Präsentation - Ernst Schmidheiny Stiftung

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Die Asiaten ante portas!
Wie gehen wir mit dem aufstrebenden Asien um?
Zusammenfassung des Referats von Urs Schoettli (Tokyo) am Symposium 2010 der Ernst
Schmidheiny Stiftung am 18. November 2010 in Montreux
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Wir fokussieren unsere Ausführungen auf vier Themen:
1. Die überfällige Abkehr vom Eurozentrismus
2. Was bedeutet das asiatische Jahrhundert für uns? Risiken und Chancen für die
Schweiz
3. Wie müssen wir mit den asiatischen Werten umgehen?
4. Die Schweiz und Asien – eine lange Geschichte
1. Die überfällige Abkehr vom Eurozentrismus
Als erstes ist die wirtschaftliche und geopolitische Renaissance Asiens, insbesondere
Indiens und Chinas, eine intellektuelle Herausforderung an den Westen. Sie erfordert
nichts weniger, als dass wir liebgewordene Vorstellungen und Vorurteile, die wir über die
letzten zwei Jahrhunderte gehegt haben, über Bord werfen. In ganz besonderem Masse
betrifft dies die Weltsicht des Westens.
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Gegen Ende des 18. Jahrhunderts begannen sich die Gewichte zwischen Europa und
Asien drastisch zu verändern. Europa, vor allem die Kolonialmächte Grossbritannien,
Holland und Frankreich drängten nach Afrika und Asien vor, derweil die beiden
asiatischen Grossreiche, das Mogulreich in Indien und die Ch’ing Dynastie in China, einer
langwährenden Dekadenz verfielen, die sowohl fremdverursacht als auch hausgemacht
war.
Die euro-asiatischen Begegnungen im 19. Jahrhundert und in der ersten Hälfte des 20.
Jahrhundert
wurden
durch
Erniedrigungen
der
Asiaten
geprägt
(britische
Kolonialherrschaft in Indien; Opiumkriege in China), welche schwer auf den Seelen der
Menschen lasteten und die erst während der vergangenen zwei Jahrzehnte mit dem
Wiederaufstieg Indiens und Chinas in den Hintergrund der fernen Geschichte abgedrängt
worden sind.
Die überfällige Abkehr vom Eurozentrismus muss in den Köpfen stattfinden. Während im
wirtschaftlichen Bereich sich die Europäer, insbesondere traditionelle Exportländer wie
Deutschland und die Schweiz, rasch auf die neuen Gegebenheiten eingestellt haben,
dauert es bei der geistigen Einstellung etwas länger. Gefordert sind in diesem
Zusammenhang vor allem auch die Lehrpläne der höheren Schulen. Asienkunde muss für
die Schüler zu einem wichtigen Fach werden, wobei der Fokus auf Geografie, Geschichte
und Sozialkunde zu richten ist.
Die Abkehr vom Eurozentrismus erfordert einen frischen Blick in die Weltgeschichte.
Schüler und Studenten sollen in die Lage versetzt werden, Vergleiche zwischen wichtigen
Ereignissen in Asien und in Europa herzustellen, beispielsweise sollten sie die
Wirkungszeit von Konfuzius in den Kontext der griechischen Antike stellen können. Vor
allem aber für die vergangenen drei Jahrhunderte, die prägend für das heutige Asien
waren, muss der geschichtliche Kenntnisstand im Westen kräftig ausgebaut werden. Es
kann davon ausgegangen werden, dass ein gut ausgebildeter junger Inder, Chinese oder
Vietnamese die Französische Revolution und Napoleon kennt, und weiss, worum es sich
bei der Renaissance und der Aufklärung handelte. Wie ist indessen der Kenntnisstand von
Schweizer Schulabgängern? Wer weiss die Bengalische Renaissance oder die Meiji
Restauration einzuordnen und wer kennt den chinesischen Reformer Kang You-wei oder
den Gründer der chinesischen Republik, Dr. Sun Yat-sen?
2. Was bedeutet das asiatische Jahrhundert für uns? Risiken und Chancen
für die Schweiz
Es dürfte wohl weitherum Übereinstimmung darüber herrschen, dass wir am Beginn des
21. Jahrhundert in das asiatische Jahrhundert eingetreten sind. Das 19. Jahrhundert war
das Jahrhundert der Europäer, insbesondere der Briten gewesen. Das 20. Jahrhundert
sah die USA auf dem Höhepunkt ihrer globalen Machtstellung. Noch ist es aufgrund der
vorhandenen militärischen Kapazitäten viel zu früh, über das Abdanken der USA als der
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Welt einzige Supermacht zu spekulieren. Überhaupt ist es aufgrund von demografischen,
sozialen und geopolitischen Gegebenheiten höchst unwahrscheinlich, dass die Weltmacht
China je in den Stand einer Supermacht aufsteigen wird. Das gleiche gilt für die regionale
Führungsmacht in Südasien, die Indische Union.
Wir haben im Zusammenhang mit der asiatischen Renaissance erwähnt, dass weiterhin
viele Vorurteile und Fehlbeurteilungen in den Köpfen der Westler festsitzen, wenn sie sich
mit asiatischen Herausforderungen auseinandersetzen müssen. Ein Beispiel ist die
sogenannte „gelbe Gefahr“. Sowohl in den USA als auch in Europa hat der Aufstieg
Chinas zur „Werkstätte der Welt“ alte Befürchtungen über die „gelbe Gefahr“ neu
bekräftigt. Das Wort, dass „die Chinesen unsere Jobs stehlen“, geht um die Welt und das
Outsourcing nach Indien wird als akute Bedrohung für unseren Wohlstand empfunden.
Vergessen ist selbstverständlich, dass die europäischen Kolonialmächte im 18. und 19.
Jahrhundert Asien ganz gezielt ausgeplündert hatten und dass Grossbritannien Indien
systematisch und mit Brachialgewalt deindustrialisiert hatte.
Blicken Westler auf Asien, so kommen ihnen seit alten Zeiten stets riesige
Menschenmassen in den Sinn. In der Tat ist der gigantische asiatische Kontinent der bei
weitem
volkreichste
Erdteil.
Sowohl
China
als
auch
Indien
haben
eine
Milliardenbevölkerung. Grosse Bevölkerungszahlen üben gleich in mehrfacher Hinsicht
eine Faszination aus. Zunächst sind da natürlich die malthusianischen Befürchtungen
über Massenhungersnöte und die Erschöpfung von Rohstoffen. Sodann werden grosse
Bevölkerungszahlen aber auch als riesige Marktchancen wahrgenommen. Welcher
Unternehmer träumt nicht vom Erfolg auf den Riesenmärkten Indien und China?
Schliesslich, in Verbindung mit der neuen Finanz- und Wirtschaftskraft Asiens werden
Befürchtungen über neue Knappheiten geschürt. Dabei kommt zugute, dass einfachen
Gemütern es auch in weniger dramatischen Zeiten häufig nicht in den Kopf gehen will,
dass die Weltwirtschaft kein einmal gegebener, beschränkter Kuchen ist, wo die einen ein
kleineres Stück bekommen, wenn sich andere ein grösseres Stück nehmen. Vor allem
beim Welthandel ist es schwierig, den Menschen klar zu machen, dass aus dem
Austausch von Gütern und Dienstleistungen gewaltige Mehrwerte resultieren, welche den
Kuchen grösser werden lassen.
Wir sind deshalb ohne Wenn und Aber der Meinung, dass die asiatische Renaissance für
die Menschheit, für die Weltwirtschaft eine Win-Win-Situation ist. Blicken wir auf Süd-,
Südost- und Ostasien (exklusive Japan), so können wir feststellen, dass in den
vergangenen fünfzehn Jahren rund eine halbe Milliarde Menschen neu in den Mittelstand
aufgestiegen sind. Dies sind gigantische Zahlen, die zudem in einem präzedenzlos kurzen
Zeitraum realisiert worden sind. Blicken wir auf das Konsumverhalten dieser neuen
Mittelschichten, so müssen wir feststellen, dass hier viele Gemeinsamkeiten mit den
westlichen Industriestaaten und mit Japan bestehen. Haben die Menschen einmal ihre
Grundbedürfnisse gedeckt, wollen sie sich Qualität und „Luxus“ leisten. Prestige spielt
eine Rolle und verleiht globalen Brands eine gewaltige Anziehungskraft. Dies alles sind
für ein Land wie die Schweiz, das in Asien nicht nur über einen ausgezeichneten Ruf
verfügt, sondern das auch bei zahlreichen Produkten und Dienstleistungen für Topqualität
steht, gewaltige Chancen.
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Allerdings gibt es auch Risiken, von denen einige hausgemacht sind, andere jedoch auf
den asiatischen Märkten selbst entstehen. Die hausgemachten Risiken haben
mehrheitlich damit zu tun, dass wir Marktanteile in Asien an Konkurrenten verlieren, weil
wir zu zögerlich sind oder weil wir an Produktions- und Geschäftsverhalten festhalten, die
den heutigen Anforderungen einer globalisierten Wirtschaft nicht mehr entsprechen. Ich
denke
dabei
etwa
an
Arbeitsgesetzregelungen
oder
steuerliche
Wettbewerbsverzerrungen, welche die Standortattraktivität der Schweiz mindern. Bei den
Risiken in Asien selbst sehe ich vor allem Gefahren bei der Überschätzung der eigenen
Kapazitäten wie auch der Märkte sowie bei der Unterschätzung von Risiken beim Schutz
des geistigen Eigentums.
3. Wie müssen wir mit den asiatischen Werten umgehen?
Ein Risiko bei der adäquaten Beurteilung von Konkurrenz und Wettbewerb ergibt sich
daraus, dass viele Europäer, die keine Asienerfahrung haben, sich daran gewohnt haben,
sich mit Ihresgleichen, nicht jedoch mit Asiaten zu messen. Vor diesem Hintergrund ist
es ausserordentlich wichtig, dass wir uns mit den asiatischen Werten befassen. Es geht
hier ausdrücklich nicht darum, dass wir Schweizer die asiatischen Werte übernehmen
sollten. Dafür sind die kulturellen und zivilisatorischen Entwicklungen während der letzten
fünf Jahrtausende zu unterschiedlich verlaufen. Vielmehr geht es hier darum, die Werte
und Erfahrungshorizonte zu verstehen, welche die Asiaten prägen, sodass wir in der
kulturellen oder geschäftlichen Auseinandersetzung mit ihnen erfolgreich sein können.
Zunächst ist natürlich an die riesige Vielfalt des asiatischen Kontinents zu erinnern. Es ist
dies nicht nur der bevölkerungsreichste, sondern auch der kulturreichste Erdteil.
Zwischen Indien und China, zwischen Japan und Malaysia liegen Welten. Während wir im
Falle Europas von einem durch das Christentum geprägten Kontinent sprechen können,
gibt es im Falle Asiens eine solche umfassende religiöse Klammer nicht. Zweifellos hat
der Buddhismus in Asien die weiteste Verbreitung erfahren, obschon er heute in seiner
Heimat, Indien, kaum mehr präsent ist und in Südasien nur noch auf der Insel Sri Lanka
eine solide Basis besitzt. Der Hinduismus prägt Indien, das aber gleichzeitig eine der
grössten Muslimbevölkerungen der Welt aufweist. Muslime machen immerhin zwölf
Prozent der rund 1,1 Milliarden Inder aus. In Japan dominiert zusammen mit dem
Buddhismus die Naturreligion des Shintoismus, wobei zahlreiche Japaner beiden
Religionen huldigen. Während die Philippinen dank der spanischen Kolonialherrschaft
überwiegend eine christliche Bevölkerung haben, ist das benachbarte Indonesien Heimat
der grössten Muslimbevölkerung der Welt, bezeichnet sich aber bezeichnenderweise nicht
als islamischen Staat.
Höchst komplex sind die religiösen Verhältnisse in der Volksrepublik China. Die
Verfolgung der Religionen, die unter Mao Zedong betrieben wurde, gehört der
Vergangenheit an. An Feiertagen sind die buddhistischen Tempel übervoll und manche
buddhistische Klöster haben wieder junge Mönche. Unter den gebildeten Schichten soll
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der Taoismus Auftrieb erhalten, während christliche Kirchen zu den Institutionen mit dem
grössten Zulauf an neuen Anhängern zählen. Noch immer ist das Verhältnis Pekings zum
Vatikan nicht normalisiert, doch gibt es viele Indikationen, dass eine Normalisierung in
absehbarer Zukunft realisiert werden wird. Zwar ist der Konfuzianismus keine Religion im
eigentlichen Sinne, doch hat die alte chinesische Weisheitslehre in den letzten Jahren
wieder grosse Bedeutung vor allem in der ethischen Erziehung der Chinesen erhalten.
Nachdem Mao Zedong ein virulenter Anti-Konfuzianer gewesen war, werden heute die
chinesischen Kulturinstitute im Ausland, die den Goethe Instituten oder der Alliance
Française vergleichbar sind, bezeichnenderweise Konfuzius-Institute genannt! Als
Staatslehre prägte Konfuzianismus neben China auch Korea und Japan und tut dies auch
heute noch.
Vor dieser Vielfalt fragt sich, was denn die asiatischen Werte sein können, mit denen wir
uns auseinanderzusetzen haben. Wir sehen drei Wertebereiche über religiöse und
nationale Grenzen hinweg als zentral an: die Fokussierung auf die Pflicht; die
Wertschätzung der Familie und des Alters; der hohe Stellenwert von Erziehung und
Bildung. Es wird natürlich vielen Westlern nicht entgehen, dass diese Werte eigentlich
nichts spezifisch Asiatisches an sich haben und einst auch in der westlichen Welt einen
hohen Stellenwert gehabt hatten. Im Unterschied zum Westen besitzen sie indessen auch
im Asien des 21. Jahrhunderts einen herausragenden Stellenwert und werden durch die
staatlichen Strukturen gestützt. Ohne Zweifel haben diese traditionellen Werte
entscheidend zur asiatischen Renaissance beigetragen.
Der Konfuzianismus beruht auf einer umfassenden Pflichtenlehre, die sowohl die privaten
Familienverhältnisse als auch die Beziehungen zwischen dem Individuum und der
Gesellschaft, zwischen dem Bürger und der Obrigkeit regelt. Sie ist ein massgeblicher
Grund
für
Unvereinbarkeiten
und
Missverständnisse
im
Menschenund
Bürgerrechtsdialog zwischen dem Westen und Asien, insbesondere mit der Volksrepublik
China. Die zentrale Stellung der Familie gilt in ganz Asien. Sie verleiht der Gesellschaft
nicht nur emotionale Stabilität, sondern auch eine wichtige Basis zur materiellen
Sicherheit. Wir sehen hier am Horizont zwei sehr gewichtige Herausforderungen: als
erstes die Implikationen der Ein-Kind-Politik in China und der Überalterung in Japan; als
zweites die sozialpolitische Relevanz des Klans und der Grossfamilie als Alternative zum
westlichen Sozialstaat. Schliesslich ist für den globalen Standortwettbewerb das
besondere Gewicht, welches die asiatische Gesellschaften Erziehung und Bildung
einräumen, von grosser Bedeutung. Der Westen muss hier zur Kenntnis nehmen, dass
auch angesichts der grossen Bevölkerungszahlen der Leistungsdruck in den asiatischen
Gesellschaften besonders hoch ist.
4. Die Schweiz und Asien – eine lange Geschichte
Wenn Kulturpessimisten, die schon immer den Untergang des Abendlandes an die Wand
gemalt haben, denken, angesichts der vielfältigen asiatischen Herausforderungen endlich
die Oberhand zu haben, so täuschen sie sich. Gerade die Schweiz liefert zahlreiche
Beispiele dafür, wie auch eine sehr kleine Gemeinschaft sich in und gegenüber Asien
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behaupten kann. Der Hang zu kurzlebigen Sensationen und zur Oberflächlichkeit, der die
meisten Schweizer Medien, insbesondere auch die staatlichen Zwangsgebührenmedien,
prägt, hat zur Folge, dass die meisten Schweizer wenig oder nichts über die Präsenz ihres
Landes und ihrer Landsleute in Asien wissen. Kaum bekannt ist, wie ausgedehnt und
weitverzweigt diese Präsenz im Verhältnis zur Grösse unseres Landes ist. Fast niemand
ist sich ferner bewusst, wie lange sich wagemutige Eidgenossen schon in Asien umtun.
Dies alles ist umso bemerkenswerter, als die Schweizer Unternehmen und individuellen
Abenteurer nie auf den Schutz einer Kolonialmacht setzen konnten, sondern für sich
selbst sorgen und ihre besondere Nische entdecken mussten.
Der Schaffhauser Unternehmer Stefan Sigerist gibt in seinem lesenswerten Buch
“Schweizer in Asien 1600 bis 1914“ einen Überblick über die Schweizer Präsenz, die sich
nicht nur in alle Ecken und Enden des asiatischen Kontinents erstreckte, sondern die
auch bereits in den frühesten Zeiten europäischer Kolonialpräsenz einsetzte. Von Indien
bis Japan gehörten Schweizer zu den ersten, die von den sich bietenden Chancen rege
Nutzen machten, sei es als Reisläufer in britischen Diensten in Indien, sei es als
Handelsvertreter, die sich nach der Öffnung Japans in Yokohama niederliessen.
Es geht uns bei diesen Verweisen nicht um ein historiografisches Exerzitium. Vielmehr
soll in Erinnerung gerufen werden, dass die Schweiz eine grosse Tradition der
internationalen Verflechtung hat und dass sie deshalb für die Anforderungen, welche das
asiatische Jahrhundert an die Welt stellt, besonders gut gerüstet sein sollte. In
zahlreichen Vorträgen vor Kantonsschulen in verschiedenen Teilen des Landes haben wir
wiederholt den Eindruck erhalten, dass ein guter Teil der Jugendlichen heute sich
bewusst ist, welche Herausforderungen auf sie zukommen und wie sie die Chancen, die
sich aus der asiatischen Renaissance ergeben, für sich nutzen können. Ohne Zweifel
müssen die Menschen, die heute ins Erwachsenenleben treten, sich in einem Umfeld
zurecht finden, das viel komplexer ist, als was die 68er-Generation und ihre Sprösslinge
in den Zeiten des Kalten Kriegs zu bewältigen hatten. Eine grosse Hilfe mag allerdings
sein, dass die heutigen jungen Westler es in Asien, in China und Malaysia, in Indien und
Indonesien mit Altersgenossen zu tun bekommen, die zwar einer sehr fremden Kultur
und Sprachwelt angehören, mit denen sie aber dank des rasanten Wachstums der
Mittelschichten in Asien heute mehr denn je viele Trends und Aspirationen gemein haben.
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