„Interessen…“ Referent: Michael Kröger 3. Juli 2006 SE: Themen der pädagogischen Diagnostik Dr. Martin Brunner SoSe 2006 Gliederung: 1. Das Interessenkonstrukt 2. Messung von Interessen 3. Interessenentwicklung 4. AIST - Fragebogen 4.1 Theorie von Holland 4.2 Hexagonales Modell von Holland 4.3 Testaufbau und Items des AIST 4.4 Umwelt-Struktur-Test (UST) 4.5 Auswertung 5. Befunde 6. Bewertung des Holland-Modells 7. Bilanz 2 1. Das Interessenkonstrukt Konstrukt: Besondere, durch bestimmte Merkmale herausgehobene Beziehung einer Person zu einem Gegenstand oder einer Person (Krapp & Schiefele, 1986) Gegenstandsspezifisch In pädagogischer Psychologie: Eher beschränkt auf emotionale, kognitive, motivationale Beziehungen einer Person zu Gegenständen des schulischen und akademischen Lernens 3 1. Das Interessenkonstrukt Interesse: Verbindung von positiven emotionalen Zuständen während der Interessenhandlung und eine hohe subjektive Wertschätzung des Interessengegenstandes. Gelungene Synthese affektiver und kognitiver Bewertungen (Dewey, 1913) Wunsch nach Wissenserweiterung 4 2. Messung von Interessen • Oft nur allgemeine Erfassung von beliebten Handlungsfeldern und Wissensgebieten Gegenstandsspezifische Interessen werden oft nicht ausreichend berücksichtigt Besser: Ausdifferenzierte Form der Interessensmessung 1. Inhalte und Themengebiete des Fachwissens 2. Situationen und Kontexte für die Bearbeitung z.B. physikalischer Fragestellungen 3. Art der Tätigkeit bei der Auseinandersetzung mit diesen Inhalten 5 Prozessorientierte Perspektive: Bsp.: • Einfluss von Interessantheit auf Behaltensleistung und unmittelbares Lernergebnis Interessantheit wesendlich wichtiger als Verständlichkeit Neurologisch: • Kognitives System im Zustand von Interesse ähnlich wie bei sog. Flow-Erlebnissen optimales Niveau der Funktionstüchtigkeit 6 Strukturorientierte Perspektive: • Nicht Prozesse und Effekte, sondern dispositionale Differenzen untersuchen • Individuelle Unterschiede Im Interesse und deren Auswirkungen auf Leistungen Bsp.: Veränderung von Interesse über die Schulzeit: • Lernfreude sinkt kontinuierlich während der Schulzeit ab • Besonders stark bei Naturwissenschaften, bei Mädchen stärker als bei Jungen • Geschlechtsunterschiede korrelieren negativ mit Bildungsstand und sozialem Status Hauptschüler von Geschlechterstereotypisierung besonders stark betroffen 7 3. Interessenentwicklung Alte Theorien: Stufenmodelle: Entwicklung über alterstypische Präferenzen für Objekte und Tätigkeiten Neuere Theorien: Entwicklung parallel zur Intelligenzentwicklung und den Entwicklungsaufgaben • Interessen werden durch ihre jeweils vorherrschenden Funktionen im Gesamtkontext der Entwicklung bestimmt Frühe Kindheit universelle Interessen Ab dem 4. LJ Geschlechtsrollenentwicklung (alle alten Infos werden vor diesem Hintergrund neu gefiltert usw.) Ab dem 11. LJ Jugend: Stellung in Gesellschaft reflektieren, (Neufilterung der Infos, Soziales Selbstkonzept, Fähigkeiten usw.) Übergang ins Erwachsenenalter Welche spezifischen Interessen habe ich als Person? 8 3.1 Einfluss von Eltern und Schule Einfluss der Eltern: Sozialschicht kein großer Zusammenhang, je höher Status und Bildung, desto geringer Geschlechterunterschiede Familienklima kaum Zusammenhang Interessen der Eltern recht enge Beziehung zu Interessen der Kinder Einfluss der Schule: Geringer Leistungsdruck, kleine Klassen und Schülerzentriertes Vorgehen Verstärkung von Interessen allgemein • Erhebliche unterschiede zwischen Klassen Lehrereffekt • Insgesamt wenig Forschung! 9 4. Interessenfragebogen - AIST Allgemeiner–Interessen–Struktur-Test • Interesseninventar • Erfasst schulische und berufliche Interessen ab dem 14. Lebensjahr • Stützt sich auf das Person-Umwelt-Modell von Holland (1966, 1973, 1985a) • 60 Items, erfasst 6 Dimensionen von Interesse 10 4.1 Theorie von Holland (1966, 1973, 1985a) Interessen = Persönlichkeitsorientierung, wichtiger Bestandteil der Gesamtpersönlichkeit • Beziehen sich auf alle Bereiche des Lebens 6 Persönlichkeitstypen nach Holland (Erklärung s. Anhang): 1. 2. 3. 4. 5. 6. Praktisch-technische Orientierung Intellektuell-forschende Orientierung Künstlerisch-sprachliche Orientierung Soziale Orientierung Internehmerische Orientierung Konventionelle Orientierung (R – realistic) (I - investigate) (A – artistic) (S – social) (E – enterprising) (C – conventional) 11 4.1 Theorie von Holland (1966, 1973, 1985a) Jeder Mensch ist einem Typen am nächsten Interessen-, Persönlichkeitsorientierung Individueller Persönlichkeitstyp Hierarchische Struktur der Typen Persönlichkeitsstruktur Entwicklung erfolgt in Abhängigkeit von kulturellen und personellen Umgebungseinflüssen Einfluss auf Denken, Handeln, Fühlen, Wahrnehmung (Persönlichkeit) Jeder Mensch versucht seine Umwelt gemäß seines Typus zu verändern oder aufzusuchen Kongruenzstreben! 12 4.2 Hexagonales Modell von Holland • Entfernung zwischen den Buchstaben spiegelt die Unähnlichkeit zwischen den Typen oder den entsprechenden Umwelten dar • Je näher Umwelt und Person, desto ähnlicher PersonUmwelt-Kongruenz hoch Praktisch-technische Orientierung Intellektuell-forschende Orientierung Künstlerisch-sprachliche Orientierung Soziale Orientierung Internehmerische Orientierung Konventionelle Orientierung R I A S E C • Person kann einen Personcode von AC haben, ist dann aber inkonsistent Berufswahl schwierig 13 4.3 Testaufbau und Items des AIST • Items zu beruflichen und schulischen Tätigkeiten • Spezifiziert durch Situations-, Material-, Objektkomponenten • Die 6 Grundtypen von Holland werden als sechs verschiedene Arten der Auseinandersetzung einer Person mit ihrer Umwelt verwendet Bsp.: „Etwas aus Metall herstellen“ oder „In einem Laboratorium ein Experiment durchführen“ Antwortformat fünffach abgestuft, von „Interessiert mich sehr“ bis „interessiert mich gar nicht“ • Wird im sinne des Items geantwortet, so kann davon ausgegangen werden, dass sowohl kognitive, emotionale und wertbezogene Interessenmerkmale vorhanden sind. Fehlt eines dieser Bereiche bei der Person, so wird i.d.R. nicht im Sinne des Items geantwortet 14 4.4 Umwelt-Struktur-Test UST • Analoger Test mit gleichen, angepassten Items zur Erfassung der subjektiv wahrgenommenen Wichtigkeit einzelner Tätigkeiten in verschiednen Berufen oder Tätigkeitsfeldern (Umwelten). Bsp.: „das ist in diesem Beruf sehr wichtig/unwichtig“ • Selbe Auswertung wie AIST Umwelt wird wie Personen in 6 Grundtypen einteilbar 15 4.5 Auswertung Vergleich mit anderen Profilen oder mit Umweltbeschreibungen (UST) 1. Interessenprofil und Personentyp • Auswertung über Schablonen • Aufsummierung der Punkte pro Skala • Errechnung von Standardwerten • Vergleich mit Normwerten Personentyp durch dreistelligen Code (p-Typ) erstellbar drei höchsten Werte: Hier „ASE“ 16 4.5 Auswertung 2. Konsistenz der Interessenorientierung: • Beurteilung des Profils nach Konsistenz im Sinne der Nähe verschiedener dominanter Interessenorientierungen • Die zwei dominierenden Orientierungen werden verglichen Konsistenz: hoch wenn direkt nebeneinander mittel wenn eins dazwischen tief wenn zwei dazwischen (3 Punkte) (2 Punkte) (1 Punkt) Je höher die Konsistenz, desto leichter die Empfehlung 17 4.5 Auswertung 3. Differenziertheit der Interessenorientierung: Grad an Klarheit/Eindimensionalität der Interessenorientierung • Je höher die Konzentration auf einen Interessenorientierungstypus, desto höher die Differenziertheit zu anderen Gebieten! • Differenzierungs-Index: Differenz Xmin - Xmax (Abzug des Minimumwertes vom Maximumwert) Je höher Differenziertheit, desto leichter die Empfehlung 18 Erhebung der Kongruenz zwischen Personeninteresse und Umwelt • Jeweils Dreistelliger Person- und Umweltcode, gemäß den drei stärksten Orientierungen • 7 Abstufungen der Kongruenz möglich Maximalwert = 6 Minimalwert = 0 Praktisch-technische Orientierung Intellektuell-forschende Orientierung Künstlerisch-sprachliche Orientierung Soziale Orientierung Internehmerische Orientierung Konventionelle Orientierung R I A S E C Tabb.: 11 S.29 19 Betrachtung der Passung zwischen AIST-Profilen und Wunschumwelten Vergleich Umwelt-, Persontypen 20 Problem - Ungleiche Verteilung von Typenkombinationen • Bestimmte Kombinationen von Orientierungstypen kommen häufiger vor als andere weniger Umweltalternativen zur Auswahl Als alleiniges Instrument ungeeignet! Lösungsversuch: • Andere Dinge miterheben (bisherige Tätigkeiten, Noten, manifeste Interessen, Lebensziele, Wünsche, Sichtbar machen von Differenzen zwischen Wunsch und Fähigkeit Rückmeldegespräch zur Validierung der Ergebnisse – Besprechung von möglichen Diskrepanzen zwischen Beruf und Interessen 21 5. Befunde - Kongruenz • Im Laufe der Schulzeit steigt insgesamt die Kongruenz zwischen Interessentyp und Berufswunsch an 22 Stabilität der Kongruenz bezüglich verschiedener Orientierungstypen • Während Schulzeit ist die Kongruenz über alle Typen relativ ausgeglichen • Kongruenz sinkt in manchen Berufen im Laufe des Ausbildungszeit deutlich ab Stark bei A,S,I - überwiegend weibliche Berufswünsche größere Desillusionierung? • Übereinstimmung von erwarteten und tatsächlichen Anforderungen korreliert negativ mit Bildungsstand 23 6. Bewertung - Objektivität • Erfasste Angaben sind rein subjektive Selbsteinschätzungen der Befragten Selbstkonzept-Merkmale, keine unmittelbare Objektivität Durchführungs-, und Auswertungsobjektivität ist durch standardisierte Bearbeitung und Auszählung gegeben Soziale Erwünschtheit größtes Problem, da Daten für Personalauslese genutzt werden könnten 24 6.1 Bewertung - Reliabilität • Retest-Reliabilität bei r=.90 über 2 Tage • Danach deutlicher Abfall über die Zeit • Faktoren R,I,A stabiler als der Rest, über vier Monate r=.70, über zwei Jahre r=.66 25 Stabilität der Orientierungstypen über 2 Jahre 26 6.2 Bewertung - Validität des Holland-Modells • Augenscheinvalidität wegen Nähe zum Alltag gegeben, aber Abbildung zeigt unterschied der Geschlechter bei Interkorrelationen Ergebnisse für UST ähnlich Die Innere Validität des AIST wird durch Vergleiche mit anderen Tests gestützt 27 6.3 Validität - Konsistenz Annahme: Psychologische Nähe zwischen einzelnen Orientierungen • • Hohe Konsistenz = Stabileres Verhalten, leichter Vorhersehbarer, leichtere Entscheidung Nähere Kombinationen sind häufiger bessere Berufschancen bezgl. Kongruenz zu Interessen 28 6.4 – Validität – Differenziertheitskonzept Annahme: Ausmaß der klaren Interessendefinierung Klare Präferenzen Erleichtert Berufswahl und Erfolg? • Dazu Studie Bergmann (1990) Differenzierte Schüler haben günstigere Einstellungen zur Berufswahl und sind eher im Stande, sich zwischen Alternativen zu entscheiden. Sind 3 Jahre nach Abi in passenden Studiengängen und zufriedener als weniger differenzierte Aber: Subjektiver Studienerfolg ist nicht höher als bei weniger differenzierten 29 7. Bilanz • Im AIST werden schulische und berufliche Interessen gemäß des Modells von Holland gut gemessen (Persönlichkeitseigenschaften) • Der AIST differenziert gut zischen Geschlechtern und Schülern verschiedener Schultypen und unterschiedlichen Berufswünschen • Der UST diskriminiert gut zwischen Schülern verschiedener Schultypen (Umwelten), bzw. Berufstätigen aus verschiedenen Berufen 30 7. Bilanz • Ergebnisse legitimieren den Einsatz als Diagnoseinstrument in Verbindung mit Beratungsgesprächen zur Berufswahlberatung • Kongruenz steigt mit Alter und Ausbildungsstand • Konsistenz und Differenziertheit ermöglichen eine recht gute Einschätzung der Interessenentwicklung 31