Präsentation File

Werbung
Manfred Schneider
Was bleibt?
Die Moderne und die Reste
11. Vorlesung 09.01.2012
Literatur und die Reste
Antimimetische Kunst
Leibniz, der Erzfeind der Moderne
Konsubstanzialität in Kunst und
Literatur
Franz Kafka
Marcel Proust
Samuel Beckett
Georges Bataille: Ökonomie der
Verausgabung
Neapel September 2007
Dante: Inferno. Vergil und Dante besuchen die die Bestechlichen in der Pechflut
Illustration von Gustave Doré
Marcel Duchamp (1887-1968): Übergang einer Jungfrau zur Ehefrau (1912)
Polemik gegen eine „retinale Malerei“
Theodor W. Adorno (1903-1968)
Die moderne Kunst arbeitet mit „unmittelbarer Imagination“
Das Kunstwerk ist „fensterlos“
Gottfried Wilhelm Leibniz
(1646-1716)
„Also ist nichts unangebauetes /
nichts ödes / nichts unfruchtbares /
nichts todes in dem ganzen WeltGebäude; es ist darinnen kein wüster
Klumpen / keine Verwirrung als nur
dem äußerlichen Scheine nach. Es
hat hiermit bei nahe eben die
Bewandtnis / als wie uns ein Teich
vorkommen würde / wenn wir ihn
nach einer gewissen Distanz
betrachteten / nach welcher man eine
undeutliche und verwirrte Bewegung
und / so zu reden / ein unordentliches
Wimmeln derer Teich-Fische
erblicken würde / ohne daß man die
Fische selbst von einander zu
unterscheiden vermögend wäre.“
(Monadologie (Principes de la Nature
et de la Grâce fondés en Raison)
§ 71)
„Ich brauche zu meinem Schreiben
Abgeschiedenheit, nicht „wie ein Einsiedler“,
das wäre nicht genug, sondern wie ein Toter.
Schreiben in diesem Sinne ist ein tieferer
Schlaf, also Tod, und so wie man einen
Toten nicht aus seinem grabe ziehen wird
und kann, so auch mich nicht vom
Schreibtisch in der Nacht. Das hat nichts
Unmittelbares mit dem Verhältnis zu den
Menschen zu tun. Ich kann eben nur auf
diese systematische, zusammenhängende
und strenge Art schrieben und infolgedessen
auch nur so leben.“
Franz Kafka an Felice Bauer, am 26. VI.
1913
„Das Schreiben erhält mich, aber ist es nicht richtiger zu sagen, dass es diese Art
Leben erhält? Damit meine ich natürlich nicht, dass mein Leben besser ist, wenn
ich schreibe. Vielmehr ist es dann viel schlimmer und gänzlich unerträglich und
muss mit dem Irrsinn enden. Aber das freilich nur unter der Bedingung, dass ich,
wie es tatsächlich der Fall ist, auch wenn ich nicht schreibe, Schriftsteller bin und
ein nicht schreibender Schriftsteller ist allerdings ein den Irrsinn herausforderndes
Unding. Aber wie ist es mit dem Schriftsteller selbst? Das Schreiben ist ein süßer
Lohn, aber wofür? In der Nacht war es mir mit der Deutlichkeit kindlichen
Anschauungsunterrichtes klar, dass es der Lohn für Teufelsdienst ist. Dieses
Hinabgehen zu den dunklen Mächten, diese Entfesselung von Natur aus
gebundener Geister, fragwürdige Umarmungen und was alles noch unten vor sich
gehen mag, von dem man oben nichts mehr weiß, wenn man im Sonnenlicht
Geschichten schreibt. (…)
Was ich gespielt habe, wird wirklich geschehn. Ich habe mich durch das Schreiben
nicht losgekauft. Mein Leben lang bin ich gestorben und nun werde ich wirklich
sterben. Mein Leben war süßer als das der andern, mein Tod wird um so
schrecklicher sein. Der Schriftsteller in mir wird natürlich sofort sterben, denn eine
solche Figur hat keinen Boden, hat keinen Bestand, ist nicht einmal aus Staub (…).
Dies ist der Schriftsteller. Ich selbst aber kann nicht weiterleben, da ich ja nicht
gelebt habe, ich bin Lehm geblieben, den Funken habe ich nicht zum Feuer
gemacht, sondern nur zur Illumination meines Leichnams benützt.“
Franz Kafka an Max Brod am 5. Juli 1922)
Selbst wenn es nur unser tagtägliches Pfeifen wäre, so besteht hier
doch schon zunächst die Sonderbarkeit, dass jemand sich feierlich
hinstellt, um nichts anderes als das Übliche zu tun. Eine Nuss
aufzuknacken ist wahrhaftig keine Kunst, deshalb wird es auch
niemand wagen, ein Publikum zusammenzurufen und vor ihm, um
es zu unterhalten, Nüsse knacken. Tut er es dennoch und gelingt
seine Absicht, dann kann es sich eben doch nicht um bloßes
Nüsseknacken handeln. Oder es handelt sich um Nüsseknacken,
aber es stellt sich heraus, dass wir über diese Kunst hinweggesehen
haben, weil wir sie glatt beherrschen und dass uns dieser neue
Nussknacker erst ihr eigentliches Wesen zeigt, wobei es dann für
die Wirkung sogar nützlich sein könnte, wenn er etwas weniger
tüchtig im Nüsseknacken ist als die Mehrzahl von uns.“
Franz Kafka: Josefine, die Sängerin oder das Volk der Mäuse
Marcel Proust 1871-1922
„Andere als ich, und das freut mich
durchaus, finden ihren Genuss an der
ganzen Welt. Ich hingegen verfüge
weder über die Möglichkeit, mich zu
bewegen, zu sprechen, zu denken noch
über das einfachste Wohlsein, keine
Schmerzen zu verspüren. Auf diese
Weise gleichsam aus mir selbst
vertrieben, flüchte ich mich in die Bände
[meines Werkes], die ich betaste, da ich
sie auch nicht mehr lesen kann. In
dieser Hinsicht verhalte ich mich ganz
ebenso wie die Schlupfwespe, über die
Fabre seine bewunderungswürdigen
Seiten geschrieben hat (…), die sie
sicher kennen. Zusammengeschrumpft
wie sie und aller Dinge beraubt, bin ich
allein damit beschäftigt, meinen
Büchern durch das Medium des Geistes
jene Ausdehnung zu geben, die mir
längst genommen ist.“
(Proust an Gaston Gallimard, 1922)
„Schließlich, nach
etwa 15 Jahren, war er
nicht viel größer als ein
Igel, ein filzig-borstiges,
mit Moos bewachsenes
Naturding, dem kein
Wetter mehr etwas
anhatte, und an dem
die zurückgebildeten
Gliedmaßen, Ärmchen
und Beinchen, auch
Äuglein und
Mundöffnung schwer
zu erkennen waren.“
Der Erwählte, 1951
„
Samuel Beckett (1906-1989)
Samuel Beckett: Endspiel, Szene aus Becketts eigener Inszenierung
Im Staatsgefängnis San Quentin USA, 1964
Samuel Beckett: Molloy, franz. 1951, englisch 1955
Doch erst, seit ich nicht mehr lebe, denke ich an solche und andere Dinge. In der
Stille, in der meine langsame Auflösung sich vollzieht, schaue ich zurück auf die
lange, wilde Erregung, aus der mein Leben bestanden hat, und halte Gericht
darüber, so, wie geschrieben steht, daß Gott über uns Gericht halten wird, und mit
der gleichen Anmaßung. Sichauflösen, auch das ist Leben, ich weiß, ich weiß,
ermüden Sie mich nicht damit, aber man ist nicht immer ganz dabei beteiligt. Im
übrigen werde ich vielleicht die Güte haben, Sie eines Tages auch von diesem
Leben zu unterhalten, an dem Tage, an dem ich wissen werde, daß, während ich
zu wissen glaubte, ich nur existierte; daß mein unaufhörliches, gesichtsloses
Leiden mich am Ende bis auf mein eifriges Fleisch verzehrt haben wird; und daß
ich, wenn ich dies weiß, nichts weiß, daß ich nur schreie, wie ich immer nur
geschrien habe, lauter oder leiser, insgeheim oder ganz ohne Scham.
Samuel Beckett: Molloy
•
Darauf habe ich mich kurze Zeit mit der Anthropologie zu Tode gelangweilt
und mit den anderen Gebieten, wie der Psychiatrie, die sich daran
anschließen, sich wieder davon abschließen und sich aufs neue daran
anschließen, je nach den letzten Entdeckungen. Was ich an der Anthropologie
schätzte, was ihre Kraft der Verneinung, ihre verbissene Sucht, den
Menschen, ebenso wie Gott, durch etwas zu definieren, was er nicht ist. Aber
ich habe in dieser Beziehung immer nur ganz verworrene Ideen gehabt, weil
ich die Menschen so schlecht kenne und nicht allzu genau weiß, was das
heißt: Sein. Oh, ich habe alles versucht. Schließlich ist der Magie die Ehre
zuteil geworden, sich in meinen Trümmern einzunisten, und noch heute finde
ich ihre Spuren wieder, wenn ich in dem Schutthaufen herumspaziere.
Meistens aber ist es ein Gebiet ohne Gestalt noch Grenzen, und alles darin ist
mir unverständlich, sogar die stofflichen Elemente, gar nicht zu reden von
ihrer Anordnung. Und dieses ruinenhafte Gebilde, ich weiß nicht, was es ist,
was es war, und folglich auch nicht, ob es sich nicht weniger um Ruinen
handelt, als um das unerschütterliche Durcheinander der ewigen Dinge, wenn
das der richtige Ausdruck ist.
•
Samuel Beckett: Molloy
Ärgerlich dachte ich an das Bier, das ich soeben heruntergegosssen hatte.
Würde der Leib Christi mir nach einem Krug Pilsener verabreicht werden? Und
wenn ich nun nichts davon sagte? Seid ihr nüchtern, mein Sohn? Er würde
nichts fragen. Aber Gott würde es früher oder später erfahren. Vielleicht würde
er mir verzeihen. Und hat das Abendmahl, wenn es auf Bier, und sei es nur
Märzbier, genommen wird, die gleiche Wirkung? Ich konnte es immerhin
ausprobieren. Was lehrte die Kirche in dieser Beziehung? Wenn ich nun damit
eine Gotteslästerung beging? Ich beschloß, auf dem Weg zum Pfarrhaus ein
paar Pfefferminztabletten zu lutschen.
Samuel Beckett: Molloy
Dieses Gespräch mit Pater Ambrosius hinterließ bei mir einen peinlichen Eindruck.
Er war der gleiche teuere Mann, und war es auch wieder nicht. Es kam mir vor, als
hätte ich in seinem Gesicht einen Mangel an, wie soll ich sagen, einen Mangel an
Vornehmheit entdeckt. Allerdings muß ich erwähnen, daß die Hostie nicht
herunterrutschen wollte. Auf dem Heimweg kam ich mir vor wie jemand, der ein
schmerzstillendes Mittel geschluckt hat und zuerst verwundert und dann entrüstet
feststellte, daß der Schmerz der gleiche geblieben ist. Und fast verdächtigte ich
den Pater Ambrosius, daß er von meinen morgendlichen Ausschweifungen
unterrichtet sei und mir heimlich ungeweihtes Brot angedreht oder einen
stillschweigenden Vorbehalt gemacht habe, während er die zauberkräftigen Worte
aussprach.
So kam ich in äußerst schlechter Laune bei strömendem Regen zu Hause an.
Das Stew war eine Enttäuschung. Wo sind die Zwiebeln? rief ich. Verkocht,
antwortete Marthe. Ich stürzte in die Küche, um die Zwiebeln zu suchen, denn ich
hatte Marthe im Verdacht, sie herausgenommen zu haben, weil sie wußte, wie
gern ich sie aß. Ich wühlte sogar im Mülleimer. Ohne Erfolg. Sie sah mir höhnisch
zu.
Samuel Beckett: Molloy
Es waren die längsten, schönsten Tage des Jahres. Ich lebte im Garten. Ich habe
von einer Stimme gesprochen, die mir dies oder das anbefahl. Damals begann
ich, mich mit ihr zu vertragen, zu begreifen, was sie wollte. Sie bediente sich nicht
der Worte, die man den kleinen Moran gelehrt und die er später seinen eigenen
Sohn gelehrt hatte. Daher wusste ich anfangs nicht, was sie wollte. Aber am Ende
verstand ich diese Sprache. Ich habe sie verstanden, ich verstehe sie, wenn auch
vielleicht falsch. Darauf kommt es nicht an. Auf ihr Geheiß schreibe ich den
Bericht. Soll das bedeuten, daß ich jetzt freier bin? Ich weiß es nicht. Es wird sich
zeigen. Dann ging ich in das Haus zurück und schrieb: “Es ist Mitternacht. Der
Regen peitscht gegen die Scheiben.” Es war nicht Mitternacht. Es regnete nicht.
Samuel Beckett: Molloy
•Das theoretische Werk I: Die Aufhebung
der Ökonomie (Der Begriff der
Verausgabung - Der verfemte Teil Kommunismus und Stalinismus.) München
1985
Georges Bataille (1897-1962) Titel seines Gesamtwerkes: Somme athéologique
Was ist „Potlatsch“
Unter „Potlatsch“ versteht die Ethnologie ein Fest
der Indianer an der Pazifikküste, bei der in
exzessiver Weise Geschenke gemacht werden. Je
wertvoller und reichhaltiger die Geschenke des
Gebenden sind, desto größer das Ansehen des
Betreffenden.
Der Exzess des Potlatsch bildet dann auch einen
Exzess des Ansehens, d.h. der Souveränität.
Vgl. Marcel Mauss: Die Gabe. Die Form und Funktion des
Austauschs in archaischen Gesellschaften. Frankfurt am Main1968
Souveränität der Märtyrer: Das Beispiel des Heiligen Laurentius
„In ihren höheren Formen rufen Literatur und Theater [die dem Prinzip der
symbolischen Verausgabung folgen], durch symbolische Darstellung tragischen
Ruins (Erniedrigung oder Tod) Angst und Schrecken hervor; in ihrer niedrigeren
Form erregen sie durch analoge Darstellungen (…) Gelächter. Der Begriff
Poesie, der die am wenigsten verdorbenen, am wenigsten intellektualisierten
Ausdrucksformen eines Verlorenseins bezeichnet, kann als Synonym von
Verschwendung bezeichnet werden; Poesie heißt nichts anderes als Schöpfung
durch Verlust. Ihr Sinn ist also nicht weit entfernt von dem des Opfers.“
Georges Bataille: Das Prinzip der Verausgabung
Herunterladen