Psych-Grund2-Wahrnehmung

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Wahrnehmung
Vorlesung Psychologische Grundlagen
Prof. Dr. Ralph Viehhauser
Gliederung

Wie verläuft der Prozess der Wahrnehmung?

Von welchen Bedingungen ist die menschliche
Wahrnehmung abhängig?

Wie ist unsere Wahrnehmung organisiert?

Welchen Fehlern unterliegt die Wahrnehmung?
Begriff Wahrnehmung

Die Psychologie fasst mit dem Begriff
Wahrnehmung alle Prozesse und Ergebnisse der Informationsgewinnung und verarbeitung von Sinneseindrücken zusammen.
Reizaufnahme und Empfindung

Auf unsere Sinnesorgane treffen bestimmte physikalische Reize
(z.B. in Form von elektromagnetischen Wellen).

Von den Reizen, die auf unsere Sinnesorgane treffen, werden
nur die wahrgenommen, die eine bestimmte Reizschwelle
überschreiten.

Solche Reize lösen eine bestimmte Empfindung aus. Diese
hängen in ihrer Intensität von der Reizstärke und in ihrer
Qualität von der Art des Sinnesorgans ab.

Unsere Sinnesorgane können nur einen Teil von dem, was in der
Realität tatsächlich existiert, aufnehmen.
Prozesse der Informationsverarbeitung

Nicht alle potenziell wahrnehmbaren Reize können
auch verarbeitet werden. Die Kapazität ist begrenzt.

Prozesse der Aufmerksamkeit entscheiden, welche
Reize ausgewählt und weiter verarbeitet werden.

Die Informationsverarbeitung kann in einer
kontrollierten oder automatisierten Form erfolgen.
Die Bedeutung der Erfahrung

Wahrnehmung = Empfindungen + Bewertung dieser
Empfindungen aufgrund bisheriger Erfahrungen.
(Beispiel „Tisch“)

Im Wahrnehmungsprozess stehen Reizinformationen
und Gedächtnisinformation in ständiger Wechselwirkung.
Organisationsprinzipien
der Wahrnehmung
Mehrdeutige Wahrnehmungen und
Wahrnehmungstäuschungen
Die Beispiele zur Wahrnehmungstäuschung und
mehrdeutigen Wahrnehmung (z.B. Kippfiguren)
zeigen, dass unsere Wahrnehmung bestimmten
Organisationsprinzipien folgen muss.
Gestaltgesetze

In der Regel wird eine Ansammlung von Sinneseindrücken als ein sinnvolles Ganzes, als eine
sog. Gestalt organisiert.

Dies geschieht nach bestimmten Organisationsprinzipien, den sog. Gestaltgesetzen.
Das Ganze ist mehr
als die Summe
seiner Teile!
Figur-GrundGesetz
Perzeptuelles Gruppieren
Gesetz der Geschlossenheit
Gesetz der Geschlossenheit
Gesetz der
Geschlossenheit
Gesetz der Kontinuität
Gesetz der Prägnanz
Wir sehen die 7 Linien deshalb
nicht als parallel, weil wir
versuchen, aus den vielen nicht
rechten Winkeln rechte Winkel
zu „machen“. Der rechte Winkel
hebt sich nämlich durch eine
bestimmte Prägnanz von den
anderen Winkeln ab.
Gestaltgesetze







Figur-Grund-Prinzip: Eine Figur wird als objektartige Region im
Vordergrund und der Grund als Hintergrund, von dem sich die Figur
abhebt, wahrgenommen.
Gesetz der Geschlossenheit (Schließungstendenz): Ein perzeptueller Organisationsprozess, der Individuen unvollständige Figuren als
vollständig wahrnehmen lässt.
Gesetz der Nähe: Nah beieinander befindliche Elemente werden
gruppiert.
Gesetz der Ähnlichkeit: Die einander ähnlichsten Elemente werden
als zusammengehörig wahrgenommen.
Gesetz des gemeinsamen Schicksals (der gemeinsamen Bewegung): Elemente, die sich in gleicher Richtung, mit gleicher Geschwindigkeit bewegen, werden gruppiert.
Gesetz der Kontinuität (guten Fortsetzung): Reize, die eine Fortsetzung vorausgehender Reize zu sein scheinen, werden als
zusammengehörig wahrgenommen.
Gesetz der Prägnanz: Unsere Wahrnehmung bevorzugt
„Gestalten“, die sich von anderen durch ein bestimmtes Merkmal,
eine bestimmte Prägnanz abheben.
Wahrnehmungskonstanz
Die Fähigkeit, ein unveränderliches
Perzept eines Objektes trotz
Änderungen seines retinalen
Abbilds aufrechtzuerhalten.
Arten von
Wahrnehmungskonstanz
Größenkonstanz
Formkonstanz
Helligkeitskonstanz
Orientierungskonstanz
Zsfg. Wahrnehmungskonstanz
Personen und Gegenstände werden:

trotz unterschiedlicher Entfernung als gleich groß
wahrgenommen (Größenkonstanz),

trotz unterschiedlicher Perspektiven in ihrer Form als
gleich wahrgenommen (Formkonstanz),

trotz unterschiedlicher Beleuchtung in ihrer Farbe als
gleich wahrgenommen (Helligkeitskonstanz),

trotz sich ändernder Orientierungen im Raum (z.B.
durch Neigung des Kopfes) als gleich wahrgenommen
(Orientierungskonstanz).
Individuelle und soziale
Faktoren der Wahrnehmung
„Die Katze kann einem Leid tun, wie sie von der
Maus gehetzt wird.“
Personale Faktoren der Wahrnehmung
Personale Faktoren wie Bedürfnisse, Gefühle, Stimmungen, bisherige Erfahrungen, Wertvorstellungen, Interessen
und dgl. verändern unsere Wahrnehmung.

Bsp. „Bisherige Erfahrungen“: der geschulte Blick des
Fachmannes

Bsp. „Bedürfnisse“: Wer großen Hunger hat, sieht Nahrungsmittel anders als derjenige, der gerade satt gegessen hat.

Bsp. „Gefühle“: Wer Angst hat, deutet die Geräusche nachts in
einem einsamen Haus anders als der Furchtlose.

Bsp. „Stimmungen“: bei schönem Wetter wird die Umwelt
positiver wahrgenommen.
Soziale Faktoren der Wahrnehmung

Wert- und Normvorstellungen der betreffenden
Gesellschaft bzw. einer ihrer Gruppen

Einstellungen, Stereotypen und Vorurteilen

andere Personen und Personengruppen (z.B.
Gruppendruck)
Münzgrößenschätzung armer vs. reicher Kinder
Stereotypen und Vorurteile

Begriff Stereotyp: schablonenhafte Beurteilungen,
vereinfachte Verallgemeinerungen bzw. Klischeevorstellungen, wie z.B. „Schwarze sind dümmer als
Weiße“.

Begriff Vorurteil: eine Einstellung gegenüber
Personen bzw. Personengruppen, Einrichtungen,
Gegenständen oder Sachverhalten, die nicht auf ihre
Richtigkeit hin an der Realität überprüft ist und die
durch neue Erfahrungen oder Informationen nicht
oder kaum verändert wird.
Personenwahrnehmung
Hypothesentheorie der sozialen Wahrnehmung
 Personale und soziale Faktoren lösen beim Menschen
bestimmte Erwartungen/Hypothesen aus (z.B. „andere Menschen sind mir feindlich gesinnt“; „keiner mag mich“).
 Erwartungshypothesen stellen eine Leitorientierung für die
Wahrnehmung dar. Sie beeinflussen, was wahrgenommen wird
und wie das Wahrgenommene interpretiert wird.
 Im Extremfall nimmt der Mensch von den in der Wirklichkeit
objektiv gegebenen Reizen nur diejenigen wahr, die seinen
Hypothesen entsprechen. Reize, die diesen Erwartungen
widersprechen, werden nicht wahrgenommen oder abgewertet,
umgedeutet, verzerrt, verfälscht bzw. als nicht bedeutend
gewertet.
Je stärker eine Hypothese ist,

desto größer ist die Wahrscheinlichkeit, dass sie
aktiviert wird,

desto weniger Information wird zu ihrer Bestätigung
benötigt,

desto größer muss die Menge widersprechender
Informationen sein, damit sie widerlegt werden kann.
Fehler in der Personenwahrnehmung (1)

Es wird von einigen beobachtbaren Verhaltensweisen
auf die ganze Person geschlossen, auf deren Motive,
Eigenschaften, Gefühle usw.

Die Wahrnehmung wird vom sozialen Zusammenhang,
in welchem die Person steht, bestimmt.

Das Wissen um die Rolle, die eine Person innehat,
beeinflusst die Wahrnehmung.

Mit einer bestimmten Persönlichkeitseigenschaft werden
zugleich weitere Eigenschaften wahrgenommen (=
logischer Fehler).
Fehler in der Personenwahrnehmung (2)

Es werden solche Persönlichkeitseigenschaften wahrgenommen, die man selber nicht hat (= Kontrastfehler) oder die
einem sehr vertraut sind (= Ähnlichkeitsfehler).

Man sieht bei anderen Menschen die Persönlichkeitseigenschaften, die man an sich selber nicht wahrhaben kann oder
will (= Projektion).

Die Wahrnehmung richtet sich sehr stark nach dem ersten
Eindruck (= Primacy-effect).

Die Wahrnehmung orientiert sich an einer Eigenschaft, die
als charakteristisch betrachtet wird (= Halo-Effekt).
Störungen in der Wahrnehmung

Funktionseinschränkung der Sinnesorgane: Ein
Mensch z.B. kann schlecht hören und dadurch in seiner
Wahrnehmung eingeschränkt sein.

Halluzination: wenn ein Reiz wahrgenommen wird,
obwohl dieser in der Realität gar nicht existiert.

Wahnvorstellung: wenn bei intaktem Wahrnehmungsvermögen das Bewusstsein die Wahrnehmung derartig
verfälscht, dass die Realität, so wie sie ist, verkannt wird
und trotz Gegenbeweise keine Korrektur möglich ist.
Ursachen für Wahrnehmungsstörungen

Organische Schäden: Schäden an Sinnesorganen,
Schädigungen des Nervensystems oder von Bereichen des
Gehirns.

Drogeneinfluss: Medikamente, Alkohol und
Rauschmittel.

Besondere emotionale Zustände: wie extreme Freude,
Euphorie, erhöhte Angst, starke Erwartungsspannung
oder Belastungssituation, große Enttäuschung oder tiefe
Trauer.

Extremer Reizmangel: (Bsp. Experimente zur
sensorischen Deprivation).
Zusammenfassung (1)

Wahrnehmung ist der Prozess und das Ergebnis der Informationsgewinnung und -verarbeitung von Reizen aus der Umwelt
und dem Körperinneren.

Wahrnehmung setzt sich aus Empfindungen, die von
bestimmten Reizen durch das Auftreffen auf bestimmte Sinnesorgane verursacht werden, und durch die Bewertung dieser Empfindungen aufgrund bisheriger Erfahrungen zusammen.

Der Mensch nimmt nur selektiv wahr, da die Leistungsfähigkeit
seiner Sinne eingeschränkt ist und er nur eine begrenzte
Kapazität der Informationsaufnahme und -verarbeitung besitzt.
Dabei werden Reize bevorzugt wahrgenommen, die unsere
Aufmerksamkeit erregen.
Zusammenfassung (2)

Im Gedächtnis wird überprüft, ob ein Reiz mit einer schon
gespeicherten Information übereinstimmt. Ist dies der Fall, so
erkennt man ihn in seiner Bedeutung.

Die Wahrnehmung wird nach bestimmten Gesetzen strukturiert. Grundprinzip ist dabei, dass mit Hilfe der Wahrnehmung
Sinn und Ordnung in die Reize der Umwelt gebracht werden.

Konstanzphänomene verbessern die Wahrnehmung, sie ermöglichen eine gleich bleibende, unveränderte Wahrnehmung trotz
unterschiedlicher Abbildung auf der Netzhaut des Auges.
Zusammenfassung (3)

Personale Faktoren (wie Bedürfnisse, Gefühle, Stimmungen,
Erfahrungen, persönliche Überzeugungen oder Interessen) und

soziale Faktoren (wie z.B. Gruppendruck oder Wert- und
Normvorstellungen bestimmter sozialer Gruppierungen) können
die Wahrnehmung stark beeinflussen.

Sie lösen bestimmte Erwartungshypothesen aus, die festlegen,
was wahrgenommen wird und wie das Wahrgenommene interpretiert wird.
Zusammenfassung (4)

Die Verzerrung und Verfälschung der Wirklichkeit aufgrund der
Subjektivität der Wahrnehmung führt zu vielerlei Wahrnehmungsfehlern, z.B. in der Wahrnehmung von Personen.

Störungen in der Wahrnehmung treten auf, wenn Sinnesorgane nicht richtig funktionieren oder im Zusammenhang mit
Halluzinationen und Wahnvorstellungen.

Diese können durch verschiedene Faktoren wie z.B. organische Schäden, Drogeneinfluss, emotionale Ausnahmezustände
oder extremen Reizmangel ausgelöst werden.
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