Politik 05. 04. 2011 Präsidentenrunde: Ein Sieg über die Bürokratie, Ausdruck der Klugheit des Schweizer Volkes oder eine verpasste Gelegenheit unsere Gesellschaft sicherer zu machen? Die Parteipräsidenten in emotionaler Diskussion über das Nein zur Waffeninitiative. „Noch fünf Minuten bis zur Live-Übertragung“ – es erfolgen die Platzanweisungen, eine letzte Kontrolle der Mikrofone, sorgfältiges Ausbessern der Schminke. Doch eines der gläsernen, glamourös mit „classe politique“ beschrifteten Stehpulte ist noch immer leer. Neben einem etwas nervösen, aber gutmütig dreinblickenden Fulvio Pelli klafft eine Lücke in der sorgfältig arrangierten Präsidentenrunde. „Zuerst zur Waffeninitiative…“, erklärt die Moderatorin soeben den bereits anwesenden Politikern. Alle Köpfe drehen sich an einem Dutzend mannshoher Kameras vorbei zum Eingang, als er schliesslich, womöglich direkt aus dem Kuhstall, doch noch erscheint. „Ah, die Initiative ist ein Thema?!“, unterbricht Toni Brunner, während er sofort von einer Horde Techniker verkabelt wird, übertrieben erstaunt. Für derlei Spässe haben Christian Levrat und Ueli Leuenberger an der gegenüberliegenden Seite der Tischgruppe allerdings nur ein müdes Lächeln übrig. Ein klares Verdikt Denn erneut hat das Volk im Sinne der rechten Seite der Schweizer Politik gestimmt. Erneut vermochten alle noch so stichhaltigen Argumente der familienfreundlichen SP und der Grünen nicht mit der ebenso aggressiven wie aufwändi- gen Kampagne der SVP mitzuhalten. Erneut heisst es für die Linken, diese Niederlage vor den Medien doch als eine Art Sieg in gewissen Teilbereichen darzustellen. Aber das Resultat ist klar: 56.3% Nein zur Initiative „Schutz vor Waffengewalt“. Das Schweizer Volk hat sich eindeutig gegen ein zentrales Waffenregister, einen Bedarfs- und Fähigkeitsausweis und die Lagerung der Ordonnanzwaffe im Zeughaus entschieden. „Ein klares Verdikt zur Schweizer Milizarmee, zur Schweizer Schützentradition“, wie Toni Brunner dies mit Genugtuung interpretiert. Den Zusammenhang der Initiative mit der Schützentradition kann ein säuerlich dreinblickender, stirnrunzelnder Christian Levrat allerdings nicht verstehen: „Die Schützen– und Jägervereine haben sich provoziert gefühlt, obwohl sie an und für sich kaum betroffen wären.“ Das beachtliche Engagement dieser Vereine für ein Nein sehen die Linken als einen Grund für ihren Misserfolg. Sieg der Finanzen Noch entscheidender für den negativen Ausgang der Abstimmung seien vor allem die Finanzen gewesen. „Zum Schluss hatten wir beschränkte Letzte Vorbereitungen vor der Live-Übertragung 1 Politik 05. 04. 2011 finanzielle Mittel, es ist immer die gleiche Frage“, lautet ein zögerlicher Versuch Levrats das Abstimmungsresultat zu rechtfertigen. Sich über den Haaransatz streichend fügt er etwas hilflos anmutend hinzu, es sei den Linken immerhin gelungen, 70 Organisationen zur Unterstützung zu gewinnen, unter anderem sogar Teile des bürgerlichen Lagers, vor allem junge Politiker stünden auf ihrer Seite. „Es wird müssig und ist billig, jedes Mal über die Kassen zu sprechen“, entgegnet Brunner in gereiztem Unterton. “Schliesslich hat das kluge Schweizer Volk gesprochen“, meint er mit überlegenem Grinsen. Schweizer Werte Weiterhin zufrieden lächelnd gibt er seine Erklärungen zu Schweizer Werten, gewachsener Tradition, Verantwortung und Vertrauen zum Besten. Schlagwörter wie Klugheit des Schweizer Volkes, Vertrauen vom Staat in den Bürger, Verteidigung des Vaterlandes lassen jeweils die Emotionen seiner Opponenten aufwallen. „Ob dies wirklich die Schweizer Werte sind?!“, wird er schliesslich von einem langsam, aber sicher gereizten Ueli Leuenberger unterbrochen. Doch auch Fulvio Pelli ist sich sicher, dass diese Entscheidung des Volkes die Schweiz vor einer total bürokratischen Regelung, die das Vertrauen des Staates in den Bürger zunichte gemacht hätte, gerettet habe. „Es ist richtig, dass so entschieden wurde“, schliesst der amüsiert wirkende FDP- Präsident. Ausserdem ist er der Meinung, dass das Land die Stadt - wie dies am 13.2.2011 der Fall gewesen ist - durchaus mal überstimmen dürfe. Auch Levrat meint, solche Meinungsverschiedenheiten zwischen den Stadt- und Landregionen seien zu erwarten gewesen. Vor allem in ländlichen Gebieten sei es den Bürgerlichen gelungen, den „Mythos des bewaffnet, die Grenze verteidigenden Staatsbürgersoldaten“ heraufzubeschwören, so Ueli Leuenberger. Tatsächlich sind fünf der nur sechs JA-stimmenden Kantone klar städtischer Natur. Dies ist unter anderem mit der starken rechten Basis auf dem Land zu begründen. Ihre Argumente waren vor allem in den letzten Wochen vor der Abstimmung allgegenwärtig. „Monopol für Verbrecher?!“, konnte man auf Plakaten lesen, daneben die Karikatur eines rauchenden, überheblich grinsenden Gangsters, seine Pistole direkt auf den Betrachter richtend. Dagegen wirkt der, die Kampagneposter der Linken zierende Teddybär mit seinem Blutfleck auf dem Fell schon beinahe niedlich. Aufgrund dieses Bildes ist es nicht weiter verwunderlich, dass sich vor allem Männer nicht von dieser Kampagne angesprochen gefühlt haben. Es waren eindeutig vor allem Frauen und jüngere Leute, welche die Initiative befürwortet haben. Doch nicht nur das Schweizer Volk war in diesem Punkt gespalten, sondern auch die CVP. Während sich die Mutterpartei 2 INFO Zur Präsidentenrunde: Unter dem Begriff „Präsidentenrunde“ oder auch „Elefantenrunde“ versteht man eine Debatte der Präsidenten aller im Parlament vertretenen Parteien. Diese Diskussion findet meist nach Volksabstimmungen oder im Anschluss an Stände-und Nationalratswahlen statt. Der Anlass wird von den Fernsehsendern SF DRS und TSR organisiert sowie live übertragen. Diese Analyse des Abstimmungsresultates geniesst sowohl in der nationalen Politik, als auch im Volk, hohe Beachtung. Folgende Politiker präsidieren zurzeit und sind somit zur Debatte eingeladen: ………… <- Toni Brunner (SVP) Christian Levrat -> (SP) <- Christophe Darbellay (CVP) Ueli Leuenberger - > (Grüne) <- Fulvio Pelli (FDP) (Fotos:www.parl.ch) Politik 05. 04. 2011 schlussendlich für ein Nein aussprach, waren die CVP-Frauen klar auf der Seite der Befürworter. „Wir sind eindeutig besser als jedes Abstimmungsbarometer, wir sind ein Abbild des gespaltenen Schweizer Volkes“, versucht Christoph Darbellay die Runde aufzuheitern. Doch auch der spitze Lacher von Christian Levrat verebbt so rasch, wie er erklungen ist. Das klare Nein wird vom CVP-Präsidenten trotzdem als richtig, als Sieg der Vernunft über die reinen Emotionen, die Scheinsicherheit, welche von den Linken geschürt worden seien, interpretiert. Aber auch diese versuchen, mit verzweifelt anmutenden, aber immer wiederkehrenden Argumenten das Abstimmungsresultat als Sieg ihrerseits darzustellen. Sie hätten zwar gehofft, mit einem Ja ein kleines Zeichen gegen die Kriminalität, den Waffenmissbrauch zu setzen, doch habe die Initiative auch so positive Auswirkungen gezeigt. „Es ist etwas geschehen“, meint Leuenberger ebenso zufrieden wie bestimmt, „die Verknüpfung der kantonalen Register, die Abgabe der Taschenmunition, die Möglichkeit der freiwilligen Abgabe der Waffe, all das wurde durch diese Initiative bewirkt.“ Jetzt gerät der Grüne so richtig in Fahrt, will seine Argumente erneut ins Rampenlicht stellen, doch langsam wird die Politikerrunde ungeduldig. „Der nächste Schritt“, meint er nun leiser, vorsichtiger, nach einem strengen Blick der Moderatorin, „ist ein zentrales Register; dies wird kommen.“ Das kluge Schweizer Volk Darbellay wirft den Linken allerdings ein weitaus radikaleres Ziel vor. „Sie wollen die Armee abschaffen.“ Diese Aussage bewegt den sonst stoisch ruhig wirkenden SPPräsidenten doch noch zu einer kleinen Gefühlsregung; mit zusammengepressten Lippen schüttelt er leicht den Kopf, weiterhin sein Gegenüber fixierend. In beinahe bewundernswerter Ruhe, aber doch mit einem leichten Schmunzeln auf den Lippen, erklärt er diesen Vorwurf als „zusammenhangslos mit der Initiative. Wer so argumentiert, betrachtet das Schweizer Volk als zu dumm.“ Sein schon fast mitleidig wirkender Blick in Richtung Darbellay bewegt diesen zu einem für ihn ungewohnt unkontrollierten Schnauben sowie einem verständnislosen Kopfschütteln. „Die Schweizer und Schweizerinnen haben über Live im Studio 3 einen Text abgestimmt, sie wussten ganz genau, worum es ging“, fügt Levrat nun schon fast etwas grossspurig an. Anschliessend wiederholt er, wie zuvor bereits Leuenberger, mit emotionaler Gestik erneut die anscheinend positiven Auswirkungen der verlorenen Abstimmung. Als er dann zum zweiten Mal auf die grundlos provozierten Schützenvereine zu sprechen kommt, kann sich Darbellay nicht mehr beherrschen. „Das ist nicht wahr“, fällt dieser dem SP-Präsidenten energisch ins Wort. Bevor er seine Argumente aus seiner Sicht als Organisator des Walliser Schützenfestes darlegen kann, wird auch er unterbrochen. Ein aufgebrachter Leuenberger, der sich noch nicht geschlagen geben will, muss natürlich auch seine Meinung kundtun. Auf die im Rahmen dieser Initiative gemachten Versprechen werde er beharren, man müsse gegen die Kriminalität vorgehen. Politik 05. 04. 2011 „Die Realität des Landes“ Während eines weiteren Wortgefechts erklärt Pelli die Kriminalität im Bezug auf diese Initiative allerdings als „abwesend“. Brunner dagegen sieht die ganze Idee sowieso als bürokratisch und entmündigend. Er bezeichnet die Initiative als „nicht einfach zu gewinnen“, die Mitteparteien als „instabil“. Während Leuenberger diese Aussagen als Lüge abtut, deklariert Pelli die Armeewaffe als ungefährliches Instrument. Langsam, aber sicher steigern sich die Emotionen, die Diskussion beschleunigt sich, es wird kaum auf Aussagen der anderen Politiker eingegangen. Schaut man auf die rot blinkende Digitalanzeige gegenüber der Moderatorin, ist der Grund für dieses Verhalten leicht zu erraten. Noch eine Minute: Jeder will vor Ende der Sendung unbedingt nochmals seine Argumente in den Vordergrund rücken, jeder will dem Publikum mit erhobener Stimme und triumphierendem Gemütliches Apéro vor dem Studioeingang Lächeln in Erinnerung bleiben. So nutzt auch Toni Brunner die Gunst der letzten Sekunden. Erneut die Intelligenz des Schweizer Volkes bemühend, meint er betont beiläufig: „Übrigens ist nicht nur das Schweizer Volk klug, auch das Berner Volk ist sehr schlau. Ich habe gehört, dass Adrian Amstutz bei den Ständeratswahlen mit Abstand am meisten Stimmen erhalten hat. Ein grosses Kränzchen den Wählerinnen und Wählern im Kanton Bern.“ Nachdem auch dieser SVP-Werbespot beendet ist, doppelt Pelli nach: „Ich habe schon immer gewusst, dass das Schweizer Volk klug ist und mehrheitlich im Sinne der Bürgerlichen stimmt, das ist die Realität in unserem Land“, schliesst er mit einem zufriedenen Blick über den Rand seiner Brillengläser. Die Realität im Studio ist allerdings eine andere: Nach einem müden Applaus zum Schluss der Sendung kümmern sich die Politiker wenig um ihre Parteizugehörigkeit. Jetzt heisst es jeder gegen jeden: Das Buffet ist eröffnet! (Text &Fotos: Aline Künzler, Marco Sutter) Reichhaltiges Buffet Parteiübergreifende Gespräche nach der Sendung 4