Zwischen Hoffnung und Realität Die Altstadt von Damaskus ist idyllisch, es gibt viele kleine Cafés und Sehenswürdigkeiten, die Touristen aus aller Welt anziehen. Umso größer ist deswegen die Überwachung des muchabarat, der Staatssicherheit. Öffentliche Ansammlungen, insbesondere männlicher Jugendlicher, werden schnell aufgelöst. An jeder Ecke, als Saftverkäufer oder Posterhändler von Persönlichkeiten, für die sich hier schon lange keiner mehr interessiert, lauert die Staatssicherheit. Und trotzdem wagt sie es: eine junge Syrerin, mit Sonnenbrille und weißen Kopftuch, die syrische Flagge um gehangen, marschiert sie durch die Altstadt. Eine Traube von Männern folgen ihr, laut rufen sie das Undenkbare: „hurijah, hurijah. Freiheit, Freiheit.“ Das gelingt ihr fast eine Minute lang, dann wird sie von einem Mann der Staatssicherheit attackiert.1 Diese Szene beweist zum einen den Mut dieser Frau, und vor allem eines: Frauen nehmen an den Umbrüchen in der arabischen Welt nicht nur Teil, sie sind führende Kräfte des Wandels. Welche Rolle Syriens Frauen im Wandel ihres Landes spielen, wird sich erst noch zeigen müssen. Für die Region spielt Ägypten politisch und kulturell eine wichtige Rolle. Wird die Position der Frau hier entscheidend geändert, könnte das die Forderungen der Frauen in den anderen arabischen Ländern stärken. Dass die Frauen in Ägypten und Tunesien bereits bisher ihre Rolle unter Beweis gestellt haben, wird an der medialen Betonung deutlich: Immer wieder wird betont, dass viele Frauen in Tunesien und auch in allen Städten in Ägypten an Versammlungen teilgenommen haben. Aus Berichten von ägyptischen Aktivistinnen wird klar, wie entscheidend die Rolle der Frauen in jenen Tagen war: In der Nacht des 2. Februar werden die Demonstranten auf dem Tahrir-Platz plötzlich mit Molotow-Cocktails beworfen. In dieser Nacht, so berichtet Gigi Ibrahim, eine Demonstrantin aus der Arbeitsbewegung, waren Frauen die Mehrheit auf dem Platz. Somit waren sie es, die die Ausgänge des Platzes schützen mussten.2 In einer patriarchalen Gesellschaft wie Ägypten ist es eine kleine Revolution, wenn Frauen „Männeraufgaben“ übernehmen. Somit spricht Salma El Tarzi, eine weitere Aktivisten, zu Recht davon, dass der Tahrir-Platz für Ägypten „ein kleines Modell von Demokratie“ geworden ist. Bei diesen Demonstrationen entwickelte sich eine Dynamik in der die Rollen zwischen Frauen und Männern nicht mehr unterschieden wurde: „Wir waren alle Ägypter.“3 „Asmaa Mahfouz- du hast es nicht gewusst, als du [dieses Video] aufgezeichnet hast- aber du bist so eben ein Teil der langen und prestigevollen Geschichte Ägyptens geworden, “ schreibt ein User anerkennend unter ein YouTube-Video, in welchem die Mitbegründerin der „Jugend des 4. April“, zu den ersten Protesten auf den Tahrir-Platz aufgerufen hatte. „Schämt euch“ ruft sie in die Kamera, „ich habe allein protestiert und es kamen nur drei Männer und drei Autos mit bewaffneten Sicherheitskräfte.“4 Es gibt unendlich viele Namen von mutigen Frauen, die diesen Wandel vorangetrieben haben. Viele berichten davon, dass ihre Familien sie von den Protesten fern halten wollten. Sie haben sich trotzdem durchgesetzt. Denn der Wandel muss nicht nur auf den politisierten Straßen stattfinden. Um nicht zu stagnieren, muss er die gesamte Gesellschaft erreichen. 1 http://www.youtube.com/watch?v=_bE714RhlTg http://english.aljazeera.net/indepth/features/2011/02/2011217134411934738.html 3 http://english.aljazeera.net/indepth/features/2011/02/2011217134411934738.html 4 http://www.youtube.com/watch?v=SgjIgMdsEuk 2 „Qul La! Sagt Nein. Demokratie kann es nur geben, wenn wir an den politischen Prozessen beteiligt sind.“ Unter diesem Motto haben viele demokratische AktivistInnen gegen die Verfassungsreform über die am 20. März per Volksabstimmung entschieden wurde, protestiert. Sie waren enttäuscht, dass Frauen aus den politischen Prozessen nach ihrer Eine Frau weist den Weg zum Wahlbüro, ihr T-Shirt trägt die Aufschrift „Nein“. Quelle: Revolution ausgeschlossen wurden. So wurde Foto: Fatma Naib, Al Jazeera, http://blogs.aljazeera.net/middle-east/2011/03/20/egyptdemocracy-making. lediglich eine Frau für das 5 Übergangskabinett vereidigt. Ebenso bemängeln sie, dass die Verfassungsänderungen sich lediglich auf die Rechte des Präsidenten beziehen6. Die Artikel der Verfassung, die die zentrale Rolle des Islam im Staat verankern, wurden nicht geändert. Nach Artikel 2 ist der Islam Staatsreligion und die Scharia bleibt zentrale Quelle der Rechtsprechung. Eine Rechtsprechung, die Frauen im Erbrecht, Heiratsund Scheidungsrecht benachteiligt. Darüber hinaus heißt dies für die Zukunft, dass neu verabschiedete Gesetze nicht im Widerspruch zur Scharia stehen dürfen. Gleichberechtigung von Mann und Frau ist nach Artikel 11 nur soweit zulässig, wie es im Einklang mit dem islamischem Recht steht.7 Unter diesem Gesichtspunkt „[soll] [d]er Staat […] zwischen den Aufgaben der Frau in der Familie und in der Gesellschaft koordinieren.“ Auf Basis dieses Passus wurde abgelehnt, dass Frauen im „Nationalen Rat“, Ägyptens höchstem politischem Gremium, sitzen: 2010 unter Mubarak8 und 2011 im „neuen“ Ägypten. Ein Gesetz, dass noch unter Mubarak verabschiedet wurde, erlaubt Wahlkampf nur in den letzten zwei Wochen vor der Wahl. 9 Wenn mit so einem Gesetz kleine Parteien, die finanziell schwach sind, benachteiligt werden, dann gilt dies umso mehr Frauen, die nachdem sie in der Ära Mubarak politisch kaum vertreten waren, nun umso mehr um die Gunst der Wähler buhlen müssten. Artikel 75 der Verfassung versagt Frauen weiterhin den Zugang zu höchsten Ämtern. Ebenso schenkte der Rat zur Verfassungsänderung staatsbürgerlichen Aspekten große Beachtung und verschärfte somit die Gesetzgebung ganz stark: Präsident darf nur werden, wenn der Kandidat und seine (männliche Version!) Eltern nie eine ausländische Staatsbürgerschaft getragen haben. Außerdem darf er (!) nicht mit einer Nicht-Ägypterin (weibliche Version) verheiratet sein. Die bürgerlichen Freiheitsrechte sind in der Verfassungsänderung nicht klar formuliert.10 Dies gilt für alle in der Gesellschaft, aber Frauen als schwächstes Glied in der Gesellschaft und vor dem Gesetz bleiben somit durch das Gesetz ungeschützt und ihnen bleibt vorerst eine rechtliche Gleichstellung verwehrt. Auch wenn die rechtlichen Verhältnisse sich nicht geändert haben, ist eines sicher sagt Salma: „Vor dem 25. Januar habe ich nicht daran geglaubt, dass man meine Stimme hören würde. Ich hatte nicht das Gefühl, dass ich die Kontrolle über mein Leben habe. Mubaraks Sinnbild vom Präsidenten als 5 http://english.aljazeera.net/indepth/features/2011/03/201138133425420552.html http://www.reuters.com/article/2011/02/26/us-egypt-constitution-changesidUSTRE71P28520110226?pageNumber=1 7 http://www.mpil.de/shared/data/pdf/mpil_materials_on_islam_constitutions_2.pdf 8 http://www.almasryalyoum.com/en/node/18233 9 http://english.aljazeera.net/news/middleeast/2010/11/2010111813029420433.html 10 http://aufstand-in-arabien.blogspot.com/2011/03/agypten-verfassungsreferendum-am.html 6 Vater und das Volk als seine Kinder, hat uns jede Motivation genommen. Die Revolution [aber] hat uns aufgeweckt- ein kollektives Bewusstsein ist erwacht.“ Mit dem Ja zur Verfassungsänderung wurde auch über den Zeitpunkt von neuen Wahlen abgestimmt. In sechs Monaten wird gewählt. Ein kurzer Zeitraum um Parteien zu bilden, zu organisieren und sich bekannt zu machen. Insbesondere Frauen fehlt es an Kapital um Wählkämpfe zu finanzieren. Somit besteht die Gefahr, dass die am besten organisierten Kräfte, die NDP (die Partei Mubaraks) und die Muslimbrüder, Gruppen, die bei Frauenrechten rückschrittlich sind, die meisten Stimmen erhalten. Eine Hoffnung bleibt jedoch noch: sollte sich eine dauerhafte Demokratie etablieren können, sind Frauen über ihren Wahlzettel Teil eines Souveräns, der die politische Landschaft mitprägen kann.