Zweites Treffen: Lektion 4 Shadan kommt unerwartet und schon eine halbe Stunde früher, da sie bei unserer ersten Vorbesprechung nicht dabei war. Sie möchte mitmachen und hat, gleichsam als Einlösung ihres Dazugehörens, auch etwas zu Essen mitgebracht. Von ihr lerne ich ein neues Wort: „Brusthuhn“. Oh wie Recht sie hat, wenn auch unbeabsichtigt, denn bekanntermaßen können Masthühner sich vor lauter Brustfleisch nicht mehr auf den eigenen Beinen halten. In ihrer Reisnudelpfanne mit Rosinen fallen winzige Stückchen Fleisch auf, aber wie um sicher zu gehen, dass ich sie verstehe nimmt sie ein paar Fasern Brusthuhn in die Hände, um sie mir zu zeigen. Shadan ist Kurdin aus dem Iran. Sie trägt Kopftuch und trägt noch immer so etwas wie einen Mantel. Mit ihrem Mann, den sie vor vier Jahren in einem Sprachkurs in Deutschland kennen gelernt hat, lebt sie mit ihren zwei kleinen Kindern. Der Mann arbeitet nachts. Er putzt den Hauptbahnhof. Gegen zwei kommen die anderen. Und obgleich bei dem letzten Treffen auf meine Frage wer etwas zu essen mitbringen möchte, nur wenige ihre Hand hoben, hat jeder etwas zu essen mitgebracht, manche Teilnehmer sogar zwei und mehrere Gerichte. Eine Marokkanerin schenkt sechs, feinsinnig verzierte Teller mit allerlei Vorspeisen. Als sie einer nach dem anderen das Klassenzimmer betreten, das ich zuvor in eine frühlinghafte Tafel verwandelt habe, war es als brächten sie alle eine Gabe. Und diese Gaben sind vorsorglich verpackt, wurden meist noch vor dem Ablegen der Mäntel aus Beuteln, Sporttaschen und Plastiktüten gehoben und dann in Schalen, Töpfen und auf Platten wie auf einem sich nun kreierenden Altar abgelegt. Um was für einen Altar handelt es sich? Was heiligen wir da? Gibt es etwas, das wir alle gemeinsam ersehnen, dem wir alle in Com - Union unsere Geschenke zu Füssen legen? Ich glaube es geht unsere Herkunft und damit um unsere Zugehörigkeit. Und es ist also stände dahinter unser Teil sein, Teil der Erde, Teil der großen Mutter. Das ist meine vierte Lektion. Lektion 5 Im Bereiten und Geben von Nahrung berühren wir ein Mysterium, da mit Zugehörigkeit zu einer lebenden Gemeinschaft zu tun hat. reichen. Nahrung ist das, was wir empfangen, ist das was wir sind, ist das, was wir weiter geben. Wer Essen bringt, der tut dies um sich und andere zu nähren. Wer Essen bringt, der tut dies um seine Gabe zum Ausdruck zu bringen. Und er tut dies um ein Stück Heimat zu schaffen. Eine eigene Speise ist Heimat, beinhaltet sie als Tradition, als Erinnerung als Zitat. Meine 5. Lektion. Was allen Speisen gemeinsam war: Sie waren selber gemacht. Die Zutaten wurden eigenhändig besorgt und verarbeitet. Ein jeder verband etwas mit seiner Speise. Ein jeder hatte sich für sie entschieden. Alles Essen kam vorbereitet, verpackt und sicher transportiert. Worin sich die Speisen unterschieden: Die Rezepte, die Zutaten, die Aufwendungen, die Stimmigkeit von Zubereitungsart, Grundbestandteilen und Gewürzen, die optische Ansprache durch die Präsentation. Was allen Menschen gemeinsam war: Sie hatten alle etwas mitgebracht. Worin sich die Menschen unterschieden: Der Grad an Identifikation mir Ihren Gerichten und Kreationen. Manche hatte ihre Schüssel ganz schnell abgestellt. Andere arbeiteten noch lange vor Ortan einer Dekoration, die ihren Vorstellungen entsprach. Vor dem Essen frug ich, ob es Menschen gäben, die in diesem Kreis die Gewohnheit haben ein Gebet vor der Mahlzeit zu sprechen. Die Antwort war nein, das sei eine Sache, die es nur bei den Christen gibt. Lektion VI Keiner der Gebenden wollte etwas von dem mitgebrachten wieder mit nach Hause nehmen. Es war gegeben. Lektion VII Jeder der Gebenden ließ sich gern mit seinem Gericht fotografieren. Zusammenfassend: In diesem fast wortlosen Zusammenkommen, im Geben und sich ein wenig mit seinen Gaben und Talenten zeigen, im Annehmen und im Essen, da fand ein Zeremoniell statt. Es hatte etwas mit dem Kreieren von Gemeinschaft zu tun. Ich glaube unbewusst fanden wir ein Ritual um Zugehörigkeit zu schaffen. Wer von Außen schaut, der mag vielleicht nicht ganz so leicht entdecken, was den Eisberg ausmacht, dessen Spitze z.B. eine persische Vorspeise ist, eine Schüssel mit Weinblättern oder in Fett gebackene, mit Fleisch gefüllte Bulgurkegel. Wer von Innen wagt zu fühlen, der mag erahnen, dass in jedem gerollten Weinblatt eine Haltung und eine Geschichte stecken, eine Mutter, ein Land, eine Sprache, ein Formempfinden, ein Mensch, sein Selbstbewusstsein, seine Scham, seine Beziehung zu sich selber, seine Bereitschaft zu Geben und zu Empfangen. Wir haben als Gemeinschaft die Fähigkeit Fremde willkommen zu heißen. Wo keine Gemeinschaft ist, da kann auch niemand Zugehörigkeit erleben. Ich glaube wir tragen diese Verantwortung als Nation: Räume zu schaffen, in denen wir uns begegnen, um darin Orte entstehen zu lassen, in denen auch andere Platz nehmen können.