W E LT B Ü H N E Porträt DER NEW-AGE-IMAM In Bosnien ist der Geistliche Sulejman Bugari ein Star und hat Anhänger weit über die muslimische Gemeinde hinaus. Sogar katholische Nonnen folgen seinen Predigten W ie ein charismatischer Prediger wirkt Imam Sulejman Bugari nicht. Leise und etwas heiser dankt er den „Brüdern und Schwestern“, die gekommen sind, und zupft sein schwarzes gestricktes Käppchen zurecht. 20 Minuten zuvor war die Gemeindehalle im Vorort Hadzici bei Sarajevo noch fast leer gewesen. Bujrum, bujrum – bitte, bitte, hatte die junge Frau mit dem eleganten gelben Kopftuch die allmählich Eintreffenden hineingebeten. Es sind vor allem Frauen, meist gut gekleidet, das Haar unverhüllt und hübsch herausgeputzt, die den Saal zuerst betreten. Dann, kurz nach acht, das Abendgebet in der Moschee ist vorbei, öffnen sich nochmals die Türen. Ländlich gekleidetes Volk, Männer, Frauen und Kinder, strömt herein. Plastikstühle werden aufgestellt. Es wird gelacht und geschubst, bis jeder auf seinem Platz sitzt. Als der zehnjährige Bilal Zukan sich neben den Imam stellt, wird es ruhig. Der Kleine hebt an und singt mit Engelsstimme eine Kasida, ein Liebeslied für den Propheten. Der Imam hält den Kopf leicht geneigt. Er wirkt abwesend und müde. Der Hafis, ein Ehrentitel für Imame, die den Koran auswendig wissen, beginnt den Vortrag sitzend. Er spricht über die Vernunft und das Gefühl. Er sagt, dass wir nur halbe Menschen sind, wenn wir auf unsere Gefühle nicht hören. Dass wir unsere Seele pflegen, die emotionale Intelligenz entwickeln müssen, um nicht dem Selbsthass zu verfallen. „Wenn ihr Frauen euch fragt, wo bleibt bloß mein Mann, dann nutzt Satan die Chance und er flüstert: Bei einer anderen, er liebt dich nicht. Wenn ihr eure Frage aber an Allah adressiert, dann kommen die richtigen Antworten.“ Jetzt kommt der Hafis in Fahrt: Er springt hin und her, imitiert Stimmen, und seine Mimik verändert sich in Sekundenschnelle. Bei den Poin- Jüngere kritisieren auch die Verbindung ten lässt er sein hohes Lachen hören. Es mit einer Politikerkaste, die sich durch ist ansteckend, und das Publikum fällt Korruption und Vetternwirtschaft auf ein. Dann bricht die Rede unvermittelt Kosten des Landes bereichert. ab. Der Hafis atmet ein paar Mal durch Ganz anders wirkt Hafis Sulejman und stimmt eine Ilahija an, ein Loblied Bugari. Er ist ein kommunikatives Nazur Ehre Allahs. Wieder ist es ganz still turtalent, und seine Predigten und Geim Saal. Dann geht es weiter: „Glauben sprächsrunden faszinieren gleicherist mehr als beten. Wir müssen zu uns maßen Gläubige, Zweifler und auch selbst finden. Nur dann können wir gut Sinnsucher verschiedenster Art. Als zu anderen sein.“ Der Hafis senkt die „New-Age-Imam“ bezeichnet ihn der IsStimme zu einem Flüstern: „Am Ra- lamexperte Xavier Bougarel. „Glaube mazan könnt ihr euer Ego beobachten. ist Interaktion“, sagt der Hafis, „InterHört in euch hinein, beobachtet den Sa- aktion mit anderen und Andersartigen.“ tan, wie er euch versucht.“ Wieder das Die Mehrheit seiner Anhänger sind Mushohe Lachen. lime, aber zu seinen Veranstaltungen kommen auch Christen, Künstler, sogar katholische Nonnen. „Sie kommen DIE MENSCHEN KOMMEN auf die Bühne, lassen sich mit dem Hafis fotografieren, zu mir, weil ich sie als Menschen wahrer tätschelt die Kinder, schüttelt Hände, nehme.“ Wie Gordana, eine orthodoxe Serbin, die dem Hafis nach seinem Aufauch die von Frauen, und rückt immer wieder das schwarze Käppchen zurecht, tritt die Hand drückt und mit leuchtenden Augen flüstert: „Es war wunderbar!“ das im Tumult verrutscht. Der Hafis ist Geboren 1966 in der Nähe von Prizein Star. Und er ist ein wichtiger Trumpf der islamischen Gemeinschaft Bosniens, ren im Kosovo, kam Sulejman als Mittelschüler nach Sarajevo, wo er eine Korandie unter großem Wettbewerbsdruck schule besuchte. Er studierte in Sarajevo steht. Mit dem Ende des sozialistischen und Medina die Auslegungen des Koran Staates musste sie ihre Monopolstellung und schloss 1988 ab. Zurück in Sarajevo, aufgeben und wird seither durch neue Konkurrenten, vor allem aus der Türkei wurde er Imam der Bascarsija-Moschee, machte eine Zusatzausbildung in Sozialund Saudi-Arabien, herausgefordert. arbeit und übernahm die Gemeinde der Über Hilfswerke, Religionsschulen und NGOs, aber auch die bosniakische weißen Moschee im Stadtteil Vratnik. Der Hafis ist auch Bestsellerautor: Seine Diaspora im Westen sind neue Formen des Islam ins Land gekommen. Vor al- Bücher – Kompendien von Freitagsprelem bei jungen Menschen finden mys- digten, Aphorismen und Auslegungen tisch-sufistische, aber auch salafistisch- von Koranversen – erzielen Höchstauf­ fundamentalistische Gruppen Anklang, lagen in Bosnien. Nach Schätzung eines die an das Gefühl und die Gemeinschaft Mitarbeiters absolviert er durchschnittappellieren. Die oft etwas dröge-beam- lich jeden zweiten Tag einen öffentlitenhaft erscheinenden Imame der offizi- chen Auftritt. Viele davon sind auf seinem Youtube-Kanal zu sehen. ellen islamischen Gemeinschaft haben Was hält seine Frau davon, wenn er Mühe mitzuhalten, wenn es um die Mobilisierung von Gläubigen durch Öffent- kaum zu Hause ist? Der Hafis lacht sein hohes Lachen: „Sie ist froh, wenn ich weg lichkeitsarbeit und Seelsorge geht. Viele 54 Cicero – 7. 2 016 Foto: Nemanja Pancic/n-ost für Cicero Von ANDRE A S ERNST und ARMINA GALIJA S W E LT B Ü H N E Porträt aus Srebrenica und überlebte als kleiner Junge das Massaker, in dem sein Vater und sein Onkel umgebracht wurden. „Ich habe schöne Erinnerungen an den Krieg“, sagt er. „Ich war klein und die ganze Familie war immer eng beisammen.“ Wie sollen wir mit der Kriegsvergangenheit umgehen? „Wir dürfen uns nicht zu Opfern der Vergangenheit machen lassen“, sagt der Hafis. Das sei ein großes Problem auf dem Balkan. „Konzentriert euch nicht auf das, was passiert ist – fragt euch, wie es geschehen konnte.“ Es ist eine entspannte, gleichwohl konzentrierte Runde. DER HAFIS IST DIE AUTORITÄT, bin.“ Aber eigentlich ist er ein Familienmensch – mit fünf Kindern und vielen Enkeln. Bei aller Offenheit will er kein Reformer sein. „Es gibt keine Reformen im Islam, nur die Wiederbelebung. Der wahre Islam war immer da – nur wir nicht.“ Mit neuen feministischen Strömungen im Islam kann er wenig anfangen. „Der Glaube beschützt die Frau, weil ein Gläubiger seiner Frau treu ist.“ Und natürlich lehnt er das Frauenbild der sexualisierten Werbung ab, das „aus dem Menschen eine Ware“ macht. Auch die Ehescheidung ist für ihn der falsche Weg. Der Hafis fordert stattdessen Großzügigkeit im Verzeihen: Viele, heißt es im Koran, hätten nur mit einer Geste die Vergebung ihrer Sünden erlangt, wie jene Prostituierte, die den durstigen Hund tränkt. Allah verzeiht und will, dass wir unseren Brüdern und Schwestern verzeihen. kurz vor sechs Uhr. Der elegante Turm der weißen Moschee von Vratnik ragt in den grauen, regenschweren Himmel. Das kleine Gotteshaus aus dem 16. Jahrhundert liegt in einem Rosengarten. Zwischen den Büschen stehen ES IST MORGENS „Es gibt keine Reformen im Islam. Der wahre Islam war immer da, nur wir nicht“: Sulejman Bugari ist eine Autorität neue und alte Grabstelen, unter denen Geistliche und Märtyrer ruhen. Im Nachbarhaus, das einer frommen Stiftung gehört, hat sich nach dem Morgengebet eine Gruppe von etwa zehn Männern versammelt. Sie sind zwischen 20 und 40 Jahren alt, die meisten gut ausgebildet und beruflich erfolgreich. Man sitzt in bequemen Stühlen um einen niederen Tisch. Der Morgen hinter den großen Fenstern wird allmählich heller. Dann kommt der Hafis. Ein etwa dreißigjähriger Mann beginnt zu reden. Er ist vor kurzem aus Holland in die bosnische Heimat zurückgekehrt. Hektik und Erfolgsdruck sind von ihm abgefallen – „plötzlich habe ich Zeit, obwohl ich fünfmal am Tag bete“. Der Hafis sagt: „Wir brauchen Zeit, um nicht nur dem Körper, sondern auch der Seele Nahrung zu geben.“ Der „Holländer“ stammt 56 Cicero – 7. 2 016 wirkt aber nicht einschüchternd. Ja, flüstert Cazim, ein junger Informatiker mit einschlägiger Erfahrung: „Das hier ist besser als Yoga!“ Suad ist erfolgreicher Geschäftsmann und hat die Welt gesehen. Früher besuchte er die König-Fahd-Moschee, aber die Prediger dort waren ihm zu radikal. Es sind vor allem junge Leute, die islamistischen Ideologien verfallen, sagt er. In der Tat wird der traditionell tolerante Islam Bosniens von einem Generationenkonflikt heimgesucht. Die Söhne werfen ihren Vätern Lauheit im Glauben vor. Sie empfinden sich als Teil der weltweiten Umma, der Gemeinschaft aller Muslime, und lehnen den religiös aufgeladenen bosniakischen Nationalismus der Älteren ab. Wie geht der Hafis damit um? „Die jungen radikalisieren sich, weil sie kein spirituelles Umfeld haben. Sie versuchen es mit Drogen, Alkohol, Glücksspiel. Aber ihre Seele bleibt hungrig, und dann kommen die Radikalen und stopfen die leeren Seelen.“ Ist der Hafis mit seinen unkonventionellen Methoden so etwas wie die Geheimwaffe der islamischen Gemeinschaft gegen radikale Einflüsse? Er winkt ab. Die einzige Möglichkeit, den Radikalismus zu bekämpfen, sei der Dialog mit den Radikalen. Den Einfluss saudischer und iranischer Gruppierungen in Bosnien hält er bloß für ein vorübergehendes Phänomen. „Die Fundamentalisten sehen nur den Text, aber sie vergessen den Kontext: das Leben in seinem Reichtum. Ihre Euphorie wird enden, Alhamdulillah!“ Die des Hafis scheint grenzenlos. ANDRE A S ERNST ist Korrespondent der Neuen Zürcher Zeitung in Belgrad. ARMINA GALIJAS ist Historikerin am Zentrum für Südosteuropastudien an der Uni Graz