2.3.2 Die Amtsführung Gustav Heinemanns - Friedrich

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Friedrich-Schiller-Universität Jena
Institut für Politikwissenschaft
Proseminar: Das Politische System der BRD
Modul: POL210
Leitung: Sven Leunig
Sommersemester 2015
Die umstrittene Relevanz des Bundespräsidenten unter
Berücksichtigung der Amtsinhaber Heuss und
Heinemann
1
Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung…………………………………………………………………3
2. Hauptteil…………………………………………………………………..4
2.1. Die Verfassungsrechtliche Grundlage……………………………….4
2.1.1. Die Kompetenzen des Weimarer Reichspräsidenten…………4
2.1.2. Die Konsequenzen des Parlamentarischen Rates……………..4
2.1.3. Die Kompetenzen des Bundespräsidenten ……………………5
2.2. Theodor Heuss………………………………………………………..7
2.2.1. Kurzbiographie…………………………………………………7
2.2.2. Die Amtsführung……………………………………………….8
2.3. Gustav Heinemann…………………………………………………...10
2.3.1. Kurzbiographie………………………………………………..10
2.3.2. Die Amtsführung…………………………………………...…11
3. Schluss…………………………………………………………………….13
4. Literaturverzeichnis……………………………………………………….14
2
1.Einleitung
Die Notwendigkeit des Amtes des Bundespräsidenten wird in der
Öffentlichkeit seit ihrer Schaffung durch das Grundgesetz regelmäßig
diskutiert. So werden in der Debatte um Skandale von Bundespräsidenten, wie
in der Affäre um Christian Wulffs umstrittene Eigenheimfinanzierung, oder vor
jeder Bundespräsidentenwahl durch die Bundesversammlung, Argumente
angeführt, die auf die Nichtigkeit und Bedeutungslosigkeit des Amtes
hinweisen, oftmals mit der Empfehlung, dieses Amt abzuschaffen. Auch in
wissenschaftlichen Kreisen wird dem Amt des Bundespräsidenten jegliche
gestalterische und bedeutende Funktion abgesprochen.1
Daher
widme
ich
mich
der
Forschungsfrage,
ob
das
Amt
des
Bundespräsidenten in einer parlamentarischen Demokratie aufgrund dessen
kaum politisch relevanter Kompetenzen überflüssig ist. Dabei stelle ich die
These auf, dass gerade aufgrund der geringen politischen Kompetenzen der
Bundespräsident je nach Charakter des Amtsinhabers eine moralische
Deutungshoheit über wichtige aktuelle gesellschaftliche Debatten haben kann.
Um diese Frage zu klären werde ich mich zuerst den Erfahrungen aus der
Weimarer Republik widmen um die heutige verfassungsrechtliche Stellung des
Bundespräsidenten in der BRD erklären zu können. Daher werde ich in dem
Sinne auch die Kernkompetenzen des Bundespräsidenten anhand des
Grundgesetzes erläutern, um zu zeigen, wieviel politische Macht der
Bundespräsident tatsächlich innehat. Im Weiteren werde ich mich mit einigen
ausgewählten Bundespräsidenten befassen, um ihre Stellung als Impulsgeber
und moralische Instanz in gesellschaftlichen Debatten aufzuzeigen. Im Schluss
werde ich dann die Forschungsfrage und die aufgestellte These beantworten.
2. Hauptteil
1
Rausch, Heinz, Der Bundespräsident, München 1984, S.15.
3
2.1 Die Verfassungsrechtliche Grundlage
2.2 Die Kompetenzen des Reichspräsidenten
Der Reichspräsident der Weimarer Republik wurde durch die Weimarer
Reichsverfassung mit weitreichenden Kompetenzen ausgestattet und war so,
anders als das Amt des Bundespräsidenten in der BRD, ein Gegengewicht zum
Parlament. So wurde der Reichspräsident direkt vom Volk für 7 Jahre gewählt
und war demnach unmittelbar demokratisch legitimiert. Er ernannte und entließ
die Reichsregierung und Beamten, er konnte den Reichstag auflösen und
konnte Plebiszite über vom Reichstag beschlossene Gesetze ausrufen. Zudem
besaß er den Oberbefehl über die Wehrmacht und konnte bei Gefährdung der
öffentlichen Sicherheit Maßnahmen zur Behebung dieses Zustandes ergreifen.2
2.3 Die Konsequenzen des Parlamentarischen Rates
Da diese umfangreichen Kompetenzen des Reichspräsidenten erheblich zum
Untergang der Weimarer Republik und zum Aufstieg des NS-Regimes
beigetragen haben, wurde durch den Parlamentarischen Rat nach dem Ende des
Zweiten Weltkrieges eine sehr viel schwächere Position des Bundespräsidenten
im Regierungssystem vorgesehen, um eine stabile Demokratie und eine
leistungsfähige Verfassung zu konstruieren, die die Selbstauflösung des
demokratischen Systems unmöglich machen soll.3
2.3 Die Kompetenzen des Bundespräsidenten
2
Vgl. Weimarer Reichsverfassung, Art. 25, 46, 47, 48, 53, 73.
Vgl. Mehlhorn, Lutz, Der Bundespräsident der Bundesrepublik Deutschland und der Republik
Österreich, Baden-Baden 2010, S.62.
3
4
So wird der Bundespräsident der BRD durch die Bundesversammlung für eine
5 jährige Amtszeit gewählt. Da die Bundesversammlung zur Hälfte aus
Mitgliedern des Bundestages und zum gleichen Teil aus Mitgliedern besteht,
die von den Volksvertretungen der Länder gewählt werden, wird so eine
direkte Legitimierung des Staatsoberhaupts vermieden, der zum legitimierten
Gegengewicht zum Bundeskanzler sich hätte entwickeln können. Zudem
ernennt der Bundespräsident nun nur noch rein formell die Bundesregierung,
da sich sein Widerstand gegen einzelne Minister nicht bedingungslos
durchsetzen lässt und der Fokus hierbei auf der Richtlinienkompetenz des
Bundeskanzlers liegt. Der Handlungsspielraum des Bundespräsidenten bemisst
sich in diesem Fall nur auf Angelegenheiten, die die Autorität des Staates
berühren.4 Auch das Recht auf Auflösung des Parlamentes wurde stark
beschränkt und ist durch den Bundespräsidenten nur möglich, wenn nach einer
Bundestagswahl keine Mehrheit für eine Wahl eines Bundeskanzlers
zusammenkommt,
oder
wenn
der
amtierende
Bundeskanzler
den
Bundespräsidenten nach einer gescheiterten Vertrauensfrage um die Auflösung
des Bundestages bittet. Bei der Ausfertigung von Gesetzesvorlagen durch den
Bundestag hat der Bundespräsident nur noch das Recht auf Prüfung auf
formelle und materielle Verfassungsmäßigkeit, Plebiszite sind nicht möglich.
Außerdem liegt der Oberbefehl über die Streitkräfte im Friedensfall bei dem
Verteidigungsminister und im Kriegsfall bei dem Bundeskanzler.
5
Außerdem
wurde das Notverordnungsrecht nach Art. 48 WRV im Grundgesetz
abgeschafft, da diese sogenannte „Diktaturgewalt“ des Reichspräsidenten nicht
in den Charakter einer parlamentarischen Demokratie zu passen schien. Er
wurde
lediglich
durch
ein
stark
abgeschwächtes
Recht,
den
Gesetzgebungsnotstand, wieder aufgenommen. Dieser erfordert allerdings,
dass ein Gesetz auf Vorschlag der Bundesregierung dem Bundesrat zur
Abstimmung vorgelegt wird, falls in Krisenzeiten der Bundesrat diesem Gesetz
die Zustimmung verweigert. Der Gesetzgebungsnotstand ist somit nur im
4
Vgl. von Beyme, Klaus, das politische System der Bundesrepublik Deutschland, Wiesbaden
2010, S. 332.
5
Vgl. Art. 54, 60, 63, 64, 65a, 68 und 115b GG.
5
Ansatz mit dem Notverordnungsrecht des Weimarer Reichspräsidenten
vergleichbar.6
Trotz der im Vergleich zum Reichspräsidenten der Weimarer Republik
bescheiden ausfallenden Kompetenzen des Bundespräsidenten der BRD
beinhaltet dieses Amt ausreichend Rechte und Einflussmöglichkeiten, obwohl
sich
im
verfassungsgebenden
Parlamentarischen
Rat
die
Auffassung
durchsetzte, mit dem Amt des Bundespräsidenten nur ein Repräsentativorgan
zu schaffen7. So besitzt er das Recht, den Staat völkerrechtlich nach außen hin
zu vertreten sowie im Inneren beratend und vermittelnd zwischen
verschiedenen politischen wie gesellschaftlichen Kräften zu wirken.8
Man könnte so die Forschungsfrage, ob das Amt des Bundespräsidenten
überflüssig sei, scheinbar vorläufig mit Nein beantworten, jedoch hängt die
tatsächliche Machtfülle innerhalb des Amtes von der jeweiligen Ausfüllung
durch die Charaktere der Bundespräsidenten stark ab. Die Relevanz des Amtes
schwankt so zwischen bedeutend und unbedeutend, je nachdem wie sehr der
Amtsinhaber gestaltenden Einfluss innerhalb der Politik und der Gesellschaft
ausüben will.
6
Vgl. Rausch, Heinz, S. 55
Ebenda, S.51.
8
Ebenda, S. 5.
7
6
2.2 Theodor Heuss
2.2.1 Kurzbiographie
Theodor Heuss wurde am 31. Januar 1884 in Brackenheim im heutigen BadenWürttemberg geboren als Sohn eines Baumeisters geboren. Er besuchte in
Heilbronn die Volksschule und später das Karlsgymnasium, an dem er 1902
das Abitur machte. Da er aufgrund einer Verletzung für untauglich erklärt
wurde, musste er nach dem Abitur nicht am Militärdienst teilnehmen. Daher
konnte er ein Studium der Kunstgeschichte und Staatswissenschaften in Berlin
und München absolvieren. Danach war Heuss unter anderem als politischer
Redakteur und später Chefredakteur für mehrere Zeitungen tätig. Am 11. April
1908 wurde er von Albert Schweitzer mit Elly Heuss-Knapp getraut, mit der er
einen
Sohn
hatte.
Sein Leben in der Politik begann, als er jeweils von 1924-1928 und von 19301933
als
Mitglied
Reichstagsabgeordneter.
der
In
Deutschen
dieser
Funktion
Demokratischen
stimmte
er
auch
Partei
dem
Ermächtigungsgesetz 1933 zu und verbrachte die folgenden Jahre unter dem
Nationalsozialistischen Regime als Buchautor. Von der Bücherverbrennung
1933 wurde auch er persönlich betroffen, da drei seiner Werke vom Regime
indiziert und verbrannt wurden. Nach Ende des Zweiten Weltkrieges war er
Mitgründer der Demokratischen Volkspartei und wurde 1945 von der
amerikanischen Besatzungsregierung zum Kultusminister des heutigen BadenWürttembergs
ernannt.
Außerdem
wurde
Heuss
1948
zum
Ersten
Parteivorsitzenden der FDP gewählt, die aus verschiedenen liberalen
demokratischen Parteien entstand. Am 12. September wurde Heuss zum Ersten
Bundespräsidenten der Bundesrepublik Deutschland (BRD) gewählt.9 Heuss
starb am 12.Dezember 1963 in Stuttgart.10
9
Winter, Ingelore M., Unsere Bundespräsidenten – Von Theodor Heuss bis Johannes Rau,
Düsseldorf 1999, S. 14.
10
Vgl. Kohler, Adolf, Der Republik ins Gewissen – Die Bundespräsidenten zur Besinnung in der
Politik, Freiburg im Breisgau 1989, S.11.
7
2.2.2 Die Amtsführung von Theodor Heuss
Der Erste Bundespräsident der BRD, Theodor Heuss, musste aus dem Status
Quo der jüngst gegründeten Bundesrepublik heraus ein Amt füllen, das stark
unter der Vergangenheit zu leiden hatte. Er wollte dabei auf keinen Fall in die
Tradition der Weimarer Reichspräsidenten zurückfallen, die teilweise die
stärkste politische Kraft innerhalb der Weimarer Republik zurückfielen.11 Er
interpretierte daher die Rolle des Amtes sehr zurückhaltend und besaß ein rein
repräsentatives Amtsverständnis und wollte daher in „kritischen Situationen
einfach da […] sein.“12 Heuss machte es zum Ziel seiner Amtszeit, die
unterschiedlichen
Teile
der
Bevölkerung
von
den
Vorteilen
einer
parlamentarischen Staatsform mit all seinen Rechten und Verpflichtungen zu
überzeugen und so das Vertrauen zu einem funktionierenden Staat
wiederherzustellen, indem er an vorhandene Traditionen anzuknüpfen
versuchte, die in der Vergangenheit funktionierten und aus der langen
parlamentarischen Tradition der Deutschen stammten, und indem er alte, vom
Nationalsozialismus missbrauchte Traditionen durch neue, bundesdeutsche zu
ersetzen.
Um dies zu verwirklichen, wählte Heuss vor allem die Mittel der Symbolik. So
befasste er sich ausführlich mit der Ausarbeitung einer neuen Nationalhymne,
ohne den nicht mehr zeitgemäßen nationalistischen Pathos des Liedes der
Deutschen, dass Hoffmann von Fallersleben 1841 verfasste. Zudem setzte er
sich für die Stiftung von Orden ein, die die Leistungen der Bürger im
politischen,
gesellschaftlichen,
künstlerischen
und
wissenschaftlichen
Bereichen des öffentlichen Lebens honorieren sollte, um so vor allem auch
Intellektuelle stärker in den Staat zu integrieren. Zusätzlich zu den öffentlichen
Bemühungen des ersten Bundespräsidenten der BRD, ein neues Verständnis
11
Ebenda, S. 15.
Vgl. Pikart, Eberhard, Die Rolles des Bundespräsidenten in der Kanzlerdemokratie, Stuttgart
1976, S.39.
12
8
für einen deutschen Staat zu etablieren, so engagierte er sich noch für
zeitgemäße Gestaltung z.B. von Briefmarken oder Uniformen der Bundeswehr
oder setzte sich für den Wiederaufbau des Germanischen Nationalmuseums
ein,
um
die
Deutungshoheit
der
deutschen
Geschichte
wieder
zurückzugewinnen. 13
Ein weiteres Mittel der Politik war für Theodor Heuss unzweifelhaft die
politische Rede, er hielt 775 Reden während seiner zehnjährigen Amtszeit und
setzte sich so für die Aussöhnung mit ehemaligen Kriegsgegnern, Solidarität
mit den Menschen in der DDR und versuchte, die Nazivergangenheit
aufzuarbeiten.
Trotz des repräsentativen Charakters seiner Amtsführung versuchte Heuss
mehrfach, Einfluss auf Bundeskanzler Konrad Adenauer auszuüben, etwa bei
der Ernennung von Ministern oder Hohen Beamten. Adenauers Widerstand
sorgte im Nachhinein dafür, dass die Bundesrepublik gemeinhin als
Kanzlerdemokratie verstanden wird und dass die Richtlinienkompetenz des
Bundeskanzlers durchaus seine Gültigkeit besitzt.14
Auch wenn Heuss‘ politisches Werk in der Nachwelt nicht unbestritten ist,
prägte
er
das
Nachkriegsdeutschland
trotz
eines
zurückhaltenden
Amtsverständnisses bedeutend. Unter ihm festigte sich „die deutsche
Demokratie […]nach innen und gewann Ansehen nach außen“15.
13
Vgl. van Ooyen, Robert Chr., Möllers, Martin H.W., Der Bundespräsident im politischen
System, Wiesbaden 2012, S. 172f.
14
Vgl. Lenski, Daniel, Von Heuss bis Carstens – Das Amtsverständnis der ersten fünf
Bundespräsidenten unter besonderer Berücksichtigung ihrer verfassungsrechtlichen
Kompetenzen, Leipzig und Berlin 2009, S. 43 ff.
15
Vgl. Hamm-Brücher, Hildegard, Gerechtigkeit erhöht ein Volk – Theodor Heuss und die
deutsche Demokratie, München 1984, S.53.
9
2.3 Gustav Heinemann
2.3.1 Kurzbiographie
Gustav Heinemann wurde am 23.07.1899 in Schwelm an der Ruhr als Sohn
eines Krupp-Arbeiters geboren. Seine Familie und seine Vorfahren waren zum
Großteil radikaldemokratisch eingestellt, so nahm sein Großvater an der
Märzrevolution 1848 teil. Mit 2 Jahren zog Heinemann mit seiner Familie in
die Industriemetropole Essen. Das Leben dort beeinflusste seinen Werdegang
bedeutend. Nachdem er 1917 ein verkürztes Kriegsabitur auf einem Essener
Gymnasium absolvierte, wurde er zum Kriegsdienst eingezogen. Der von der
Kriegseuphorie erfasste Heinemann erlebte allerdings nie die Front, da er
während seiner Richtkanoniers Ausbildung an Fiber erkrankte, welches sich
nicht bedeutend besserte. Danach leistete er in den Essener Krupp Werke seine
Dienstpflicht. Aufgrund seiner liberal-demokratischen Familiengeschichte
symphatisierte Heinemann nach dem Krieg mit dem liberalen Lager und
unterstützte die Deutsche Demokratische Partei. Heinemann fing ab 1919 ein
Studium der Rechtswissenschaft und Volkswirtschaft an und promovierte
bereits 1922. 1929 schloss er seine Promotion als Dr. jur. ab und arbeitete
fortan als Justitiar und Prokurist in den Rheinischen Stahlwerken in Essen.
16
1926 heiratete er Hilda Ordemann. Durch diese Begegnung wandte er sich
dem Christentum zu und engagierte sich im Christlich-Sozialen Volksdienst,
bis dieser 1933 aufgelöst wurde. In der Zeit der Nationalsozialistischen
Diktatur bewahrte Heinemann Distanz zur NSDAP, auch wenn er als
stellvertretendes Vorstandsmitglied eines Rüstungskonzerns verschiedenen
NS-Organisationen beitrat. Dass er dies nur aus Alternativlosigkeit tat, beweist
sein Engagement in der Bekennenden Kirche, eine innerkirchlichen
16
Vgl. Winter, S. 84f.
10
Widerstandsbewegung gegen die Gleichschaltung im Dritten Reich. Nach
Kriegsende war Heinemann an der Gründung der CDU maßgeblich beteiligt, er
wurde zudem 1946 zum Oberbürgermeister von Essen gewählt und 1947 zum
Justizminister des Landes Nordrhein-Westfalen ernannt. Schließlich ernannte
ihn Konrad Adenauer 1949 zum Innenminister der ersten Regierung der BRD.
Nach mehreren kleineren Auseinandersetzungen mit dem Bundeskanzler trat
Heinemann schon 1950 von seinem Posten zurück und gründete 1952 die
Gesamtdeutsche Volkspartei. Nach dessen andauernder Erfolgslosigkeit trat er
schließlich 1957 der SPD bei. Sein Aufstieg in der SPD war steil, so wurde er
bereits kurz nach seinem Eintritt in den Fraktions- und Parteivorstand
gewählt.17 Er erhielt sein zweites Ministeramt 1966 in der Großen Koalition,
diesmal als Justizminister. Heinemann starb am 7. Juli 1976 in Essen.
2.3.2 Die Amtsführung Gustav Heinemanns
Gustav Heinemann wollte sich, im Gegensatz zu Heuss, nicht als reiner
Repräsentationspräsident verstanden sehen und galt daher bei vielen als
unbequemer Präsident. Dies rührt allerdings nicht daher, dass Heinemann
oftmals von seinen Prüfungsrechten Gebrauch machte, da er während seiner
fünfjährigen Amtszeit nur zwei Personalentscheidungen bemängelte, sondern
hängt vor allem mit seinen öffentlichen Äußerungen als Bundespräsident
zusammen.
So erregte er viel Aufsehen, als er 1969 nach seiner Wahl von einem
Machtwechsel sprach, da er der erste Bundespräsident war, der aus der
Opposition heraus gewählt wurde. Dabei blieb offen, ob Heinemann damit
tatsächlich vom Amt des Bundespräsidenten sprach oder ob er damit eine
künftige sozialliberale Koalition andeuten wollte.18
Prägender allerdings war Heinemanns Haltung zur Protestbewegung der
Jugend in den 1960er Jahren. So empfing er 1971 Vertreter der
17
18
Vgl. Möllers, S.195ff.
Vgl. Lenski, S. 97f.
11
Protestbewegung Roter Punkt Aktion, die in vielen deutschen Städten gegen
Fahrpreiserhöhungen des öffentlichen Nahverkehrs demonstrierte. Dies sorgte
vor allem in konservativen Kreisen für viel Aufregung, da die Bewegung Roter
Punkt Aktion von sozialistischen und kommunistischen Kräften ins Leben
gerufen wurde und in Dortmund für einige Tage die Straßenbahnen
blockierten. Darüber hinaus geriet Heinemann in die Kritik, da er einen
Wortführer der Studentenbewegung, Rudi Dutschke, nach einem politisch
motivierten Anschlag auf ihm, finanziell unterstütze und öffentlich zu
Solidarität mit der Studentenbewegung aufrief.19 Dies hatte auch zur Folge,
dass sich große Teile der „akademischen Rebellen“ in die Bonner Republik
integriert werden konnte.20
Respektiert wurde Heinemann von weiten Teilen Bevölkerung, obwohl er stets
die Rolle des moralischen Mahners und Erzieher wahr nahm, der die
Deutschen an ihre Tugenden und Pflichten erinnerte, ihnen oftmals ins
Gewissen redete und zu Toleranz und staatsbürgerlichem Wohlverhalten
aufrief.21
Alles in allem kann man dem „Bürgerpräsidenten“ Gustav Heinemann zu Gute
halten, dass er einen weitreichenden Qualitätswandel in den gesellschaftlichpolitischen Strukturen der BRD beförderte und zu „politischer Besinnung in
aufgewühlter Zeit“ aufrief, da seine Amtszeit mit verschiedenen Staatskrisen,
wie
dem
Auftreten
der
terroristischen
RAF,
den
weitreichenden
Studentenrevolten sowie der ersten Auflösung des Bundestages unter dem
Bundeskanzler Willy Brandt durchsetzt war.22
19
Vgl. Möllers, S.201.
Vgl. Kohler, S.69.
21
Vgl. Winter, S. 97.
22
Vgl. Kohler, S. 70f.
20
12
4. Schluss
Abschließend lässt sich sagen, dass die Bundespräsidenten Heuss und
Heinemann auf unterschiedliche Art und Weise ihr Amt ausgefüllt haben, ohne
übermäßig von den, wenn auch nur in geringem Maße vorhandenen,
Kompetenzen des Amtes Gebrauch zu machen. Dies zeigt, dass die marginale
politische Machtausstattung des Präsidialen Amtes keineswegs ein Beweis für
dessen Bedeutungslosigkeit sein kann.
Nach der Betrachtung der Amtsführung der beiden Bundespräsidenten Heuss
und Heinemann wird zudem deutlich, dass es verschiedene Wege gibt um
bedeutende Impulse für Staat und Gesellschaft zu geben. Heuss wählte hierfür
vor allem die Symbolik, um in der jungen Bundesrepublik ein solides
Vertrauensverhältnis zwischen Staat und Bürgern schaffen zu können und
verstand sein Amt beinahe rein repräsentativ und griff kaum in das politische
Tagesgeschäft ein. Heinemann hingegen verstand sich im Amt des
Bundespräsidenten als moralischer Mahner und Erzieher, um Missstände im
Staat anzuprangern und an die Pflicht zu erinnern, den Staat in ständiger
Bemühung weiterzuentwickeln, aber er verstand sich auch als Bürgerpräsident,
der jedem Abgehängten und Unzufriedenen in der Gesellschaft Gehör
verschaffen wollte.
In dem Sinne kann die Forschungsfrage positiv beantwortet werden. Das
Bundespräsidentenamt kann auch nur mit geringen politischen
Machtinstrumenten eine große gesellschaftliche und politische Wirkung
entfalten und ist somit nicht überflüssig. Auch die These, dass die Bedeutung
des Amtes vom Charakter des Bundespräsidenten abhängt, kann als bestätigt
angesehen werden.
13
5. Literaturverzeichnis
Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland.
Hamm-Brücher, Hildegard, Gerechtigkeit erhöht ein Volk – Theodor Heuss
und die deutsche Demokratie, München 1984.
Kohler, Adolf, Der Republik ins Gewissen – Die Bundespräsidenten zur
Besinnung in der Politik, Freiburg im Breisgau 1989.
Lenski, Daniel, Von Heuss bis Carstens – Das Amtsverständnis der ersten
fünf Bundespräsidenten unter besonderer Berücksichtigung ihrer
verfassungsrechtlichen Kompetenzen, Leipzig und Berlin 2009.
Mehlhorn, Lutz, Der Bundespräsident der Bundesrepublik Deutschland und
der Republik Österreich, Baden-Baden 2010.
Pikart, Eberhard, Die Rolles des Bundespräsidenten in der
Kanzlerdemokratie, Stuttgart 1976.
Rausch, Heinz, Der Bundespräsident, München 1984.
van Ooyen, Robert Chr., Möllers, Martin H.W., Der Bundespräsident im
politischen System, Wiesbaden 2012.
von Beyme, Klaus, das politische System der Bundesrepublik Deutschland,
Wiesbaden 2010.
14
Weimarer Reichsverfassung.
Winter, Ingelore M., Unsere Bundespräsidenten – Von Theodor Heuss bis
Johannes Rau, Düsseldorf 1999.
15
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