Persönlichkeitsentwicklung und aggressives Verhalten Klaus Schmeck Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie / Psychotherapie Universität Ulm A Bad Day Zentrale Entwicklungsaufgaben in der Kindheit • Erwerb der Fähigkeit zur Hemmung aggressiver Impulse • Erwerb der Fähigkeit zur Regulation von Emotionen • Erwerb von prosozialem Verhalten Verlauf aggressiven Verhaltens vom 2.-11. Lebensjahr (Tremblay et al., 2002) Verlauf aggressiven Verhaltens vom 6.-15. Lebensjahr (Tremblay et al., 2002) Ätiologie aggressiver und dissozialer Handlungen Biologische Faktoren Soziologische F. Neuroanatomisch Neurochemisch Psychophysiologisch Medieneinwirkung Armut / Benachteiligung Zugang zu Waffen Situative Auslöser Psychische Struktur Frustration Kränkung Alkohol-/Drogeneinfluß Mangelnde Affektregulation Bindungsschwäche Empathiedefizit Fehlende Gewissensbildung Attributionsfehler Psychobiologische F. Psychosoziale F. Schwieriges Temperament Impulsivität Neuropsychologische Defizite Elternvariablen Abnorme Lebensereignisse Peer- u. schulische Einflüsse Aggressive / dissoziale Handlung Temperament Temperament besteht aus relativ konsistenten, grundlegenden und dem Individuum eigenen Dispositionen, welche dem Ausdruck von Aktivität, Reaktivität, Emotionalität und Soziabilität zugrunde liegen und diesen modulieren. automatische Reaktionen auf emotionale Stimuli Temperament = Verhaltensstil Neugierverhalten (Verhaltensaktivierung) Verhaltensaktivierung Explorative Erregbarkeit vs. Stoische Rigidität Impulsivität vs. Nachdenklichkeit Überspanntheit vs. Zurückhaltung Unordentlichkeit vs. Organisiertheit Schadensvermeidung (Verhaltenshemmung) Verhaltenshemmung Pessimismus vs. Optimismus Angst vor Ungewissem vs. Zuversicht Schüchternheit vs. Geselligkeit Ermüdbarkeit vs. Vitalität Belohnungsabhängigkeit (Soziale Ansprechbarkeit) Aufrechterhaltung von Verhalten durch soziale Verstärkung Empfindsamkeit vs. Unempfindlichkeit Bindung vs. Bindungslosigkeit Abhängigkeit vs. Unabhängigkeit Beharrungsvermögen Aufrechterhaltung von Verhalten durch intrinsische Motivation • ehrgeizig, leistungsorientiert • bereit, große Opfer für einen Erfolg zu bringen • Perfektionisten, Workaholics • geben nicht leicht auf Selbstlenkungsfähigkeit verantwortliches und reifes Verhalten, Selbstakzeptanz Verantwortlichkeit vs. Schuldzuweisung Zielbewußtheit vs. Ziellosigkeit Beweglichkeit vs. Trägheit Selbstakzeptanz vs. Selbstunzufriedenheit Selbstkongruenz vs. Inkongruenz von Fähigkeiten und Zielen Kooperativität hilfsbereites, tolerantes, einfühlendes Verhalten Soziale Akzeptanz vs. Intoleranz Empathie vs. Desinteresse Hilfsbereitschaft vs. Ungefälligkeit Mitleid vs. Rachsucht Redlichkeit vs. Streben nach eigenen Vorteilen Selbsttranszendenz Bewußtheit von spirituellen Werten Selbstvergessenheit vs. Phantasielosigkeit Transpersonelle Identifikation vs. Selbstisolation Spirituelle Akzeptanz vs. rationaler Materialismus Temperamentskonstellation und Charakterentwicklung -170 60 59 57 53 50 50 49 44 Neugierverh. 44 42 40 niedrig 37 30 mittel hoch niedr ig Schadensvermeidung mittel hoch Temperamentskonstellation und Charakterentwicklung -270 60 59 53 50 50 48 45 47 48 Belohn.abh. 43 40 niedrig 38 mittel 30 hoch niedr ig Beharrungsvermögen mittel hoch Temperament und antisoziales Verhalten (Cloninger et al., 1994) • Erwachsene mit antisozialen Persönlichkeitsstörungen zeigen die Temperamentskonstellation Verhaltensaktivierung Verhaltenshemmung Soziale Ansprechbarkeit Verhaltensaktivierung hohe Werte: impulsiv, erregbar, ausgeprägtes Reizsucheverhalten Verhaltenshemmung niedrige Werte: vital, zuversichtlich, unerschrocken Soziale Ansprechbarkeit niedrige Werte: emotionslos, bindungslos, unabhängig Vorhersage von antisozialem Verhalten im Erwachsenenalter (27J.) durch Temperamentsmerkmale erfasst mit 11 Jahren (Sigvardson et al., 1987) Keine Delikte Eigentumsdelikte Gewalttätige Delikte Part. Korrel. CHI2 p Verhaltensaktivierung +.07 +1.6 +2.7 +.24 9.38 .002 Verhaltenshemmung +.01 -.02 -.09 -.13 4.12 .042 Soziale Ansprechbarkeit +.03 +.06 -1.0 -.18 5.91 .015 Temperamentsmerkmale von Jugendlichen mit gewalttätig – delinquentem Verhalten (Ruchkin et al., 1998) Studie in einem Jugendgefängnis in Archangelsk (Russland) 160 delinquente männliche Jugendliche vs. 108 gematchte unauffällige Jugendliche - Delinquente Jugendliche zeigten im Vergleich zu unauffälligen Jugendlichen - höhere Werte in Verhaltensaktivierung (p < .01) - höhere Werte in Verhaltenshemmung (p < .01) - vergleichbare Werte in Sozialer Ansprechbarkeit (n.s.) - Gewalttätige delinquente Jugendliche zeigten im Vergleich zu nicht-gewalttätigen Jugendlichen signifikant niedrigere Verhaltenshemmung (p < .05). Mittlerer YSR-Aggressions-Score in Abhängigkeit von Temperamentsmerkmalen (Schmeck, 2001) Temperamentsfaktor niedrig < 33. P. Verhaltensaktivierung 6.8 Verhaltenshemmung 9.2 Soziale Ansprechbarkeit 11.4 (3.8) (6.4) (5.8) mittel 33.-66. P. hoch > 66. P. eta p 11.0 12.6 .40 .000 .16 .17 .11 .41 (5.5) 11.7 (5.9) 10.0 (6.4) (6.4) 10.2 (5.9) 9.9 (5.6) Verhaltensaktivierung und Diagnose (Schmeck & Poustka, 2001) T-Wert 60 Stör. SV Emot. Stör. 50 Essstör. Pers.Stör. 40 N=17 N=28 N=10 N=10 P=.005 Temperament und Geschlecht im Kindesalter • im Säuglingsalter keine bedeutsamen Geschlechtsunterschiede, auch keine Unterschiede in der Häufigkeit des schwierigen Temperaments (Thomas & Chess, 1980; Kohnstamm, 1989) • im Vorschulalter Temperament: nur geringfügige Unterschiede (Constantino et al., 2002) Temperament und Charakter im Kleinkindalter Constantino et al., Psychiatry Research 109 (2002) 4 3,5 Jungen 3 Mädchen 2,5 2 sv nv ba bv sl ko st .00 .37 .44 .26 .29 .64 .48 Effektstärken: <.20 unbedeutend .20-.50 gering Effektstärken .50-.80 mittel >.80 bedeutend Psychopathologie im Kindergartenalter Ergebnisse des CTRF/1,5-5 (Denner & Schmeck, in Vorb.) 10 8 6 4 2 0 Jungen . Ag g re ss kt. ra Hy pe ck zu g . Rü m .P r ob st An g So Em .R e ak . Mädchen Bedeutung von Temperaments-Geschlechtsdifferenzen bei der Entstehung von externalisierenden Störungen -1- Schwieriges Temperament / Ausgeprägte Neugierverhalten Bei Jungen nicht häufiger Externalisierende Störungen ? Bei Jungen deutlich häufiger Bedeutung von Temperaments-Geschlechtsdifferenzen bei der Entstehung von externalisierenden Störungen -2Externalisierende Störungen Niedrige Soziale Ansprechbarkeit / Kooperativität Starke Verhaltensaktivierung Schlechtere Ansprechbarkeit auf soziale Kontrolle / weniger Übernahme von Regeln Geringere Verhaltenskontrolle Mittelwert Bedeutung von Neugierverhalten u. Belohnungsabhängigkeit zur Aufklärung von aggressiv-dissozialem Verhalten (YSR) 14 12 10 8 6 4 Disso zialität 2 Aggr essivität nvBA nvba NVBA NVba Mittelwertsvergleich für beide Variablen p<.001 Bedeutung von Neugierverhalten u. Belohnungsabhängigkeit zur Aufklärung von aggressiv-dissozialem Verhalten (YSR) Mädchen Jungen 16 14 14 12 12 10 10 8 8 4 Dissozialität Aggr essivität 2 nvBA nvba NVBA NVba Dissozialität p=.002; Aggressivität p<.001 Mittelwert 6 6 Dissozialität Aggr essivität 4 nvBA nvba NVBA NVba Dissozialität p=.02; Aggressivität n.s. Modellvorstellungen zur Entstehung von früh beginnendem aggressivem und antisozialem Verhalten schwieriges Temperament Ungünstige Elternvariablen frühes aggressives Verhalten persistierendes antisoziales Verhalten Neurokognitive Probleme impulsives hyperkinetisches Verhalten Ungünstige Peer-Einflüsse