Von Eva Bulling-Schröter, Sprecherin für Energie

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Von Eva Bulling-Schröter, Sprecherin für Energie- und Klimapolitik der Fraktion
DIE LINKE. im Bundestag
"Wir müssen den Kapitalismus bändigen!" Nein, nicht von Sarah Wagenknecht stammt dieser Satz, sondern von
Wirtschaftsminister Siegmar Gabriel. Er fiel auf eine Journalistenfrage, was eigentlich dran sei, an der immer heftiger
werdenden TTIP-Kritik einfacher Leute, Parteimitglieder, Gewerkschafterinnen, Umwelt- und Verbraucherbewegten
und Kirchengängerinnen. An deren Sorge um Rechtsstaatlichkeit durch Unternehmer-Staat-Schiedsgerichte. An der
Besorgnis vom Ausverkauf des Öffentlichen wie Wasserversorgung und Krankenhäuser durch noch mehr
Marktöffnung. Oder an einer Absenkung von Umweltstandards wie geringere Pestizid-Obergrenzen, Gentechnik auf
dem Teller oder Fracking-Gas aus Pennsylvania. Einen Satz später liefert der Vize-Kanzler Aufklärung: "Wir müssen
den Kapitalismus bändigen. Deswegen brauchen wir internationale Regelungen wie das Freihandelsabkommen wie
TTIP mit den USA."
Gabriels Mythos vom guten Turbo-Kapitalismus
Moment mal, weniger Kapitalismus durch mehr Freihandel?! "Sorry, but this is bullshit,
Mister Gabriel!" Genauso (un)sinnig ist die Behauptung, weniger Klimawandel sei durch
mehr Kohlemeiler machbar. Weniger Smog durch mehr Autos. Weniger Walfisch-Sterben
durch mehr Fangschiffe. In einer Zeit, in der die Verwertung von Mensch, Natur und Geist
ungebremst in die Offensive geht, verteidigt der in die Jahre gekommene LinksaußenDefensiv-Kicker den TTIP-Prozess knallhart nach vorn. Seine Parole gegen TTIPKritikerinnen: "Globalisierung gestalten". Für die ganze Welt will man "Gold-Standards"
setzen, an denen Brasilianer, Russen, Inder und Chinesen nicht vorbeikämen. Gute
Kapitalisten also, weil "gebändigt", braucht die schöne neue Welt, wirbt ausgerechnet
Austeritäts-Fan Gabriel mit einer griechischen Vokabel für eine TTIP-"Entmystifizierung".
CETA als Blaupause: Mehr Handel heißt mehr Umweltbelastung
Doch Achtung: Beim TTIP-Deal tanzen nicht die Chlorhühnchen auf dem Verhandlungstisch.
Und es wird auch nicht weniger Kapitalismus geben. Mehr Handel ist das Ziel. Das heißt
mehr Warenverkehr, mehr Produktion, mehr Wachstum, mehr Ressourcenverbrauch. Und
damit: mehr Umweltbelastung. Wie der SPD-Minister auf die Idee kommt, den aufstrebenden
BRIC-Staaten Öko-Standards per Freihandelsvertrag vorzuleben, damit diese nachziehen,
bleibt sein Geheimnis. Das CETA-Abkommen zwischen EU und Kanada gilt als Blaupause
für TTIP. Wohin also die Reise auch bei TTIP geht, zeigt ein Blick in das CETA-Kapitel
"Regulatorische Kooperation" zur Einführung eines nicht gewählten Rates, der regulatorische
Standards zwischen der EU und den USA angleichen soll. Und Gesetzgebungsverfahren
damit durch die Hintertür direkt beeinflussen wird.
Umkehr der Beweislast für Genmais und Pestizide
Durch den Rat wird ein Paradigmenwechsel in der Rechtsprechung eingeleitet. Über die
Formel "establish, when appropriate, a common scientific basis“ (deutsch: "wenn angebracht,
einen gemeinsamen wissenschaftlich basierten Ansatz schaffen") wird bei Genehmigung oder
Verbot gefährlicher Organismen oder Chemikalien die Beweislast einfach umkehrt. Bei der
Zulassung von Risikotechnologien gilt bisher das europäische Vorsorgeprinzip: Eine
Zulassung wird abgelehnt, wenn die Möglichkeit einer Gefährdung von Mensch und Natur
besteht. Werden die nationalen EU-Parlamente CETA annehmen, tritt das in den USA und
Kanada geltende "Prinzip des Beweises" in Kraft. Nämlich erst wenn Behörden den Beweis
angetreten haben, dass Genmais oder Pestizide Schaden anrichten, erst dann darf die Pflanze
oder die Substanz von Feld und Teller genommen oder mit Auflagen versehen werden. Also
erst beim ersten Krebstoten umsteuern? Bis dahin wird Monsanto, Coca Cola, Nestlé oder
Bayer die Vorfahrt gelassen.
Freie Fahrt für Fracking-Gas
Klima- und Umweltschutz bleiben bei Freihandelsabkommen links liegen. Bei CETA findet
Klimaschutz in 1634 Seiten auf 36 Zeilen statt. Klimaschutz-Goldstandards wie CO2Obergrenzen oder nationale Klimagas-Reduktionsziele? Fehlanzeige! Stattdessen nur
Handelserleichterungen mit Erneuerbare-Energien-Technologien. Zwar ist bei TTIP ein
eigenes Energiekapitel vorgesehen, Wunsch der EU-Kommission. Doch das riecht nach
fossilem Zeitalter. Im Bestreben, sich vom Lieblingsfeind Moskau in Sachen Gasversorgung
unabhängig zu machen und das restriktive Energieexport-Geschäft der USA aufzuweichen,
sollen statt wie bisher Einzelgenehmigungen künftig Generalgenehmigungen für Öl und Gas
aus Übersee nach Europa möglich werden. Hinter der Flexibilisierung steht die Absicht,
umweltschädliches Fracking-Gas zu verschiffen, ein herber Rückschlag für Europas
Energiewende. Die Förderung von Erneuerbaren Energien würde über die schon restriktiven
Bestimmungen der EU-Beihilferegeln im Wettbewerbsrecht weiter erschwert. Auch soll bei
Ausschreibungen die Energieform nicht festgelegt ("local content-Klauseln") werden statt
klimafreundliche Erneuerbare zu privilegieren.
Unternehmerklagen gegen staatlichen Umweltschutz
Das größte Einfallstor für weniger Umweltschutz sind Klagemöglichkeiten von Unternehmen.
Die Broschüre "Hilfe, ich werde enteignet!" der Gesellschaft für Außenwirtschaft und
Standort-Marketing, mitfinanziert vom Wirtschaftsministerium, bringt das Zurückweichen
von Staat und Gesetzgeber gegenüber Unternehmen auf den Punkt. Mit der Fragestellung
"Wovor schützen Investitionsschutzabkommen?", ein zentraler Bestandteil bei TTIP und
CETA, wird das Gespenst der "schleichenden" Enteignung durch "staatliche Maßnahmen" an
die Wand gemalt. Gewarnt wird vor "neuen Steuern" oder "neuen Umweltgesetzen". Diese
würden "Investitionen wirtschaftlich schwer beeinträchtigen oder sogar wertlos machen", weil
"die bisher gefertigten Produkte verboten werden können". Gilt der Grundsatz, dass
Investoren "billig und gerecht" ("fair and equitable") behandelt werden müssen, weil sie vor
der Investition etwa in ein Kohlekraftwerk die "berechtige Erwartung" gehabt haben, dass
eine Regierung keinen gesetzlichen Kohleausstieg vornimmt, so können Investoren
Schadensersatz verlangen. Was schon heute Realität ist: Der schwedische Vattenfall-Konzern
verklagt Deutschland auf Milliarden-Entschädigungen für den Atomausstieg.
Aufstehen für einen gerechten Welthandel!
Halten wir fest: Gabriel & TTIP "gestalten die Globalisierung" nicht, weder in Brasilia noch
in Peking. Sie bringen mehr Freihandel und mehr Kapitalismus, mit handfesten
Konsequenzen in Berlin, München und Hamburg. Investitionsschutz, Schiedsverfahren und
Umkehr der Beweislast bei riskanten Produkten und Technologien bergen die Gefahr, dass
demokratisch legitimierte Nationalstaaten einer Handvoll Global Players juristisch
gleichgestellt werden. Und eine parallele Schatten-Justiz für Wirtschaftsakteure geschaffen
wird, die ihre Streitigkeiten untereinander austragen. Den Schaden von noch mehr Handel und
Ressourcenausbeutung haben Verbraucherinnen, Demokratie, Klima und Natur. Gerade
wegen der vielen Nachteile ist es so wichtig gegen Freihandelsabkommen aufzustehen. Im
Parlament, vor Ort und bei der bundesweiten Anti-TTIP-Demo "TTIP & CETA stoppen! Für
einen gerechten Welthandel!" am 10. Oktober in Berlin!
linksfraktion.de, 8. Oktober 2015
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