in Frage stellen, Verkrustungen aufbrechen und Wandel in Gang bringen. Man verbindet mit Pubertierenden ja eigentlich eher eine Null-Bock-Mentalität ... Stimmt. Schule ist den meisten Jugendlichen in dieser Phase völlig egal. Das heißt aber nicht, dass sie generell uninteressiert sind. Sie haben keine Lust darauf, Wissen in sich hineinzustopfen und auf Kommando wieder aufzusagen – sie wollen herausgefordert werden. Und wie fordert man pubertierende Schüler heraus? Indem man ihnen die Möglichkeit gibt, Bestätigung zu bekommen. Ich habe die Erfahrung gemacht, dass Pubertierende sehr wohl bereit sind, sich sozial zu engagieren. Sei es in der Hausaufgabenbetreuung für jüngere Schüler, sei es in Service-learning-Projekten. Dieses Lernen durch Lehren oder durch soziales Engagement macht Spaß. Man kann anderen etwas beibringen und tut etwas Sinnvolles. Wie erleben Lehrer die Pubertät ihrer Schüler? Was bekommen sie davon mit? Gute Frage. Wenn man schriftliche Unterrichtsvorbereitungen junger Lehrkräfte liest, dann steht sehr häufig bei Klassen der entsprechenden Altersjahrgänge so etwas wie: Viele Schüler befinden sich in der Pubertät. Das gilt dann häufig synonym für „Meine Aufgabe als Lehrkraft ist hier schwierig!“ Und auch erfahrene Lehrerinnen und Lehrer gehen in solche Lerngruppen häufig ein Stück weit „gewappnet“ für nicht ganz unkomplizierte Situationen hinein. Sie wissen, dass die Schüler unkonzentrierter sind und völlig andere Dinge im Kopf haben. Ich denke, da muss man auch ein Stück weit verständnisvoll rangehen. Wie erkennt man, welches Verhalten noch normal ist und wo vielleicht eine Grenze überschritten wird, bei der man sich Hilfe holen sollte? Der Normalitätsbegriff ist ja ohnehin schwierig, und gerade in dieser Entwicklungsphase ist die Variation individueller Entwicklung ganz besonders hoch. Hier lassen sich jetzt keine „Patentdiagnosen“ vermitteln. Lehrkräfte sind hoffentlich sensibel für starke Veränderungen ihrer Schülerinnen und Schüler: Zunahme aggressiven Verhaltens – oder aber massiver Rückzug bis hin zu Kommunikationsverweigerung, deutliche Gewichtsveränderungen als Indikator für Essstörungen, drastischer Leistungsabfall – solche Signale sollten Lehrkräfte ernst nehmen, sich untereinander aufmerksam machen, das Gespräch mit den Betroffenen und auch deren Eltern suchen. Insgesamt scheint mir das eine wichtige Sache zu sein: Die Kommunikation mit den Eltern gerade in dieser Phase zu suchen und den Austausch der Eltern untereinander zu fördern. Das hilft Lehrkräften, die Jugendlichen eben nicht nur als Schülerinnen und Schüler wahrzunehmen, sondern mehr über ihre Lebenswelt außerhalb der Schule zu erfahren. Wie verändert sich die Beziehung zwischen Schülern und Lehrern in dieser Phase? Das hängt ganz stark von der Grundtönung der Beziehungsqualität ab: Wenn sie geprägt ist von wechselseitigem Respekt, getragen von Zuwendung, Verständnis und Humor, dann können – auch bei den in dieser Zeit ja in der Tat auftretenden und auch notwendigen Ablösungskonflikten von erwachsenen Autoritäten – durchaus tragfähige und hilfreiche Beziehungen durch diese Phase hindurchhelfen. Wenn die Zeichen ohnehin auf Ablehnung stehen, können sich dagegen Konflikte auch sehr verschärfen. Insgesamt werden in dieser Lebensphase die Beziehungen zu Gleichaltrigen in aller Regel deutlich wichtiger. Wie sollten Lehrer in ihrer Ausbildung auf pubertierende Schüler vorbereitet werden? In einer guten Ausbildung sollten sie zunächst einmal eine Menge an Wissen über diese Lebensphase erwerben, sich sinnvollerweise auch reflektierend mit eigenen Erfahrungen auseinandersetzen. Letzteres ist in unseren heutigen engen Ausbildungsplänen schon sehr schwierig, obwohl gerade das hilfreich wäre. Das berufliche Können, also ein gelassener, einfühlsamer und didaktisch kreativer Umgang mit Kindern und Jugendlichen in dieser Entwicklungssituation wird aber vor allem in der Berufspraxis erworben und sollte dort durch entsprechende Fort- und Weiterbildung, Supervision und ähnliche Angebote begleitet werden. Was müsste sich ändern? Es reicht nicht, Informationen über neueste neurobiologische Forschungen oder auch insgesamt über die physiologischen Grundlagen der stattfindenden Veränderungen informiert zu werden – ganz wichtig ist das notwendige Reflexionswissen: Welche Veränderungen in der Weltsicht, in der Motivationsstruktur, in den Beziehungsbedürfnissen finden hier eigentlich statt – und wie erlebe ich das? Wie kann ich damit umgehen? Welche Ängste weckt das möglicherweise bei mir? Stecken in dieser Phase auch Chancen, die man nutzen kann? Welche Herausforderungen brauchen die Jugendlichen, um Lernen als sinnvoll zu erleben? Zum Beispiel? Man sollte ihre Bereitschaft zum Engagement nutzen, wenn sie bestimmte Aufgaben als sinnvoll und nützlich für sich selbst und für andere erkannt haben. Schulen, die sich hier auf den Weg machen und ihre Schülerinnen und Schüler bei der Lösung komplexer Aufgaben unterstützen, können über viele positive Erfahrungen berichten. Ansätze wie das Service Learning oder des zeitweisen außerschulischen Lernens sind leider immer noch viel zu wenig bekannt und verbreitet. Das sollte sich unbedingt ändern. ‹‹ (Kasten 1) Medientipp SCHÜLER 2013 – Wissen für Lehrer Pubertät Das SCHÜLER-Heft „Pubertät“ informiert über körperliche, geistige und sexuelle Entwicklungen und schenkt dabei dem sozialen Umfeld Pubertierender besondere Aufmerksamkeit. Es zeigt Wege auf, die Zeit der Umbrüche als Chance zu nutzen. Die Reihe SCHÜLER- wendet sich an Pädagogen aller Fächer und Schulformen. 128 Seiten, ISSN 0949 – 2852 Bestellnummer 539019, 15,40€ Abo-Preis 8,90 € (Kasten 2) Zur Person Dr. Marianne Horstkemper ist emeritierte Professorin für Allgemeine Didaktik und Empirische Unterrichtsforschung an der Universität Potsdam. Zu ihren Arbeits- und Forschungsschwerpunkten gehören Schul- und Unterrichtsforschung, die Aus- und Fortbildung von Lehrerinnen und Lehrern sowie Schule und Gender.