Der Islam in der deutschen Literatur 9 Islamische Mystik und deutsche Dichtung: Von Rückert zu Freiligrath und Hugo Heinrich Detering, WS 2015/16 Lichtenberg-Poetikvorlesung: Carolin Emcke, Wider die Gewalt Aula am Wilhelmsplatz, 20. Januar 20.00 21. Januar 20.00 Klassische Dichter der persischen Mystik: Saadi (1210-1291) Hafis / Hafez (1320-1389) Dschelaleddin Rumi (1207-1273) „Im Osten tagt‘s von unsres Feuereifers Licht.“ J. v. Hammer Die Form des Ghasels Die neue Form, die ich zuerst in deinem Garten pflanze, O Deutschland, wird nicht übel stehn in deinem reichen Kranze. Nach meinem Vorgang mag sich nun mit Glück versuchen mancher So gut im persischen Ghasel wie sonst in welscher Stanze. (Friedrich Rückert, Vorspruch zu Mewlana Dschelaleddin Rumi: Ghaselen, 1819) „Die Übersetzung floß mir so aus der Feder, daß ich vermute, ich habe es schon einmal übersetzt – aber wo könnte es sein?“ Rückert Friedrich Rückert über Hafis: Hafis, wo er scheinet Übersinnliches nur zu reden, redet über Sinnliches; oder redet er, wo über Sinnliches er zu reden scheint, nur Übersinnliches? Sein Geheimnis ist unübersinnlich, denn sein Sinnliches ist übersinnlich. August von Platens Ghaselen • • • • Umdeutung des Stigmas zur Auszeichnung: Aufhebung der Geschlechterdifferenz, Aufhebung des Leib-Seele-Gegensatzes, Aufhebung des Gegensatzes von erotischer und religiöser Mystik: • homoerotische ‚Überbietung‘ des Goethe‘schen Divan, • existenzielle Nachfolge von Hafis und Rumi. Platens Ghaselen als doppelte Provokation: • anthropologisch: Homoerotik als besondere Ermöglichung mystischen Erlebens (vom Stigma zur Auszeichnung), • theologisch: Verbindung der Ausdrucksformen islamischer Mystik mit christlicher Christologie und Trinitätslehre. August von Platen: Ghaselen. Zweite Sammlung. Dem Dichter Friedrich Rückert zugeeignet. (1821) Ich bin wie Leib dem Geist, wie Geist dem Leibe dir; Ich bin wie Weib dem Mann, wie Mann dem Weibe dir, Wen darfst du lieben sonst, da von der Lippe weg Mit ew‘gen Küssen ich den Tod vertreibe dir? Ich bin dir Rosenduft, dir Nachtigallgesang, Ich bin der Sonne Pfeil, des Mondes Scheibe dir; Was willst du noch? was blickt die Sehnsucht noch umher? Wirf alles, alles hin: du weißt, ich bleibe dir! Sufisische Mystik und christlicher Trinitätsglaube: Gott als Liebesbeziehung Entspringen ließest du dem Ei die Welt; Dein reiner Wunderspiegel sei die Welt; Es schaut nach dir, wiewohl dich keiner schaut, Voll liebesüßer Schwärmerei die Welt; Du atmest Leben, und du atmest aus Mit jedem Atemzuge frei die Welt; Du siehst dich selbst, und dir am Auge geht In jedem Augenblick vorbei die Welt; Der einzig Eine bist du, doch du lenkst Als eine mystischgroße Drei die Welt. Poetisches Selbstbewusstsein vs. Soziales Stigma: Platen, Ghaselen 1821, letztes Ghasel (Nr. 30) Auf, und nicht länger dich verhehle dem Vaterland! Entgegenschwillt ja deine Seele dem Vaterland! Der Perserkaufmann, was er sammelt, er bringt‘s zurück Auf schwerbeladenem Kamele dem Vaterland; Die Nachtigall, die Parsi singet, gewannst du lieb, Sie singt ja mit verwandter Seele dem Vaterland; Schneeglöckchen gehen, erscheinen Blumen, den Blumen vor: Verkünde mich indeß, Ghasele, dem Vaterland! Dschelaleddin Rumi begegnet zum ersten Mal seinem Geliebtem, dem wandernden Heiligen Šams („die Sonne“) <Rückert, Ghaselen nach Rumi 1819, Buch I, 3> Ich sah empor, und sah in allen Räumen eines; Hinab ins Meer, und sah in allen Wellenschäumen eines. Ich sah ins Herz, es war ein Meer, ein Raum der Welten, Voll tausend Träum‘; ich sah in allen Träumen eines. Du bist das Erste, Letzte, Äußre, Innre, Ganze; Es strahlt dein Licht in allen Farbensäumen eines. Du schaust von Ostens Grenze bis zur Grenz‘ im Westen, Dir blüht das Laub an allen grünen Bäumen eines. Vier widerspenst‘ge Tiere ziehn den Weltenwagen; Du zügelst sie, sie sind an deinen Zäumen eines. Luft, Feuer, Erd‘ und Wasser sind in eins geschmolzen In deiner Furcht, daß dir nicht wagt zu bäumen eines. Der Herzen alles Lebens zwischen Erd‘ und Himmel, Anbetung dir zu schlagen soll nicht säumen eines. <Rückert II, 8: Der Mystiker als Dichter, der Dichter als Mystiker> Ich bin das Sonnenstäubchen, ich bin der Sonnenball. Zum Stäubchen sag‘ ich: bleibet und zu der Sonn‘: entwall. Ich bin der Morgenschimmer, ich bin der Abendhauch. Ich bin des Haines Säuseln, des Meeres Wogenschwall. Ich bin der Mast, das Steuer, der Steuermann, das Schiff; Ich bin, woran es scheitert, die Klippe von Korall. Ich bin der Vogelsteller, der Vogel und das Netz. Ich bin das Bild, der Spiegel, der Hall und Wiederhall, Ich bin der Baum des Lebens und drauf der Papagei; Das Schweigen, der Gedanke, die Zunge und der Schall. Ich bin der Hauch der Flöte, ich bin des Menschen Geist, Ich bin der Funk‘ im Steine, der Goldblick im Metall. Ich bin der Rausch, die Rebe, die Kelter und der Most, Der Zecher und der Schenke, der Becher von Krystall. Die Kerz‘, und der die Kerze umkreist, der Schmetterling; Die Ros‘, und von der Rose berauscht, die Nachtigall. → Ich bin der Arzt, die Krankheit, das Gift und Gegengift, Das Süße und das Bittre, der Honig und die Gall‘. Ich bin der Krieg, der Friede, die Walstatt und der Sieg, Die Stadt und ihr Beschirmer, der Stürmer und der Wall. Ich bin der Kalk, die Kelle, der Meister und der Riß, Der Grundstein und der Giebel, der Bau und sein Verfall. Ich bin der Hirsch, der Löwe, das Lamm und auch der Wolf, Ich bin der Hirt, der alle beschließt in einem Stall. Ich bin der Wesen Kette, ich bin der Welten Ring, Der Schöpfung Stufenleiter, das Steigen und der Fall. Ich bin, was ist und nicht ist. Ich bin, o der du‘s weißt, Dschelaleddin, o sag es, ich bin die Seel‘ im All. Adam Olearius übersetzt 1654 Saadis Gulistan-Fabeln: Persianischer Rosenthal Schleswig 1654 Ist schon der Elephant der grausamst‘ untern Thieren, Die Mücken können ihn, wenn ihrer viel, vexiren. Der Löw ist starck, dennoch die Ameisen ihm seind, So ihr ein grosser Hauff, ein noch viel stärcker Feind. Goethe dichtet Saadi nach (Divan, Sammlung Talismane) Im Atemholen sind zweierlei Gnaden: Die Luft einziehen, sich ihrer entladen: Jenes bedrängt, dieses erfrischt; So wunderbar ist das Leben gemischt. Du danke Gott, wenn er dich preßt, Und dank ihm, wenn er dich wieder entläßt. Rückert dichtet Saadi nach Jedes Laub am Baum Ist dem Blick des Weisen Eines Buches Blatt, Gottes Macht zu preisen. Nun ist Frühling – auf! Laß uns gehn und wandeln; Niemand weiß, wie lang Unsre Stunden kreisen. Eine Nacht einmal Hast du mir versprochen, Und die Nächte gehen, Und die Tage reisen. Dunkel blieb vom Blitz, Staub zurück vom Reiter; Jugend ging, und weiß Blieb das Haar des Greisen. Wer sich hat empfohlen Gottes Händen, Dessen Sinn wird nichts von Gott abwenden. Jonas, als er war in Fisches Schlunde, War noch ebenso mit Gott im Bunde. (nach der 10. Sure) Der Freund, ihn hält in seiner Hut das Auge, Und nur in seinem Anblick ruht das Auge; Um ihn zu sehn, dazu ist gut das Auge; Wo ich ihn sehn nicht kann, was tut das Auge? Einst uns begegnen im Hain ich und du, Fern von der Stadt allein ich und du. Weißt, wo wir, ich und du, wären wohl, Wo wir nur wären zu zwein, ich und du? Rückert dichtet Auf den scheidenden Ramadan Anstalt zum Abzug macht der Ramadan; Wie schweres Leid tut er den Brüdern an! Der Freund, an dem wir kaum uns satt gesehn, Der liebe Gast, so eilig will er gehen! Des hellen Mondes Krümmung blickt heran: Nun, Friede sei mit dir, o Ramadan. … Viel Fasten und viel Feste werden sein, Viel Winter, Lenz und Sommer hinterdrein; … Soviel verschlingen wird noch Menschenseins Der Staub, daß endlich Mensch und Staub ist eins. Ein Teilchen unsrer Tag‘ ist jedes Itzt, Ein Blitz von Jemen, der vorüberblitzt. … Laß, Herr, im Hauch, in dem die Hauch‘ vergehn. Die Engel siegreich wider Satan stehn! Friedrich Rückert Im Namen Gottes des allbarmherzigen Erbarmers. 1. Wir sandten ihn hernieder in der Nacht der Macht. 2. Weißt du, was ist die Nacht der Macht? 3. Die Nacht der Macht ist mehr als was / In tausend Monden wird vollbracht. 4. Die Engel steigen nieder und der Geist in ihr, / Auf ihres Herrn Geheiß, daß alles sei bedacht. 5. Heil ist sie ganz und Friede, bis der Tag erwacht. Sure 81, Die Ballung Wann die Sonne sich wird ballen, die Sterne zu Boden fallen, und die Gebirge wallen, wann Zuchtkamele sind unverwahrt, und die wilden Tiere geschart, der Meere Fluten schwellen; und die Seelen wieder gepaart; man das lebendig Begrabne wird fragen, um welche Schuld es sei erschlagen; und die Bücher sind aufgeschlagen; wann der Himmel wird abgedacht und die Hölle wird angefacht, und der Garten herangebracht: wird eine Seele wissen, was sie dargebracht. Soll ich schwören bei den Planeten, den wandelnden, den unsteten? und bei der Nacht, der öden? und der atmenden Morgenröte? das Wort ist es eines Boten wert, eines Boten stark, der steht beim Herrn des Throns geehrt, eines Gebieters treu bewährt. Nicht euer Landmann irrt noch tört. er sah ihn in der Höh verklärt und will mit dem nicht geizen, was er sah und hört‘. das Wort nicht ist es dessen, der sich hat empört. Wo rennt ihr hin verstört? Es ist nur eine Mahnung an die Welten, dem, der von euch will lassen die Wahrheit gelten; ihr aber wollet nicht, wenn nicht will Gott, der Herr der Welten. Sure 112, Bekenntnis der Einheit Sprich: Gott ist Einer, ein ewig Reiner. Hat nicht gezeugt und Ihn gezeugt hat keiner, und nicht Ihm gleich ist einer. Rückert, frei nach Hafis Du bist die Ruh, der Friede mild, die Sehnsucht du, und was sie stillt. … Kehr ein bei mir, und schließe du still hinter dir die Pforten zu. … Dies Augenzelt von deinem Glanz allein erhellt, o füll es ganz! Von der orientalisierenden Poesie zum Orientalismus: Ferdinand Freiligrath (1810-1876) Wär‘ ich im Bann von Mekkas Toren, Wär‘ ich auf Yemens glühndem Sand. Wär‘ ich am Sinai geboren, Dann führt‘ ein Schwert wohl diese Hand; … Dann abends wohl vor meinem Stamme, In eines Zeltes luft‘gem Haus, Strömt‘ ich der Dichtung innre Flamme In lodernden Gesängen aus, Dann wohl an meinen Lippen hinge Ein ganzes Volk, ein ganzes Land; Gleichwie mit Salomonis Ringe Herrscht‘ ich, ein Zauberer, im Sand. … Ich irr‘ auf mitternächt‘ger Küste; Der Norden, ach! ist kalt und klug. Ich wollt‘, ich säng‘ im Sand der Wüste, Gelehnt an eines Hengstes Bug. [Gedichte 1836] Victor Hugo und die orientalisierende Poesie im kolonialen Frankreich Fabriken: Gemälde von Hugo Jean-August-Dominique Ingres: Le Bain Turc (1863) O, daß ich bei dir nur als Sklavin bliebe! Säh'st du zuweilen nur herab auf mich! Gewiß, nicht länger wär‘ ich bleich und trübe! Doch, wie die Schwalb‘, ist flüchtig deine Liebe! Ich – all' mein Leben lieb' ich dich! Freiligrath übersetzt Hugo Ach, wo sich drüben deine Berge heben, Pocht dir entgegen einer Fremden Brust! O, mein Gebieter, nimm mich mit! – ergeben Will ich ihr sein, sie lieben wie mein Leben, Wenn ihre Liebe deine Lust! Fern meinen Eltern, die ein zärtlich Glühen Für mich berauscht, fern diesen Wäldern hier, Fern diesen Palmen – wird‘ ich nicht verblühen? Hier sterb‘ ich einsam; – laß mich mit dir ziehen! O, laß mich sterben wenigstens bei dir! Epische Langgedichte im Zeichen des Exotismus: Gesicht des Reisenden („Löwen- und Wüstenpoesie“; 1838) Mitten in der Wüste war es, wo wir nachts am Boden ruhten; Meine Beduinen schliefen bei den abgezäumten Stuten. In der Ferne lag das Mondlicht auf der Nilgebirge Jochen; Rings im Flugsand umgekommner Dromedare weiße Knochen! Schlaflos lag ich; statt des Pfühles diente mir mein leichter Sattel, Dem ich unterschob den Beutel mit der dürren Frucht der Dattel; Meinen Kaftan ausgebreitet hatt‘ ich über Brust und Füße; Neben mir mein bloßer Säbel, mein Gewehr und meine Spieße. Tiefe Stille, nur zuweilen knistert das gesunkne Feuer; Nur zuweilen kreischt verspätet ein vom Horst verirrter Geier; Nur zuweilen stampft im Schlafe eins der angebundnen Rosse; Nur zuweilen fährt ein Reiter träumend nach dem Wurfgeschosse. Da auf einmal bebt die Erde; auf den Mondschein folgen trüber Dämmrung Schatten: Wüstentiere jagen aufgeschreckt vorüber. Schnaubend bäumen sich die Pferde; unser Führer greift zur Fahne; Sie entsinkt ihm, und er murmelt: Herr, die Geisterkarawane! – Ja, sie kommt! Vor den Kamelen schweben die gespenst‘schen Treiber, Üppig in den hohen Sätteln lehnen schleierlose Weiber; Neben ihnen wandeln Mädchen, Krüge tragend wie Rebekka Einst am Brunnen; Reiter folgen – sausend sprengen sie nach Mekka. Mehr noch! – Nimmt der Zug kein Ende? – Immer mehr! Wer kann sie zählen? Weh, auch die zerstreuten Knochen werden wieder zu Kamelen, Und der braune Sand, der wirbelnd sich erhebt in dunkeln Massen, Wandelt sich zu braunen Männern, die der Tiere Zügel fassen. Denn dies ist die Nacht, wo alle, die das Sandmeer schon verschlungen, Deren sturmverwehte Asche heut vielleicht an unsern Zungen Klebte, deren mürbe Schädel unsrer Rosse Huf zertreten, Sich erheben und sich scharen, in der heil‘gen Stadt zu beten. Immer mehr! – Noch sind die letzten nicht an uns vorbeigezogen, Und schon kommen dort die ersten schlaffen Zaums zurückgeflogen; Von dem grünen Vorgebirge nach der Babelmandeb-Enge Sausten sie, eh‘ noch mein Reitpferd lösen konnte seine Stränge. Haltet aus, die Rosse schlagen! Jeder Mann zu seinem Pferde! Zittert nicht, wie vor dem Löwen die verirrte Widderherde! Laßt sie immer euch berühren mit den wallenden Talaren! Rufet: Allah! – und vorüber ziehn sie mit den Dromedaren. Harret bis im Morgenwinde eure Turbanfedern flattern! Morgenwind und Morgenröte werden ihnen zu Bestattern. Mit dem Tage wieder Asche werden diese nächt'gen Zieher! Seht, er dämmert schon! Ermut‘gend grüßt ihn meines Tiers Gewieher. Judentum, Christentum, Islam? Exotische Bildwelten! Die Bilderbibel [Schlussstrophe:] Du Freund aus Kindertagen, Du brauner Foliant, Oft für mich aufgeschlagen Von meiner Lieben Hand; Du, dessen Bildergaben Mich Schauenden ergötzten, Den spielvergeßnen Knaben Nach Morgenland versetzten: … Du brachtest sie mir näher, Die Weisen und die Helden, Wovon begeisterte Seher Im Buch der Bücher melden; Die Mädchen, schön und bräutlich, So ihre Worte schildern, Ich sah sie alle deutlich In deinen feinen Bildern. … O Zeit, du bist vergangen! Ein Märchen scheinst du mir! Der Bilderbibel Prangen, Das gläub‘ge Aug‘ dafür, Die teuren Eltern beide, Der stillzufriedne Sinn, Der Kindheit Lust und Freude – Alles dahin, dahin! Orientphantasien der Kolonialmächte: Reichtum, Luxus, Sexualität Edwin Long, Der Heiratmarkt von Babylon (1875) Ernest Normand, Bondage Jean-Joseph Constant, Alhambra / Delila und die Philister (1880er Jahre) Edward Said: Orientalismus (New York 1978) Von der ökonomischen und politischen Überlegenheit zur Diskursmacht, die • das verdrängte Eigene auf das Fremde projiziert, • es nach den eigenen Bedürfnissen modelliert • und dem kulturellen Selbstverständnis der Unterworfenen implantiert. Neuere Warnungen vor ‚Okzidentalismus‘ in islamischen Kulturen. …und das rebellische Potential des Exotismus