Bereiche der Angewandten Ethik Die wichtigsten Bereiche der Angewandten Ethik sind Bioethik, zu der die folgenden vier als Teilgebiete gehören: Umweltethik Tierethik Ethik der Abtreibung Medizinethik Technikethik Medienethik Wissenschaftsethik Wirtschaftsethik, zu der unter anderem als Teilgebiete gehören: Unternehmensethik Verbraucherethik Die Angewandte Ethik heißt so, weil die allgemeine normative Ethik auf diese verschiedenen Bereiche angewandt wird. Aber: wegen der Abstraktheit der obersten Prinzipien oder Verfahren einer allgemeinen Ethik und weil die Angewandte Ethik es häufig mit aktuellen technischen und gesellschaftlichen Entwicklungen zu tun hat, ist diese Anwendung der allgemeinen Ethik nicht unproblematisch und nicht einfach. Peter Singer und Richard Hare über die Ethik der Abtreibung Peter Singer und Richard Hare gehen beide von einer utilitaristischen Ethik aus. Aber in der Frage der Ethik der Abtreibung kommen sie zu sehr unterschiedlichen Ergebnissen: Peter Singer vertritt die These, dass moralische Relevanz von der Empfindungsfähigkeit abhängt, weil diese Fähigkeit die Voraussetzung dafür ist, überhaupt Interessen haben zu können. Ein Lebewesen, das keine Empfindungsfähigkeit besitzt, hat auch keinerlei moralische Relevanz. Bis ca. zur 18. Schwangerschaftswoche entsteht im Hinblick auf eine Abtreibung deshalb überhaupt kein moralisches Problem, weil man dem Fötus erst ab diesem Zeitpunkt Empfindungsfähigkeit zuschreiben kann. Nach diesem Zeitpunkt werden in der Regel die Interessen der Frau die Interessen des Fötus überwiegen. Richard Hare glaubt, dass ein moralisches Problem von Anfang an besteht und zwar, weil die Potentialität des Fötus, eine Person werden zu können, moralisch relevant ist. Er wendet die Goldene Regel auf das Abtreibungsproblem an und formuliert den Grundsatz: Wenn wir froh darüber sind, dass niemand die Schwangerschaft unterbrochen hat, die unsere Geburt zur Folge hatte, dann sind wir, ceteris paribus, dringend aufgefordert, eine Schwangerschaft, die in der Geburt einer Person resultiert, die ein Leben wie das unsere hat, nicht zu unterbrechen. Eine Abtreibung ist im Allgemeinen prima facie unmoralisch. Marry Ann Warren’s empirisches Personalitätsargument Nach Mary Ann Warren kann nur solchen Lebewesen ein Recht auf Leben zukommen, die Personen sind. Sie benennt fünf Fähigkeiten, die zentral sind für die Eigenschaft der Personalität: 1. Bewusstsein von externen oder internen Gegenständen und Ereignissen sowie insbesondere die Fähigkeit, Schmerzen zu empfinden. 2. Reflexionsfähigkeit und die Fähigkeit, komplexe Probleme zu lösen. 3. Die Fähigkeit zu selbst-motivierten Handlungen, die relativ unabhängig von genetischer oder externer Kontrolle sind. 4. Die Fähigkeit zu kommunizieren. 5. Die Existenz von Selbst-Begriffen und Selbst-bewusstsein. Nicht alle fünf Bedingungen sollen notwendige Bedingungen sein. Aber da ein Embryo oder ein Fötus keine dieser Bedingungen erfüllt, ist er keine Person und besitzt kein Recht auf Leben. Michael Tooley’s begriffliches Personalitätsargument Auch Michael Tooley formuliert ein Argument, dass die Schlussfolgerung hat, dass nur Personen ein Recht auf Leben haben. Seine erste Prämisse unterstellt dabei, dass die Pflichten, die andere Personen gegenüber einem Inhaber von Rechten haben, nur bedingte Pflichten sind: sie bestehen nur dann, wenn ein Interesse an dem besteht, was das Recht garantiert. Das Argument hat folgende Struktur: (1) Die einem bestimmten Recht auf X eines Individuums A korrespondierenden Verpflichtungen anderer Individuen, Handlungen zu unterlassen, die A X entziehen würden, stehen unter der Bedingung, dass A X wünscht. (2) Einen Wunsch zu haben, impliziert mehr als eine behaviorale Disposition, das heißt: Wünsche sind Zustände, die notwendigerweise in einer Relation zu Bewusstseinszuständen stehen. (3) Der Ausdruck „Recht auf Leben“ bezieht sich nicht nur auf die kontinuierliche Existenz eines biologischen Organismus, sondern meint das Recht eines Subjekts von Erfahrungen und anderen mentalen Zuständen, als dieses Subjekt weiterhin zu existieren. (4) Welche Wünsche ein Lebewesen haben kann, hängt davon ab, welche Begriffe es besitzt. (5) Ein Lebewesen ist nur dann fähig zu wünschen, als Subjekt von Erfahrungen und anderen mentalen Zuständen weiterhin zu existieren, wenn es einen Begriff solch eines Subjekts besitzt und wenn es glaubt, dass es jetzt solch ein Subjekt ist. Die Fragestellungen in der Debatte über die Ethik der Abtreibung Die über allen anderen stehende und zunächst zu entscheidende Frage lautet: Haben der Embryo beziehungsweise der Fötus überhaupt ein Recht auf Leben? Die Diskussion verzweigt sich je nachdem wie diese Frage nach dem Lebensrecht entschieden wird: Wenn die Antwort nein lautet, entstehen drei weitere Fragen: - Was ist die Begründung für die Nicht-Zuschreibung eines Lebensrechts? - Welche Art von Schutz besteht dann überhaupt, wenn es keiner ist, der sich aus dem Lebensrecht ergibt? - Macht die Geburt im Hinblick auf das Lebensrecht und den Lebensschutz einen Unterschied? Wenn die Antwort ja lautet, ergeben sich die folgenden weiteren Fragen: - Ist dieses Lebensrecht intrinsisch begründet und bezieht sich also auf den tatsächlich lebenden Embryo oder Fötus? - Oder wird dieses Lebensrecht mit potentiellen Eigenschaften begründet, insbesondere der potentiellen Eigenschaft, eine Person zu sein (Potentialitätsargument)? - Drittens entsteht vor dem Hintergrund der Bejahung des Lebensrechts ein Rechtekonflikt, das heißt: Ist das Recht auf Leben in jedem Fall vorrangig gegenüber den Rechten der Frau oder umgekehrt? Oder muss von Fall zu Fall entschieden werden? Wie sind dann das Lebensrecht und das Selbstbestimmungsrecht der Frau gegeneinander abzuwägen? Literatur Hare, Richard M.: „Abortion and the Golden Rule“, in: Richard Hare: Essays on Bioethics, Oxford 1993, S. 147-167. Hoerster, Norbert: Ethik des Embryonenschutzes: ein rechtsphilosophischer Essay, Stuttgart 2002. Schwarz, Stephen: „Personhood begins at Conception, in: Pojman, Louis P. / Beckwith, Francis J. (Eds.): The Abortion Controversy. A reader, Boston 1994, S. 236-253. Singer, Peter: Practical Ethics. Second Edition, Cambridge 1993. Stone, Jim: „Why Potentiality Matters, in: Canadian Journal of Philosophy, 17 (1987), S. 815-830. Thomson, Judith J.: „A Defense of Abortion“, in: Philosophy and Public Affairs, 1 (1971), S. 47-66. Tooley, Michael: „Abortion and Infanticide“, in: Philosophy and Public Affairs, 2 (1972), S. 37-65. Warren, Mary Ann: „On the Moral and Legal Status of Abortion“, in: The Monist, 57 (1973), S. 43-62. Warren, Mary Ann: „The Moral Significance of Birth“, in: Bennett, Belinda (Hg.): Abortion. International Library of Medicine, Ethics and Law, Aldershot 2004, S. 99-118.