Vorlesung Epidemiologie 30.11.2010 Drogen zwischen Wirkung und Nebenwirkung Claudia Schüngel¹ ¹LWL-Klinik Münster, Fachklinik für Psychiatrie und Psychotherapie, Suchtambulanz Definition Drogen Pflanzen-teile, -produkte Biologisch aktive Substanzen Rausch- und Suchtgifte 2 Überblick Daten und Fakten Drogen Wirkungen & NW Komorbidität Prävention? 3 Epidemiologie Rauschgiftdelikte für einzelne Drogen • Amphetamine/Metamphetamine + Ecstasy 8%+ Cannabis (10-122%)+ Biogene Drogen (Khat) + Rauschgifttote 2008 - 4% • • • • 4 Epidemiologie • Schizophrenie Affektive Psychosen Persönlichkeitsstörungen Substanzmittelabhängigkeit ADHS • Hohe Komorbidität • • • • 5 6 7 8 9 Klassifikation 10 ICD 10 F10. F10.0 F10.1 F10.2 F10.3 F10.4 F10.5 F10.6 psychische und Verhaltensstörung durch Alkohol akute Intoxikation (Rausch) Missbrauch Abhängigkeit Entzug Entzugssyndrom mit Delir Psychotische Strg. Amnestisches Syndrom 11 ICD 10 F10.1 Schädlicher Gebrauch Konsum, der zur Gesundheitsschädigung führt - z.b. Hepatitis, depressive Episode… 12 13 Sucht Kriterien nach ICD 10 Unbezwingbares Verlangen nach der Substanz Toleranzentwicklung Verminderte Kontrollfähigkeit Dosissteigerung Entzugssymptome Konsum hat Vorrang Fortgesetzter Konsum trotz schädlicher Folgen 14 Gefährlichste Droge ? Alkohol Opioide Nikotin Cannabis Benzodiazepine Halluzinogene Amphetamine ??? Kokain….. ??? 15 Betäubungsmittelgesetz Abschließende Auflistung aller Betäubungsmittel im Sinne des Gesetzes in den Anlagen I-III Legaler Handel und Herstellung Verschreibung von Betäubungsmitteln Straftaten und Ordnungswidrigkeiten§§29-34 Alternative Maßnahmen für betäubungsmittelabhängige Straftäter §§34-38 Gesetz über das Aufspüren von Gewinnen aus schweren Straftaten (Geldwäschegesetz) Mindeststandards für Drogenkonsumräume 2000 Therapie statt Strafe 1981 §§35-38 Substitution 1992 16 Betäubungsmittelgesetz § 31 Strafmilderung oder Absehen von Strafe § 31a Absehen von der Verfolgung § 32 Ordnungswidrigkeiten § 33 Erweiterter Verfall und Einziehung § 34 Führungsaufsicht § 35 Zurückstellung der Strafverfolgung § 36 Anrechnung und Strafaussetzung zur Bewährung § 37 Absehen von der Erhebung der öffentlichen Klage § 38 Jugendliche und Heranwachsende § 39 Übergangsregelung 17 Cannabis Hanfgewächs, psychoaktive Substanz Tetrahydrocannabinol In Indien als Rauschmittel bei kultischen Ritualen Wirkung an CB 1 und CB 2 Rezeptoren 1,2 % entwickeln psychotische Symptome Symptomatik dauert meist länger als 48 Stunden Tritt während oder innerhalb von 2 Wochen nach Cannabiskonsum auf Kann zu psychischer und physischer Abhängigkeit führen 18 Alkohol • Farblose, leicht entzündliche Flüssigkeit mit brennendem Geschmack • sowie charakteristischen würzigen Geruch • Genuss- und Rauschmittel- in den meisten Ländern erlaubt • in Deutschland sind 2 Millionen Menschen alkoholkrank • 10 Millionen von Abhängigkeit bedroht. • führt zur körperlichen und psychischen Abhängigkeit • Kann zu Alkoholhalluzinosen und Psychosen führen • Hohe Komorbidität zu affektiven (bipolaren) und schizophrenen Psychosen 19 Opiate Sind natürliche Substanzen, die aus dem Saft der Schlafmohnkapsel gewonnen werden - papaver somniferum 20 Opioide Oberbegriff für Substanzen mit morphinanaloger Wirkung 21 Opioide sehr hohes Abhängigkeitspotential Starke analgetische Wirkung Diamorphin 1897 synthetisiert Antitussivum + Analgetikum In Deutschland bis 1958 erhältlich 1971 verboten 2009 verkehrsfähige Droge nach BtMG 22 Halluzinogene Tryptamine LSD Psilocypin Dimethyltryptamin Phenyletylamine Anästhetika Ecstasy Meskalin Ketamin Phencyclidin bindet selektiv an NMDA „Glutamatblocker“ Binden selektiv an spezifischen Serotoninrezeptoren 2A wirkt über dopaminerge Freisetzung am Serotoninsystem 23 LSD Lysergsäurediethylamid 16.11.1938 Endeckung durch Albert Hofmann Starkes optisches HalluzinogenNW Übelkeit, Puls-RR Anstieg, Körpertemperaturanstieg Schwindel und Unruhe Therapeutisch: Modellpsychosein der analytischen Therapie zur Förderung seelischer Entspannung durch Freisetzung verdrängten Materials Behandlung der Alkoholkrankheit Krebs im Endstadium -in den 70iger Jahren als nicht verkehrsfähiger Stoff eingestuft LSD cured my headache ...368 x 367 · 35 kB Zur Seite:http://current.com/items/89400479_lsd_cured_my_headache 24 Psilocybine Älteste Drogen- bereits vor der Entdeckung des Alkohols verwendet Altgermanisches Bier enthielt neben 2 % Alkohol Bilsenkraut und Zauberpilze Antidepressive Wirkung Antiaggressive Wirkung Soll gegen Zwangssymptome helfen Halluzinogene Wirkung 25 DMT Dimethyltryptamin Halluzinogenes Tryptamin-Alkaloid in Pflanzen und Hautdrüsensekreten der Aga-Kröte Stärkste bekannte Entheogen Vollagonist am 5 HT-2a Rezeptor Keine Toleranzentwicklung Wirksam nur bei MAO—Hemmung Z.B. durch Steppenraute (Harmelin ) Therapeutisch bei Sucht eingesetzt Bewußtseinserweiternd In religiösen Ritualen eingesetzt 26 27 Amphetaminderivate Stimmulantien Amphetamine Methamphetamine Entactogene MDMA (Ecstasy) MDA MDE Halluzinogene DOB 4-MTA 28 Ecstasy -MDMA- 3,4 Methylendioxy-N-methylamphetamin 1912 von Firma Merck synthetsiert 1960 durch Alexander Shulgin durch empathogene +entaktogene Wirkung in der Psychotherapie 1985 durch DEA verboten Seit 2001 zugelassen für Behandlung PTSB Bis Mitte der 80iger Jahre verkehrsfähige Droge Serotonin, Noradrenalin +Dopamin Wirkung: Euphorie, Kontaktaufnahme erleichtert Tachykardie, Hypertonie, Mydriasis, Tachypnoe Mundtrockenheit, Hyperthermie Therapeutisch bei Parkinson wirksam 29 Amphetamine alphaMethylphenethylaminrin MDMA Ephedrin Indirektes Sympathomimetikum Weckamin Therapeutisch zur Behandlung ADHS und Narkolepsie 30 Amphetamine Vor 1900 bis 1950 18. Januar 1887: Lazăr Edeleanu im Zuge seiner Doktorarbeit als erster das Amphetamin. 1910 entdecken die englischen Physiologen Barger und Dale die chemische Ähnlichkeit des Amphetamins mit dem Adrenalin. 1927 prägt Gordon Alles den Begriff „Amphetamin“. in den späten 1920er-Jahren wird erstmals die Psychoaktivität des Stoffes erkannt, es soll als billiger synthetischer Ersatz das natürlich synthetisiert vorkommende Ephedrin (aus Meerträubel/Ephedra) ablösen; 1932 bringen Smith, Kline & French in den Vereinigten Staaten Amphetamin in Form des Sulfatsalzes als Benzedrine®-Inhalator als Asthmamittel auf den Markt, auch in Deutschland wird das Mittel verkauft, dort als Benzedrin®. 1937 entdecken Studenten der Universität Minnesota, dass Amphetamin Müdigkeit effektiv vertreibt, und benutzen es zum Durchlernen von Nächten. in den 1930er-Jahren erlangt Amphetamin weitere Verbreitung als Heuschnupfenmittel, gegen Erkältungen und später für alle möglichen Indikationen, wie Depressionen, Parkinson, Narkolepsie, Impotenz und andere. im Zweiten Weltkrieg wird es in Deutschland, den Vereinigten Staaten, Großbritannien und Japan in bedeutendem Umfang in der Armee eingesetzt, um die Soldaten wach, motiviert und aggressiv zu halten. 1941 wird es in Deutschland aufgrund sich häufenden Missbrauchs und Suchtfällen dem Reichsopiumgesetz unterstellt, wodurch der Verkehr mit dem Stoff reglementiert wird. 31 Amphetamine 1950 bis heute in den 1950er-Jahren erreicht der Amphetaminge- und -missbrauch in Japan enorme Ausmaße, es wird von über zwei Millionen Konsumenten ausgegangen, in Europa (dort vor allem in Schweden) und den USA steigt die Zahl von Missbrauchsfällen rapide an. 1959 gibt es erste Berichte über Konsumenten in den USA, die den Inhalt der Benzedrine®Inhalatoren injizieren, im Zuge dessen werden zur Injektion missbrauchbare Inhalatoren vom Markt genommen und es werden erste Fälle von illegal produziertem Amphetamin bekannt. 1970: Amphetamin wird in den Vereinigten Staaten in Schedule II des Controlled Substances Act aufgenommen, somit wird Handel, Besitz und Herstellung ohne Genehmigung strafbar; durch einen Arzt verschreibungsfähig ist es weiterhin. bis in die späten 1970er Jahre ist Amphetamin in Form von Benzedrin® in Deutschland relativ leicht über den Arzt erhältlich. im 1981 neugefassten BtMG ist Amphetamin in Anlage III aufgeführt, was Handel, Besitz und Herstellung ohne Genehmigung unter Strafe stellt, vom Arzt kann es allerdings verschrieben werden. Heute ist das (kaum psychoaktive) Levoisomer in Anlage II als nicht verschreibungsfähig aufgeführt, das Racemat und das Dextroisomer weiterhin in Anlage III. 1994 bringt Shire Pharmaceuticals in den Vereinigten Staaten Adderall® (bis zu 30mg Amphetamin je Tablette) als Mittel gegen ADS auf den Markt. Einige Länder sind verblieben, in denen es noch medizinisch genutzt wird, vor allem in den Vereinigten Staaten. In der Drogenszene ist Amphetamin weltweit weiterhin stark verbreitet, wenn auch das Amphetaminderivat Methylamphetamin (Crystal, Meth) vor allem in den USA, Asien sowie Osteuropa oft die größere Bedeutung hat. 32 Kokain mit hohem Abhängigkeitspotential Ab 1879 verwendet zur Behandlung der Morphinabhängigkeit 1884 lokales Anästhetikum Coca Cola enthielt bis 1906 Extrakt aus Cocablättern 1l Cola enthielt 250 mg Kokain DA/NA/5HT-Reuptakehemmer Stimulans Tachyphylaxie Sympathikomimetikum In Peru und Kolumbien als Tee gg Höhenkrankheit Euphorie, Aktivitätssteigerung, Müdigkeit u. Hunger 33 34 35 36 37 38 Liquid ecstasy GHB-Gammahydroxybuttersäure Mit Gaba-rezeptor verwandt als Narkotikum verwendet Zum Alkoholentzug Zum Muskelaufbau Wirkt in Abhängigkeit von der Dosierung Als Entaktogen 0,5-1,5 g, Muskelrelaxans,Schlafmittel Dopaminerg Abhängigkeitspotential 39 Liquid ecstasy In Österreich zur Alkoholbehandlung Zur Parkinsonbehandlung Dopingmittel (Wachstumshormone) K.o.-Tropfen Seit 2002 unter BtmG 40 Nikotin -Mitte des 16.Jh. nach Europa gebracht -Nikotin Suchtstoff- Alkaloid -Stimulierend auf nikotinerge Acetylcholinrezeptoren. -Adrenalin; Dopamin, Serotonin werden ausgeschüttet -RR-Anstieg, Hauttemperatur sinkt -Appetitminderung -Kurzzeitig Auffmerksamkeit und Konzentrationssteigerung -Im Entzug Kopfschmerzen und Ängstlichkeit -In höheren Dosen toxisch- früher als Pestizid eingesetzt -Tödliche Dosis 1 mg/kg Körpergewicht -Giftiger als Arsen und Zyankai 41 42 Schizophrene Psychose Schwere psychische Störung mit zeitweiligem weitgehendem Verlust des Realitätsbezuges 1845 von Ernst von Feuchtersleben erstmals verwendet 1896 Emil Kraepelin – Dementia praecox 1911 Eugen Bleuler – Gruppe der Schizophrenien 43 44 Psychose Charakteristische Symptome: mindestens zwei der folgenden, jedes bestehend für einen erheblichen Teil einer Zeitspanne von 1 Monat (oder weniger, falls erfolgreich behandelt): (1) (2) (3) (4) (5) Wahn, Halluzinationen, Desorganisierte Sprechweise (z.B. häufiges Entgleisen oder Zerfahrenheit), Grob desorganisiertes oder katatones Verhalten, Negative Symptome, d.h. flacher Affekt, Alogie oder Willensschwäche 45 Schizophrene Psychosen Positive Symptomatik Negative Symptomatik Formale und inhaltliche Denkstörungen (Wahn) Wahrnehmungsstörungen (Halluzinationen) Affektstörungen Störungen des Selbstgefühls Psychomotorische Störungen Sozialer Rückzug Affektverflachung Antriebsarmut Interessenverlust Sprachliche Verarmung 46 Affektive Psychosen Unipolare Bipolare Hohe Komorbidität mit Suchterkrankungen Insbesondere mit bipolaren Affektpsychosen 47 Offene Fragen • • Welche Drogen sind gefährlich? Henne oder Ei ? Legal oder illegal? leistungssteigernd? Psychoseauslösend? Dosis-Wirkung? therapeutischer Nutzen? 48 Drogenprävention Drogenprävention bezeichnet zum einen Maßnahmen zur Verhinderung des Konsums, zum anderen Maßnahmen, die Gesundheitsschäden durch den Konsum legaler (oft Alkohol, Nikotin, Koffein und einige Medikamente) und illegaler Drogen vorbeugen 49 Drogenprävention www.mindzone.info Primärprävention-Aufklärung, SKT, Skills Sekundärprävention- Reha, Rückfallmanagement Tertiärprävention-Substitution, Selbsthilfe,Konsumräume 50 Number of clients entering treatment in Germany by year Clients in treatment 2003 2005 2007 Number of all clients entering treatment 38285 61243 48475 % of which for opioid use 55.0 51.4 50.3 % of which for cocaine use 7.0 6.7 7.9 % of which for cannabis use 26.0 29.1 29.9 % of which for stimulants use (o. T. cocaine) 6.0 5.8 7.0 Number of new clients entering treatment 10883 14033 19493 % of which for opioid use 28.0 21.4 28.5 % of which for cocaine use 8.0 7.2 8.1 % of which for cannabis use 51.0 58.0 49.8 % of which for stimulants use (o. t.cocaine) 1.0 9.4 10.4 www.emcdda.eu 51 Opioid substitution treatment provision in Germany Opioid substitution treatment Number of units providing substitution treatment 2003 2005 N. Av. N. Av. 2007 N. Av. Number of clients in opioid substitution treatment 52700 61000 68800 of which with methadone 45111 49410 55315 of which with buprenorphine N.Av. N.Av. 12797 52 53 54 55 Vorlesung 30.11.2010 Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit! Dr. C. Schüngel LWL-Klinik Münster, Suchtambulanz mail. c.schü[email protected]