Rechtliche Aspekte statistischer Methoden im Gesundheitsbereich Vorlesung an der TU-Wien, Institut für Statistik, Prof. Dr. R. Viertl von Kurt Neumann im SS 2007 www.e-i-s-ltd.com www.visem.org [email protected] Rechtliche Aspekte statistischer Methoden Statistik unter GxP Bedingungen: • Einführung / Hintergrundinformation • EU Standards • Humanversuche und Gesundheit • Goldstandarddesigns • Standardfragestellungen • Praktische Konsequenzen • Studienbetrug • Inspektionen und Audits Statistik unter GxP Bedingungen: Einführung / Hintergrundinformation: • Gesundheit ist ein besonderes Gut • Zulassung von Medikamenten und Medizinprodukten - Labormethoden etc. • Contergan Katastrophe • HIV durch Blutkonserven • Behördenreaktionen • USA/FDA • EU/EMEA • Österreich AMG/MPG • Zielsetzung: Patientensicherheit! Statistik unter GxP Bedingungen: Einführung / Hintergrundinformation: • Methodik - allgemein • durchgehende Qualitätskontrolle • Vereinheitlichung der Methoden • empirisch - wissenschaftliche Datenbasis • • • • • Erschwerung von Studienbetrug Entwicklung von SOPs Ausreichende Dokumentation Frühzeitiges Erkennen von Problemen Sicherstellung einer adäquaten Wirksamkeit von Produkten Statistik unter GxP Bedingungen: EU/FDA und österreichische Richtlinien: • • • • www.emea.eu.int www.fda.gov www.bmgfj.gv.at www.ris.bka.gv.at • Statistik • CPMP/ICH/363/96 • AMG/MPG Statistik unter GxP Bedingungen: Zielsetzung der EU/FDA und österreichischen Richtlinien: • Gute Daten für gute Entscheidungen im Gesundheitsbereich - grosse Tragweite! • wissenschaftlich saubere Fragestellung • nachvollziehbare, empirische Datenbasis • statistische Analyse • medizinische Interpretation Statistik unter GxP Bedingungen: Gute Daten: • • • • • • • • Nachvollziehbarkeit relevante Fallzahlen beweiskräftige Dokumentation wissenschaftlich anerkannte Methoden der Erhebungsplanung, Datenerfassung und statistischen Analyse Richtigkeit Plausibilität Widerspruchsfreiheit Vollständigkeit Statistik unter GxP Bedingungen: Gute Entscheidungen: • Wiederholbarkeit • Fragen der Verallgemeinerungsfähigkeit • statistische Methoden in der Planung und Analyse • statistische Beratung und Überwachung von Datenerfassung und Datenmanagement • statistische Beratung der Ärzte im Studienverlauf • statistische Beratung der Ärzte bei der Ergebnisinterpretation Statistik unter GxP Bedingungen: Probleme bei Humanversuchen: • Ethik • Komplexität des Menschen • Finanzfragen • Stichprobenumfang und Produktkosten • • • • Unscharfe Daten psychologische Effekte Untersucherbias Probanden-/Patientencompliance mit Studienuntersuchungen etc. • Haftungsfragen Statistik unter GxP Bedingungen: Ethische Probleme: • Ethikkommissionen • Menschen als Versuchskaninchen? • Patienten-/Probandeninformation • Bewusstlose Patienten • Leidensdruck • wichtige Kovariable: • Ernährung • Studiencompliance • graue Medikation, OTC-Produkte • Hausmittel • „physikalische“ Selbst-Therapie Statistik unter GxP Bedingungen: Ethische Probleme: • • • • • • Nutzen-/Risikobewertung Vorenthalten einer verfügbaren Therapie Datenschutz Kontrollen Patientenvorselektion durch Arzt Bereitschaft mit dem eigenen „Leben“ zu Würfeln - Randomisierung • invasive Untersuchungen • Bias durch Untersuchungen Statistik unter GxP Bedingungen: Ethische Probleme: • Selektionskriterien • terminale Patienten • Aussagekraft der Daten von gesunden Probanden • regelmässig ausgeschlossene Gruppen • Feststellung einer Besachwaltung • Gefangene, Präsenzdiener • Kinder • Greise • Schwangere und Stillende • Verhütung bei Männern • ethnische Besonderheiten Statistik unter GxP Bedingungen: Problem Komplexität allen Lebens: • Placeboeffekte • Streicheln und Anschreien • Hospitalisierungsefffekte • Studieneffekte • Wechselwirkungen im lebenden Organismus • Adrenalin- und Endorphinausschüttung • Berücksichtigung der Konsequenzen von Messungen (z. B. : Blutmenge) • Lerneffekte bei psychometrischen Skalen • Bias aus der Arzt-Patienten-Beziehung Statistik unter GxP Bedingungen: Problem Komplexität allen Lebens: • Wahl des Messparameters • Untersuchungskosten • invasive, belastende Untersuchungen Patientencompliance • Surrogatparameter • subjektive und indirekte Parameter • Effekte von Begleiterkrankungen und Begleitmedikationen Statistik unter GxP Bedingungen: Problem Komplexität allen Lebens: • Wahl der Messzeitpunkte • Tagebücher • Telefoninterviews • Auswirkungen auf das Alltagsleben • Auswirkungen der Therapie/Interven-tion auf das Alltagsleben • Chronobiologische Effekte • Zirkadiane Rhythmen/Effekte • Geburtstagsparties • Zahltagseffekte Statistik unter GxP Bedingungen: Problem Komplexität allen Lebens: • Lebensgewohnheiten/-umstände • Rauchen, Alkohol, Kost, Sport • Soziale Verpflichtungen • Haushalt • Beruf • Sozialer Status/Imageprobleme • Paranoia und Leitung eines Atomkarftwerks • Depression und Führungsverantwortung Statistik unter GxP Bedingungen: Problem Komplexität allen Lebens: • Lebensgewohnheiten/-umstände • Wunsch nach Kinder(n) • Geschlechtsumwandlungen • reversible und irreversible Interven-tionen • Amputationen • höhere Gewalt • Unfälle • Kriminalitätsopfer • Einkommensverluste • Arbeitslosigkeit • allgemeine Wirtschaftslage Statistik unter GxP Bedingungen: Problem Komplexität allen Lebens: • Studiendauer • Ermüdungserscheinungen • Patienten/Probanden • Ärzte/Personal • Patentlaufzeiten • Studienziel • Heilung • Linderung • Dauertherapien • Studienzeit = Stichprobe auch in zeitlicher Hinsicht Statistik unter GxP Bedingungen: Finanzfragen: • • • • • • Planungskosten Stichprobenumfang Studiendesign/-dauer Produktkosten Sponsorbudget Kosten der Qualitätskontrolle • Studienmonitoring • Auswertungskosten • Publikationskosten • Archivierungskosten Statistik unter GxP Bedingungen: Unschärfe der Daten: • Messfehler in allen medizinischen Parametern: • Laborfehler • Skalenunschärfen • Kommunikationsfehler Arzt/Patient • unscharfe medizinische Begriffe • Diagnosen • Therapien/Dosierungen • Abgrenzungsprobleme Symptom vs Erkrankung • praktisch keine Möglichkeit der Vivisektion Statistik unter GxP Bedingungen: Unschärfe der Daten: • alles Lebende ist einem Alterungspro-zess mit Todesfolge unterworfen • Problem der Unterscheidung: unerwünschte Begleiterscheinung der Intervention oder neu aufgetretene Krankheit/Symptom • Wechselwirkungen Psyche und Körper • exogene emotionale Konflikte • exogene wirtschaftliche Konflikte • normale biologische Variabilität Statistik unter GxP Bedingungen: Psychologische Effekte: • „Lottogewinn“ • Beförderung eines Freundes • Geburt eines Kindes/Enkels • Erfüllung eines langgehegten Wunsches • Freude an der subjektiv ersten Verbesserung • Operation gelungen - Patient tot • Therapieversager Patient beschwerdefrei Statistik unter GxP Bedingungen: Untersucherbias Arzt: • • • • • Strahlertyp Griesgram Mischung Sympathie Antipathie Statistik unter GxP Bedingungen: Patienten-/Probandencompliance: • 24h permanente Videoüberwachung unmöglich • Probandenstudie mit standardisierten „Elektroreizen“ in Sitzungen vormittags und nachmittags • pill-counting • Tagebücher • praktische Umstände Statistik unter GxP Bedingungen: Patienten-/Probandencompliance: • Zeitintervalle zwischen den Untersuchungen zulassen • Intervalle für den Grad der korrekten Einnahme zulassen • Notfallstrategien entwickeln: • Knochenmarkspunktion, Leberbiopsie etc. Beginn+Ende • Surrogatparameter im Weigerungsfall vorbereiten Statistik unter GxP Bedingungen: Haftungsfragen: • Ärzte/Krankenhäuser müssen eine Haftpflichtversicherung haben, um für von ihnen verschuldete Schäden aus der Therapie aufzukommen. • Bei klinischen Studien ist dazu eine weitere verschuldensunabhängige Versicherung erforderlich, um den Patienten etwaige studienbedingte Schäden abzugelten. Statistik unter GxP Bedingungen: Goldstandarddesigns von Studien: Zielsetzung Überlegenheit • • • • • randomisierte Parallelgruppen doppelblind stratifiziert nach Zentren balanzierte bekannte Einflussfaktoren mind. drei Gruppen: • Placebo • beste verfügbare Standardtherapie • neues Produkt Statistik unter GxP Bedingungen: Goldstandarddesigns von Studien: Zielsetzung Überlegenheit Vorteile: • • • • • bestmögliche interne Validität optimaler Wirksamkeitsnachweis fortschrittsfreundlich „kürzester“ Zeitbedarf Überlegenheitsrelation ist transitiv Statistik unter GxP Bedingungen: Goldstandarddesigns von Studien: Zielsetzung Überlegenheit Nachteile: • externe Validität fragwürdig • maximales Sponsorrisiko • Überlegenheit gegenüber Placebo und gegenüber • bester bekannter Therapie • hohe Kosten Statistik unter GxP Bedingungen: Goldstandarddesigns von Studien: Zielsetzung Überlegenheit praktische Probleme: • Vorhandensein von Informationen zur Studienplanung • klinisch relevanter Unterschied • Verteilungsparameter • Was ist die beste bekannte Therapie • Ist eine echte Placebogruppe überhaupt möglich Statistik unter GxP Bedingungen: Goldstandarddesigns von Studien: Zielsetzung Überlegenheit praktische Probleme: • welche bekannten Einflussfaktoren sind auch relevant • was tun, bei statistisch signifikanten Wechselwirkungen zwischen Zentrum und Behandlung • was tun, bei statistisch signifikanten Wechselwirkungen Einflussfaktor X und Behandlung Statistik unter GxP Bedingungen: Goldstandarddesigns von Studien: Zielsetzung Überlegenheit praktische Probleme: • was tun, bei statistisch signifikanten höheren Wechselwirkungen Zentrum, Einflussfaktoren X, Y, Z,... und Behandlung • Kosten • Ist das Projekt unter der Auflage einer vernünftigen statistischen Power zum Erkennen von Wechselwirkungen auch noch finanzierbar? Statistik unter GxP Bedingungen: Goldstandarddesigns von Studien: Zielsetzung Überlegenheit praktische Probleme: • alle „Schlampereien“ in der Studiendurchführung verdünnen die Behandlungseffekte und konterkarieren damit das Studienziel • Behandlung der Daten von „schlecht rekrutierenden“ Zentren - Bildung von „Zentrenpools“ - siehe oben! • Verlust an externer Validität durch „sehr gut rekrutierende“ Zentren Statistik unter GxP Bedingungen: Goldstandarddesigns von Studien Nichtunterlegenheitsstudien: • randomisierte Parallelgruppen • doppelblinde Studiendurchführung • Blockbildung, Stratifizierung analog den Überlegenheitsstudien • typischerweise zwei Gruppen: • bisheriger Standard • neues Produkt Statistik unter GxP Bedingungen: Goldstandarddesigns von Studien Nichtunterlegenheitsstudien Vorteile: • hohe interne Validität der Ergebnisse • ca. 20% Fallzahleinsparung • zumeist relativ geringes Sponsorrisiko Statistik unter GxP Bedingungen: Goldstandarddesigns von Studien Nichtunterlegenheitsstudien Nachteile: • ebenso relativ schlechte externe Validität der Ergebnisse • Relation Nichtunterlegenheit ist NICHT transitiv • geringere Fortschrittsfreundlichkeit • reduzierte Vermarktungschancen Statistik unter GxP Bedingungen: Goldstandarddesigns von Studien Nichtunterlegenheitsstudien: praktische Probleme: • alle „Schlampereien“ in der Studiendurchführung vergrössern die vorhandenen Streuungen und begünstigen dadurch das Studienziel • Behandlung der Daten von „schlecht rekrutierenden“ Zentren - Bildung von „Zentrenpools“ - siehe oben! • Verlust an externer Validität durch „sehr gut rekrutierende“ Zentren Statistik unter GxP Bedingungen: Goldstandarddesigns von Studien Bioäquivalenzstudien Hauptanwendungen Generika Denkmodell: Gleiches Wirkstoffmolekül. Pharmakokinetik in gesunden Probanden AUC extrem Hersteller freundlich! (Preise) Statistik unter GxP Bedingungen: Goldstandarddesigns von Studien Bioäquivalenzstudien Generika Methodik: Cross-over Studie in 12-~40 gesunden Probanden: Test- vs Originalprodukt Bestimmung der AUCs Berechnung der mittleren ratio T/O falls 90% KI in 0.8 bis 1.2 => OK Statistik unter GxP Bedingungen: Goldstandarddesigns von Studien Bioäquivalenzstudien Generika Vorteile: • vergleichsweise sehr günstige Kosten • cross-over Modell erlaubt winzige Fallzahlen, da carry-over Effekte kaum existieren • AUCs erfahrungsgemäss bei Trapez- oder Simpsonintegration sehr robust • keine Analyse der meist stark streuenden klinischen Parameter nötig Statistik unter GxP Bedingungen: Goldstandarddesigns von Studien Bioäquivalenzstudien Generika Nachteile: • Ergebnisse nur für gesunde Probanden valide • keine Information über klinische Wirksamkeit • Unterschiede in der Galenik bei „Rand“populationen unbekannt • keine PSURs erforderlich/vorhanden Statistik unter GxP Bedingungen: Auswirkungen auf: • Datenerfassung • doppelte Datenerfassung vorgeschrieben • Datenmanagement • • • • querymanagement medizinische Qualitätskontrollen statistische Qualitätskontrollen audit trails - Papier-/Datenvolumen • Hard-/Softwareumgebung • Validierung • Dokumentation • ~15 Jahre Archivierungspflicht Statistik unter GxP Bedingungen: Auswirkungen auf: • Administration der Studienunterlagen • jeder Zwischenschritt muss nachvollzieh-bar sein • SOPs für alle relevanten Prozesse müssen vorhanden und laufend nachvollziehbar sein • Unterlagen über ausführendes Personal und dessen Qualifikation, Training muss nachvollziehbar sein • Hardware-/Betriebssystem • Statistiksoftware muss validiert sein • 15 Jahre in der EDV...funktionstüchtig... Statistik unter GxP Bedingungen: Angst vor Studienbetrug: • Studienbetrug gab es, gibt es, und wird es geben. • Behördenziel ist es, Studienbetrug nach Möglichkeit so teuer zu machen, dass er wirtschaftlich uninteressant wird. • Eigene Erfahrungen lassen vermuten, dass er eher sehr selten ist. • Studienbetrug ist straf- und zivilrecht-lich mit sehr unangenehmen Konse-quenzen verbunden. Statistik unter GxP Bedingungen: Inspektionen und Audits von Studien: Kontrolle von den Arztaufzeichnungen, Spitalsdaten über Qualitätskontrollen im Studienverlauf und Datenerfassung und Datenbereinigung, statistischer Analyse und Abschlussbericht und Publikation. Statistik unter GxP Bedingungen: Inspektionen und Audits von Studien: Inspektionen erfolgen im Behördenauftrag: AGES, EMEA, FDA,... Audits erfolgen im Auftrag des Sponsors. ...so lustig wie eine Steuerprüfung... Statistik unter GxP Bedingungen: Inspektionen und Audits von Studien praktische Auswirkungen: • Schaffung der notwendigen Infrastrukturen • laufende Adaptierung dieser Strukturen an sich ändernde Richtlinien • Aufrechterhaltung eines entsprechen-den Qualitätssicherungssystems • laufende Kollegenkontakte über die aktuelle Vorgangsweise der Inspek-toren Statistik unter GxP Bedingungen: Zusammenfassung Alle Statistikanwendungen im Gesundheitswesen und die Arbeiten im Um-feld eines Statistikers unterliegen sehr detaillierten Rahmenbedingungen und unabhängigen Kontrollen. Ausreichende Kapazitäten für die notwendige Dokumentation aller Aktivitäten sind verfügbar zu halten. Statistik unter GxP Bedingungen: Zusammenfassung Probleme der interdisziplinären Kommunikation sind omnipräsent. Schnittstellenprobleme bei der interdisziplinären Zusammenarbeit sind zu erwarten und durch geeignete Massnahmen abzufangen. Statistik unter GxP Bedingungen: Zusammenfassung In allen Tätigkeiten im Gesundheitsbereich muss allen Mitarbeitern immer bewusst sein, dass ihre Arbeit sehr direkt über Leben, Leiden oder Tod entscheiden kann. Dem natürlichen menschlichen Trend zum Schlendrian ist ein unerbittlicher Kampf anzusagen und zu exekutieren. Statistik unter GxP Bedingungen: Zusammenfassung Oberste Priorität hat die Produktsicherheit. Katatstrophen, wie jene um Contergan, sollten sich nicht wiederholen.