Bildung und Forschung in Asien: ist, was glänzt, auch wirklich alles Gold? Symposium der Ernst Schmidheiny Stiftung, Montreux, 19/11/2010 Hans Peter Hertig, Centre for Area and Cultural Studies, ETH Lausanne Bildung und Forschung in Asien: In- und Output Indikatoren Japan Korea China Indien CH USA Anteil Bevölkerung mit tertiärer Bildung (OECD, 2008) 25-34j / 55-64j 54 / 12 58 /25 (15) (12) 38 /27 41 /39 PISA (2006); Rang von 57 Länder; Naturwiss./Math. 5 / 10 10 / 3 Taiwan: 4/1 H.kong: 2/3 16 / 6 29 / 35 F+E Ausgaben am BIP (2007) 3,3 3,4 1,5 2,9 2,6 Wiss. Publikationen pro Mio. Bevölkerung (2007) 414 680 110 1217 696 « Impact » (Zitierungen pro Publikation, 2002-2006) 4,4 3,1 2,6 2,4 7,2 6,5 Zahl HS in Top 100 (Shanghai Ranking 2010) Total (bester Rang) Informations/Ingenieurwiss. (bester Rang) 5 (20) 0 0 0 3 (23) 54 (1) 5 (25) 3 (50) 5 (45) 0 2 (20) 46 (1) (18-22j) 0,8 2 Fallstudie F+E in China: was glänzt…und China zum Forschungsriesen werden lässt (I) • • • • • • Hohe Einschulungsquote (98% gegenüber 80% in Indien); hoch motivierte Jugend; ausgeprägter Wettbewerb um Studienplätze in Spitzenuniversitäten (mit entsprechenden Kosten auf Individualebene) F+E als nationale Priorität; Taten statt (nur) Worte; Ziel der Erhöhung des Anteils F+E am BIP von 1,5% auf 2,5 bis 2010 wird ohne Zweifel erreicht; schon heute in absoluten Zahlen sehr hoch (130 Mia. pro Jahr, zweiter Platz hinter den USA, vor Japan); EU verfehlt Ziel - von 1,9 in 2002 auf 3% in 2010 - kläglich Relativer Wert von Vergleichszahlen: Zahl wiss. Publikationen pro Kopf relativ gering, in absoluten Zahlen aber Nummer 3 in der Welt (2009: 120 000); bei gleichen Wachstumsquoten bald Nummer 1 (China 19%; USA 3%, Japan 1%) / Aehnliches gilt für Zahl der Forschenden, Zahl der Personen mit Ph.D, etc. Erfolgreiche „Coming Home Politik“: Programm « 1000 Talente » mit „Schildkröten“ und „Seemöwen“ Zahl der « chinesischen » Hochschulen (Mainland, Hongkong, Taiwan) in Top 500 mit 34 noch relativ tief, aber mehr als Verdoppelung seit 2004 Schon heute absolute Spitzenpositionen in « ingenieurnahen » Fachbereichen wie Informationswissenschaften und Nanotechnologie; starke Verbindungen mit Lebenswissenschaften (Biotechnologie); z.B.. Tongji in Shanghai 3 Fallstudie F+E China: aber es gibt Stolpersteine und der Weg zur chinesischen Harvard ist noch lang • • • • • • • Tradition/Typ der Bildung/Lehre hemmt Kreativität und Eigeninitiative Quantität statt Qualität: Zahl der Studierenden zwischen 2000 und 2006 verdreifacht; grosse Schwierigkeiten auf dem Arbeitsmarkt (60% der Absolventen ohne ausbildungsadäquate Stelle) Chinesisches HS-System trotz Oeffnung immer noch wenig international, kaum ausländische Lehrkräfte, nur vereinzelte « internationale » Labors. Hauptproblem: Sprache ¾ aller wissenschaftlichen Publikationen in Mandarin (mit entsprechend geringer Wirkung auf int. Wissensproduktion) Forschung weitgehend anwendungsorientiert und politisch gesteuert; zu geringer Anteil an freier, über peer-review qualitätsgesicherter, im Wettbewerb ausgeschriebener Forschung („Call“ à la chinoise) Viele Stiefmütterchen in für China neuen (politisch sensitiven) Wissensbereichen (insbesondere Sozialwissenschaften) Probleme der internationalen Zusammenarbeit im privaten Bereich durch relativ unorthodoxe Interpretation von an sich fortschrittlichen Regelungen im Bereich des geistigen Eigentums 4 China und die Wissenschaften 2008 - China unternimmt dritten bemannten Raumflug und verringert Abstand in der Weltraumtechnik zu den USA und Russland weiter - Am « First China Symposium on Theoretical Computer Science » an der Tsinghua Universität in Peking versammeln sich die weltweit führenden Experten, darunter viele chinesische Forschende - China rangiert bezüglich in führenden Zeitschriften publizierten wissenschaftlichen Artikeln in der Stammzellenforschung an dritter Stelle hinter den USA und Frankreich etc., etc. Aber auch: Chongqing Medical University schmückt ihren Campus mit der grössten je in China konstruierten, 20 m hohen Mao Statue 5 Von der Fallstudie China zurück zu Asien: Versuch einer (regionalen) Kategorisierung • Asien ist im Vormarsch, aber in äusserst ungleichem Tempo (und selbst der „Frontrunner“ China ist – zumindest qualitativ - noch nicht in Zielnähe) • Die traditionellen F+E Grossmächte Japan und Korea (plus Singapur) stagnieren auf relativ hohem Niveau; Eigenheiten des asiatischen Bildungssystems wirken weiter hemmend • Spezialfall Indien: Indische Universitäten verharren in „Splendid Isolation“; Brain Drain ist ungestoppt: ausgeprägte Bürokratie; lange Entscheidungswege und starre Hierarchien machen Weg zurück wenig attraktiv; zu starke Konzentrierung auf in den letzten Jahrzehnten erfolgreiche Gebiete (Informatik) • Dynamische Schwellenländer wie Vietnam haben das alte AkademieSystem (noch) nicht überwunden • Süd-Ost Asien ist weit abgehängt, inklusive bevölkerungsstarke Staaten wie Indonesien und die Philippinen 6 Fazit: was heisst die alles für den Forschungsstandort Schweiz ? • Die grosse Herausforderung heisst China: im Gegensatz zu unseren Konkurrenten mit kolonialer Praxis tiefer Kooperationsstand und keine Reputation in diesem Gebiet (im Gegensatz zu Deutschland) • Not tut: (1) Bessere Selektion von Gaststudenten (“We want the bests“) (2) Aufbau eine Netzes junger Nachwuchsforschenden (3) Setzen klarer Priorität mit entsprechenden Mitteln (4) Vermarktung der CH als Forschungsnation • Japan, Korea und - trotz notwendiger Relativierungen - Indien sind im Auge zu behalten (rufen aber nicht nach spezifischen staatlichen „top down“ Anstrengungen) • Not tut auch: Entwicklung einer kohärenten Wissenschafts-Aussenpolitik (unter Leitung eines gleichzeitig für Grundlagenforschung und angewandte Forschung zuständigen Departements) 7 Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit 8