Warum Veränderung und warum jetzt? Ein Beispiel aus der Schweiz Tagung „Die lernende Bibliothek“ an der Universität Bozen, vom 17.-20.09.2003 Wolfram Neubauer, ETH Zürich, ETH-Bibliothek Generelle Ziele der (New) Public ManementAktivitäten Verbesserung des „Geschäftserfolges“ der jeweiligen Institution Wettbewerbsorientierte Steuerung mittels Trennung der Kompetenzen von Trägern und Leistungserbringern Fokussierung auf Effektivität, Effizienz, Qualität etc. Differenzierung von strategischer und operativer Führungsebene Grundsätzlich gleiche Chancen für private und öffentliche Leistungserbringer Zur Verfügung stehende Instrumente Definition der Verwaltungsleistung als Produkt Leistungsaufträge und Globalbudgets Mittelfristige Aufgaben- und Finanzplanungen Definition von Leistungs- und Wirkungsindikatoren Anreizsysteme für das Personal Controlling, Reporting, Benchmarking, Evaluationen Bibliothekarischer Alltag: 5 Postulate Die Bibliotheksarbeit hat sich in den letzten 50 Jahren nicht grundsätzlich verändert! Auch das bibliothekarische Denken hat sich nicht grundsätzlich verändert! Das Image der Bibliotheken ist schlecht bis sehr schlecht; aber niemand versucht jedoch ernsthafte Veränderungen! Das Erscheinungsbild unserer Bibliotheken hat sich in den letzten 100 Jahren kaum verändert! Unsere Profession ist primär reaktiv und zeigt kaum proaktives Verhalten! Bibliothekarischer Alltag: Ist-Stand Wir haben sicherlich finanzielle Probleme; daneben sollte man den einen oder anderen Mitarbeiter versetzen, disziplinieren, entlassen können; auch ist unsere Position gegenüber den jeweiligen Umwelten nicht immer befriedigend. Wir befinden uns jedoch nicht in einer strukturellen Krise “When everything is under control, you are going to slowly.” Mario Andretti Welche Faktoren üben nun einen besonderen Veränderungsdruck auf Bibliotheken aus ? Technologische Veränderungen Veränderungen im Wissenschaftsbetrieb Bibliothek Kostendruck auf Bibliothek Konkurrenzdruck Veränderungen im Wissenschaftsbetrieb Technologische Veränderungen Die Geschwindigkeit eines typischen Notebooks ist in den letzten 5 Jahren um den Faktor 10 gestiegen Der Speicherplatz eines typischen Notebooks hat sich im gleichen Zeitraum um den Faktor 100 erhöht Die Leistungsfähigkeit von Rechnern (Operationen pro Zeiteinheit) verdoppelt sich alle 18 Monate (Moore‘sches Gesetz) Online Hosts Buchhandel Dokumentenlieferanten Verlage Universitäten IT Unternehmen Bibliothek Öffentl. Institutionen Bibliotheken Private Institutionen Wissenschaftler Kostendruck auf Bibliotheken Entwicklung der Zeitschriftenpreise Preisentwicklung in der Zeitperiode 1963-90: jährlich > 11% Im selben Zeitraum bei STM-Titeln: jährlich 13,5 % Ausgewählte Kernzeitschriften aus dem STM-Bereich (1992-98): Preissteigerung > 150% Etatsituation der wissenschaftlichen Bibliotheken Erhöhung der Etatansätze zwischen 1991-97: ca. 1,3% = Stagnation der Etats in den 90er Jahren Reduktion der Kaufkraft der Bibliotheken durch die Preissteigerungen: bis zu 77% Technologische Veränderungen Veränderungen im Wissenschaftsbetrieb Bibliothek Kostendruck auf Bibliothek Konkurrenzdruck „Begrabt die Bibliotheken“ Technologische Veränderungen Veränderungen im Wissenschaftsbetrieb Bibliothek Kostendruck auf Bibliothek Konkurrenzdruck Die 7 wichtigsten Erfolgsfaktoren in Veränderungsprozessen Gespür für Dringlichkeit Koalition der Erneuerer Hierarchieübergreifende breite Beteiligung Entwerfen und Kommunizieren einer Vision „Wenn ich Visionen habe, gehe ich zum Arzt“ Helmut Schmidt Die 7 wichtigsten Erfolgsfaktoren in Veränderungsprozessen Gespür für Dringlichkeit Koalition der Erneuerer Hierarchieübergreifende breite Beteiligung Entwerfen und Kommunizieren einer Vision Wegräumen von Hindernissen Kurzfristige Erfolge systematisch vorbereiten Sicherung der Nachhaltigkeit der Veränderung Alte Organisationsstruktur der ETH-Bibliothek Erwerbung Sachkatalogisierung Formalkatalogisierung Veränderungsmodell nach K. Lewin Unfreeze Unfreeze Move Move Refreeze Refreeze Schritt 1 des Veränderungsmodells Wir... Unfreeze machten eine Umfrage zur Mitarbeiterzufriedenheit, bildeten eine Gruppe „pro Veränderung“, formalisierten den Austausch zwischen Erwerbung und Katalogisierung, ermutigten die Mitarbeiter zur Mitarbeit in der anderen Abteilung, setzten eine Arbeitsgruppe mit Mitarbeitern aus den 3 Abteilungen ein, besuchten andere Bibliotheken mit der vorgegebenen Organisationsstruktur, führten eine Plenarveranstaltung zur Präsentation der Vision durch. Mitarbeiterzufriedenheit: Ergebnisse der Befragung Aussagen der Erwerbungsmitarbeiter: Mit der Ist-Situation grundsätzlich zufrieden Unabhängige Arbeit wird sehr gewünscht Kritik an „langsamer“ Katalogisierungsarbeit Aussagen der Katalogisierungsmitarbeiter Unfreeze Unabhängige Arbeit wird sehr gewünscht Der hohe Spezialisierungsgrad ist sehr beliebt „Vorkatalogisierung“ durch die Erwerbung ist nicht befriedigend; Original-Katalogisierung wird vorgezogen Allgemeine Haltung Ja, zu einer genau definierten Zusammenarbeit Nein, zu einer Integration Schritt 2 des Veränderungsmodells Wir... Move setzten eine abteilungsübergreifende Arbeitsgruppe, die mit neuen Abläufen experimentierte führten neue, einfachere Katalogisierungsregeln ein installierten eine „Kummertante“ stellten das Training für die neuen Aufgaben sicher entwickelten interne Marketingmassnahmen, um die Mitarbeiter kontinuierlich zu informieren liessen all diejenigen Mitarbeiter intensiv mitwirken, die dem Wechsel positiv gegenüber standen Schritt 3 des Veränderungsmodells Refreeze Wir... setzten drei definitve Gruppen mit Teamleadern ein, überliessen die Gruppenbezeichnung den Mitarbeitern, brachten die Gruppenmitglieder räumlich zusammen, gaben dem ersten Team eine „Belohnung“, dokumentierten die neuen Prozesse in einem Handbuch, machten die Entwicklung in der Universität bekannt, gaben zum Abschluss der Entwicklung einen kleinen Empfang Die Einführung eines neuen Bibliothekssystems hat diesen Prozess sehr unterstützt Welche Art von Veränderungsprozess ist für die ETH-Bibliothek geeignet? Modell eines kontinuierlichen Veränderungsprozesses Modell eines konsequenten Reengineering Realisierte Prozessschritte an der ETH-Bibliothek: Eine Mischung aus beiden Modellen Modell eines kontinuierlichen Veränderungsprozesses Skizzierung des Ist-Standes Bestimmung von Messgrössen Verstehen des Prozesses Messung der Performance Verbesserungen identifizieren, implementieren Modell eines konsequenten Reengineering Abgrenzung des Projektes Von Anderen lernen Definition des Soll-Prozesses Planung der Veränderung Implementierung Charakteristika einer „modernen Bibliothek“ Auflösung des „bibliothekarischen Konsenses“ Ungewissheit Ungewissheit: Wo stehen die Bibliotheken heute? Was sind die Aufgaben wissenschaftlicher Bibliotheken? Wie sollten die Bibliotheken diese Aufgaben erledigen? Was bedeutet der Siegeszug elektronischer Medien und Angebote für wissenschaftliche Bibliotheken? Müssen sich die Bibliotheken ausschliesslich auf die Kunden orientieren? Was bedeutet eine ausschliessliche Kundenorientierung gegebenenfalls für die Institution Bibliothek? Sind Bibliotheken im heutigen Sinne für die Wissenschaften überhaupt noch notwendig? Charakteristika einer „modernen Bibliothek“ Auflösung des „bibliothekarischen Konsenses“ Ungewissheit Differenzierung von und in Bibliotheken Bibliothek und Benutzer Bibliotheken und Benutzerinnen/Benutzer Werden die von den Bibliotheken angebotenen Dienstleistungen benötigt? Welche Einsparmöglichkeiten gibt es? Welche Angebote gibt es nicht und warum? Möglichkeiten für Change-Projekte in Schweizer Bibliotheken Prinzipiell sind die Bedingungen günstig Arbeitsrecht/formale Mitbestimmung organisatorische/strukturelle Änderungen sind relativ einfach möglich noch erträgliche finanzielle/personelle Randbedingungen hohe Arbeitsmoral der Mitarbeiterinnen/Mitarbeiter im allgemeinen kooperative Gesprächskultur politische Randbedingungen sind für Change-Projekte relativ günstig Veränderungsprojekte in Schweizer Bibliotheken: Die Realität die Situation ist ernüchternd; es gibt keine grösseren Aktivitäten die Führungspersonen sind an diesem Thema eher nicht interessiert die Bibliotheksszene ist stark fragmentiert (nach Sprachgrenzen, Bibliothekstypen, politischen Grenzen etc.) eine Öffnung in Richtung Markt/Internationalisierung Wettbewerb ist nicht erkennbar „Our times, they are changin‘ .... but are we?“ Bob Dylan, Mark Y. Herring „Ich habe schon viele Veränderungen erlebt, mitgemacht habe ich noch keine“ Der unbekannte Bibliothekar