nicht-ignorierbaren Ausfällen

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Lerneinheit 19: Ausfälle und Gewichtungen
Ausfälle
Der im Erhebungsdesign einer Untersuchung festgelegte Auswahlplan lässt sich in der Regel
nicht vollständig realisieren, da es in der Praxis praktisch unmöglich ist, alle Informationen
über alle nach dem Auswahlplan zu erfassenden Elemente der Stichprobe zu erhalten. Es
kommt somit zu Ausfällen (engl.: nonresponse).
Bei den Auswirkungen von Ausfällen wird zwischen ignorierbaren Ausfällen und nichtignorierbaren Ausfällen unterschieden.
Um den Unterschied zu verdeutlichen, wird das Beispiel der Schätzung des Anteils
von Schülern weiterverfolgt, die die Schule ohne Abschluss verlassen. Um die Zahl
der möglichen Stichproben gering zu halten, wird nun davon ausgegangen, dass es
in der Population 3 Schulen mit gleicher Anzahl von Schülern gibt, von denen zwei
Schulen in einer einfachen Zufallsauswahl ausgewählt werden sollen. Schule 1 verlassen 10% der Schüler ohne Abschluss, Schule 2 verlassen 20% ohne Abschluss
und Schule 3 30%. In der Population verlassen somit insgesamt 20% der Schüler die
Schule ohne Abschluss. Dies ist der Wert, der aus den Stichprobendaten geschätzt
werden soll.
Zunächst wird wieder die Situation betrachtet, dass der Stichprobenplan (engl.: sampling
frame) vollständig realisiert werden kann.
Im Beispiel gibt es dann drei mögliche Stichproben, die mit gleicher Wahrscheinlichkeit
realisiert werden.
Empirie: Quantitative Methoden
L19-1
Einfache Zufallsauswahl ohne Ausfälle
Nr.
Schulen % ohne Abschluss
1
1,2
10% , 20%
2
1,3
10% , 30%
3
2,3
20% , 30%
Durchschnittswert
Mittelwert Wahrsch. Mittelw.Wahrsch. quad. FehlerWahrsch.
15%
1/3
15/3
25/3
20%
1/3
20/3
0/3
25%
1/3
30/3
25/3
60/3 = 20%
50/3 = 16.667
Die Schätzungen führen zu unverzerrten Schätzern mit einem Standardfehler von 4.082 =
(16.667).
Es soll nun davon ausgegangen werden, dass für jeden Fall der Population die Wahrscheinlichkeit 1/3 ist, dass der Fall bei der Stichprobenziehung nicht beobachtet werden kann, also ausfällt. Bei voneinander unabhängigen Ausfällen ergeben sich dann folgende Beobachtungswahrscheinlichkeiten in jeder Stichprobe:
Fall
B
Fall
A
Ausfall ja
ja
1/9
nein
2/9

1/3
nein
2/9
4/9
2/3

1/3
2/3
3/3

B
A
Ausfall ja
ja
-nein
2/8

2/8
nein
2/8
4/8
6/8

2/8
6/8
8/8
Mit einer Wahrscheinlichkeit von 1/9 fallen beide Fälle der Stichprobe aus. Tatsächlich beobachtbar sind aber nur Stichproben unter der Bedingung, dass mindestens 1 Fall realisiert wird.
Unter dieser Bedingung ergeben sich die in der rechten Tabelle aufgeführten bedingten Wahrscheinlichkeiten, dass maximal einer der beiden Stichprobenfälle (Schulen) ausfällt.
Empirie: Quantitative Methoden
L19-2
Einfache Zufallsauswahl mit ignorierbaren Ausfällen
Realisierungswahrscheinlichkeiten
Nr.
Schulen Mittelwert Stichpr.-Plan. kein Ausfall
Mittelw.Wahrsch. quad. FehlerWahrsch.
1a
1,2
15%
1/3
4/8
154/24
254/24
1b
1
10%
1/3
2/8
102/24
1002/24
1c
2
20%
1/3
2/8
202/24
02/24
2a
1,3
20%
1/3
4/8
204/24
04/24
2b
1
10%
1/3
2/8
102/24
1002/24
2c
3
30%
1/3
2/8
302/24
1002/24
3a
2,3
25%
1/3
4/8
254/24
254/24
3b
2
20%
1/3
2/8
202/24
02/24
3c
3
30%
1/3
2/8
302/24
1002/24
Durchschnittswert
18/18
480/24 = 20%
1000/24 = 41.667
Wenn wie im Beispiel die Wahrscheinlichkeit eines Ausfalls unabhängig von den Werten der
interessierenden Größen ist, bleiben die Schätzungen unverzerrt. Die einzige Konsequenz ist
ein größerer Standardfehler, im Beispiel 6.455 = (41.667) statt 4.082. Der Standardfehler ist
größer, weil durch den Ausfall der Stichprobenumfang (im Durchschnitt) kleiner wird.
Diese Situation wird als vollkommen zufälliger Ausfall bezeichnet. In der Literatur wird i.a.
die englische Bezeichnung „missing completely at random“ (MCAR) benutzt, die von dem
Statistiker Rubin vorgeschlagen wurde. Ausfälle in der Situation MCAR sind ignorierbar, weil
trotz Ausfall unverzerrte Schätzungen resultieren.
Empirie: Quantitative Methoden
L19-3
Einfache Zufallsauswahl mit nicht ignorierbaren Ausfällen
Anders sieht es aus, wenn es einen Zusammenhang der Ausfallwahrscheinlichkeit mit den interessierenden Variablen der Untersuchung gibt. Dies führt grundsätzlich zu nicht ignorierbaren
Ausfällen.
Um dies zu demonstrieren, wird für Schule 1 eine Ausfallwahrscheinlichkeit von
1/6, für Schule 2 von 2/6 und für Schule 3 von 3/6 angenommen. Je höher der Anteil
der Schüler ohne Abschluss ist, desto höher ist also die Ausfallwahrscheinlichkeit.
Durch die unterschiedlichen Ausfallwahrscheinlichkeiten muss für jede der drei möglichen
Stichproben bei einer einfachen Zufallsauswahl eine eigene Tabelle mit unbedingten bzw. bedingten Realisierungswahrscheinlichkeiten berechnet werden:
Schule
2
1
Ausfall kein Ausfall
Ausfall
2/36
4/36
kein Ausfall 10/36
20/36

2/6
4/6

1/6
5/6
6/6
3
Ausfall kein Ausfall
3/36
3/36
15/36
15/36
3/6
3/6
Schule
3

2
Ausfall kein Ausfall 
1/6
6/36
6/36
2/6
5/6
12/36
12/36
4/6
6/6
3/6
3/6
6/6

Schule
2
3
Schule
3
1
Ausfall kein Ausfall  Ausfall kein Ausfall 
2
Ausfall kein Ausfall 
Ausfall
-4/34
2/17
-3/33
3/33
-6/30
1/5
kein Ausfall 10/34
20/34
15/17 15/33
15/33
30/33
12/30
12/30
4/5

5/17
12/17
17/17 15/33
18/33
33/33
2/5
3/5
5/5
Empirie: Quantitative Methoden
L19-4
Einfache Zufallsauswahl mit nicht ignorierbaren Ausfällen
Realisierungswahrscheinlichkeiten
Nr.
Schulen Mittelwert Stichpr.-Plan. kein Ausfall
1a
1,2
15%
1/3
10/17
1b
1
10%
1/3
5/17
1c
2
20%
1/3
2/17
2a
1,3
20%
1/3
15/33
2b
1
10%
1/3
15/33
2c
3
30%
1/3
3/33
3a
2,3
25%
1/3
2/5
3b
2
20%
1/3
2/5
3c
3
30%
1/3
1/5
Durchschnittswert
Mittelw.Wahrsch.quad. FehlerWahrsch.
1510/51 = 2.941
2510/51 = 4.902
10 5/51 = 0.980 100 5/51 = 9.804
20 2/51 = 0.784
0 2/51 = 0
2015/99 = 3.030
015/99 = 0
1015/99 = 1.515
10015/99 = 15.152
30 3/99 = 0.909
100 3/99 = 3.030
25 2/15 = 3.333
25 2/15 = 3.333
20 2/15 = 2.667
0 2/15 = 0
30 1/15 = 2.000 100 1/15 = 6.667
18.160
42.888
Dadurch, dass die Ausfallwahrscheinlichkeiten nicht unabhängig von den Ausprägungen der
interessierenden Variablen sind, sind die Schätzungen des Populationsmittelwerts verzerrt und
der Ausfall daher nichtignorierbar.
Innerhalb der nichtignorierbaren Ausfallsituationen gibt es wiederum zwei Möglichkeiten, die
Rubin als „missing at random“ (MAR) bzw. „observed at random“ später als „missing not at
random“ (MNAR) bezeichnet hat.
Zur Charakterisierung dieser beiden Situationen muss zunächst zwischen dem vollständigen
und dem teilweisen Ausfall einer Untersuchungseinheit unterschieden werden.
Empirie: Quantitative Methoden
L19-5
Unit-Nonresponse und Item-Nonresponse
• Der vollständige Ausfall einer Untersuchungseinheit wird als Unit-Nonresponse bezeichnet,
• der teilweise Ausfall bei einem oder mehreren Merkmalen als Item-Nonresponse.
Bei Item-Nonresponse liegen also zumindest einige Informationen über einen Fall vor, bei dem
allerdings andere interessierende Eigenschaften fehlen.
Eine MAR-Situation liegt vor, wenn die Ausfallwahrscheinlichkeit bei einer Variablen nur von
vorliegenden Informationen abhängt.
Als Beispiel soll von einer zweiwelligen Panelstudie ausgegangen werden, bei der
jeweils eine dichotome Variable, z.B. positive bzw. negative Beurteilung der Systemzufriedenheit, interessiert.
Zur Verdeutlichung wird zunächst wieder von vollständigen Daten ohne Ausfall ausgegangen.
Zu beiden Messzeitpunkten sind 2/3 mit dem politiSystemzuschen System zufrieden, während 1/3 jeweils unzufriefriedenheit ja nein

den ist.
Welja
75 25
100
Allerdings wechseln - etwa als Folge von mangelnder
le 2
nein
25 25
50
Reliabilität - zwischen den beiden Panelwellen jeweils

100 50
150
1/6 der Befragten ihre Beurteilung von zufrieden nach
unzufrieden oder umgekehrt. Es wird nun angenommen, dass die in der ersten Welle
systemzufriedenen Personen eine Ausfallwahrscheinlichkeit von 20% haben und die
unzufriedenen Personen eine von 40%.
Welle 1
Empirie: Quantitative Methoden
L19-6
Missing at Random
Welle 1
Systemzufriedenheit
Welja
le 2
nein

nur in Welle 1
beobachtet
ja nein
60 15
20 15
80 30
20
20

75
35
110
40
Durch den Ausfall reduziert sich die Zahl der Fälle bei den systemzufriedenen Personen von 100
auf 80. Die Zahl der in beiden Wellen zufriedenen
Personen reduziert sich von 75 auf 60 (= 0.875)
und die der in Welle 1 zufriedenen und in Welle 2
unzufriedenen auf 20 (= 0.825).
Der Ausfall von 40% der in Welle 1 unzufriedenen Personen reduziert die Anzahl
der in Welle 1 unzufriedenen und in Welle 2 zufriedenen Personen und der in beiden Wellen unzufriedenen Personen jeweils von 25 auf 15 (= 0.625).
Der Ausfall ist nicht ignorierbar, da im Unterschied zu den vollständigen Daten nun zwischen
Welle 1 und 2 eine Reduktion des Anteils der Zufriedenen von 72.7% (= 80/110) auf 68.2% (=
75/110) zu beobachten ist.
Diese Verzerrung kann jedoch relativ leicht kontrolliert werden, da die Ausfallwahrscheinlichkeit ausschließlich von vorhandenen Informationen abhängt.
Da aus den vorliegenden Daten ersichtlich ist, dass jeweils 20 von ursprünglich
100 bzw. 50 in Welle 1 systemzufriedenen bzw. unzufriedenen Personen ausfallen,
kann aus diesen Werten für die Zufriedenen eine Ausfallquote von 20% (= 20/100)
und für die Unzufriedenen von 40% (= 20/50) berechnet werden.
Empirie: Quantitative Methoden
L19-7
Missing at Random
Welle 1
Systemzufriedenheit
Welja
le 2
nein

nur in Welle 1
beobachtet
 Ausfallquote
ja nein
60 15
20 15
80 30
20
0.2
20
0.4
Welle 1

75
35
110

Systemzufriedenheit
ja
Welja
60/0.8 = 75
le 2
nein
20/0.8 = 25

80/0.8 = 100
nein
15/0.6 = 25
15/0.6 = 25
30/0.6 = 50

100
50
150
40
Werden nun die Werte in den Tabellenzellen mit dem Kehrwert der berechneten
Wahrscheinlichkeit nicht auszufallen multipliziert bzw. durch diese Wahrscheinlichkeit dividiert, lassen sich die vollständigen Daten ohne Ausfall wiederherstellen.
Obwohl also MAR-Ausfälle zunächst nicht ignorierbar sind, ist es doch möglich, durch Nutzung empirisch beobachtbarer Information zu unverzerrten Schätzungen zu kommen.
Anders ist es, wenn die Ausfallwahrscheinlichkeiten von nichtbeobachteten (ausgefallenen)
Werten abhängen.
Als Beispiel hierfür wird angenommen, dass die in der zweiten Welle systemzufriedenen Personen eine Ausfallwahrscheinlichkeit von 20% haben und die unzufriedenen
Personen eine von 40%. Die Ausfallwahrscheinlichkeiten hängen nun also gerade
von der Variablen ab, bei der Ausfälle auftreten.
Empirie: Quantitative Methoden
L19-8
Not missing at Random
Welle 1
Systemzufriedenheit
Welja
le 2
nein

nur in Welle 1
beobachtet
 Ausfallquote
Welle 1
ja
60
15
75
nein
20
15
35

80
30
110
25
.25
15
.30
40

Systemzufriedenheit
ja
nein
Welja
60/.75 = 80 20/0.7 = 28.6
le 2
nein
15/.75 = 20 15/0.7 = 21.4

75/.75 = 100 35/0.7 = 50.0

108.6
41.4
150.0
Werden wieder wie im MAR-Beispiel aus den vorhandenen Informationen über die
Ausfälle nach der 1. Welle Ausfallquoten berechnet und diese benutzt, um zu versuchen, die vollständigen Daten herzustellen, zeigt sich, dass dies nicht möglich ist:
Die Zahl der Zufriedenen in Welle 2 wird über-, die der Unzufriedenen unterschätzt.
Ausfällen, die weder MCAR noch MAR sind, sind nicht ignorierbar und es ist zudem nicht
möglich, durch ausschließliche Nutzung vorliegender Information zu unverzerrten Schätzungen zu kommen.
Unverzerrte Schätzungen sind hier nur möglich, wenn der Ausfallprozess bei der Schätzung
korrekt berücksichtigt wird. Es bedarf daher zusätzlicher (externer) Informationen.
Angenommen, es ist (durch andere Daten) bekannt, dass in der zweiten Welle, das
Verhältnis von Zufriedenen zu Nichtzufriedenen 2 zu 1 beträgt.
Empirie: Quantitative Methoden
L19-9
Not missing at Random
Welle 1
Systemzufriedenheit ja
Welja
60
le 2
nein
15

75
nein
20
15
35

80
30
110
bekannte
Verteilung
für Welle 2
2/3
1/3
führt
zu
Korrekturfaktor
11/82/3 = 11/12
11/31/3 = 11/9

Welle 1
Systemzufriedenheit
ja
nein
Welja
6011/12 = 55
2011/12 = 18.333
le 2
nein
1511/9 = 18.333 1511/9 = 18.333

73.333
36.667

73.333
36.667
110.000
Aus dem Produkt des Kehrwerts aus der beobachteten Verteilung in Welle mal der
bekannten tatsächlichen Verteilung für Welle 2 lassen sich Korrekturfaktoren berechen, deren Anwendung zu einer unverzerrten Schätzung der relativen Häufigkeiten führt: Für die rekonstruierten Daten gilt wie für die vollständigen Daten,
dass sich das Verhältnis der systemzufriedenen zu den systemunzufrieden Personen
nicht ändert und die Zahl der Wechsler von zufrieden zu unzufrieden bzw. umgekehrt jeweils gleich ist und 1/6 (=18.333/110) der Fallzahl beträgt.
Empirie: Quantitative Methoden
L19-10
Not missing at Random
Welle 1
Systemzufriedenheit ja
Welja
60
le 2
nein
15

75
nein
20
15
35

80
30
110
bekannte
Verteilung
für Welle 2
2/3
1/3
führt
zu
Korrekturfaktor
11/82/3 = 11/12
11/31/3 = 11/9

Welle 1
Systemzufriedenheit
ja
nein
Welja
6011/12 = 55
2011/12 = 18.333
le 2
nein
1511/9 = 18.333 1511/9 = 18.333

73.333
36.667

73.333
36.667
110.000
Auch bei missing not at random ist es also im Prinzip möglich, unverzerrte Schätzungen zu
erhalten. Voraussetzung ist allerdings, dass externe Daten vorliegen, die es erlauben, den Ausfallprozess bei der Schätzung der eigentlich interesssierenden Größen korrekt zu modellieren.
Im Beispiel wird so die Information genutzt, dass die nur teilweise beobachteten
Werte der zweiten Welle den Ausfallprozess steuern und dass die korrekte Verteilung
in Welle 2 bekannt ist.
Wird der Ausfallprozess nicht korrekt modelliert, kann es sein, dass die ausfallkorrigierten
Schätzungen noch stärker verzerrt sind als vor der Ausfallkorrektur.
Empirie: Quantitative Methoden
L19-11
Ausfallgründe in Befragungen
Zur Beurteilung der Qualität einer Stichprobe ist es sinnvoll, möglichst detaillierte Informationen über die Ausfallgründe von Unit-Nonresponse zu erhalten. Bei Befragungen werden
daher Ausfallgründe regelmäßig mit erhoben.
Dabei wird meist zwischen stichprobenneutralen und systematischen Ausfällen unterschieden,
wobei für stichprobenneutrale Ausfälle unterstellt wird, dass sie irrelevant sind, d.h. missing
completely at random (MCAR).
Als unproblematische, stichprobenneutrale Ausfallgründe gelten etwa bei Telefonumfragen:
• kein Anschluss unter gewählter Nummer,
• technische Probleme (Störungen): hier wird unterstellt, dass technische Defekte nicht mit
inhaltlichen Variablen einer Umfrage korreliert sind,
• kein Privathaushalt (bei Befragung von Personen in Privathaushalten),
• keine Zielperson im Privathaushalt (z.B. Ausländer bei Wahlumfragen),
• statt Telefonanschluss Nummer für Fax oder Modem: wenn allerdings in einem Privathaushalt eine Nummer auch als Fax oder Modem genutzt wird, kann eine fälschliche Zuordnung
als Fax oder Modem erfolgen.
Empirie: Quantitative Methoden
L19-12
Ausfallgründe in Befragungen
Von kommerziellen Erhebungsinstituten werden oft auch die folgenden Gründe als stichprobenneutral bezeichnet:
• kein Kontakt nach maximaler Anzahl von Kontaktversuchen,
• Zielperson krank,
• Zielperson über Erhebungszeitraum abwesend (z.B. verreist),
• Zielperson trotz mehrerer Versuche nicht erreichbar.
Problematisch ist diese Einteilung, weil Krankheit und Nichterreichbarkeit nicht gleichmäßig
über die Bevölkerung verteilt sind und es daher nicht sicher ist, dass die Ausfälle bezogen auf
die erhobenen Variablen tatsächlich MCAR sind.
Systematische Ausfallgründe sind:
• Hörer aufgelegt
• keine Auskunft über mögliche Zielperson erhalten
• Zielperson verweigert unter Hinweis auf fehlendes Interesse
• Zielperson verweigert unter Hinweis auf keine Zeit
• Zielperson verweigert unter Hinweis keine Auskunft am Telefon
• Zielperson verweigert aus anderen Gründen
Empirie: Quantitative Methoden
L19-13
Ausfallgründe in Befragungen
Die Ausschöpfungsquote berechnet sich aus dem Verhältnis der Anzahl der realisierten Fälle
in der Stichprobe (Nettostichprobenumfang) zur Anzahl der nach dem Stichprobenplan auszuwählenden Elemente der Population (Bruttostichprobenumfang).
Da in der Regel stichprobenneutrale Ausfälle von der Bruttostichprobe abgezogen werden und
hier Spielraum besteht, ist die Ausschöpfungsquote nicht das Qualitätsmerkmal einer Erhebung, für das es oft gehalten wird. So ist durchaus eine gewisse Skepsis angebracht, wenn in
Querschnittserhebungen der Wohnbevölkerung Ausschöpfungsquoten von 70 oder mehr
Prozent berichtet werden. Realistischer dürften z.Z. Ausschöpfungsquoten zwischen 30 und 60
Prozent sein.
Da Ausfälle die Realisierung des Stichprobenplans verhindern, können Ausfälle die Vorzüge
von Zufallsauswahlen (statistische Repräsentativität) zunichte machen. So hat sich bei einigen
Wahlumfragen gezeigt, dass etwa Quotenauswahlen innerhalb zufällig ausgewählter Gebiete
nicht stets zu schlechteren Ergebnissen führen als (scheinbar) zufällige Random-Walks.
Empirie: Quantitative Methoden
L19-14
Gewichtungen
Bei der Analyse von Daten wird jeder Fall standardmäßig so berücksichtigt, wie er beobachtet
ist. Die Daten sind dann ungewichtet oder gleichgewichtet.
Von gewichteten Daten spricht man, wenn den Fällen der Stichprobe unterschiedliche Gewichte zugeordnet werden und diese Gewichte in die Datenanalyse einfließen.
So wurde in den Beispielen zum nicht ignorierbaren Ausfall die Werte in den Tabellenzellen mit unterschiedlichen Werten multipliziert. Das gleiche Ergebnis stellt
sich ein, wenn bei der Situation „missing not at random“ jeder Fall, der in der
zweiten Welle bei der Systemzufriedenheit die Ausprägung „zufrieden“ ausweist,
das Gewicht 11/12 erhält, und jeder Fall mit der Ausprägung „unzufrieden“ das
Gewicht 11/9 und dann die Berechnung mit gewichteten Daten durchgeführt wird.
Das Beispiel zeigt, dass gewichtete Daten zu „besseren“ Schätzungen führen können als ungewichtete Daten.
In der Praxis der Sozialforschung werden zwei Arten von Gewichten eingesetzt:
• Designgewichte sind für unverzerrte Schätzungen notwendig, wenn der Stichprobenplan
einer empirischen Erhebung die Zahl der Stichprobenfälle in den Schichten oder Klumpen
nicht proportional zu den entsprechenden Populationszahlen vorsieht.
So werden in Deutschland in Bevölkerungsumfragen in der Regel sehr viel mehr
Befragte aus den neuen Bundesländern befragt, als es dem Bevölkerungsanteil entspricht. Dies ermöglicht genauere Ost-West-Vergleiche, verzerrt aber Schätzungen
für Gesamtdeutschland.
Empirie: Quantitative Methoden
L19-15
Gewichtungen
Als Ausgleich werden daher Designgewichte verwendet, die Befragten aus den
neuen Ländern ein geringeres und Befragten aus den alten Ländern ein höheres
Gewicht geben.
Da in Umfragen i.a. nur eine Person pro Haushalt befragt wird, haben Befragte
aus Mehrpersonenhaushalten notwendigerweise eine geringere Chance, in die
Stichprobe zu gelangen als Befragte aus Einpersonenhaushalten. Designgewichte,
die die Anzahl der Zielpersonen im Haushalt berücksichtigen, gleichen dies aus.
Designgewichte sind so konstruiert, dass sie proportional zum Kehrwert der Auswahlwahrscheinlichkeit eines Falles in der Stichprobe sind. Um nicht den Stichprobenumfang zu verändern wird zudem sichergestellt, dass die Summe der Gewichte gleich der Stichprobenfallzahl ist.
• Gewichte werden darüber hinaus verwendet, um Ausfälle zu korrigieren. Diese Art von Gewichtung wird als Redressment bezeichnet. Statistisch gesehen handelt es sich um eine Poststratifizierung, (engl.: Post-Stratification), die Abweichungen zwischen Stichproben- und
Populationsverteilungen bei den Gewichtungsvariablen verhindert.
Das Beispiel zur Korrektur der Verzerrung bei Ausfällen missing not at random
kann auch als Beispiel für ein Redressment interpretiert werden, als die Abweichung der empirischen Verteilung der Systemzufriedenheit von der Verteilung in
der Population zum zweiten Messzeitpunkt korrigiert wird.
Die Gewichte sind proportional zum Kehrwert der relativen Stichprobenhäufigkeiten mal
den relativen Populationshäufigkeiten.
Empirie: Quantitative Methoden
L19-16
Gewichtungen
Kommerzielle Umfrageinstitute benutzen Redressment, um sogenannte Repräsentativgewichte zu erzeugen. In die Berechnung der Gewichte fließen oft Region und
Haushaltsgröße sowie Alter, Geschlecht und Schulbildung als Gewichtungsvariablen ein.
Repräsentativgewichte sind also meist Kombinationen aus Designgewichtung und Poststratifizierung.
Gewichte können Schätzungen verbessern. Dies ist allerdings an Voraussetzungen gebunden:
• So sind Designgewichte zwar theoretisch notwendig, um bei disproportionalen Stichproben
unverzerrte Schätzungen zu erhalten. Vorausgesetzt wird dabei allerdings, dass der Stichprobenplan auch realisiert wird, also nur Ausfälle vorkommen, die MCAR sind.
In Umfragen zeigt sich meist, dass Einpersonenhaushalte schlechter erreichbar
sind als Mehrpersonenhaushalte. Designgewichte, die ungleiche Haushaltsgrößen
ausgleichen sollen, können daher bewirken, dass Einpersonenhaushalte stärker
unterrepräsentiert werden als in den ungewichteten Daten. Die Gewichte verschlechtern dann die Schätzungen.
In der Praxis werden daher Designgewichte oft mit Poststratifizierung kombiniert.
• Gewichte zum Ausgleich von Ausfällen sind nur dann optimal, wenn sie den Ausfallprozess
korrekt wiedergeben.
Wenn also z.B. eine Altersgruppe in einer Stichprobe nicht so oft vorkommt wie in
der Population und dies durch Gewichtung ausgeglichen wird, wird unterstellt, dass
Empirie: Quantitative Methoden
L19-17
Gewichtungen
die Befragten, die nach dem Stichprobenplan in der Altersgruppe befragt werden
sollten, aber nicht erreicht wurden, die gleiche Verteilung der Beobachtungswerte
aufweisen wie die in dieser Altersgruppe tatsächlich Befragten.
Statistisch gesehen bedeutet dies, dass die Ausfälle bezogen auf die Gewichtungsvariablen
zwar nicht „completely missing at random“ aber doch „missing at random“ (MAR) sind.
Wenn andere Variablen als die Gewichtungsvariable den Ausfallprozess beeinflussen, dann
führt die Gewichtung zu um so besseren Schätzungen, je höher die Gewichtungsvariablen
mit den Variablen korrelieren, die den Ausfallprozess beeinflussen.
• Redressment über mehrere Variablen setzt Kenntnis über die gemeinsame Verteilung aller
Gewichtungsvariablen in der Population voraus. Tatsächlich sind aber oft nur die getrennten
univariaten Verteilungen der Gewichtungsvariablen bekannt. Mit spezifischen Rechenalgorithmen werden die Gewichte dann so bestimmt, dass alle univariaten Verteilungen der Gewichtungsvariablen reproduziert werden. Dies gilt aber nicht notwendigerweise für die gemeinsame (multivariate) Verteilung der Gewichtungsvariablen. Die Gewichte führen daher
nicht notwendigerweise zu korrekter multivariaten Poststratifizierung.
• Redressmentgewichte beziehen sich auf den Ausgleich von Unit-Nonresponse. Darüber hinaus gibt es jedoch meist auch Item-Nonresponse, der durch Repräsentativgewichte nicht berücksichtigt wird. Es ist nicht auszuschließen, dass Repräsentativitätsgewichte unvorteilhaft
mit Variablen korrelieren, die den Item-Nonresponse beeinflussen, und daher die Schätzungen nicht verbessern, sondern verschlechtern.
Empirie: Quantitative Methoden
L19-18
Gewichtungen
• Bei der Datenanalyse gewichteter Daten müsste berücksichtigt werden, dass sich durch die
Gewichtung die Standardfehlern ändern.
Tatsächlich wird dies in den meisten Analysen genauso wenig berücksichtigt wie ein komplexes geschichtetes mehrstufiges Stichprobendesign. Stattdessen wird bei vielen Datenanalysen von einer einfachen Zufallsauswahl ohne Ausfall ausgegangen, auch wenn diese Situation tatsächlich nicht vorliegt.
Es gibt Alternativen zu Gewichtungen:
• Wenn der Zusammenhang einer abhängigen Variable mit erklärenden Variablen interessiert,
ergeben gewichtete Datenanalysen die gleichen Ergebnisse wie ungewichtete Analysen,
wenn alle Gewichtungsvariablen als zusätzliche erklärende Variablen in die Analyse eingehen. Die Berechnung der Gewichte ist dann nicht notwendig.
• In der Statistik werden zunehmend neue Verfahren entwickelt und in der Sozialforschung
eingesetzt, die auf der Basis der verfügbaren Informationen die zusätzlichen Fehlermöglichkeiten durch Ausfälle abschätzen und zu korrigieren versuchen.
Empirie: Quantitative Methoden
L19-19
Literaturhinweise:
• Schnell u.a., 6.
• Diekmann, B. IX.
Empirie: Quantitative Methoden
L19-20
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