Die „JoA’s“ – eine dauerhafte berufspädagogische Herausforderung Manfred Eckert 1 Geschichte der Jungarbeiterbeschulung • Die „Jungarbeiter-Problematik“ ist so alt wie die Berufsschule (Jugendliche ohne Ausbildungsvertrag: jugendliche Arbeiter, jugendliche Arbeitslose) – Das Problem: wie unterrichte ich – in der Berufsschule - junge Menschen ohne Beruf? • Die Konstruktion von Ersatzberufen • Die Konstruktion einer beruflich-technologischen Grundbildung • Die Konstruktion des Berufsvorbereitungsjahres – Eigentlich keine Lösungsansätze 2 Die Aktualität der Jungarbeiterbeschulung – Einmündungsquote in das Duale System auf 43%, – Verstärkung des Schulberufssystems auf 17% – Anwachsen des Übergangssystems auf 39,5% • Probleme: – soziale Selektivität des Übergangs – Exklusionstendenzen / soziale Schließung – Jugendliche mit Migrationshintergrund – Junge Männer – Geringer werdende Bildungsmobilität – Demographischer Wandel und Fachkräftemangel • Ergebnisse der Studie von Baethge/Solga/Wieck: Berufsbildung im Umbruch. Signale eines überfälligen Aufbruchs. (Friedrich Ebert Stiftung, Berlin 2007) 3 Das Berufsformat als Bildungsschablone • These: – Berufliche Schulen in der „Falle“: Der Berufszuschnitt der Bildungsarbeit, das Format der Ausbildung wird durch die betriebliche Ausbildung bestimmt – Das Berufsprinzip findet allgemein Anerkennung – Die Abwertung der „Berufslosen“ – Ausweg: die vollzeitschulische Berufsausbildung ausbauen (in Deutschland schwer durchsetzbar) 4 Entberuflichungstendenzen im Beschäftigungssystem • Entberuflichung in zwei Richtungen: – nur noch Jedermannsqualifikationen (QualiBausteine, employabililty etc.) (???) – die Fachlichkeit verliert an Bedeutung / Entfachlichung des Berufs (?) • Inhalte treten (relativ) in ihrer Bedeutung zurück • werden in Handlungssituationen situativ eingelagert (Lernfelder, selbstgesteuertes Lernen) • werden durch überfachliche Kompetenzen erweitert/überformt • Berufspädagogisch „gewöhnungsbedürftig “ 5 Berufspädagogische Randbemerkungen zur Entberuflichung • Berufsausbildung als Ganzheit: Sozialiationszyklus und persönliche Entwicklung • Besondere Bedeutung der Fachlichkeit • Die „heimliche“ Tradition: Sozialisation und persönliche Entwicklung ergeben sich durch das Lernen des „Faches“ • Heute: Berufsbildung als Entwicklung fachlicher, sozialer und personaler Kompetenz ! 6 Potentiale der Berufsschule • • • • Berufsorientierung, Berufsfindung stützen Erfahrbarkeit von beruflichen Tätigkeiten Lernen in beruflicher Tätigkeit fundieren Fragen der Ausbildungsreife in Fragen der Berufsreife übersetzen. • „Allgemeinbildung“ und das Nachholen von Schulabschlüssen • Individualisierung über den Beruf (Kerschensteiner) 7 Organisationsentwicklungsaufgabe der Berufsschule • Individualisierung über berufliche Inhalte • Individualisierung sozialer/personaler Betreuung • Soziales und personales Lernen • Neue Lernarrangements • Integration von Praktika • Lernen aus Erfahrung und Interesse • Selbstgesteuertes Lernen 8 Die „Getchenfrage“ • Was kann eine berufliche Schule • Was kann ein Betrieb für die Sozialisation und Entwicklung junger Menschen leisten? 9 Individualisierung als Programm • Individualisierung des Lernens und der persönlichen Entwicklung: – Voraussetzung für: • • • • • • Persönliche Entwicklung Vielfalt persönlicher Problemlagen aufgreifen Persönliche Stabilität, Selbstsicherheit, Orientierung Betriebs- und Arbeitsmarktintegration Ausbildung gelingendes Leben – Angepasstheit an biographischen Entwicklungsstand 10 Die beiden Seiten der Individualisierung: Individuum und System • Individualisierung des Individuums (logisch!) • Individualisierung im System: Möglichkeiten, die einem Individuum geboten werden können – Die Aufgabe der Profis: Wie kann der Jugendliche erreicht werden (Lehrer, Ausbildungsmeister, Sozialpädagogen). Niederschwellige Angebote. Aufsuchende Sozialarbeit etc. 11 Was heißt Individualisierung für das Individuum • Die Individualitätsidee: – das Individuum persönlich stark machen (soziale und personale Kompetenz) • Die indivielle Dimension der Systemebene: – Systeme als Teil der Lebenswelt Jugendlicher – Anschlussperspektiven greifbar machen. Subjektiver Lebensentwurf/subjektives Berufsbild entwickeln. Chancen erlebbar machen! – System als System: Vernetzung von Anschlusspunkten. Übergänge organisatorisch vorbereiten und bewusst machen: Übergangsmanagement 12 Übergangsmanagement: falsche Vorstellungen • Falsche/mechanische Vorstellung: Individuen an „Systemanforderungen“ anpassen – Schnittstellen definieren und abstimmen – „Einstiegsqualifizierung“ ohne Entwicklungschance – Mini-Qualifikationen festlegen – Quali-Bausteine – Employability („Beschäftigungsfähigkeit“) 13 Übergangsmanagement: richtige Vorstellungen – – – – – – Komplexe Anforderungen kennen lernen Eigene Potentiale kennen lernen Sich selbst steuern und darstellen können Selbstsicherheit Kontrollverlust-Erfahrungen verarbeiten Selbstwirksamkeit erfahren (Beispiel: Qualifizierungsbausteine. Kompetenzen zur Verbesserung der Ausbildungsreife, Schulabschluss, Kompetenzfeststellung) – offene und vielfältige Formen der Kompetenzentwicklung (fachliche, soziale, personale, kommunikative, ästhetische, kulturelle, etc.) 14 Systemische Perspektive • Schulen agieren in einem systemischen Umfeld. Anforderung: Vernetzung der Teilsysteme (allgemeinbildende Schulen, Berufliche Schulen, Bildungsträger, Betriebe, Jugendhilfe) • Netzwerkarbeit ist ein Politikum: sie muss politisch gewollt werden • Fachkräftenachwuchs: Arbeitskräfte auf unterschiedlichen Qualifikationsniveaus erforderlich! Auch jugendliche Absolventen aus den Förderschulen haben ihre Potentiale! 15 Netzwerkarbeit • Berufliche Schulen in der Region verankern – Kooperation mit Betrieben, Kammern, Gewerkschaften. – Kooperation mit Praktikumsbetrieben – Kooperation mit Betrieben, die Absolventen der Jungarbeiterangebote aufnehmen – Netzwerkarbeit mit ehemaligen Absolventen – Schulkultur und Öffentlichkeitsarbeit – Beiräte, Fördervereine, „Runde Tische“ etc. 16 These zur Diskussion Die unglückliche Liebe oder Das ungeklärte Verhältnis von Betrieben und beruflichen Schulen oder Das ungeklärte Verhältnis zwischen Arbeitgeberverbänden/Gewerkschaften und Schulakteuren 17 Selektion im System • Schule als Agentur der Ausgrenzung • Schule aus Sammelbecken der „Schmuddelkinder“ – Ausgrenzung als anachronistisches Ritual ständischer Gesellschaft • „Creaming“ der betrieblichen Angebote • Schule als Förderagentur • Schule als Auffangagentur • Potentiale und pädagogische Möglichkeiten der Schule • Schule als „Nachwuchslieferant“ 18 Arbeitsteilung in Netzwerken • Wer wird dauerhaft zuständig sein für die schwierigen „JoA‘s“? • Die Bildungsträger? - Maßnahmen • Die Betriebe? - Einstiegsqualifizierung • Die Berufliche Schulen? JoA-Angebote? • Wer hat für welchen Jugendlichen das beste Angebot? • These: die Bedeutung der Beruflichen Schulen wird erheblich zunehmen! 19 Identität der berufsbildenden Schulen • … und der Lehrkräfte: Jugendliche ohne Ausbildungsvertrag – als Störfaktor oder – als Daueraufgabe, – als lohnende Herausforderung und Innovationspfad? • Frage ist beantwortet: Verbindung von Fachlichkeit und Lernorganisation, in der individuelle und komplexe Lern- und Entwicklungsprozesse ermöglicht werden • Perspektiven der Schulentwicklung • Kooperation: Lehrkräfte, Fachpraxislehrer, Sozialpädagogen 20 Fragen zur Lehrerausbildung • Ist der Berufsschullehrer – ein „Fach“mann (eine „Fach“frau), also ein Experte für eine berufliche Fachrichtung oder – ein Experte für den Aufbau von Identität und Stabilität bei jungen Menschen? • Die Integration von berufspädagogischen und sozialpädagogischen Aufgaben und fachlichen Anforderungen 21 Das Grundproblem: Adaptivität! • Wie passt sich ein System an seine Mitglieder/seine Adressaten an? • Eine Anforderung der pluralisierten und globalisierten Gesellschaft: Vielfalt • Vielfältigkeit der Angebote • Adaptivität: gilt zukünftig für Betriebe ebenso wie für Schulen und andere gesellschaftliche Institutionen 22 Fazit • Im JoA-Modellversuch finden sich viele gute, konkrete Ansätze zur Förderung junger Menschen ohne Ausbildungsvertrag • Sie noch einmal anders ins Licht zu stellen und zu würdigen, war das Ziel dieses Referats • Vielen Dank für Ihre freundliche Aufmerksamkeit [email protected] 23