Vortrag

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Gender, Care und
Gerechtigkeit.
Gretchenfrage moderner Gesellschaften
Christa Schnabl
Institut für Sozialethik
Universität Wien
Übersicht
1.
Diagnose
Strukturproblem moderner Gesellschaften
2.
Ethik
Ethische Hintergründe und Neuansätze
3.
Politik
Politische und soziale Konsequenzen
1. Diagnose
„Caring“
(Versteckte) Gretchenfrage
Pflege: Sommer 2004 – Sommer 2006




Kinder statt Partys
Pflegeskandal in Wien, Frankreich: Menschen in Pflegeheimen
sterben aufgrund schlechter Versorgung in der Sommerhitze
Wahlkampf 2006: Pflege, (Sonder)arbeitsform und Migration
Dauerbrenner: Geburten und Demographie




Weniger Kinder, weniger Rente
Migration und Zuwanderung
Schirrmacher: Minimum

Bedeutung von Familien für die Gesellschaft


Familien: etwas Urtümliches
Ökonomie des Teilens, Altruismusschule
Was dahinter steckt …
1.
Werteverfall?

2.
Verweigerung der Frauen - Geschlechterkampf?



3.
Moralisierung (und Individualisierung)
Frauen sind „schuld“, zurück zu den klassischen
Geschlechterkonzepten
Bestimmte gesellschaftliche Gruppe = Sündenbock
Privatisierung des Problems
Strukturproblem moderner Gesellschaften



Bauprinzipien der modernen Gesellschaft überdenken und
revidieren
Zusammenhang von Strukturen und Werten
Strukturprobleme, die bes. im Privaten wirksam werden
Care- bzw. Fürsorgearbeit 
gesellschaftliche Leerstelle moderner
Gesellschaften
Fürsorgearbeit



Versorgung, Betreuung und Pflege von Kindern, Kranken und
alten Menschen: Pflege und Sorge für das Leben
Wer vollzieht Sorgearbeit - unter welchen
Bedingungen?
Fürsorgearbeit: Sonderform von „Arbeit“





Vielfach privat
Überwiegend in weiblicher Verantwortung
Mit Körperbezug
Geringe soziale Anerkennung
Nicht oder schlecht bezahlt
(Private) Fürsorge

Geschlechterproblem


Bedarf



Gratisleistung von bestimmten Menschen (zu 90% von Frauen)
an Kindern, kranken, behinderten oder alten Menschen
Gesellschaftlicher Versorgungsbedarf
Versorgtsein als Voraussetzung und Wert
Bewertung und soziale Anerkennung


Ausbeutung (Ignoranz)
heroischer Liebesdienst (Idealisierung)
Androzentrismus
moderner Gesellschaften

Individualisierungsparadigma der Moderne






Ursprünglich: Programm für Männer
Dominantes Menschenbild: niemand braucht
Versorgung, niemand muss andere versorgen
Fürsorgefreie Gesellschaft?
Gesellschaft ohne Kinder, Alter, Krankheit?
Korreliert mit einer bestimmten Geschlechterordnung
Moderne Geschlechterordnung

Arbeits- und Aufgabenteilung entlang der Geschlechtergrenze
Geschlecht als soziales
Ordnungsprinzip

Außenseite: Geschlechterordnung





Arbeit – Familie
Einkommen – Auskommen
Ökonom. Sicherheit – emotionale Grundlage
Außerhäusliche Erwerbsarbeit - Fürsorgearbeit
Innenseite: Geschlechterrolle


Beziehungen versus Sachbezug
Dasein für andere versus Effizienz
Geschlechterordnung

Ernährer – Hausfrauen – Konstellation


Teilung der Welten, Verantwortlichkeiten und
Fähigkeiten



Entweder–oder–Logik
Männerdominierte Berufswelt – Frauendominierte Familienwelt
Rückseite: Habliertes Leben (Beck-Gernsheim)
Asymmetrie beider Welten


Wer bestimmt die Logik? (Zeit, Rhythmus, Abläufe, Rücksichten)
„Strukturelle Rücksichtslosigkeit“ (Franz-Xaver Kaufmann)
Modernisierte Version

Krise des Ernährer-Hausfrauen-Modells

Modernisierung der (Haus-)Frauenseite




Männlicher Lebenslauf: Arbeit und Familie addieren sich
positiv auf



Teilzeiterwerbsarbeit für Frauen/Mütter
Modernisierung: 1+1 ½
Doppelschicht und Dauerlauf
erwerbsarbeitsvermittelt
familiengetragen
Weiblicher Lebenslauf: Brechungen-Prekarisierungen


Fürsorgeverantwortung bricht Erwerbsarbeit
Erwerbsarbeit „stört“ Fürsorge
Was ist das Problem?
„Was für die einen – die Männer – ein privates
Unterstützungssystem zur Teilhabe am gesellschaftlichen
Leben ist, ist für die anderen – die Frauen – ein privates
Aufgabenfeld, das der Teilhabe am gesellschaftlichen
Leben erhebliche Grenzen und Barrieren setzt.“
(Rosemarie von Schweitzer)



Krise der Familie = Krise der Verteilung von und Mangel
an Anerkennung für Fürsorgearbeit
Verschärfung durch Veränderung der Frauenseite der
modernen Gesellschaftsordnung
Fürsorgearbeitslücke moderner Gesellschaften
Männerseite

Größere Verhaltenskontinuität






Erwerbstätigkeit der Frau: steigert das zeitliche Engagement in
der Familie um ca. 1h/Woche (auf 10 Stunden)
Widerspricht der Meinung, dass man sich bei voller
Erwerbstätigkeit der Frau die Arbeit selbstverständlich teilen
werde
Studierende
Vaterschaft: kein Hindernis für Erwerbsarbeit
Was Väter mit ihren Kindern tun
Ulrich Beck:


verbale Aufgeschlossenheit bei weitgehender Verhaltensstarre
„Freuden und Pflichten der Vaterschaft können dosiert als
Freizeitvergnügen genossen werden“
Globalisierung und Weitergabe
nach „unten“

Globalisierung verstärkt Zwänge für Caring



Arbeitsmarkt: Effizienz und Verfügbarkeit
Sozialstaatsdiskussion: Abbau staatlicher Dienste
Globalisierung der Versorgung durch internationale
Fürsorgeketten und Fürsorgetransfers




Fürsorgearbeitslücken in der ersten Welt – Import aus
Osteuropa, Asien, LA (Motor für Migration)
Beruflicher Aufstieg von Frauen in der nördlichen Hemisphäre
Migrationsstrom von Ost nach West und von Süd nach Nord
Folge: Polarisierung zwischen Erwerbsarbeitsbranchen, auch
innerhalb der Geschlechter (Bildung, Bezahlung, Sicherheit)

Weitergabe nach „unten“: Ausdruck sozialer
Geringschätzung


Markt wie Systeme sozialer Sicherheit: bestrafen die,
die Fürsorge leisten
Caring


Gerechtigkeitsproblem (Verteilungsschieflage)
Anerkennungsproblem
Ungerechtigkeiten

Partizipation und Inklusion: Einschränkung
gesellschaftlicher Zugehörigkeit


Abhängigkeit: einseitig


in der Regel erwerbsarbeitsvermittelt
strukturelle Abhängigkeit von Fürsorgenden (ökonomisch, sozial)
Freiheitsverwirklichung: Maßstäbe für
Lebensgestaltung sind geschlechtlich kodiert

Männer: Individualisierung

Frauen: Familiarisierung
… Ungerechtigkeiten (2)

Strukturelle Diskriminierung… von Frauen/Personen, die
private Fürsorge tragen wegen






Modernisierung für Frauen: zwiespältig



Sozialisierung des Kindernutzens
Individualisierung der Kinderlasten
Akut: Einkommensausfall
Langfristig: Lebenserwerbseinkommen geringer und
Aufstiegsmöglichkeiten minimiert
Sozialversicherung: Pensionsabhängigkeit
Potenzierung der Anforderungen für Frauen durch Kontinuität der
Hauptverantwortung für Fürsorge
Entscheidungsdruck für Frauen steigt
Fazit: Verschärfung der Ungerechtigkeiten durch
modernisierte Version der Geschlechterordnung
Beispiel: Zeitbudget

Jan Künzler:
„Alle Studien kommen zu dem Ergebnis, dass Hausarbeit
in den Kernbereichen nach wie vor überwiegend von den
Frauen verrichtet wird. Das gilt auch für neuere
Untersuchungen, und es gilt auch für die Familien, in
denen die Frau erwerbstätig ist – und selbst dann, wenn
sie vollzeiterwerbstätig ist, selbst in Dual-Career-Familien
und selbst in Stichproben von Familien mit einer
Arbeitsteilung, die nach Einschätzung der Familien selbst
egalitär ist.“
… Zeit (2)



Zeitstudien: Verteilung von bezahlter und
unbezahlter Arbeit 30:70
Gesamtbelastung der Frauen steigt, wenn sie
erwerbstätig ist. Gesamtbelastung der Männer
mit erwerbstätiger Ehefrau sinkt eher.
Bei Vollzeiterwerbstätigkeit der Frau steigt
Hausarbeitszeit der Männer nicht merklich.
Resümee: Leerstelle
„Fürsorgearbeit“



Geringe soziale und gesellschaftliche Anerkennung von
Fürsorgenden
Strukturelles Defizit bei der Verteilung
Protest (implizit): Geburtenrückgang



als Ausdruck der gesellschaftlichen Ausbeutung von Menschen
mit Fürsorgepflichten
Bauplan der Moderne ist einseitig: es wird eine
Gesellschaft ohne Fürsorgebedarf vorgestellt
Abfederung: Weitergabe an Gruppen mit geringem
sozialen Status
Privat-strukturelle Zusammenhänge
Privatheit als Ort struktureller Widersprüche
„Wer verzichtet auf ökonomische Selbständigkeit und Sicherheit,
also auf das, was in unserer Gesellschaft die selbstverständliche
Voraussetzung der Lebensführung ist. Denn wer mitzieht [gemeint
ist der Partner, der sich nach den Anforderungen des anderen
richtet], muss (meist) erhebliche berufliche Nachteile in Kauf
nehmen, wenn sie nicht überhaupt aus ihrer beruflichen Bahn
hinausgeworfen wird. Entsprechend steigt der Konfliktpegel. Ehe,
Familie, Partnerschaft werden zum Ort, wo die ins persönliche
gewendeten Widersprüche einer durchmodernisierten
Marktgesellschaft auch nicht mehr kompensiert werden können.“
(Ulrich Beck)
Fürsorgearbeitslücke



kein persönliches sondern ein gesellschaftliches
Problem, das sich v.a. als Widerspruch auf der
persönlichen Ebene zeigt
Gesellschaftlicher und politischer
Handlungsbedarf
Anspruch der Geschlechtergerechtigkeit
verändert Arbeit und Familie, gesellschaftliche
Ordnung insgesamt
… Fürsorgearbeitslücke (2)

Moderne Gesellschaften haben ein
Ordnungsproblem

Früher:


Entweder Arbeit oder Kinder (Alternative für
Frauen)
Heute Anspruch:

Erwerbsarbeit und Kinder (Vereinbarkeit)
Ethik
Ethische Hintergründe und
Neuansätze
1. Fürsorge in der (klass.) Ethik
1.
Vor-moderne Ethik
Verpflichtungsgrad positiver Tugenden hoch
2.




Moderne Ethik: Gerechtigkeitsethik
Gerechtigkeit versus gutes Leben
Gerechtigkeitsethisch substituiert: Solidarität
Individualethisch privatisiert: freigestellt, surplus,
supererogatorisch
Ethosethisch feminisiert/familiarisiert: weibliches
Ethos, weiblicher Sozialcharakter und Helfen
2. Ethik der Fürsorge
„Geschätzt werden Frauen oft wegen ihres fürsorglichen und mitfühlenden
Wesens. Manche Feministinnen, die zutiefst um die Würde und
Handlungsfähigkeit der Frauen besorgt sind, haben den Wert der Rolle
der Frau als Fürsorgerin in Frage gestellt und gemeint, diese Rolle sei ein
durch die Unterordnung der Frau erzeugtes Kunstprodukt. Andere
Feministinnen haben demgegenüber geltend gemacht, die weibliche
Fähigkeit zu Liebe und Fürsorge für andere mache den Kern der Moralität
aus, und alle sollten dem nacheifern. Während es sicher verfehlt ist, die
Verfassung der Frauen in ungerechten Verhältnissen zu betrachten und
daraus unmittelbar zu folgern, so sollte und müssten sie sich verhalten,
gehören die Gefühle der Fürsorglichkeit und der Sympathie, wenn man sie
gebührend unter die Lupe genommen hat, wirklich zum innersten Wesen
des ethischen Lebens. Keine Gesellschaft kann es sich leisten, diese
Gefühle nicht zu kultivieren.“ (M. Nussbaum)
Feministische Ethik und
Fürsorge

Entdeckungszusammenhang


Moralpsychologie, weibliches Ethos (Gilligan)
Moralphilosophische Diskussion


Phase der Zurückweisung
Produktive Auseinandersetzung mit FS.
Potenzial für die Ethik. Korrektur klassischer
Ethikansätze
Die Entdeckung der Fürsorge
Carol Gilligan: Die andere Stimme




Moralpsychologie, Kohlberg`sches Stufenmodell
Geschlechtsspezifische Unterschiede im moralischen Urteilen
zwischen Männer und Frauen
Androzentrismus der Moralpsychologie
Heinz-Dilemma
Gerechtigkeit versus Fürsorge





Rationales Vernunfturteil – Einbeziehung von Gefühlen
(Empathie, Wohlwollen, Mitleid)
Autonomes Subjekt – Subjekt in Beziehung
Abstrakte, allgemeine Urteile – Konkrete Situation
Umstritten: Geschlechtsspezifische Gebundenheit
Weiblicher Lebenszusammenhang: Entdeckung einer wichtigen
Moralkategorie

„Das Moralurteil der Frauen entwickelt sich von der
anfänglichen Sorge um die Selbsterhaltung zu dem
Wunsch, Gutes zu tun, und schließlich zu einem
reflektierten
Verständnis
von
Zuwendung
und
gegenseitiger
Rücksichtnahme
(care)
als
dem
tragfähigsten Grundprinzip für die Lösung menschlicher
Beziehungsprobleme.“ (Gilligan)
Ethik des Sorgens:
Nel Noddings

Sorgebeziehung als ethische Grundbeziehung






„Meine erste und nie endende Verpflichtung ist es, dem anderen als
Sorgender-Teil zu begegnen.“ Universalismus der Fürsorge
„Die Realität des anderen wahrzunehmen, zu fühlen, was er fühlt, und
zwar so ähnlich wie möglich, das ist der wesentliche Teil des Sorgens.“
„Das Sorgen für sich selbst kann nur aus einem Sorgen für andere
hervorgehen.“
Andere wachsen sehen, Wohlergehen anderer in den Mittelpunkt stellen
Echtheit der Sorgebeziehung (aus Zuneigung) als moralisches Kriterium
(Zurückweisung von Abwägungsprozessen, Regeln)
Kritik: Grenzen der Sorge?




Kriterien für Angemessenheit der Sorge fehlen
es gibt keine moralischen Gründe für die Grenzziehung in
Sorgebeziehungen (Abbruch)
Gefahr: Weibliche Selbstaufopferung?
Gegensatz zwischen Gerechtigkeit und Fürsorge
Fürsorge verpflichtet alle:
Herta Nagl-Docekal
Fürsorge:

positive allgemeine Pflicht nicht nur der Frauen, gegen
Feminisierung, allgemeiner Verpflichtungscharakter


gegenseitige allgemeine Hilfe (Auskunft geben, wenn jemand
nach dem Weg fragt …)



Begründung: positive Pflichten bei Kant
Spontane wechselseitige Hilfeleistungen im Alltag
Richtet sich an selbständige Menschen, FS = wechselseitig
Ernstfall: Radikale Abhängigkeit nichtautonomievollzugsfähiger
Menschen?



Potentielle Konfliktträchtigkeit entspannt
Vereinbarkeit von Autonomie und FS unterstellt
Verallgemeinerung der Verpflichtung. Preis: Verharmlosung
Fürsorge ergänzt Gerechtigkeit:
Axel Honneth

FS (Hilfsbereitschaft, Nächstenliebe,
Wohltätigkeit)



Leerstelle in der modernen Ethik der Gleichbehandlung
Asymmetrische Verpflichtung, reagiert auf Besonderheit jedes
Menschen, nicht reziproke Zuwendung, kann Autonomie
einschränken
FS und Gerechtigkeit: schließen einander
aus.
Honneth-Zitat
„… eine Verpflichtung zur Fürsorge und Wohltätigkeit kann
überhaupt nur dort bestehen, wo sich eine Person in einem Zustand
so extremer Bedürftigkeit oder Not befindet, dass der moralische
Grundsatz der Gleichbehandlung auf sie nicht mehr … anzuwenden
ist: so verdienen menschlichen Wesen, die zur Teilnahme an
praktischen Diskursen physisch oder psychisch nicht in der Lage
sind, zumindest die aufopfernde Fürsorge derjenigen, die ihnen
durch emotionale Bindung nahestehen. Aber umgekehrt wird in dem
Augenblick, in dem die andere Person als ein gleichberechtigtes
Wesen unter allen anderen dadurch anerkannt wird, dass sie in
praktische Diskurse einbezogen ist, die einseitige Beziehung der
Fürsorge ein Ende nehmen müssen; gegenüber Subjekten, die ihre
Überzeugung und Sichtweisen öffentlich zu artikulieren vermögen,
verbietet sich eine Einstellung der Wohltätigkeit.“


Wechselseitiger Ausschluss von Autonomie und
Fürsorgebedarf
Scharfe Grenze: Diskursfähigkeit



Ist jemand sprach- und selbstbestimmungsfähig, dann verbietet
sich die fürsorgliche Handlung
Praktisch nicht handhabbar
Zumutbarkeit eingeschränkt


Fürsorgepflicht ist eingeschränkt auf Menschen, die emotional,
affektiv dem Bedürftigen nahe stehen
Ist dies auch gerecht? Maßstab der Gerechtigkeit zählt in diesem
Bereich nicht
Abhängigkeit und Fürsorge:
Eva Feder Kittay


Ethische und politische Perspektive
Abhängigkeit und Fürsorgehandeln als Reaktion auf das
Faktum menschlicher Abhängigkeit (dependency):



dependency-worker:




Radikal: Existenzielle Abhängigkeit bestimmter Personen
Liberal: allgemeine Abhängigkeit aller von anderen
Sorge um die eigenen Bedürfnisse und um die anderer
Situation sekundärer Abhängigkeit
Verletzbarkeit von Abhängigen und dep-workern
Ethik/Politik: muss Abhängigkeit (Verletzbarkeit) als
Faktum berücksichtigen



Folgen für Gleichheits- und Autonomieverständnis
Bedeutung asymmetrischer Beziehungen
Verletzbarkeit als Begründung für moralische Verpflichtung

Fürsorgeverständnis



Ineinander von Autonomie und Heteronomie
Erfüllende und einengende Anteile, keine Idealisierung
Soziale Konsequenz





Vorstellung von Sozialität: Subjekte des Vertrags (sozialer Bezug
nachträglich) versus Sozialität auf der Basis der Anerkennung
von Abhängigkeit und Bindung
Dreierkonstellation: Versorgte – Versorgende – Versorgung der
Versorgenden. Kreislauf der helfenden Unterstützung
Soziale Gemeinschaft: Wohlergehen der Caregiver
Ansatzpunkt für die Begründung von politischen Maßnahmen für
die Abhängigen, für die Fürsorgenden
Entprivatisierung der Fürsorgethematik
Politische
Zukunftsperspektiven
Drei Wege
UNDP-Bericht 1999: Das unsichtbare Herz –
Fürsorge in einer globalisierten Wirtschaft
„Studien über Globalisierung und ihre Auswirkungen auf die
Menschen konzentrieren sich vor allem auf Einkommen,
Beschäftigung, Bildung und andere Lebenschancen. Weniger
sichtbar und oft unbeachtet bleiben die Auswirkungen auf den
Bereich der Fürsorge: die Aufgabe, für Angehörige, Kinder, kranke
und alte Menschen, aber auch – was nicht vergessen werden sollte
– für alle diejenigen von uns zu sorgen, die von den Anforderungen
des täglichen Lebens erschöpft sind. Um sich entwickeln zu können,
brauchen Menschen nicht nur steigendes Einkommen, Bildung,
Gesundheit, Mitspracherecht und eine gesunde Umwelt, sondern
auch Fürsorge, deren Wesenskern Aufbau und Pflege menschlicher
Beziehungen ist. Fürsorge, die gelegentlich als soziale Reproduktion
bezeichnet wird, ist auch ein wesentlicher Faktor für ökonomische
Nachhaltigkeit.“
Voraussetzungen

unhintergehbare Abhängigkeit und Verletzbarkeit
thematisieren



ethisch
politisch
Care/Fürsorge als gesellschaftliches
Handlungsfeld begreifen


Entprivatisierung: Fürsorge als Gegenstandsbereich von
Gerechtigkeit begreifen
Fürsorgearbeit unter Gerechtigkeitsanspruch stellen:
Gerechte Versorgung
Entwicklungsperspektiven
Geteilte Erwerbsarbeit und Fürsorgearbeit für alle







Maßstab Frauenleben heute
Anspruch: beides integrieren
 Doppelverdiener-Doppelcarer
Veränderung von Erwerbsarbeit und von Fürsorgearbeit
Wechselseitige Verstärkung von Umverteilung und Anerkennung
Hürde: Wie diese Logik in Gang bringen??
Politischer Wille und strukturelle Unterstützung
Maßnahmenpaket
Maßstab: Frauenleben

Nancy Fraser:




Die gegenwärtigen Lebensmuster von Frauen zum
Standard für alle machen.
Männer dazu bringen, in einem stärkeren Maße so zu
werden, wie die Frauen heute sind
Frauen integrieren beides (Arbeit und
Betreuung/Familie); unter Stress
Strukturelle Unterstützung, damit es mit weniger
Stress und Schwierigkeiten geht
Ziel: Sowohl als auch

Familien- und Arbeitsleben zusammenschauen




Nicht entweder-oder sondern Sowohl-als auch
Arbeit und Familie: Zueinander statt Konkurrenz
Umdenken bei Männern, bei Institutionen und
bei Frauen
Kein Frauenproblem!

Männer und Frauen im gebärfähigen Alter sind für
Arbeitgeber ein „Risiko“
Familienpolitik

Leitbild



Vom Ernährer-Hausfrauen-Modell zum Doppelverdiener–
Doppelernährer-Modell.
Vereinbarkeit und nicht den Ausstieg unterstützen
Maßnahmen



Zeitrechte (Beispiel Schweden)
Finanzielle Unterstützung Fürsorgender (nicht Erwerbstätiger, die
Fürsorge delegieren, vgl. Steuerabsetzbeträge)
Fürsorgearbeit und Rente:





Rentenrelevanz, rentenbegründend
Eigener Pfeiler
Umwandlung in Erwerbsarbeitszeiten = Kompensationslogik
Väterförderung: Fürsorgearbeit für Väter aufwerten
Gute, bedürfnisgerechte außerhäusliche Betreuung


Stichwort Öffnungszeiten
Betreuung der 1-3 jährigen (in Schweden: 74%)
Arbeitspolitik

Leitbild



Vom privat gestützten Arbeitnehmer zum/zur ArbeitnehmerIn
mit Fürsorgeverpflichtungen
Gretchenfrage: Fürsorge = Behinderung oder Qualifikation
Maßnahmen




Zeitflexibilität
Teilzeitvarianten für alle (nicht nur für Frauen)
Abbau der Schlechterstellung von TZ
Außerhäusliche Betreuung als betriebliche und als öffentliche
Aufgabe
Demographie und Erwerbsarbeit

Früher: neg. Zusammenhang zwischen weiblicher
Erwerbsarbeit und Fertilität


Italien, Spanien
Heute: positiver Zusammenhang von weiblicher
Erwerbsarbeit und Fertilität


Skandinavien, Frankreich
Voraussetzung: Fürsorgeunterstützung durch öffentliche Hand
Fürsorge für alle integrieren
„Fürsorge muss in unser langes Leben neu eingebaut werden. (…)
Wer seine volle Rente beziehen will, sollte künftig nicht nur 40 Jahre
Erwerbsarbeit aufweisen, sondern auch fünf Jahre sozialer
Dienstleistungen. Das kann die Zeit der Kinderbetreuung sein. Aber
nicht nur (…). Entscheidend ist, die Sondersituation der Frauen
abzuschaffen, die heute allein durch die Kinderbetreuung
benachteiligt sind. (…) Solange wir Fürsorge als weiblich und
freiwillig definieren, stecken wir in der Falle. Männer müssen die
gleichen Leistungen erbringen wie Frauen. Also müssen wir nun die
Männer zwingen, fürsorglich zu sein. Solange wir die Männerrolle
nicht umdefinieren, werden wir das Dilemma nicht lösen.“ (Hans
Bertram)
Politik International: drei
Traditionen

Kontinentaleuropäische korporatistische



Angloamerikanische liberale



Erwerbsarbeit
Fürsorge: Familie
Freiheit
Fürsorge: Individuelle Verantwortung
Sozialdemokratische (Skandinavien)



Individuelle soziale Sicherung
Dichte sozialstaatliche Unterstützung
Fürsorge: Mischform privat und öffentlich
Erster Weg: Umverteilung
Universale Erwerbsarbeit – Öffentliche Fürsorge




Emanzipation von der „weiblichen“ Seite des Lebens:
Ursprünglich männliche Seite (Ernährer) wird generalisiert
Fürsorgearbeit: kein positiv konnotierter Lebensbereich,
Auslagern auf den Staat/Markt
Anerkennung als Erwerbsarbeit
Kritik:




Vollzeiterwerbsarbeit für alle – eine realistische Option?
Männerleben als Maßstab (androzentr.)
Vermutlich keine Umverteilung von Fürsorge zwischen den
Geschlechtern
 Weibliche Codierung der Fürsorge wird nicht abgebaut
Weitergabe von Fürsorge nach unten
 schlechtere Bezahlung dieses Erwerbsarbeitssektors
Zweiter Weg: Anerkennung
„Lohn für Fürsorgearbeit“




Springender Punkt




Gleichstellung der Fürsorgearbeit mit Erwerbsarbeit
Aufwertung durch Bezahlung privater Fürsorgearbeit
Affirmative Anerkennung der Differenz
Höhe der Bezahlung
Abbau öffentlicher Verantwortung für Betreuung
Ausstieg aus der Erwerbsarbeit als Bedingung?
Probleme



Etablierung von zwei verschiedenen, nicht gleichwertigen
Wegen (Institutionalisierung der weiblichen Differenz)
Vereinbarkeit nicht gelöst
Transformativer Umverteilungseffekt (zwischen den
Geschlechtern gering
Literaturhinweise






Christa Schnabl, Gerecht sorgen. Grundlagen einer sozialethischen
Theorie der Fürsorge, Freiburg 2005
Christa Schnabl, Fürsorgearbeit in modernen Gesellschaften. Eine
sozialethische Reflexion, in: Die Zwei-Verdiener-Familie. Von der
Familienförderung zur Kinderförderung? Hrsg. v. Bernhard Emunds
u.a., Münster 2003, 52-86.
Conradi Elisabeth, Take care. Grundlagen einer Ethik der
Achtsamkeit, Frankfurt 2001.
Kittay Eva Feder, Love´s Labor. Essays on Women, Equality and
Dependency, New York 1999.
Dies., Behinderung, gleiche Würde und Fürsorge, in: Concilium 39
(2/2003), 226-237.
Appelt Erna, Familiarismus. Eine verdeckte Struktur im
Gesellschaftsvertrag, in: Da geheime Glossar der Politikwissenschaft,
hrsg. v. Eva Kreisky, Birgit Sauer, Frankfurt 1997, 114-136.
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