Regierungsrat 20. Mai 2015 15.30 Postulat Martin Lerch, EDU

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REGIERUNGSRAT
20. Mai 2015
15.30
Postulat Martin Lerch, EDU, Rothrist (Sprecher), und Rolf Haller, EDU, Zetzwil, vom 3. März
2015 betreffend "Arbeit soll sich lohnen", auch für Sozialhilfebezügerinnen und -bezüger;
Entgegennahme unter gleichzeitiger Abschreibung
I.
Text und Begründung des Postulats wurden den Mitgliedern des Grossen Rats unmittelbar nach der
Einreichung zugestellt.
II.
Der Regierungsrat nimmt das Postulat entgegen und beantragt mit folgender Begründung die gleichzeitige Abschreibung:
Gemäss Sozialhilfe- und Präventionsgesetz (SPG) hat die Sozialhilfe das Ziel, der Sozialhilfebedürftigkeit vorzubeugen sowie die wirtschaftliche und persönliche Selbständigkeit von Personen, die Hilfe
benötigen, durch geeignete Massnahmen zu fördern, zu erhalten oder wiederherzustellen (§ 1 SPG).
Gemäss der Sozialhilfestatistik des Bundesamts für Statistik (BFS) gelingt es der Mehrheit der Menschen, die materielle Sozialhilfe beziehen, sich von dieser Unterstützung wieder abzulösen. In den
Jahren 2011–2013 bezogen knapp 60 % der Sozialhilfebeziehenden nicht länger als ein Jahr Sozialhilfe. Bei rund 20 % dauerte die Unterstützung durch die Sozialhilfe zwischen ein und zwei Jahren.
Bei 15 % lag der Bezug zwischen zwei bis vier Jahren. In den anderen Fällen dauerte der Bezug von
materieller Sozialhilfe länger. Diese Angaben weisen darauf hin, dass die Mehrheit der betroffenen
Personen innerhalb von zwei Jahren wieder wirtschaftlich eigenständig ist. Ein solches Ergebnis ist
nur mit Eigeninitiative und Eigenmotivation der Sozialhilfebeziehenden möglich.
Die Sozialhilfebeziehenden haben neben dem Anspruch auf materielle Sozialhilfe auch die Pflicht, im
Rahmen ihrer individuellen Möglichkeiten ihre persönliche Situation zu verbessern. Diesem Grundsatz sind auch die kommunalen Sozialhilfebehörden und Sozialdienste verpflichtet. Mit Auflagen und
Weisungen werden die Sozialhilfebeziehenden angehalten, sich (wieder) in den Arbeitsmarkt zu
integrieren. Dies kann mit Arbeitszuweisung oder auch mit gezielten Massnahmen zur Förderung der
Ressourcen und Fähigkeiten der Sozialhilfebeziehenden erfolgen. Die Regionalen Arbeitsvermittlungszentren (RAV) unterstützen Stellensuchende – also auch Sozialhilfeempfangende – bei der
Stellensuche, unabhängig davon, ob sie Anspruch auf finanzielle Leistungen der Arbeitslosenversicherung haben. Es genügt aber nicht, nur die betroffenen Menschen zu stärken, es braucht auch die
Wirtschaft, die diese Menschen wieder integriert und dies in einer Zeit, in der der Strukturwandel der
Wirtschaft hin zu wissensintensiveren Tätigkeiten erfolgt ist und viele Stellen für geringqualifizierte
Menschen wegrationalisiert oder ins Ausland verlagert worden sind. Diese wirtschaftliche Situation
macht es für die sozialhilfebeziehenden Menschen nicht einfach, den Anschluss an den ersten Arbeitsmarkt zu finden oder wieder zu erlangen. Zudem machen es Tiefstlöhne in einigen Hilfsarbeits-
funktionen unattraktiv, überhaupt eine Stelle anzutreten, da die Differenz zum Einkommen aus der
Sozialhilfe zu gering ist.
Der Regierungsrat hat diese Entwicklung erkannt und auch der Bund unterstützt in einigen Bereichen
Projekte und entwickelt die Regelstrukturen weiter. Die Zusammenarbeit der RAV mit den kommunalen Sozialdiensten ist in letzter Zeit vermehrt in den Fokus der Arbeitsmarktbehörden gerückt. Neben
dem kantonalen Pilotprojekt "Pforte Arbeitsmarkt", das die Zusammenarbeit von IV-Stelle, RAV und
Sozialdiensten erprobt, wird auf Bundesebene die Intensivierung der Zusammenarbeit der Arbeitslosenversicherung mit den kommunalen Sozialdiensten vorangetrieben. Das Staatssekretariat für Wirtschaft (SECO) hat per 2015, vorerst noch testhalber, zwei neue Wirkungsindikatoren eingeführt, mit
denen die Eingliederungsleistung der RAV auch für Nichtleistungsbezüger der Arbeitslosenversicherung besser gemessen werden soll. Ziel dieser Bemühungen ist die Verbesserung der Arbeitsmarktintegration von stellensuchenden Personen durch die Behörden. Insbesondere Sozialhilfeempfangende sollen durch eine intensivere Betreuung auf den RAV vermehrt in den Arbeitsmarkt
integriert werden können. Mit der Sozialplanung werden Ziele und Strategien formuliert, welche die
Grundlage für die Änderung der Sozialpolitik bilden. Diese Sozialpolitik setzt insbesondere in der
Familien-, Bildungs- und Arbeitsmarktpolitik an. In diesen Politikfeldern werden die Menschen mit
den geeigneten Massnahmen befähigt, ihre Fähigkeiten zu einer eigenständigen und selbstverantwortlichen Lebensführung zu erlangen, damit sie auf die wechselnden Anforderungen der Wirtschaft
und der Gesellschaft angemessen reagieren können. Die Sozialplanung wird dem Grossen Rat im
August 2015 zur Beratung unterbreitet.
Gemäss Sozialhilfe- und Präventionsverordnung (SPV) haben Sozialhilfebeziehende Anspruch auf
eine Erwerbsunkostenpauschale von maximal Fr. 300.– bei einem Vollzeitpensum. Bei der Arbeitsaufnahme wird ihnen diese Motivationspauschale bei der Berechnung ihres Sozialhilfebudgets angerechnet. Individuelle Erwerbsunkosten werden zusätzlich angerechnet. Kooperieren die betroffenen
Personen bei der Integration in den Arbeitsmarkt nicht, liegen gesetzliche Grundlagen vor, um die
entsprechenden Sanktionen auszusprechen und zu vollziehen.
Aktuell ist die (13.26) Motion von Franz Hollinger, CVP, Brugg (Sprecher), Alexandra Abbt, CVP,
Islisberg, Ruedi Donat, CVP, Wohlen, Hans-Ruedi Hottiger, parteilos, Zofingen, Andreas Senn, CVP,
Würenlingen, und Kurt Wyss, CVP, Leuggern, vom 5. März 2013 betreffend klare Regelung bei Kürzung und Einstellung von Sozialhilfeleistungen (20. August 2013) in Bearbeitung. Das Anliegen der
Motion soll im Rahmen einer Teilrevision des Sozialhilfe- und Präventionsgesetzes aufgenommen
werden. Eine entsprechende Anhörungsvorlage wird noch in diesem Jahr in die Vernehmlassung
gehen. Mit einer neuen Regelung soll eine klarere Handhabung des Verfahrens von Kürzungen und
Einstellungen bei Sozialhilfemissbrauch erreicht werden.
All die vorgenannten Massnahmen sollen dazu dienen, Menschen in der Sozialhilfe (wieder) in den
ersten Arbeitsmarkt zu führen. Der im Postulat angesprochene Schwelleneffekt ist dadurch jedoch
nicht behoben. Wie in der Beantwortung des (13.51) Postulats der FDP-Fraktion vom 26. März 2013
betreffend Problematik von Schwelleneffekten und negativen Erwerbsanreizen im sozialen Bedarfsleistungssystem des Kantons Aargau festgehalten, bedarf es für die Behebung des Schwelleneffekts
zuerst einer Studie zur Harmonisierung der bedarfsabhängigen Sozialleistungen und Abgaben wie
der Sozialhilfe, individuellen Prämienverbilligungen, Bevorschussung von Unterhaltsbeiträgen für
Kinder, Elternschaftsbeihilfe sowie der Beiträge der Eltern für familienergänzende Kinderbetreuung
und der Steuern. Auf der Basis dieser Studie sollen anschliessend die Vorschläge erarbeitet werden
zur Behebung des Schwelleffekts und damit zur Vermeidung des Umstands, dass in Einzelfällen
Menschen in der Sozialhilfe über mehr finanzielle Mittel verfügen, als solche, die sich mit einer Erwerbsarbeit ihren Lebensunterhalt verdienen.
Die Behebung des Schwelleneffekts ist in der Sozialplanung in der Stossrichtung G, Strategie G1,
aufgenommen. Mit zwei aufeinander abgestimmten Massnahmen ist geplant, Schwelleneffekte und
negative Erwerbsanreize abzubauen. Mit der Harmonisierung wird zuerst geprüft, wie gut die einzel-
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nen Leistungen aufeinander abgestimmt sind und wie sie mit den Sozialversicherungen und der
Steuergesetzgebung zusammenspielen. In einem zweiten Schritt sollen dann die Schwelleneffekte
und die negativen Erwerbsanreize untersucht und abgebaut werden. Der Anreiz, eine Erwerbstätigkeit aufzunehmen, soll damit erhöht werden.
Der Regierungsrat empfiehlt aus obgenannten Erwägungen das Postulat zur Abschreibung.
Die Kosten für die Beantwortung dieses Vorstosses betragen Fr. 948.–.
Regierungsrat Aargau
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