WS 2009/10 – PS „Tierphilosophie“ 17.12.09: Thomas Nagel (geb. 1937)– „Wie fühlt es sich an, eine Fledermaus zu sein?“ („What is it like to be a bat?“) Heutiges Thema... Thomas Nagels Aufsatz „What is it like to be a bat“ – Übersetzt: „Wie fühlt es sich an, eine Fledermaus zu sein?“ (unsere Übersetzung von Michael Gebauer) Nagel ist (war zuletzt) Philosophie-Professor an der New York University in New York City. Der Aufsatz erschien 1974 in der Zeitschrift „Philosophical Review“ Die Fledermaus - Das Tier, um das es heute gehen wird... gehört zur Säugetiergruppe lat. Microchiroptera bilden zusammen mit den Flughunden (Megachiroptera) die Ordnung der Fledertiere Weltweit rund 900 Fledermausarten nahezu weltweite Verbreitung, in Europa etwa 40 Arten Einige Impressionen... Zum Nagel-Aufsatz... Thema: Bewusstsein Bewusstsein wird von Nagel später im Text definiert: „Grundsätzlich hat ein Organismus jedenfalls genau dann bewußte innere Zustände, wenn es irgendwie ist, dieser Organismus zu sein – wenn es da etwas gibt, das sich für ihn so oder so anfühlt“ (S. 231) Bewusstsein macht laut Nagel das traditionelle psychophysische Problem besonders schwierig Was ist das (traditionelle) psychophysische Problem? Das psychophysische Problem kann auch das LeibSeele-Problem oder das Körper-Geist-Problem genannt werden Kernfragen der Diskussion: Wie verhält sich das Mentale/Geistige zum Physischen? Lassen sich mentale/geistige auf physische Phänomene zurückführen (auf diese reduzieren)? Oder ist der mentale/geistige Bereich in dem Sinne eigenständig, dass er sich prinzipiell jeder naturwissenschaftlichen Erklärung entzieht? Einen Geist zu haben oder ein mental verfasstes Wesen zu sein könnte heißen... denken, wahrnehmen, empfinden oder auch sich erinnern zu können; Gefühle, Wünsche, Überzeugungen zu haben => hier bleibt noch ungeklärt, was mit diesen Fähigkeiten bzw. Eigenschaften genau gemeint ist oder sein könnte => was macht sie zu mentalen Fähigkeiten und Eigenschaften (und damit von physischen unterscheidbar und abgrenzbar)? Folgendes kann man allerdings schon zuvor erwägen... Wenn einen Geist zu haben bedeutet, bestimmte Fähigkeiten und Eigenschaften zu besitzen, sind zwei Fragen sogleich unterscheidbar: 1. Welche Art von Dingen sind die Träger mentaler Eigenschaften (oder: auf welche Art von Dingen treffen mentale Prädikate zu)? => Problem mentaler Substanzen 2. Was ist die Natur mentaler Eigenschaften bzw. welche Art von Eigenschaften werden durch mentale Prädikate ausgedrückt? => Problem mentaler Eigenschaften Zwei Positionen kann man hierbei unterscheiden... 1. Mit Blick auf die Dinge, die Träger mentaler Eigenschaften sind, => den Substanzdualismus: gibt die Auffassung wieder, es gebe in der Welt neben physischen Gegenständen auch noch immaterielle, nicht-physische Dinge und diese sind es, die ein geistiges Leben haben, die etwa denken, fühlen, sich entscheiden usw. Auf diese mentalen Substanzen treffen mentale Prädikate zu (Bsp.-Philosophen: Platon, Descartes) Gegner dieser Position sind: die Physikalisten: sie sind der Meinung, es gebe in der Welt nur physische Dinge, und wenn es überhaupt so etwas wie ein geistiges Leben gibt, sind bestimmte physische Dinge, bestimmte Lebewesen, Träger dieses geistigen Lebens => These: mentale Prädikate treffen, wenn überhaupt, nur auf physische Gegenstände zu 2. mit Blick auf die Natur mentaler Eigenschaften => den Eigenschaftsdualismus: gibt die Auffassung wieder, dass mentale Eigenschaften sich nicht auf physische Eigenschaften reduzieren lassen (dazu später mehr) gegenteilige Position: der EigenschaftsPhysikalismus/Materialismus: gibt die Auffassung wieder, dass die durch mentale Prädikate ausgedrückten Eigenschaften nicht eigenständig sind, sondern auf physische Eigenschaften zurückgeführt werden können. Zurück zu der Frage: Gibt es vielleicht ein charakteristisches Merkmal des Mentalen? – folgendes könnte in Erwägung gezogen werden (beispielhafte Auswahl)... 1. mentale Zustände sind bewusst 2. mentale Phänomene (zumindest eine Vielzahl) sind intentional, also auf etwas bezogen bzw. gerichtet (wir glauben / wünschen / fürchten etwas...) 3. mentale Phänomene sind privat (der sie hat, hat einen priveligierten Zugang zu ihnen) ... es gibt noch mögliche weitere Charakteristika (etwa nicht-Räumlichkeit, Unkorrigierbarkeit) und zu allen Aspekten eine reiche Diskussion, auf die wir hier nicht näher eingehen können. Zusammenfassend zum psychophysischen Problem lässt sich sagen... Es geht letztlich um die Möglichkeit des Zusammendenkens unserer mentalen/geistigen Verfasstheit mit unserem Dasein in einer objektiv-physikalischen und biologischen Welt. es geht dabei um die Frage, welcher Art überhaupt die Dinge sind, die Träger geistiger Eigenschaften sind und um die Frage, welcher Natur diese Eigenschaften selbst sind => dazu gibt es eine Vielzahl von Positionen, wovon wir nur zwei wichtige angesprochen haben, nämlich den Substanzdualismus und den Eigenschaftsdualismus ein wichtiger Aspekt des Leib-Seele-Problems bzw. des psychophysischen Problems ist auch die Frage, wie unsere Handlungsabsichten, die wir im Bewusstsein konzipieren oder fassen, ihre Wirkung auf die physische Welt bzw. ihre Umsetzung in dieser „erlangen“ können (=> gerade für den Substanzdualismus ist diese Frage von verhängnisvoller Dringlichkeit gewesen). Wir gehen jetzt zum Text von Nagel... Nagel wendet sich zu Beginn seines Aufsatzes gegen eine „Flutwelle reduktionistischer Euphorie in den sechziger Jahren“ => Was ist darunter aber genauer zu verstehen? diese reduktionistischen Positionen operieren meist von einer physikalistischen Grundposition aus (siehe oben) => d.h. von der Annahme, dass mentale Eigenschaften entweder auf physische Eigenschaften zurückgeführt werden können oder sogar mit diesen physischen Eigenschaften identisch sind Dabei wird Reduktion Nagel zufolge jedoch so verstanden... wie durchaus sinnvolle reduktionistische Einsichten, die die moderne Wissenschaft ans Licht gebracht hat, und die unser Wissen von den betroffenen Gegenständen auch tatsächlich vergrößert oder vermehrt hat. z.B. weiß man heute... => dass die Temperatur eines Gases identisch ist mit der mittleren kinetischen Energie seiner Moleküle, => dass Blitze identisch sind mit bestimmten elektrischen Entladungen und => Wasser mit H2O, oder => dass Verbrennung nicht auf eine ominöse Substanz, genannt „Phlogiston“ angewiesen ist, sondern eine exotherm (Wärme abgebend) ablaufende Redoxreaktion eines Materials mit Sauerstoff ist. Mit Blick auf die genannten Reduktionen... bringt uns die zunehmende Verobjektivierung – also gewissermaßen das Herausstellen des tatsächlichen objektiven Sachverhalts – näher an das noch weniger verstandene Phänomen heran Nagel kritisiert nun an den Reduktionsversuchen mit Blick auf das psychophysische Problem – besonders hier auf das Problem des Bewusstseins –, dass „die von diesen Autoren behandelten Schwierigkeiten [...] stets nur solche [sind], die das psychophysische Reduktionsproblem gerade nicht von den anderen Reduktionstypen unterscheiden“ (S. 230f.) Die Folge davon ist, wie Nagel sagt, „daß das Einzigartige am psychophysischen Problem [...] von solchen Analysen schlicht übergangen wird“ (S. 231) Halten wir uns nochmal vor Augen... dass für Nagel das Einzigartige am psychophysischen Problem im Thema „Bewusstsein“ liegt, was Nagel in folgenden Sätzen definiert: => „Die Tatsache, daß ein Organismus überhaupt bewußte Erlebnisse hat, impliziert auf der elementarsten Ebene, daß es sich irgendwie anfühlen wird, dieser Organismus zu sein [...] Grundsätzlich hat ein Organismus jedenfalls genau dann bewußte innere Zustände, wenn es irgendwie ist, dieser Organismus zu sein – wenn es da etwas gibt, das sich für ihn so oder so anfühlt.“ (S. 231) Die von Nagel kritisierte Reduktionsform in der Leib-Seele-Debatte ist die sogenannte Identitätstheorie, die durch folgende Merkmale beschrieben werden kann: Es gilt innerhalb dieser Theorie: a ist genau dann mit b identisch bzw. die Identitätsaussage „a=b“ ist genau dann wahr, wenn die Ausdrücke ‚a‘ und ‚b‘ dieselbe Entität (hier: denselben physischen Zustand, etwa Gehirnzustand) bezeichnen bzw. ausdrücken. Zwei (äquivalente) Versionen der Identitätstheorie können formuliert werden: => 1. Jede mentale Eigenschaft bzw. jeder mentale Zustand ist identisch mit einer physischen Eigenschaft bzw. einem physischen Zustand => 2. Jedes mentale Prädikat drückt eigentlich eine physische Eigenschaft aus. In kritischer Abgrenzung vom identitätstheoretischen Ansatz konzentriert sich Nagel auf ... das, was er in Anlehnung an seine Definition von Bewusstsein als „Subjektivität des Erlebens“ oder auch „subjektives Wesensmerkmal“ bewusster Erlebnisse bezeichnet Nagel: „Keine der heute gängigen, in den letzten Jahren entwickelten reduktiven Analysen des Psychischen vermag es zu erfassen [...]“ (S. 231) Er fährt fort (S. 232 oben)... Bevor wir wissen können, was eine reduktionistische Theorie zu leisten hätte, um die „Subjektivität des Erlebens“ mit zu erfassen und quasi adäquat zu integrieren, müssen wir erst einmal analysieren, was darunter überhaupt näher zu verstehen ist. Problem dabei jedoch: im Unterschied zu den oben angeführten erfolgreichen Reduktionen aus der Wissenschaft scheinen bewusste Phänomene gerade dadurch bestimmt sein, dass sie an eine spezielle Perspektive gebunden sind und es unvermeidlich scheint, dass sich eine objektive, physikalische Theorie aus ebendieser Perspektive gerade herausbegeben muss. um uns dies nochmal klarzumachen... betrachten wir doch bspw. mal die wissenschaftliche Reduktion der Wärme eines Gases, also etwa unserer Empfindung warmer Luft. Wenn wir sagen: Die Wärme eines Gases ist die mittlere kinetische Energie seiner Moleküle => so haben wir uns offenbar aus einer subjektiven Perspektive heraus auf die Ebene eines objektiven (physikalischen) Sachverhalts begeben => damit, so könnte man argumentieren, haben wir unsere Erkenntnis von der Welt auf ein objektiv(er)es Level gebracht bzw. vergrößert. / wir haben sie intersubjektiv zugänglicher gemacht (von einer konkreten Wahrnehmung entkoppelt) Nagels Punkt ist nun der... dass das subjektive Wesensmerkmal selbst, durch das ihm zufolge alle bewussten (geistigen) Zustände gekennzeichnet sind, durch eine zu größerer Objektivität sich hinbewegende Reduktion nicht vollständig erfasst werden kann. Um den Zusammenhang zwischen Subjektivität und einer bestimmten Perspektive näher zu verdeutlichen... will Nagel ein konkretes Beispiel anführen, bei dem, wie er schreibt, „das Auseinanderfallen zweier Weisen des Verstehens, der subjektiven und der objektiven, besonders deutlich zum Vorschein kommt“ (S. 233) er wählt das Beispiel einer Fledermaus, weil: => durch die phylogenetische Ferne es nicht sofort nahe liegt, bei diesen Tieren innere Erlebnisse anzunehmen => ihr Tätigkeitsfeld und ihr Sinnesapparat grundverschieden vom menschlichen sind (und daher, wie Nagel meint, zur Veranschaulichung seines Arguments besonders gut geeignet sind) Durch die große Differenz zwischen dem Sinnesapparat des Menschen und dem der Fledermaus... scheinen schon dadurch große Schwierigkeiten mit der Frage nach dem subjektiven Erlebnisoder „what it is like“-Gehalt einer Fledermaus verbunden zu sein. Gibt es denn überhaupt eine Möglichkeit, von unserem eigenen Fall (sozusagen in Abstraktion davon) auf das Innenleben einer Fledermaus zu schließen? Oder können wir uns auf andere Weise einen Begriff davon machen? Nagel argumentiert... den Grundstoff für unsere Vorstellungskraft beziehen wir aus unserer Erfahrung/Perspektive selbst wenn wir uns eine schrittweise Transformation hin zu einer Fledermaus vorstellen könnten, so befänden wir uns offenbar noch immer in dem Zustand, der im folgenden Zitat von Nagel ausgedrückt wird: „Soweit ich mir dies überhaupt ausmalen kann [...], kann ich dem stets nur entnehmen, wie mir zumute wäre, sobald ich mich so verhielte wie sich eine Fledermaus verhält.“ Aber: „Ich will nicht etwa wissen, wie mir zumute wär, würde mein Leben fledermausartig, sondern wie es sich für die Fledermaus anfühlt, eine Fledermaus zu sein“ (beide Passagen von S. 234) Nagels auf S. 235 vorläufig gezogenes Fazit lautet: „Solange wir demnach darauf angewiesen sind, vom eigenen Fall aus zurückzuschließen, wenn wir uns vorstellen, wie es sich anfühlt, eine Fledermaus zu sein, muß dieser Rückschluß notwendig hinter der vollen Wahrheit zurückbleiben. Wir können uns dann keinesfalls mehr ausmalen als eine unvollständige, grob schematische Auffassung davon, wie es sich tatsächlich anfühlen mag“ Die grob schematische Auffassung davon, wie es sich tatsächlich anfühlen mag, dieses oder jenes Tier zu sein... können wir gewinnen, indem wir einem Tier aufgrund seiner inneren physischen Beschaffenheit und seines Verhaltens gewissen allgemeine Erlebnistypen zuschreiben: => Etwa: das Echolot der Fledermaus ist eine vorwärts gerichtete Form der dreidimensionalen Wahrnehmung; oder gewisse Arten von Schmerz, Furcht, Hunger usw. könnten so zugeschrieb. werden jedoch, so Nagel: weisen diese Erlebnisse in jedem Fall noch ihr besonderes subjektives Wesensmerkmal auf, das unserer Vorstellungskraft entzogen bleibt. Wichtig aber, das betont Nagel auf den Seiten 236 und 237: Wir können durchaus von Tatsachen sprechen bzw. an die Existenz solcher Tatsachen glauben, deren genaue Beschaffenheit wir uns unmöglich zu denken vermögen (etwa die jeweils irreduzibel subjektiven Perspektiven anderer Tiere oder Lebensformen) => Nagel vertritt einen REALISMUS subjektiver Tatsachen: das heißt, es könnte Nagel zufolge durchaus Tatsachen geben, die außerhalb der Reichweite menschlicher Begriffe liegen => es ist aber eine philosophische Streitfrage, inwiefern von solchen Tatsachen überhaupt sinnvoll gesprochen werden kann Wichtig: Nagel betont auf S. 238... dass es ihm mit seiner Argumentation nicht darum geht zu sagen, dass jegliches Bewusstseinserlebnis oder jeglicher Bewusstseinszustand nur dem zugänglich wäre, der es bzw. ihn gerade „hat“. => denn: „Es ist uns häufig möglich, eine andere Perspektive als unsere Eigenperspektive einzunehmen [...]“ (S. 238) => zwischenmenschlich können wir das oft erleben, bspw. wenn wir mit jdm. mitfühlen. => „In einem gewissen Sinne sind auch phänomenale Tatsachen völlig objektiv“ (S. 238) Die besondere Perspektive stellt laut Nagel einen Typus dar Subjektiv sind/bleiben phänomenale Tatsachen jedoch dennoch insofern, „als derlei objektive Zuschreibungen von Erlebnissen nur jdm. möglich sein würden, der dem Wesen, dem er das Erlebnis zuschreibt, ähnlich genug wäre, um sich in dessen Perspektive hineinversetzen zu können – und das heißt, ähnlich genug, um die betreffende Zuschreibung sozusagen ebensogut in der ersten wie in der dritten Person verstehen zu können“ (S. 238) Wenn Erlebnistatsachen grundsätzlich allein aus einer besonderen Perspektive heraus zugänglich sein können, „dann ist es ein Mysterium, wie die wahre Natur von Erlebnissen überhaupt in der physischen Funktionsweise dieses Organismus zutage treten soll, die ja stets zum Bereich objektiver Tatsachen par excellence zu rechnen wären – der Art von Tatsachen nämlich, die sich aus einer Vielzahl verschiedenartiger Perspektiven und von Individuen mit voneinander abweichenden Wahrnehmungssystemen beobachten lassen“ (S. 239) In der Fußnote auf S. 239… fasst Nagel sein Anliegen noch einmal prägnant zusammen: „Ich wollte […] mich zu dem […] Problem vorarbeiten, daß man sich, um sich auch nur eine zulängliche Begrifflichkeit davon zu bilden, wie es sich anfühlen wird, eine Fledermaus zu sein, grundsätzlich in die Perspektive von Fledermäusen hineinzubegeben hätte. Fühlt man sich in diese Perspektiven bloß ungefähr oder unvollständig ein, werden auch die gesamten Begriffe, die man sich bildet, nicht minder ungenau oder unzulänglich sein. Und so scheint es sich in der Tat beim gegenwärtigen Status quo unseres Verstehens zu verhalten“