Elisabeth Albrecht 26. November 2014 Erster Zwischenbericht Ankommen/Einleben im Gastland/ in der Aufnahmeorganisation Von Anfang an wurden meine Mitfreiwilligen und ich freundlich aufgenommen und gut behandelt, die NGO versprach ihre Hilfe, wenn wir welche nötig haben sollten. In unseren ersten zwei Wochen lebten wir bei unserer jetzigen Nachbarin und Kollegin Anagha, die sich rührend um uns kümmert(e) und uns gut auf das Leben in Indien vorbereitete. In unserem ersten Monat in Indien, dem Orientierungsmonat, nahmen wir an einem Gujarati-Kurs und einem Kurs an der MS University über „Interdisciplinay Women Studies“ teil. Dieser Kurs zog sich dann aufgrund des Monsuns, der immer wieder die Universität lahm legte, bis Anfang Oktober. Dies behinderte unseren Arbeitsstart insofern, dass er sich immer weiter nach hinten verschoben hat. Schließlich konnten wir nach dem Diwali-Fest (Ende Oktober) mit unserer richtigen Arbeit anfangen – die bisherige bestand aus Texte abtippen und Statistiken erstellen. Der Gujarati-Unterricht stelle sich als weniger fruchtbar heraus, da die „Lehrerin“ nicht ausgebildet, sondern einfach eine Freundin von einer der Trustees war. Momentan suchen wir nach einem/r neuen Lehrer/in. SAHAJ schien auf den ersten Blick eine freundliche und organisierte NGO zu sein, doch nach wenigen Wochen merkten wir, dass uns der Schein getrogen hat. Wir mussten auf unsere Arbeit pochen und bekamen sie dennoch erst im dritten Monat, zudem es den meisten KollegInnen hier an Arbeitsmoral fehlt. Ich möchte an dieser Stelle erwähnen, da Via das erste Mal mit SAHAJ arbeitet, dass die vorherigen Freiwilligen der Entsendeorganisation Kurve Wustrow laut Aussagen einer Kollegin, vom Kollegium gemobbt wurden. Da wir zu dritt sind und relativ stark auftreten, ist uns das zum Glück nicht widerfahren. Deswegen will ich darauf aufmerksam machen, zu SAHAJ keine einzelnen Freiwilligen hin zu schicken, am besten wären zwei bis drei. Darüber haben wir auch schon mit unserer Chefin gesprochen. Momentan arbeiten wir noch an unserem Arbeitsprofil, ich arbeite mit meiner Mitfreiwilligen Elisa drei Mal in der Woche in einem Slum, dort geben wir spielerischen Englisch-Unterricht für eine sehr große Altersspanne von Kindern (4-15 Jahre). Das möchten wir reduzieren, da wir meinen, dass dieser Slum schon genügend an Programm hat. Stattdessen planen wir zwei Gruppen in einem anderen Slum zu gründen, in denen wir ernsthaft Englisch-Unterricht geben wollen. Außerdem leiten wir jeden Sonntag eine selbstgegründete Arts&Crafts- Gruppe, die aus jungen Mädchen zwischen 11 und 15 Jahren besteht. Das Ankommen in Indien war zunächst unter dem Aspekt des Wetters sehr interessant. Wir, die zwar damit gerechnet haben, nur wenig Kleidung einzustecken, mussten in der ersten Woche sehr unter dem schwül-heißen Klima des Monsuns leiden, der kein Stückchen der Kleidung oder des Körpers trocken lies. Nach dem Kauf des ersten indischen Kleidungsstücks wurde dieses Leiden etwas abgemildert. Von schlimmen Krankheiten wurde ich zum Glück verschont, die üblichen Beschwerden, blieben aus oder verliefen so leicht, dass ich keinen Arzt konsultieren musste. Jedoch habe ich momentan meine zweite Mandelentzündung, die einerseits an dem Wetterwechsel (Winter) liegt, zum andern an dem Smog. Anfälligeren Freiwilligen rate ich also viele Halsbonbons, einen Schal, vielleicht ein Antiallergikum mit zu nehmen. Hier gibt es zwar einige gute Ärzte, jedoch neigen die meisten dazu, sehr schnell Antibiotika zu verschreiben. Elisabeth Albrecht 26. November 2014 Ich habe wegen besagten Mandelentzündungen leider drei Mal Antibiotika nehmen müssen, da es für alternative Behandlungsmöglichkeiten zu spät war. Prävention durch Homöopathie oder Alternativen währen also ratsam. Unerwarteter Weise habe ich auch wieder Asthma bekommen, eine Kinderkrankheit, die aufgrund der Luftverschmutzung wieder aufgetreten ist. Bei meiner Arztwahl habe ich mich zunächst auf meine Nachbarn verlassen, dennoch rate ich immer SAHAJ nach ihrer Empfehlung zu fragen - ich war letztens das erste Mal bei dem von SAHAJ empfohlenen Arzt und wünschte mir, ich wäre früher hingegangen. Mit der Via-Freiwilligen Elisa und dem Kurve-Freiwilligen Lennart lebe ich zusammen in einer geräumigen Drei-Zimmer-Wohnung mit zwei Bädern und einer Küche. Wir haben eine gemeinsame Haushaltskasse und kommen mit unserem Taschengeld bzw. Verpflegungsgeld gut hin. Wir haben auf Empfehlung unserer Nachbarin und Kollegin Anagha eine Haushaltshilfe angenommen, die täglich kommt und fegt, wischt, und unsere Kleidung wäscht. Wir sind uns dessen bewusst, dass es aus dem deutschen Standpunkt nicht dem Standard eines Freiwilligen entspricht, eine Haushaltshilfe zu haben. Doch in Indien hat jeder, der es sich leisten kann, eine Haushaltshilfe. Denn erstens, ist Sauberkeit in den Wohnungen oberstes Gebot. Besonders in der spießbürgerlichen Mittelschicht, in deren Nachbarschaft wir leben, ist sie unverzichtbar. Soweit können wir auch selber putzen. Aber es geht um mehr, denn durch eine Haushaltshilfe geben wir Arbeit, unterstützen sie finanziell und wir investieren vor Ort. Warum ich das hier reinschreibe und nicht aus Angst vor Ärger verheimliche ist, dass ich den indischen Gesichtspunkt nach Deutschland bringen möchte. Ich denke viel darüber nach, wie richtig es ist, eine Haushaltshilfe anzunehmen. Doch merke ich, dass es den Menschen vor Ort wenig bringt, wenn wir Deutschen oder Ausländer generell uns über den indischen Standpunkt erheben und ritterlich (und wahrscheinlich auch arrogant) sagen: „Wir lassen niemanden für uns arbeiten“. Denn das geschieht sowie so, nur unbemerkter. Also frage ich mich, ob es nicht effektiver und mehr im Sinne einer sozialen Einrichtung ist, von unserem hohen Ross herunter zu steigen und sich auf eine Kultur ein zu lassen, in dem man eine arme Bevölkerungsgruppe unterstützt, indem man ihr Arbeit gibt. Wir bezahlen ihr deutlich mehr, als es andere Arbeitgeber tuen würden, natürlich von unserem Taschengeld. Ein weiteres Argument, was mit obig genannten nicht mehr viel zu tun hat, ist, dass Rinku und ihre Familie eine sehr gute Freundin für uns geworden ist. Ihrem Sohn und ihren Nichten geben wir regelmäßig Hausaufgabennachhilfe, mal strecken wir die Schulgebühren für ihren Sohn vor und nächstes Wochenende fahren wir zusammen nach Mumbai. Sie ist ein wichtiger Kontakt in unserem Nachbars-Slum geworden in dem wir schon einige Aktivitäten planen und durchführen, die ohne sie nicht so hätten stattfinden können. Also bitte ich euch, euch auf meine Worte und viel mehr auf die Sichtweisen und die Kultur in Indien, die bestimmt auch euch nicht unbekannt ist, einzugehen und zu verstehen, was ich euch sagen möchte. Dann können wir vielleicht gemeinsam eine Lösung finden. Privat verstehen wir uns gut, wir haben eine gemeinsame Reise in den Himalaya gemacht und auch im Alltag kochen wir zusammen oder gehen ins Kino. Auch mit einigen Indern haben wir uns angefreundet, wobei es besonders als Mädchen schwierig ist, männliche (indische) Freunde zu finden. Mein inzwischen viermonatiger Freiwilligendienst hat mich in vielen Bereichen teilweise sehr, teilweise in Ansätzen geprägt. Elisabeth Albrecht 26. November 2014 In eine andere Kultur einzutauchen bedeutet gleichzeitig sich selbst mit seiner eigenen Kultur die ganze Zeit auseinander zu setzen und die neue mit der bereits bekannten Kultur zu vergleichen. Kultur ist immer so leicht daher gesagt, bedeutet aber etwas viel tiefgreifenderes. Natürlich kann man sagen, „die Inder machen das so und so“, aber das verallgemeinert eine ganze Nation, was an Beleidung grenzen kann. Möchte man also eine Kultur kennenlernen, muss man in die Details eintauchen, in Individuen, Familien, Freunde. Doch die Frage ist, inwieweit man sich von seiner eigenen Kultur ablösen kann um eine neue zu erforschen. Im Endeffekt erforschen wir Neues nur, indem wir es mit unserem bisherigen Wissen vergleichen. Mir stellt sich jetzt also die Frage, ob ich die indische Kultur überhaupt begreifen kann. Natürlich beschäftige ich mich in Gedanken auch sehr mit mir selbst, wie ich Neuem begegne, Menschen, Umständen, Ländern. Ich weiß nicht, ob ich bisher etwas an meinem Verhalten habe verändern können, doch konnte ich einiges an mir begreifen und neu entdecken. Neben dem gedanklichen Fortschritt durfte ich wunderbare Menschen und ein unglaublich komplexes, großes und schönes Land kennen lernen. Einige Reisen in den Himalaya oder nach Delhi zeigten mir neue Seiten meines Gastlandes, besonders die Reise in den Himalaya hat mich stark beeindruckt und geprägt. Noch nie habe ich so viel gelernt wie während meiner bisherigen Zeit in Indien, sei es jetzt von alltäglichen Dingen wie Ayurveda bis zu politischen Strukturen und Problemen. Ich entdecke mein Interesse und Lust am Lernen, die ich zuvor in der Schule nie so erlebt habe. Wie ich in Indien auftrete, ist einer meiner größten Probleme und ich verzweifele immer wieder daran. Denn noch nie zuvor ist mir die Bedeutung, die meine Hautfarbe hat, mehr bewusst gewesen. Vielleicht ist es dumm, aber ich schäme mich meiner Privilegien, die ich allein wegen meiner Hautfarbe und Herkunft habe. Doch ich bin glücklich darüber, wie erbarmungslos mir meine Freiheiten und Sonderrechte vorgeführt werden, denn nur dadurch kann ich diese schätzen lernen. Ganz bewusst trage ich Kleidung, die ich von meinen Nachbarn geschenkt bekommen habe und kaufe mir auch nur die billigsten Kurti und Leggings. Da in der Stadt, in der ich lebe (Vadodara), wenige Ausländer leben, falle ich natürlich immer noch auf. Ich versuche die lokale Sprache Gujarati und ein paar Fetzen Hindi zu lernen um mich verständigen zu können. Immer wieder treffe ich auf Erstaunen und Freude darüber, dass ich mich (halbwegs) verständigen kann. Die Rolle der Frau in Indien macht mir zu schaffen. Da ich selber eine Frau bin, sehe ich diese untergeordnete Rolle der Frau aus einem anderen Blickwinkel als mein männlicher Mitfreiwilliger. Jedes Mal wenn ich auf dem Fahrrad, Rikscha oder zu Fuß unterwegs bin, frage ich mich, ob ich mich unangebracht kleide, da die Männer erbarmungslos starren. Dann gucke ich an ihnen vorbei, auf den Boden, bloß nicht in ihre Augen, das könnten sie ja als eine Aufforderung sehen. Dabei mag ich es, Menschen in ihre Augen und Gesichter zu gucken. Und vielleicht sind sie ja einfach an meiner Kultur interessiert und nicht an meinem Körper. Trotzdem. Außerdem versuche ich mehr oder weniger hilflos den Jungen, mit denen ich arbeite, etwas Gendersensibilität näher zu bringen. Das geht natürlich nicht über die Sprache, das Thema wäre zu komplex. Durch einfache Taten hoffe ich, sie dazu zu bringen, dass sie den Boden des Community Centers fegen oder beim Aufräumen helfen. Doch leider endet es oft darin, dass der Besen immer wieder in den Händen der Mädchen landet, die mit viel größerem Geschick den Boden fegen als ihre männlichen Gegenstücke es jemals lernen werden. Elisabeth Albrecht 26. November 2014 Eines Tages fand ich auf der Haferflockenpackung der Marke „Kellogg’s“ eine frauenfeindliche Werbung, gegen die ich dann vorgegangen bin, einige deutsche Zeitungen wie die SZ und Der Spiegel haben darüber geschrieben, nur von der indischen Kellogg’sCompany kam nichts zurück – diese Ignoranz schreckt auf. Meinen Mitfreiwilligen und mir macht es großen Spaß die kulturellen Unterschiede und Gemeinsamkeiten zu entdecken, so haben wir vor einigen Wochen als ein Gegenstück zu Diwali in unserer Nachbarschaft mit vielen Kindern das St. Martins-Fest gefeiert. Auch auf gemeinsamen Reisen lerne ich andere Seiten der indischen Kultur kennen und freue mich an dem was ich lerne. Die Kultur Indiens, die ich zwar erst oberflächlich kennen lernen durfte, gefällt mir wahnsinnig gut und ich fühle mich hier sehr wohl.