Hörphysiologie: Cochlea und Hörnerv Funktion des Mittelohres • Impedanzanpassung von Luft zur Flüssigkeit (Endolymphe und Perilymphe) • Die Fläche des Trommelfells ist 17x größer als die des ovalen Fensters • Durch die Hebelwirkung der Mittelohrknöchelchen wird eine zusätzliche Verstärkung mit dem Faktor 1.3 erreicht. • Gesamtverstärkung: Faktor 22 Minimale Schwingungsamplituden im Pikometer-Bereich (10-12) Frequenzabbildung im Innenohr Frequenzabbildung im Innenohr Helicotrema Helicotrema tiefer Ton tiefer Ton Menschliche Cochlea: 2,5 Windungen Ovales Fenster Ovales Fenster hoher Ton Ovales Fenster hoher Ton Ovales Fenster 1 Cochlea Folge der logarithmischen Anordnung: gleiche Frequenzverhältnisse (Intervalle) entsprechen gleichen Distanzen ! Helicotrema Reissnersche Membran Modiolus Stria vascularis Scala vestibuli -40 mV +80 mV Scala media -40 mV • Länge der Basilarmembran: ca. 3 cm • Frequenzumfang von etwa 10 Oktaven • 1 Oktave: Abstand von 3 mm Basilarmembran Corti-Organ Ganglion spirale Scala tympani Hörnerv Corti-Organ innere Haarzelle Tektorialmembran Retikularmembran äußere Haarzelle Deiterzelle Stützzelle Afferente Nervenfasern Basilarmembran Afferente und efferente Nervenfasern innere Haarzellen (ca. 3500 Sinneszellen, 40 Haare pro Zelle) Innervation: ca. 90% der Hörnervenfasern äußere Haarzellen (ca. 12.000,140 Haare pro Zelle) zur mechanischen Verstärkung der Basilarmembran-Schwingung (1 von 3 Reihen dargestellt) Innervation: ca. 10% der Hörnervenfasern (30.000) zusätzlich: 1800 efferente Neuronen zur aktiven Steuerung Innere Haarzellen Stufen der Reizübertragung • Mechanisch über Basilarmembranschwingung • Elektrische Potentiale über Haarzellen (‘analog’) • Feuerraten des Hörnervs (‘digital’) ‘Tip links’ öffnen Ionenkanäle (180 pro Zelle) an Spitze der Stereocilien: Kalium strömt ein - Depolarisation 2 Elementare Wahrnehmungsleistungen: Bestimmung von Lautstärke, Richtung, Tonhöhe und zeitlicher Abfolge • Aus welcher Richtung kommen die Wellen? • Wie weit sind die anregenden Quellen entfernt? • Welche Art von Wellen werden genau ausgesandt? Komplexitätsstufen der Sprachverarbeitung Die Anzahl der informationsverarbeitenden Nervenzellen steigt vom Ohr zu höheren Gehirnzentren hin rapide an. Dies zeigt, dass bewusste Verarbeitungsprozesse eine entscheidende Rolle spielen Großhirn 100.000.000 Zwischenhirn 500.000 Mittelhirn 400.000 Hirnstamm 90.000 Hörnerv 30.000 Innenohr 3.500 Abbildung aus Spitzer, M. 2002 Ausbreitung einer Druckwelle im Raum Der Schalldruck (Druck/Fläche; Newton/m2 bzw. Pascal) nimmt mit dem Quadrat der Entfernung ab Meist in dB (relatives Maß) angegeben: halber Druck (doppelte Entfernung): -6 dB Abfall im Schalldruckpegel Das Gehör muss eine enorme Spanne an Schalldruckpegeln erfassen. Intensitätswahrnehmung 3 Hörbereich des Menschen Hörbereich des Menschen L (Schalldruckpegel) = 20.lg (∆ p/∆ p0) ∆ p: effektive Druckänderung p0: Referenzschalldruck 2x10 -5 Newton/m 2 (niedrigste Schwelle bei 1 kHz) für dB SPL -6 dB: halber Schalldruck (50 %) -3 dB: ca. 71 % -1 dB: 89 % Subjektive Halbierung der Lautheit: -10 dB 1 Sone: Sinuston mit 1000 Hz und 40 dB SPL 2 Sone: doppelt so laut entspricht 50 dB SPL 4 Sone: viermal so laut entspricht 60 dB SPL ... Erhöhung um 10 dB: Verdoppelung der Lautheit; 100 gleiche Schallquellen Demos zur Lautheitswahrnehmung Äußere Haarzellen Aktive Verstärkung der passiven Wanderwelle • Der gesamte hörbare Frequenzbereich wird zwischen 20 Hz und 16000 Hz mit konstantem Schallpegel durchfahren. Trotzdem verändert sich der Lautstärkeeindruck. • Durch den Verlauf der Hörschwelle wird die Lautstärke des Tones zunehmend lauter empfunden und erfährt im Bereich zwischen 2 kHz und 5 kHz ein Maximum. Ab dem Bereich von 10 kHz wird die Lautstärke sehr schnell abnehmen. Funktion: Energieverstärkung bei niedrigen Intensitäten Durch übermäßige Schalleinwirkung geschädigte äußere Haarzellen 4 Verlust des Dynamikbereiches und der Frequenzselektivität „Recruitment“: die äußeren Haarzellen sind defekt; die Basilarmembran schwingt nur noch passiv, vergleichbar einer toten Cochlea. Konsequenz: Töne werden erst überhaupt nicht gehört, dann plötzlich sehr laut. Auch die Frequenzunterscheidung ist vermindert. Töne klingen unscharf und „verrauscht“. Durch Recruitment bedingte verminderte Frequenzselektivität • (a) Normalhörend Sprache Musik Durch Recruitment bedingte verminderte Frequenzselektivität Durch Recruitment bedingte verminderte Frequenzselektivität • (b) moderate Schädigung • (c) schwere Schädigung Sprache Sprache Musik Musik Interaurale Zeitdifferenzen (Jeffress-Modell, 1948); bis ca. 2500 Hz Richtungshören Minimale ITDs („interaural time differences“) zwischen Ohren: 11 Mikrosekunden (bei 1 kHz) Entspricht Richtungsauflösung von 1.5 Grad ! Sowohl Zeit- („ITDs“) als auch Intensitäts-Differenzen („ILDs“) werden in medialen superioren Olivenkernen (MSO) im Hirnstamm ausgewertet 5 Phasenunterschiede als Richtungsinformation (bei Dauertönen) funktioniert nur wenn Wellenlänge länger ist als Kopfdurchmesser (tiefe Töne); Wirkungsweise siehe Jeffress-Modell Interaurale Intensitätsunterschiede als Richtungsinformation (nur bei hohen Frequenzen; tiefe Frequenzen wandern wegen ihrer großen Wellenlänge um den Kopf herum; ab ca. 2500 Hz) Klangfarbe als Richtungsinformation: Verhältnis von Direktschall zu indirektem Schall hängt von Richtung ab (gelerntes Merkmal) Direktschall (von der Seite): höhere Frequenzen enthalten Frequenzwahrnehmung Frequenzunterscheidung • • Frequenzauflösungsvermögen des Menschen für sukzessiv und simultan dargebotene Sinustöne Das menschliche Gehör ist durch eine sehr große Frequenzauflösung ausgezeichnet und kann ungefähr 620 Tonhöhen unterscheiden. Mit steigender Frequenz muss auch der Frequenzunterschied zwischen zwei Tönen größer werden, damit ein Tonhöhenunterschied wahrgenommen werden kann. Die Ursache hierfür liegt im Aufbau der Basilarmembran und der Verteilung der darauf befindlichen Sinneszellen. individuelle Unterschiedsschwelle sukzessiv: 1.8 Hz Erklärung Klangbeispiele (je 2 Tonpaare; CF: 1 kHz; Schrittweite von 9 bis 1 Hz absteigend; zählen!) Unterschiedsschwellen sukzessiv tief / hoch Frequenz in Hz sukzessive ∆f in % 250 500 1000 2000 4000 6000 8000 0.28 0.17 0.18 0.19 0.32 0.63 1.2 simultane ∆f in % 40.04 23.29 16.02 15.1 16.32 18.9 20.4 Erklärung Klangbeispiele (je 2 Tonpaare; 500/505 Hz, 500/495 Hz; 2000/2005 Hz, 2000/1995 Hz) 6 Simultane Frequenzauflösung: Die kritische Bandbreite gibt an, ab welchem Frequenzabstand gleichzeitig erklingende Töne getrennt verarbeitet werden Schwebungen bei der Orgel Erklärung Klangbeispiele Erklärung Klangbeispiele Krit. Bandbreite (Frequenzgruppe) nach Zwicker • Im Bereich von 0-15.5 kHz wird der Hörbereich in 24 Frequenzgruppen (Bark-Skala) zerlegt. • Diese sind unter einer Mittenfrequenz von 500 Hz etwa 100 Hz breit und betragen darüber etwa 20% der Mittenfrequenz. Kritische Bandbreite: Bestimmung über Lautheitsvergleich Standard: Bandpassrauschen mit CF von 1 kHz und 15% Bandbreite (930-1075 Hz) ∆fCB: Frequenzgruppe (krit. Bandbreite) Kritische Bandbreite: Bestimmung über Maskierung 2 kHz-Ton in absteigenden Stufen von 5 dB Maskierung mit Breitbandrauschen Maskierung mit Bandpassrauschen (BW: 1000 Hz) Maskierung mit Bandpassrauschen (BW: 250 Hz) Anregungsmuster für Klänge, welche aus zwei oder mehreren Frequenzkomponenten bestehen Töne ähnlicher Frequenz werden empfindungsmäßig auseinandergerückt; hoch: noch höher, tief: noch tiefer. Dies ist besonders bei hohen Intensitäten der Fall. Maskierung mit Bandpassrauschen (BW: 10 Hz) CB für 2 kHz-Ton: ca. 280 Hz 2 kHz Rauschband Frequenzabhängiger Ort auf Basilarmembran 7 Einfluss von Maskierrauschen auf die Tonhöhenempfindung • Wenn Maskierer niedrigere Frequenz hat als Signal, wird das Signal als höher empfunden als unmaskiert • Wenn Maskierer höhere Frequenz hat als Signal, wird das Signal als tiefer empfunden als unmaskiert Stimuli: Signal: 1000Hz-Ton, 500 ms Dauer Maskierer: Tiefpassrauschen mit Grenzfrequenz bei 900 Hz. Signal alternierend in Isolation und mit Maskierer dargeboten Oktavspreizung Oktaven werden nicht entsprechend dem Zahlenverhältnis 1:2 , sondern leicht „gespreizt“ als ideal empfunden. Dies liegt wahrscheinlich daran, dass Interaktionen (wechselseitige Maskierung) zwischen den beiden Frequenzen bestehen. Stimuli: 500 Hz-Ton (1 s Dauer) wechselt mit 2. Ton ab, dessen Frequenz in 5 Hz-Schritten zwischen 985 und 1035 Hz variiert wird (korrekt: Stufe 4; meist gewählt: Stufe 6 =1010 Hz ) Duodezime (Oktave + Quint): Anregung auf der Basilarmembran hoch - tief Erklärung Klangbeispiele (je 3 x 500-1490 Hz; 500-1500 Hz; 500-1510 Hz; 500-1520 Hz) Gespreizte cochleare Anregungsmuster werden als „richtig“ erlernt ! Gespreizte und komprimierte Skalen Abhängigkeit der Tonhöhenempfindung von der Intensität Terhardt (1982): etwa 40 % der Hörer bevorzugen „gespreizte Stimmung“; komprimierte Stimmung ist hingegen inakzeptabel. Stimuli: (a) Intonation um Halbton komprimiert (Bass in C, Melodie in B) (b) Intonation um Halbton gespreizt (Bass in C, Melodie in Cis) (c) Intonation mathematisch korrekt (Bass und Melodie in C) Erklärung Klangbeispiele: 3 Tonpaare (4500, 1600, 130 Hz) jeweils mit ± 25 dB wiedergegeben “My bonny is over the ocean“: Melodie 4% erniedrigt - 4% erhöht - korrekt Erklärungen Klangbeispiele Zeitliche Integration Abhängigkeit der Tonhöhenempfindung von der Anzahl der Perioden Kurze Töne müssen mit höherem Pegel dargeboten werden, um gleich laut zu erscheinen. • Nachfolgend werden 10 Tonimpulse der Frequenz 1000 Hz und steigender Dauer vorgestellt. Der Schallpegel aller Impulse ist konstant. Der erste Impuls besitzt eine Dauer von 25 ms. Die nachfolgenden Impulse werden jeweils um 25 ms erhöht. Hierbei ist ein Anstieg der wahrgenommenen Lautstärke zu bemerken. Nach dem achten ( t = 200 ms) Impuls erfolgt kein Anstieg der Lautstärke mehr. • Grund: das Gehör integriert Schallenergie über einen Zeitraum von ca. 200 ms. Tonbursts mit Frequenzen von 300, 1000, 3000 Hz Dauern: 1, 2, 4, 8, 16, 32, 64, 128 Perioden Die erforderliche Periodenanzahl hängt auch von der Intensität und der Hüllkurve ab. 8