Ingo Rechenberg PowerPoint-Folien zur 2. Vorlesung Bionik II (Biosensorik /Bioinformatik) Integrierte Leistungen von Sinnesorganen Exotische Messprinzipien in der Natur Die Mückenantenne Der Tenor und die Mücken Er übt den Kammerton a Akustische Antenne einer männlichen Stechmücke Flügelschlagfrequenz: Weibchen ≈ 400 Hz Männchen ≈ 600 Hz Antenne einer männlichen und einer weiblichen Stechmücke Lagerung der Antennenschäfte im Johnstonschen Organ Das Johnstonsche Organ an der Basis einer Fliegenantenne Haar Antennenbasis Pedicellus Sinneszellen äußerer Skolopidienring innerer Skolopidienring Basalplatte basale Skolopidien Nervenkomplex Scapus Werden gedehnt und gestaucht, wenn sich der Schaft der Antenne bewegt 7 nm Potenzialänderung Schaft versteift Mücke Oszilloskop Erklärung Oszillierender Eisenstab Ableitung der Potenziale aus dem Johnstonschen Organ Ableitung fAbleitung = fAnregung fAbleitung = 2 fAnregung Das JOHNSTON-Organ an der Basis einer Fliegenantenne Haar Antennenbasis Pedicellus Sinneszelle äußerer Skolopidienring innerer Skolopidienring Basalplatte basale Skolopidien Nervenkomplex Scapus Die ca. 30000 Sinneszellen (Skolopidien) reagieren primär auf Zug Auf-Ab-Schwingung Quasi doppelte Frequenz Kipp-Schwingung Modellvorstellung zur Signalwandlung im JOHNSTONschen Organ In dem Modell sollen Federn als Spannungs-Sensoren ebenfalls einseitig reagieren, aber im Gegensatz zur Natur nur auf Druck und nicht nur auf Zug Bei der Messung Summierer einfache Summation der Signale Bewegte Luftmoleküle schleppen die Antenne auf und ab, hin und her, oder dazwischen Dioden für einseitige Signale Bei Kippschwingungen ≈ doppelte Frequenz Erste experimentelle Realisierung (1976) Charakteristische Geschwindigkeit der akustisch bewegten Luftpartikel Ergebnis: Nicht verwechseln mit der Schallgeschwindigkeit ! Grobes Modell Die Mücke besitzt ein Schallschnelle-Vektormessgerät. Die gefiederte Geißel wird von den longitudinal hin und her schwingenden Luftmolekülen mitgeschleppt. Das Verhältnis von Grundwelle zur Oberwelle bestimmt die Schlepprichtung der Geißel. Microflown Schallschnelle-Sensor der Firma ISMB Technologies Herkömmliche Mikrofone messen die durch eine Schallwelle hervorgerufene Druckänderung. Microflown SchnelleMikrofone messen hingegen direkt die Teilchenbewegung der Luft. Dazu werden drei winzige Platindrähte auf ca. 200°C erhitzt. Die Schallwelle in der Luft lässt die Luftmoleküle unterschiedlich schnell an diesen Drähten vorbeifließen. Diese differentielle Abkühlung verändert den Widerstand der Drähte, was durch entsprechende Wandlung als elektrisches Signal messbar gemacht wird. Hitzdrahtmikrofon Schnelle-Mikrofon Traditionelle Messmikrofone messen den Schalldruck. Das Messen der Schallschnelle, der zweiten wichtigen akustischen Größe, war lange Zeit nur indirekt möglich. Die Firma Microflown Technologies BV in den Niederlanden hat nun einen Sensor entwickelt welche die Schallschnelle (oft auch Teilchengeschwindigkeit) direkt messen kann. Das Wirkprinzip des Sensors beruht auf einer verbesserten Heizdrahttechnologie, bei der eine Temperaturdifferenz über zwei parallele Heizdrähte gemessen wird. Sie dient dabei als direktes Maß für die akustische Geschwindigkeit. Der Sensor basiert auf MEMS Technologie, ist äußerst klein und deckt den ganzen akustischen Messbereich (also auch die tiefen Frequenzen) ab. Da die Schallschelle eine gerichtete Größe ist, können damit Quellen beim Abhören viel präziser geortet werden. Sensor 0.5 mm Büschelantenne Schall Partikel Mikrosystem künstliche Mückenantenne Eigenfrequenz Messwandler & Schwinger Das Seitenlinienorgan der Fische Seitenlinienorgan des Hais Poren Schuppen Gallerte Innerer Kanal Poren Haarzellen Momentan induzierte Geschwindigkeit Druckwelle ! Nervenfasern Innerer Kanal Artspezifische Strömungsspur Sonnenbarsch Buntbarsch These: Fische hinterlassen eine Strömungsspur, die noch nach Minuten über das Seitenlinienorgan gefühlt wird. Kugelfisch H. Bleckmann und W. Hanke: Journal of Experimental Biology 207, S.1585-1596. Fischschwarm Man fühlt sich gegenseitig über das Seitenlinienorgan Ein künstliches Sinnesorgan, das dem Seitenlinienorgan von Fischen nachempfunden ist, soll Unterwasserrobotern die Navigation erleichtern. Sie könnten damit Hindernisse früher erkennen und sich in den Weiten der Ozeane besser orientieren, berichten der Ingenieur Chang Liu und der Neurobiologe Fred Delcomyn von der University of Illinois. Das künstliche Seitenlinienorgan besteht aus winzigen Siliziumscheibchen mit dreidimensionalen haarähnlichen Strukturen auf der Oberfläche. Jedes der „Siliziumhaare“ ist über ein Mikrogelenk mit einem elektronischen Sensor verbunden. Das entspricht dem natürlichen Vorbild, bei dem jede Haarzelle mit einer Nervenzelle verbunden ist. Werden die künstlichen Härchen von einer Wasserströmung gebogen, erhalten diese Sensoren Informationen über Richtung und Stärke der Strömung. Diese Daten geben sie an einen Computer weiter, der die Bewegungen interpretiert und ein Bild über die Umgebung berechnet. REM-Bild eines künstlichen Haarzellen-Sensors. Das „technische Cilium“ ist 350 m m hoch. Fast 100 × höher als in der Biologie Seitenlinien Organ Autonomes Unterwasser-Vehikel „erfühlt“ seine Umgebung Elektroortung bei Fischen Poren Das elektrorezeptive System des Hais Lorenzinische Ampullen (= modifizierte Haarzellen) Hammerhai beim Abscannen des Meeresbodens „EEG“ einer verborgenen Scholle Passive Elektroortung 400 Hz Metalldetektor Elefantenrüsselfisch (Gnathonemus petersii) Aktive Elektroortung leitend nichtleitend Feldverzerrung Um die Fähigkeit der Elektroortung von G. petersii zu testen, wurden einzelnen Tieren nach dem Zufallsprinzip unterschiedlich entfernte Objekte hinter zwei Öffnungen in einer Trennwand präsentiert. Schwamm der Fisch durch das Tor, hinter dem sich das weiter entfernte Objekt befand, wurde er belohnt. Frequenzanalyse in der Cochlea Tektorialmembran Äußere Haarzellen Innere Haarzellen Cochlea Basilarmembran Sie verstärken die Verschiebung Tektorialmembran/Basilarmembran Die äußeren Haarzellen wirken durch eine Verlängerung bei Abbiegung als „Servomotor“ Hammer Amboss Steigbügel Cochläre Tennwand Trommelfell Gehörknöchelchen Untersetzungsgetriebe Ovales Fenster Rundes Fenster Wanderwelle Basilarmembran Wanderwellentheorie nach Georg von Békésy Anregungsfrequenz Gelenkketten-Ölmodell Maximale Amplitude bei hoher Anregungsfrequenz Gelenkkette z. B. Kette am Abflussstöpsel einer Badewanne Öl Maximale Amplitude bei niedriger Anregungsfrequenz Zirpen einer Grille Wanderwellenmaximum bei einem hohen und einem tiefen Ton Quaken eines Ochsenfroschs Ultraschallortung der Fledermäuse Echoortung der Fledermaus Vorteil des FM (Frequenz modulierten) Rufes: Die empfangene Frequenz überlagert nicht die Ruffrequenz! CF-FM-Ruf Bei der Jagd wird die Frequenz des Ortungslautes so verändert, dass der Doppler-Effekt kompensiert wird und die Frequenz des Echos immer im Bereich der Hörfovea liegt. 61kHz Regler Ruf Strecke Doppler-Kompensation Echo Frequenz KHz 90 CF Suche FM-Ruf FM Identifizierung Nur FM 3. Harmonie 60 2. Harmonie 30 1. Harmonie Zeit Zeit Die Navigation der Bienen Honigbiene fliegt durch einen optisch gemusterten Tunnel ( Preisgekröntes „echtes“ Foto von Marco Kleinhenz ) Der Akteur und die Requisiten Schwänzeltanz mit 4 Nachfolgerinnen Schwänzeltanz mit großer Gefolgschaft Bienentanz Richtungsweisung auf der vertikalen Wabenfläche 11 10 Umlaufzeit / s 9 8 7 6 5 4 3 2 Apis mellifica carnica 1 0 0 1000 2000 3000 4000 5000 6000 7000 8000 9000 10000 Entfernung / m Tanztempo und Entfernung des Futterplatzes Normal schwingt Licht in alle Richtungen Polarisationsfolie Sonne Polarisationsmuster des Himmels Polarisationsrichtung Karl von Frisch (1886-1982) Nobelpreis 1973 Sternfolie von Karl von Frisch Sollkurs 8 m/s Abdrift durch Seitenwind 60 km 40 km/h 300 km Flensburg 200 km/h Hannover Bienenflug über ein Gewässer bei Wind Foto: Gabriele Jesdinsky Rüsselkäfer Versuchstier zur Aufklärung der optomotorischen Reaktion Mathematisches Modell Verhaltensphysiologische Methode Kontrollierte Reizgebung Messung der Reaktion Der Spangenglobus Der klassische Rüsselkäferversuch von Hassenstein und Reichardt (1948-1952) Spangenglobus und Korrelationsauswertung Der Käfer Chlorophanus trägt, für die Dauer des Versuchs freischwebend fixiert, den aus Stroh gefertigten Spangenglobus in seinen Füßen mit eigener Kraft, und dreht ihn, indem er vorwärts läuft. Gewicht des Spangenglobus: 0,1 g Durchmesser des Spangenglobus: 29 mm Optischer Korrelationssensor Wahlreaktion der Käfer w 0,6 0,4 0,2 0 wrechts 1 10 100 1000 Grad/s Winkelgeschwindigkeit der Musterbewegung Zahl der Rechtswendungen 50 50 bei 100 Käferentscheidungen Optomot. Reaktion o 120 o 100 o 80 o 60 o 40 o 20 o 0 0 0,1 1 10 Mustergeschwindigkeit 100 Die Grille läuft auf einer luftgelagerten StyroporKugel. Das rotierende Streifenmuster erzeugt eine Drehreaktion. Messung der optomotorischen Reaktion einer laufenden Grille (1999) Physikalisches Modell 1 2 D D Bedingung: Abstand der Hell-Dunkel-Sprünge >> Abstand der Sehelemente Macht aus dem Sprung ein Impuls Zieht den Impuls in die Länge Impuls füllt Sanduhr Der elementare Links-Rechts-Bewegungssensor Verbleibende Füllhöhe des Sandes ist der Multiplikator Multiplikator Hochpassfilter Es wird multipliziert, wenn der HellDunkel-Sprung den Sensor 2 erreicht Tiefpassfilter (Sanduhr) D Mathematisches Modell der Regelungstechniker s 1 1 s 1 s 1 1 s 1 1 1 s 2 1 1 s 2 1 sT 1 sT s 1 d x y dy 1 1 1 s 1 dt dt d 1 x d d s dt x 1 d y 1 1 y dt dt dt 1 1 d dt Aus dem Hell-DunkelSprung wird ein Impuls 0 1 2 3 4 5 6 0 1 2 3 4 5 6 0 1 2 3 4 5 6 0 1 2 3 4 5 6 Übertragungsfunktion: Zwei-Ommatidien-Schaltung Mittelwertbildner Mittelwertbildner Heute GPS !!! Montage an ein Motorflugzeug Abdriftsensor nach dem Vorbild des Bienenauges (1977) Erprobung am Segelflugzeug ASK 13 HeliCommand Optischer Geschwindigkeitsmesser für Modellhubschrauber und Mikro Air Vehikel Stehen über Grund Das Oszillationsgyroskop der Wiesenschnake Foto: M. Wiora Foto: Klaus Maritschnig Der schwingende Kreisel der Wiesenschnake Schwingkölbchen Es gibt Patente für ein Oszillationsgyroskop Originaltext aus der Vorlesung Bionik II am 2. 11. 1978: Klöppelorgan Die Hinterflügel bei Dipteren (Zweiflügler) sind zu Schwingkölbchen ausgebildet. Bei einer anderen Insektenart, den Fächerflüglern, sind es die vorderen Flügel. Fliegen und Mücken können ohne dieses Organ nicht mehr richtig fliegen, sondern stürzen, in die Luft geworfen, unter dauernden Drehungen ab. Das Klöppelorgan kann verglichen werden mit einem Kreiselkompass zur Feststellung von gleichförmigen Drehbewegungen.. Das Labyrinth des Menschen kann nur Drehbeschleunigungen messen. Versuche mit Fliegen im Dunkeln haben ergeben: Die Halteren sind Drehsinnesorgane. Der biologische Kreiselkompass arbeitet ohne rotierende Teile. Die Sperry-Rand-Werke haben diesen biologischen Kreiselkompass nachgebaut. Sie entwarfen ein Gyroskop ohne rotierende Teile, das Gyrotron. Das war 1978 Und Heute 2013 MEMS Gyroskop im iPhone In dem internationalen Magazin „The Rotarian“ erscheint im Mai 1962 die Meldung: The common housefly served as the model for the first gyroscope with no rotating parts, the Gyrotron, build experimentally by the Sperry Rand Corporation. Stimmgabelzinken Schwingung Richtung der Corioliskraft Kapazitive Siliziumfinger Feder Masse piezoelektrisch bewegt Verschiebung Verankerung MEMS Schwingungs-Gyro Micro Electro Mecanical System Experiment im Panthéon in Paris mit einem 67 m langen Pendel Plattform Erde Rotation der Plattform Gyro Änderung der Kapazitäten Michael Pfeiffer Das Foucaultsche Pendel Prinzip eines Gyro MEMS Schwingkölbchen Insekt Die AR Drone Parrot mit von den Insekten abgeleiteten Schwinggyroskopen und mit einem von der Fledermaus inspirierten Entfernungssonar Ein 2-achsiges MEMS-Gyroskop und ein piezoelektrisches Präzisionsgyroskop übernehmen die Giermessungen und die Richtungssteuerung. Die Entwicklung eines MEMS nach dem Vorbild der Mückenantenne (Schallschnelle-Vektormessgerät) wäre ein lohnendes Projekt für heute ! Schwarm von Mikro Air Vehikeln Exotische Messprinzipien der Natur Zusammenfassung: 1. Die Mückenantenne als Schallschnelle-Vektormessgerät 2. Das Seitenlinienorgan als Fernfühlmessgerät (Ferntastsinn) 3. Das „EEG“-Messsystem des Hais 4. Elektrische Umgebungsabtastung durch den Elefantenrüsselfisch 5. Die Cochlea als Wanderwellen-Frequenzanalysator 6. Die Doppler-Regelung bei der Echoortung der Fledermaus 7. Die berührungslose Geschwindigkeitsmessung der Bienen 8. Der rotationslose Kreiselkompass der Wiesenschnake Ende www.bionik.tu-berlin.de