Gespräch mit Hamed Abdel-Samad am 1. März 2011 im Literaturhaus Die städtischen Organisatoren des Literaturhausprogramms hätten Hamed Abdel-Samad zu keinem besseren Zeitpunkt einladen können: Die Augen der Weltöffentlichkeit waren seit Wochen auf die Revolution in Ägypten gerichtet, die bald fast die ganze arabische Welt in Brand steckte. Dementsprechend war die öffentliche Lesung am Montagabend ausverkauft, viele mussten nach Hause geschickt werden. Umso mehr freute es uns, dass sich der 39-jährige Autor für den Dienstagvormittag bereit erklärte, mit etwa hundert Schülerinnen und Schülern unserer Schule ein Gespräch zu führen. Hiermit möchten wir uns bei der Kulturmanagerin der Stadtverwaltung, Annemarie Polzer, und beim Kulturreferenten Harald Dreher für ihre Unterstützung herzlichst bedanken. Am Anfang begrüßte Alexandra Wagenblast (Klasse V 10) den Gast und fasste die wichtigsten Stationen von Abdel-Samads Leben zusammen: Der zurzeit in München lebende Autor wurde 1972 als Sohn eines Imams in der Nähe von Kairo geboren. Er studierte Englisch, Französisch, Japanisch und Politikwissenschaften. Er lebt seit seinem 23. Lebensjahr in Deutschland. Zu seinen bekanntesten Werken gehört neben seinem autobiographischen Buch „Mein Abschied vom Himmel“ eine wissenschaftliche Analyse mit dem Titel „Der Untergang der islamischen Welt“. Er ist in vielen Fernsehtalkshows ein gern gesehener Gast. Anschließend begann unser Deutschlehrer, Herr Fischer, ein Gespräch mit dem Autor auf dem Podium, das sich immer mehr zu einer Diskussion zwischen dem Islam-Experten und den Schülern entwickelte. Hamed AbdelSamad berichtete darüber, dass er nach dem Ausbruch der Revolution möglichst schnell nach Ägypten flog, um die Ereignisse auf dem Tahrir-Platz hautnah erleben zu können. Ihm war es wichtig, als bekannter Vordenker und Befürworter von grundlegenden Änderungen in der islamischen Welt seine Solidarität mit den Demonstranten auch so zum Ausdruck zu bringen. Er wollte nicht immer nur darüber reden beziehungsweise in seinen Büchern schreiben, wie schlecht die Regierung in Ägypten ist und dann, wenn es darauf ankommt, nichts dagegen tun. Am 1. Februar flog er in sein Heimatland und merkte, wie stolz er auf sein Land war. Um die Menschen herum wurde geschossen, aber NUR von der Regierung! Die Aufständischen setzten keine Gewalt ein. Sie wollten nicht Gewalt mit Gewalt vergelten. Er stand mitten in der Menschenmenge, es fielen immer wieder Schüsse, aber die jungen Leute blieben und ließen sich nicht einschüchtern. Er erzählte, dass von den 85 Millionen Einwohnern seines Heimatlandes mehr als 40 Millionen unter 30 Jahren sind. Diese Generation und ihre Wünsche wurden durch das Regime von Hosni Mubarak ignoriert. Die jungen Menschen gingen auf die Straße, um in erster Linie eine Perspektive für ihr Leben zu erkämpfen. Sie wollten sich auch nichts mehr vorschreiben lassen, sie wollten nicht mehr von der Polizei schikaniert werden. Dank Internet ist die Abschottung von dem Rest der Welt nicht mehr möglich, weder die Informationen über die „freie Welt“ noch eine virtuelle Vernetzung der Gleichgesinnten können unterbunden werden. Als die jungen Menschen sich für den 25. Januar via Facebook zu einem Treffen auf dem Tahrir-Platz verabredeten, hielten das viele, vor allem ältere Leute, für einen Witz. Es war bereits bewundernswert, dass so viele pünktlich auf die Straße gingen, denn die Ägypter haben die Mentalität, die Zeit nicht ernst zu nehmen. Aber niemand hat sich damals vorstellen können, dass eine im Internet initiierte Aktion dazu führen kann, den Diktator innerhalb von 18 Tagen zum Rücktritt zu zwingen. „Ich bin stolz auf meine Landsleute!“ erklärte Hamed Abdel-Samad mit Begeisterung. Es gehörte viel Mut und Ausdauer dazu, sich nicht vertreiben zu lassen, obwohl 365 Menschen bei den Kämpfen ihr Leben verloren haben und viele verletzt wurden. Der Autor hob hervor, dass es in der ersten Reihe der Demonstranten auch viele Frauen gab, die der Revolution ihr Gesicht verliehen. Mehrere Schüler interessierten sich für seine Zukunftsprognosen. Die Diktatur ist weg, hiermit ist der erste Schritt getan, aber der Weg zur Demokratie sei lang, meinte der junge Politikwissenschaftler. Sie ist erst möglich, wenn die Menschen dafür ein Bewusstsein entwickeln. In Ägypten, in einem Land mit alten kulturellen Traditionen, stehen die Chancen nicht schlecht. Aber in manchen anderen arabischen Ländern sieht er die Zukunft nicht so optimistisch. In Afghanistan zum Beispiel hält er die Mission, die für die Einheimischen fremde westliche Kultur dorthin zu exportieren, für gescheitert. Für die islamische Welt zeichnete er zwei Szenarien auf, die des Aufbruchs und die des Zusammenbruchs. Er berichtete außerdem über seine Erfahrungen in der Muslim-Bruderschaft und meinte, dass diese Gruppe bei der Gestaltung der Zukunft Ägyptens keine entscheidende Rolle spielen könne. Im weiteren Verlauf erzählte der Autor, dass in ägyptischen Schulen die Schüler aufstehen müssen, wenn der Lehrer das Klassenzimmer betritt und dass dort mehr Disziplin herrscht. Die Jugendlichen verbringen ihre Freizeit mit Fußballspielen, Kaffeetrinken oder mit den neuen Medien. Die Eltern sind streng, vor allem die Mädchen werden stark kontrolliert. Aber auch hier gibt es Veränderungen, inzwischen sieht man auch junge Paare auf der Straße, die Händchen halten. Auf eine Frage nach der Beschneidung von Mädchen erklärte er die Entstehung und Entwicklung dieser zweieinhalbtausend Jahre alten aus Schwarzafrika stammenden „Tradition“, die in Ägypten zwar längst verboten ist, aber noch immer oft praktiziert wird. Es gebe aber viele Fälle, bei denen zum Beispiel ältere, meist gebildete Schwestern sich erfolgreich gegen die Verstümmelung von ihren jüngeren Schwestern einsetzen. Im nächsten Teil des Gesprächs ging es um die Integration der jungen Moslems in Deutschland. Hamed Abdel-Samad berichtete zunächst über seine persönlichen Erfahrungen und über seine Arbeit in der Deutschen IslamKonferenz. Er konstatierte, dass beiderseits einiges schiefgelaufen sei. Viele Muslime sind auch zu stark mit sich selbst beschäftigt. Er forderte die Zuhörer auf, auf die traditionell „eingebürgerte“ Kultur von Gereizt- oder Beleidigtsein zu verzichten und zunächst mal sich zu reflektieren und seinem Gegenüber freundlich darzustellen, was man selber verändern möchte. Dieser emotionale Appell wirkte übrigens, bereits auf dem Weg zurück in die Schule haben einige damit angefangen. Auf eine Frage, was er von der Aussage des Bundespräsidenten, der Islam gehöre zu Deutschland, halte, erwiderte er, dass er damit nicht einverstanden sein könne: Die Muslime, die hier leben und sich als Teil dieser Gesellschaft betrachten, gehören zu Deutschland, Menschen könne man integrieren, aber eine Religion nicht. Im nächsten Teil der Veranstaltung ging es um seine Einstellung zu seinem Glauben und zum Koran. Er erläuterte, dass der Koran aus einer anderen Zeit stammt und nicht kritiklos auf die heutige Gesellschaft übertragen werden dürfe. Er schätzt den spirituellen Teil des Islams sehr hoch, aber viele Traditionen bedürfen einer kritischen Auseinandersetzung. Die Mehrheit der Muslime will religiös leben, aber sie wollen nicht, dass die Religion über ihr Leben bestimmt. Man sollte sich mit der Religion bewusst auseinandersetzen, eine Art Inventur erstellen und den Mut haben, eigene Entscheidungen zu treffen. Die letzte Frage galt seiner Faszination für die japanische Kultur. Hierbei erzählte er beispielsweise, dass es die Menschen in den überfüllten U-Bahnen von Tokio schaffen, sich nicht direkt anzuschauen und sich nicht zu berühren. Der kräftig tosende Applaus nach einem zweistündigen intensiven Gespräch zeugte davon, dass die Schüler mit der Veranstaltung höchst zufrieden waren. Aylina Baldowski, Lajos Fischer