Elemente einer Theorie der Mensch-Tier

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Entwicklung durch Beziehung
Von glücklicher Passivität zu aktiver
Gestaltung
Vortrag bei der Sommerakademie
der Pro Senectute/FH Bern
von Erhard Olbrich
Zum Thema
Es geht um die Entwicklung der Liebe
„So geht das Zeitalter der nackten Vernunft kleinlauter
zu Ende als es begonnen hat“ sagt Hüther (2011)
 Fataler Irrtum, die Welt allein mit Hilfe unseres
Verstandes gestalten zu wollen
 Abspaltung und Unterdrückung unserer Gefühle
 Zunahme von Depression und Angst (Hillmann)
Wunsch: Neugierige, kreative, begeisterte Menschen,
die Rationalität mit Emotionalität verbinden,
die Einheit von Denken, Fühlen und Handeln leben
und so auch miteinander leben
Säuglings- und Kleinkindalter
Angewiesenheit auf sorgende Beziehung
„Extreme Nesthocker“ brauchen nicht nur Schutz,
Fürsorge und Lenkung von Eltern und Grosseltern
Strukturierung erster neuronaler Netzwerke in der
Sicherheit des Mutterleibes und später in der
Erfahrung von sicherer Bindung
 Programme für Funktionen und Bewegungen des eigenen Körpers
 der Beziehungen zu primären Bezugspersonen
 des adaptiven und effektiven Funktionierens in der Gesellschaft
Kinder sind in hohem Maße von der emotionalen, sozialen
und intellektuellen Kompetenz ihrer Umwelt abhängig
Erfahrene Liebe wird gespiegelt
Grundschulalter
Annehmen und Erfüllen sozialer Anforderungen
Orientierung an der konkreten Realität
„Kulturtechniken“, Konventionen und Regeln des
Zusammenlebens werden relativ leicht übernommen
Spontane Reaktionen werden besser kontrolliert,
Affekte werden mehr und mehr intern reguliert
Verbundenheit mit und Zuwendung zum vertrauten,
emotional zugewandten sozialen Umfeld,
Akzeptieren seiner Anregungen und Forderungen
Liebe macht Lernen leicht, sie wird erwidert
Jugendalter
Identität in Beziehungen entwickeln
Lösung von den Eltern oder eigenständiger werdende
Auseinandersetzung mit ihren und den kulturellen
Regelungen?
In Diskurs und Dialog wird Vertrauen auf eigene
Orientierung in Beziehungen zur sozialen Umwelt
entwickelt - die unverbrüchlich verbunden bleiben soll
Gefahr, daß Jugendliche durch Ablehnung ihrer selbst oder
Erfahrung von Ablehnung aus der Einheit von Kognitionen,
Emotionen und Körperlichkeit herausfallen
Soziale Zuwendung zu Partnern in Identität möglich
Erwachsenenalter
Aktive Entwicklung der Liebe
Nach Entwicklung von Identität kann die Person im
intimen Zusammenleben eine zutiefst soziale
Erweiterung ihrer selbst erfahren
 von romantischer Liebe
 über sexuelle Liebe
 die Liebe der Gemeinsamkeit
 zur altruistischen Liebe
Romantische Liebe
Eine exklusive Form der Liebe
 „mit der perfektesten aller Personen vereint in
der idealsten aller Welten auf schönste Weise das
sinnvollste aller Leben führen“ (vgl. schon Plato)
 Idealisierung der Partnerin/des Partners durch
Projektionen
 Einsamkeit, Sehnsucht und Gefühl der
Entfremdung verschwinden
 hohe emotionale Dynamik
Sexuelle Liebe
 Starke Gefühle von Zärtlichkeit, Bewunderung des
Partners/der Partnerin, Gefallen finden
 doch „handfester“: mehr gemeinsames Handeln
und Gestalten des Zusammenseins
 Wunsch nach taktilem, genitalen Kontakt
 Wunsch nach Kindern
Liebe der Gemeinsamkeit
 Freunde am Zusammensein, an gemeinsamen
(aufbauenden) Unternehmungen
 miteinander und konkret auf den anderen bezogen
- und auf Kinder - wird der Lebensraum gestaltet
 und dabei wird Erfüllung empfunden
Altruistische Liebe
 Wohlergehen der anderen (Kinder!) wird in den
Vordergrund gestellt
 Sorge für den anderen (Generativität) bringt
Befriedigung
Idealtypische Vereinfachung?
Vom Säugling, der auf liebevolle Zuwendung angewiesen ist,
zum Schulkind, das sich an Anforderungen liebender
Bezugspersonen anschließt und Zuwendung erwidert
zum Jugendlichen, der seine eigene Identität erreicht, die
es ihm aber erlaubt, sich als junger Erwachsener in
Intimität weiter zu entwickeln
zum Erwachsenen, der in Gemeinsamkeit und Altruismus zu
einer Entwicklung im Wir gelangt
Geht der Weg vom Erfahren des Geliebt-Werdens zur
Ausrichtung auf ein Gegenüber um dessen selbst willen?
Aktiver werdende Selbstverwirklichung in Beziehung?
Schellenbaum - verträumter Idealist?
„Die Grunderfahrung der Liebe besteht in der
Überwindung der Isolierung des einzelnen dank
dem überwältigenden Gefühl des Einsseins mit
einem Du und durch dieses mit der ganzen Welt.
Das Ich wird durch diese Erfahrung nicht
stabilisiert, sondern relativiert, nicht fixiert,
sondern in Bewegung auf ein größeres Selbst hin
gebracht. Was jede Liebe letztlich motiviert, ist
die dunkle Ahnung, daß ich durch Hingabe an das
Du ein neuer Mensch werden kann.“ (1986, S. 16)
Nochmal Schellenbaum
Tiefe Gefühlsbeziehungen entwickeln sich in drei
Schritten:
 Von der Verschmelzung
 und der Projektion
 zur Leitbildspiegelung
Verschmelzung
Erinnert an die romantische Liebe!
Im „Zustand der erotischen Ergriffenheit werden die
durch Anlage und Erziehung um das Ich gezogenen
Grenzen vielleicht zu ersten Mal durchlässig ... In den
Mann bricht die Frau ein und in die Frau der Mann, und
nach diesem Dammbruch strömt eine neue, fremde Welt
in uns ein, ... Ein Gefühl umfassender Einheit ist die
Folge. Wir haben den Eindruck, mit der ganzen Welt
organisch verbunden zu sein und Teil eines Ganzen zu
werden.“ (1986, S. 9)
Wir sind ergriffen (unfrei!), begreifen aber unser
Gegenüber noch nicht ganz
Projektion und ihre Rücknahme
Mehr Aktivität gefordert!
Wurde zunächst unbewusstes (ideales!) Eigenes in
Partner/Partnerin hinein verlegt, muss das nach und
nach zurückgenommen werden (das fällt schwer, wird
oft bedrückend erlebt, ist aber ein Erkennen des
eigenen Schönen, ein „inneres“ Ganzwerden!).
Rücknahme der Projektion erlaubt erst, den
Partner/die Partnerin in Differenziertheit zu
erkennen und mit der „realen“ Person zusammen zu
leben.
Leitbildspiegelung
"Die Leitbildspiegelung ist die realistische Wahrnehmung
sowohl des Partners, der in seiner Persönlichkeit bereits
solche Wesenszüge lebt und darstellt, die mir noch fehlen,
als auch meiner selbst in einem mir bisher unbewußten
Persönlichkeitsanteil. Mit dem Wort Spiegelung, das mit
kühler Distanz und egozentrischer Eitelkeit verbunden
werden könnte, meine ich ganz im Gegenteil jenen Blick in
die Tiefe des Du, zu dem nur der Liebende fähig ist. ... Im
Menschen, den ich liebe, leuchtet bei jeder neuen Begegnung ein neues Bild auf, das die Beschränktheit meiner
gewohnten Erlebnis- und Sehweisen sprengt und zur Botschaft über einen bisher unentdeckten Aspekt meines
eigenen Wesens wird" (S. 17).
Was kann so werden?
Menschlich bedeutungsvolle Begegnung in Freiheit
Im Geben bekommnen wir!
„Der Gebende erfährt im Geben seine eigene
Lebendigkeit und nimmt im Du, dem er sich gibt,
unbekannte Möglichkeiten seiner eigenen Seele
wahr. Die paradoxe Übereinstimmung von Geben
und Bekommen ist dem an wirtschaftliches Denken
Gewohnten kaum einfühlbar (1986, S. 44)
Kirchler (1989): nennt Partnerschaft, die nach einem
„Marktmodell“ funktioniert „verkommen“
Aber wie ist das im höheren Alter?
 Anti-Aging Kosmetik und „reparaturmedizinische
Versprechungen“ kennen doch nur „immer mehr
vom Alten“
 Funktionsverluste, reduzierte Kontakte
 negative Alterbilder
 S-O-K Modell
Machen das nicht betroffen? Verwehren es nicht ein
neues Verständnis von Leben im Alter?
Ein „harter Trost“: Fragmentierung
Müssen wir nicht erst einmal die Reifungs- und
Ganzheitsideale, die gerade beschrieben wurden,
in Frage stellen?
„Zerstören sie nicht das uns lebbare Leben? Unser
Leben mit all seinen Brüchen, Fehlern, Unvollkommenheiten, Schwächen? Hindern uns nicht die
Illusionen von Vollkommenheit und Ganzheit am
Leben? Ist der Mythos der Ganzheit nicht eine
einzige Lebenslüge, die unsere schüchternen und
unvollkommenen Tastversuche, unsern Versuch zu
leben, im Keim ersticken und töten?“ (Luther,
1992)
Sloterdijk: Der Torso Lebenslauf
Die herrliche Statue des Apollo, aus der zwar Stücke
heraus gebrochen sind, die aber die vollkommene
Schönheit des Gottes immer noch erkennen läßt:
Ist sie nicht ein Bild unseres Lebenslaufes?.
 Vertane Chancen, unerfüllte Hoffnungen,
ungelebtes Leben in der Vergangenheit
 Scheiterndes soziales Miteinander in der
Gegenwart
 Unvollendet bleibende Möglichkeiten der Zukunft
Und trotzdem ...
„Demütiger Idealismus“
Bonhoeffer an seinen Freund Bethge: „Es kommt
wohl nur darauf an, ob man dem Fragment unseres
Lebens noch ansieht, wie das Ganze eigentlich
angelegt und gedacht war und aus welchem
Material es besteht.“
Es ist nicht banal: Im Erfahren eigener
Fragmentarität liegt auch Akzeptanz des eigenen
Lebens und der eigenen Bezogenheit - Trost und
eine neue Ausgewogenheit
Bleibende Verbundenheit
Physikalisch und biologisch:
„Dein Fleisch wird mein Fleisch werden!“ (Campbell)
Kein Atom von mir wird verloren gehen (Verres)
Keimzellen leben weiter
Psychisch:
In der Ich-Du-Beziehung (Buber), bleiben „Umfangen
und Umfangen-Werden“, es bleibt Verbundenheit
zu Menschen und zur Natur - sogar zu geistigen
Wesenheiten - als eine „fundamentale Tatsache
der menschlichen Existenz“ (1982, S. 164)
Beispiel des Gelingens der
Verbundenheit
Hüther (2011) nennt alte Menschen Beispiele des
Gelingens, die „in Verbundenheit weiter wachsen, über
sich hinauswachsen können“.
Nur sollten sie über etwas verfügen, was sie „meist schon
vorher entwickelt haben, was sich aber jetzt erst zur
vollen Blüte entfaltet: Authentizität, Souveränität und
Spiritualität. Das Geheimnis ist ihre besondere
Haltung: Offenheit, Verlässlichkeit, Vertrauen ...
Achtsamkeit, Zugewandtheit und über allem: Liebe.“
(S. 174)
Und noch mal zum Gelingen
Hüther fügt hinzu: „Diesen durch Erfahrung gereiften Menschen ist das Wohlergehen anderer
Menschen wichtiger als ihr eigenes. Das ist der
Unterschied.“ (S. 174)
Neurologisch gelingt es ihnen sogar „ihre im
Frontalhirn verankerten, ihnen Halt bietenden
Vorstellungen, Überzeugungen, Haltungen und
Einstellungen loszulassen. Das macht Angst, und
die ist nur durch ein anderes, ein gegenteiliges
Gefühl zu überwinden: durch vorbehaltlose und
allumfassende Liebe“ (S. 176)
Erinnern an
 Thornstam (1997): Gerotranszendenz
 „Konvois der sozialen Unterstützung“ können
mitgenommen werden
 Unter dem Gefühl, gebraucht zu werden, kann das
Bedürfnis Sorge geben zu dürfen verspürt und
umgesetzt werden.
Sind wir da nicht wieder bei der altruistischen
Liebe? Können wir sie nicht sogar mit spiritueller
Verbundenheit verbinden?
Erinnern an
 Jane Goodalls (2000) Verspüren der
Verbundenheit mit ihren Schimpansen, den Vögeln
und Insekten, der Natur.
 Unser Erleben von Zuwendung, Wohlwollen und
Wärme beim bloßen Anblick eines Babys
 Ralf Kunz (2005): Spiritualität als eine
„transzendierende Schau“, die Abgründiges
ertragen kann, aber auch die Möglichkeit bietet,
dem Leben staunend gegenüber zu treten.
„Durchsichtigkeit“ der empirischen
Welt
Meister Eckhardt (1260-1327): Zu den Denkfunktionen
kann das Verspüren von Verbundenheit treten:
 Freudiges Staunen über die Schöpfung und ihr ständiges
Werden (auch Teilhard de Chardin)
 In Abgeschiedenheit und Gelassenheit (frei vom bloßen
Ego) mehr vom eigentlichen Sein erfahren
 Den „Durchbruch“ zur Verbundenheit mit allem Leben,
mit allem Sein erfahren
 In der „Re-Kreation“ aus bloßer spiritueller Entrückung
zum Leben in der Schöpfung zurückkehren: Ehrfurcht
vor dem Leben, Fürsorge für Menschen und die Dinge
Die Hoffnung
In der innigen Beziehung zu Menschen und zur
ganzen Schöpfung können wir vielleicht gerade im
Alter aus der bloßen Zentrierung auf uns selbst
heraustreten
Danke für Ihre Geduld!
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