354 21 Zentralnervensystem Sertralin Zoloft姞 Trazodon Thromban姞 Venlafaxin Trevilor姞 Reboxetin Edronax姞, Solvex姞 Moclobemid Aurorix姞 Lithiumcarbonat Hypnorex姞, Quilonum姞 – – – Anmerkung: Bei der Komplexität der psychiatrischen Erkrankungen, die einer Behandlung mit Thymoleptika bedürfen, erscheint es uns nicht angebracht, die Auswahl an notwendigen Wirkstoffen zu eng zu gestalten. Es ist daher ein großer Teil der erhältlichen Wirkstoffe aufgelistet. Anxiolytika 21.1.3 Anxiolytika, auch Tranquillanzien genannt (englisch: minor tranquilizer), sollen Angst- und Spannungszustände lösen und einen überstarken Einfluss von negativ getönten Emotionen auf die Befindlichkeit dämpfen. Die Wertigkeit exogener und endogener Stimuli, die das seelische Wohlbefinden beeinträchtigen, verringert sich unter dem Einfluss dieser Substanzgruppe. Dieser Effekt wird mit einer allgemeinen Dämpfung (Sedierung) und mit einer Abnahme der Initiative und Alertheit erkauft. Bei Dosierungen, die für diesen Zweck ausreichend sind, ist die hypnotische Wirkung schwächer ausgeprägt als bei Sedativa und Hypnotika. Wenn als Ursache einer Schlafstörung Angst- und Spannungszustände vorliegen, sind die Anxiolytika auch als Schlafmittel geeignet. Anxiolytika dämpfen die interneuronale Erregungsausbreitung, so dass weniger Impulse aus dem limbischen System und der Formatio reticularis zu höheren Hirnabschnitten gelangen. Auch die Erregungsausbreitung im motorischen System wird durch höhere Dosen der Anxiolytika beeinträchtigt. Die Folge ist eine Tonussenkung der Skelettmuskulatur: Myotonolytika (S. 282). Leitsubstanz Diazepam Langsame Umsetzung in ebenfalls wirksame Metaboliten, lange Wirkdauer Anwendungsbeispiele: bei Angstzuständen, zur Narkoseprämedikation, zur „psychovegetativen Entkopplung“ z. B. bei Herzinfarkt und bei Krämpfen (z. B. Status epilepticus) Clonazepam Direkte, relativ langsame Inaktivierung, mittlere Wirkdauer Anwendung insbesondere als Antikonvulsivum Nitrazepam Direkte Inaktivierung, mittlere Wirkdauer Durchschlafmittel (s. S. 364). Brotizolam (tetrazyklisches Thienodiazepin) Sehr rasche metabolische Inaktivierung Einschlafmittel (s. S. 364) Midazolam (tetrazyklisches Benzodiazepin) schnelle Inaktivierung, intravenöses Narkotikum (s. S. 386), anamnestische Wirkung „Benzodiazepin-Analoga“ Zolpidem und Zopiclon (s. S. 365). Strukturell keine Benzodiazepine, wirken aber über „Benzodiazepin-Rezeptoren“. Schlafmittel Die heute gebräuchlichen Anxiolytika gehören zur Gruppe der 1,4- bzw. 1,5-Benzodiazepine, einige wenige auch zu den Thienodiazepinen (z. B. Clotiazepam und Brotizolam), bei denen der Benzol-Ring durch den Thiophen-Ring ersetzt ist, oder zu den tetrazyklischen Derivaten (Triazolam, Alprazolam, Midazolam, Brotizolam). Überblick Benzodiazepine Wirkungen. Die Substanzen dieser Gruppe wirken relativ spezifisch gegen Zustände von ängstlicher Verstimmung (anxiolytisch), in höherer Dosierung allgemein dämpfend, myotonolytisch, antikonvulsiv, hypnotisch und schließlich narkotisch. Die therapeutische Breite der Benzodiazepine ist groß, außerdem steht ein spezifisches Antidot (Flumazenil) zur Verfügung. Benzodiazepine können bei chronischer Gabe zu Abhängigkeit und Sucht führen. Wirkungsmechanismus. Benzodiazepine verstärken allosterisch die Wirkung des inhibitorischen Überträgerstoffes GABA an GABAA-Rezeptoren. Flumazenil ist ein Antagonist an der Benzodiazepin-Bindungsstelle. Wirkstoffe und Indikationen. Die zahlreichen Vertreter der Gruppe unterscheiden sich in ihren pharmakokinetischen Eigenschaften. Sie eignen sich unterschiedlich gut für die verschiedenen Anwendungen: aus: Lüllmann u. a., Pharmakologie und Toxikologie (ISBN 9783133685177) 䊚 2010 Georg Thieme Verlag KG 21.1 Psychopharmaka 355 GABA. Diese fördert den transmembranalen Einstrom von Cl-Ionen durch den im Rezeptorprotein befindlichen Cl-Kanal und lässt damit das Membranpotenzial der betreffenden Nervenzelle ansteigen (Hyperpolarisation). Der vermehrte Einstrom von Cl-Ionen kommt durch eine Zunahme der Öffnungswahrscheinlichkeit des Cl-Kanals zustande. Es sei vermerkt, dass auch die Barbiturate den Cl-Kanal beeinflussen sollen (s. S. 384), diese bewirken jedoch eine Verlängerung der einzelnen Öffnungszeiten, nicht aber eine erhöhte Öffnungswahrscheinlichkeit. Wirkungsweise Die Wirkungsweise scheint folgendermaßen zu sein: Bei niedriger Dosierung ist eine Beeinflussung vornehmlich der Formatio reticularis und des limbischen Systems nachweisbar, das vermutlich wesentlich für die Befindlichkeit eines Menschen mit verantwortlich ist. Die elektrische Aktivität in diesen Gebieten wird vermindert. Dadurch wird der Einfluss äußerer und innerer Stimuli auf höhere psychische „Zentren“ und ihre Verarbeitung reduziert und so das Bewusstsein von äußeren und inneren Erlebnissen distanziert. Gleichzeitig wird das Überspringen psychischer Alterationen auf das vegetative Nervensystem erschwert („psychovegetative Entkopplung“). Im Unterschied zu den Neuroleptika und Thymoleptika besitzen die Anxiolytika keine antipsychotische Wirkung. Der molekulare Wirkungsmechanismus dieser Substanzgruppe ist weitgehend aufgeklärt (Abb. 21.3): Benzodiazepine werden mit hoher Affinität an einen Teil des Rezeptorproteins für γ-Aminobuttersäure (GABA) gebunden. Betroffen ist der Rezeptorsubtyp GABAA; dementsprechend finden sich die Benzodiazepin-Bindungsstellen vornehmlich in jenen Hirnabschnitten, in denen GABA eine wichtige Rolle als hemmende Überträgersubstanz spielt. Die Besetzung durch Benzodiazepine erhöht allosterisch die Wirksamkeit von Benzodiazepinartig wirkende Substanzen mit anderer Struktur sind Zolpidem und Zopiclon. Sie lagern sich ebenfalls an den GABAA-Rezeptor an, benutzen im Rezeptorareal aber offenbar andere Haftpunkte. Sie werden als Schlafmittel verwendet (S. 365). Pharmakokinetik Die Benzodiazepine sind ein Musterbeispiel für eine Arzneimittelgruppe, die durch eine übergroße Anzahl von Analogsubstanzen charakterisiert ist. Alle Pharmaka dieser Gruppe besitzen denselben Wirkungsmechanismus, eine Unterscheidung ist nur durch ihr Verhalten im Metabolismus und die sich daraus ergebenen kinetischen Eigenschaften möglich. Es lassen sich unter therapeutischen Gesichtspunkten 3 Gruppen aufstellen: 앫 Gruppe 1: Substanzen, die als solche unwirksam sind und erst im Organismus in pharmakologisch aktive Metabolite überführt werden, z. B. Chlordiazepoxid, das erste in die Therapie eingeführte Benzodiazepin. 앫 Gruppe 2: Substanzen, die selbst wirksam sind, aber über weitere wirksame Metabolite langsam abgebaut werden, z. B. Diazepam. 앫 Gruppe 3: Substanzen, die selbst wirksam sind, aber entweder in einem metabolischen Schritt biologisch inaktiviert werden (direkte Inaktivierung), z. B. Oxazepam, oder in mehreren rasch aufeinander folgenden Schritten ihre Wirksamkeit verlieren, z. B. Midazolam. 21 Abb. 21.3 Allosterische Förderung der GABA-Wirkung am GABAA-Rezeptor. aus: Lüllmann u. a., Pharmakologie und Toxikologie (ISBN 9783133685177) 䊚 2010 Georg Thieme Verlag KG 356 21 Zentralnervensystem Diese Einteilung hat für die Therapie Bedeutung. So sind die Pharmaka der Gruppe 1 nicht geeignet, eine akut benötigte Wirkung, wie z. B. eine Schlafinduktion oder unmittelbar einsetzende Anxiolyse, zu erzeugen. Diese Substanzen eignen sich für eine Dauertherapie. Die Pharmaka der Gruppe 2 besitzen einen schnellen Wirkungseintritt, werden jedoch in wirksame Metaboliten umgewandelt, die langsamer eliminiert werden als die Ausgangssubstanz. Bei länger dauernder Therapie kumulieren dementsprechend die Metaboliten und bestimmen das Wirkbild. Wie aus Abb. 21.4 hervorgeht, bildet eine ganze Reihe von Anxiolytika dieselben kumulierenden wirksamen Metaboliten, insbesondere die Desalkylbenzodiazepine. Dies trägt mit dazu bei, dass die Anxiolytika bei Dauergabe identische Wirkprofile besitzen. In Gruppe 3 bestimmt die Ausgangssubstanz direkt die Geschwindigkeit des Eintritts und die Dauer der Wirkung. Die Substanzen werden schneller abgebaut als die Pharmaka Abb. 21.4 Benzodiazepin-Derivate und ihre Biotransformation. Die Pfeile deuten den vorwiegenden metabolischen Umbau im Organismus an. Die Metabolite mit der langsamsten Eliminationshalb- der anderen beiden Gruppen, damit ist die Kumulationsneigung geringer. Sie sind daher geeignet, akut benötigte und eher kurzfristige Effekte auszulösen, wie Schlafinduktion (z. B. Triazolam, Brotizolam) und bei parenteraler Applikation Einleitung einer Narkose (z. B. Midazolam). Inaktivierung über mehrere Schritte. Der Metabolismus verläuft für eine Reihe von Substanzen nach einem bestimmten Schema, wie es am Beispiel der Leitsubstanz von Gruppe 2, Diazepam, gezeigt werden kann (Abb. 21.4). Diazepam wird vorwiegend am Stickstoff demethyliert, es entsteht 1-Desmethyldiazepam, das dann langsam in Position 3 hydroxyliert (Oxazepam), schließlich an dieser HydroxyGruppe konjugiert und damit biologisch inaktiviert wird. In einem Nebenweg kann Diazepam auch gleich hydroxyliert werden, es entsteht Temazepam, das nun wiederum nach Demethylierung in Oxazepam übergehen kann oder direkt wertszeit sind farbig dargestellt. Die Halbwertzeit der jeweiligen Schritte, sofern gut dokumentiert, ist in Stunden angegeben. aus: Lüllmann u. a., Pharmakologie und Toxikologie (ISBN 9783133685177) 䊚 2010 Georg Thieme Verlag KG 21.1 Psychopharmaka 357 konjugiert wird. Ganz ähnlich werden Flurazepam und Flunitrazepam abgebaut. Das 1,5-Benzodiazepin Clobazam wird ebenfalls in einem ersten Schritt demethyliert, dann erfolgt aber eine Hydroxylierung am Phenylring, der in Position 5 steht. Einige weitere Substanzen können als Vorstufen von 1-Desmethyldiazepam aufgefasst werden: Medazepam, Demoxepam, Prazepam und Clorazepat. Chlordiazepoxid wird über mehrere chemische Schritte, die in Abb. 21.4 nicht alle dargestellt sind, schließlich ebenfalls in die Zentralsubstanz 1-Desmethyldiazepam überführt. Direkte Inaktivierung. Von den bisher genannten Substanzen unterscheiden sich einige Pharmaka, die unmittelbar biologisch inaktiviert werden (Abb. 21.5): Lorazepam und sein N-Methyl-Derivat Lormetazepam werden sofort gekoppelt, da eine 3-Hydroxy-Gruppe bereits vorhanden ist, Bromazepam unterliegt einer Ringspaltung, und die 7-Nitro-Verbindungen Nitrazepam und Clonazepam werden durch Reduktion der Nitro-Gruppe zur Amino-Gruppe und anschließende Acetylierung unwirksam. Dasselbe gilt auch für einen Teil der Flunitrazepam-Moleküle, an denen zwei konkurrierende Prozesse ablaufen. Schnelle Elimination. Durch eine schnellere Elimination als die üblichen Benzodiazepine sind die tetrazyklischen Benzodiazepine ausgezeichnet (Abb. 21.6). Der vierte Ring, der stickstoffhaltig ist und eine Methyl-Gruppe trägt, ermöglicht zwei rasch ablaufende Hydroxylierungsreaktionen an der α-Methyl-Gruppe und am C-Atom in Position 3 mit anschließender Glucuronidierung. Die Plasma-Eliminationshalbwertzeiten einiger Wirkstoffe dieser Gruppe sind: Midazolam: 1,5 – 3 h, Triazolam: 1,5 – 3 h, Brotizolam: 3 – 5 h, Alprazolam: 10 h. Abb. 21.5 Benzodiazepin-Derivate mit direkter biologischer Inaktivierung. Die Pfeile markieren die Struktur, an der sich die Änderung abspielt. Abb. 21.6 Abbau von tetrazyklischen Benzodiazepinen: Beispiel Midazolam. Die Hydroxylierung an der α-Methyl-Gruppe und am C3Atom mit anschließender Glucuronidierung verläuft verhältnismäßig rasch. Analog werden Triazolam und Alprazolam abgebaut. 21 aus: Lüllmann u. a., Pharmakologie und Toxikologie (ISBN 9783133685177) 䊚 2010 Georg Thieme Verlag KG 358 21 Zentralnervensystem Kinetische Wirkprofile einiger Benzodiazepine Chlordiazepoxid ist die Leitsubstanz der Gruppe 1. Es ist ein Anxiolytikum, das selbst unwirksam ist und erst langsam in einen pharmakologisch wirksamen Metaboliten umgewandelt wird. Chlordiazepoxid kann keine akuten Effekte auslösen wie z. B. eine Schlafinduktion. Ein Vorteil besteht aber darin, dass bei längerdauernder Behandlung ein gleichmäßiger Blutspiegel an Wirkstoffen resultiert, wie er für eine chronische anxiolytische Therapie wünschenswert ist. Dies gilt im Prinzip auch für die anderen Pharmaka dieser Gruppe (z. B. Clorazepat, Prazepam, Medazepam und Flurazepam). Je schneller jedoch die Umwandlung in einen aktiven Metaboliten erfolgt, umso mehr treten akute Wirkungen auf. Diazepam ist die Leitsubstanz der Gruppe 2. Die Substanz wirkt unmittelbar und wird in biologisch aktive Metabolite überführt. Nach intravenöser Applikation setzt der anxiolytische Effekt unmittelbar ein; nach oraler Gabe wird Diazepam schnell resorbiert, der Blutspiegel erreicht sein Maximum nach ca. 1 Stunde, die Metabolite treten langsam auf. Pharmakokinetisch ähnlich verhält sich Flunitrazepam, das bezogen auf die notwendigen Dosen stärker wirksam ist als Diazepam. Die Substanzen dieser Gruppe eignen sich zur Auslösung akuter Wirkungen (Narkoseprämedikation, Erregungsdämpfung), neigen aber bei wiederholter Gabe zur Kumulation, da die biologisch wirksamen Metabolite sehr langsam eliminiert werden. Flunitrazepam hat in der „Drogenszene“ aufgrund der rasch und stark einsetzenden Wirkung, die auch ausgeprägt myotonolytisch ist, eine gewisse Bedeutung und sollte wegen seines relativ hohen Abhängigkeitspotenzials zurückhaltend verordnet werden. Für die Pharmaka der Gruppe 3 ( unmittelbar wirksam, direkte biologische Inaktivierung) lässt sich keine einheitliche Indikation angeben: Oxazepam und Bromazepam besitzen kaum akute Wirkungen, da ihre enterale Resorption langsam verläuft. Sie sind für eine lang dauernde anxiolytische Therapie geeignet, da ihre Kumulationsneigung geringer ist als die der „Diazepam-Gruppe “. Aufgrund seiner schnellen Resorption wirkt Nitrazepam akut schlafinduzierend, sollte aber wegen der langsamen Elimination nicht mehr verwendet werden. Auch Triazolam gilt, insbesondere wegen der schnellen Elimination, als Hypnotikum. Ebenso kann das tetrazyklische Thienodiazepin Brotizolam (t½ 3 – 5 h, s. S. 364) als Hypnotikum Verwendung finden. Vom Clonazepam wird besonders der antikonvulsive Effekt ausgenutzt, speziell beim Status epilepticus. Midazolam versetzt nach intravenöser Gabe den Patienten sofort in einen schläfrigen Zustand, was zur Einleitung einer Narkose ausnutzbar ist. Jedoch muss bei einer Überdosierung mit einer Hemmung bzw. Lähmung des Atemzentrums gerechnet werden. Unter dem Einfluss dieser Substanz kann der Zustand einer anterograden Amnesie auftreten. Anwendungen und Wahl des Mittels Über Angst- und Spannungszustände wird im Rahmen sehr unterschiedlicher Situationen geklagt. Das Spektrum reicht vom „unspezifischen“ Missmut aufgrund der Lebensverhältnisse über die Angst, den täglichen Anforderungen nicht nachkommen zu können, bis hin zur Reaktion auf neurotischer oder psychotischer Basis. Diese „Angstzustände“ lassen sich im Prinzip durch Benzodiazepine günstig beeinflussen; daraus ergibt sich aber noch keine Indikation für ihre Anwendung (s. Box 21.8). Sind die Angstzustände Folgen einer Neurose, können die Anxiolytika vorübergehend benutzt werden, um die Einleitung und die Durchführung einer Psychotherapie zu erleichtern. Ebenso können Benzodiazepine benutzt werden, um Angstzustände im Rahmen einer Psychose zu behandeln. Da sie selbst keine antipsychotische Wirksamkeit besitzen, muss dabei jedoch vor allem mit antipsychotisch wirksamen Arzneimitteln therapiert werden. Vor jeder längerfristigen Verschreibung von Benzodiazepinen muss allerdings der mögliche Nutzen gegen das Risiko der Abhängigkeitsentwicklung (s.u.) abgewogen werden. Bei Schlafstörungen aufgrund von Angst- und Spannungszuständen sind Präparate mit schnellem Wirkungseintritt und relativ schneller Elimination zur Verminderung einer morgendlichen Beeinträchtigung indiziert, z. B. Brotizolam. Ist gleichzeitig eine anxiolytische Dauertherapie notwendig, kann auf Pharmaka mit akuter schlafinduzierender Wirkung verzichtet werden, da sich das Schlafvermögen unter der anxiolytischen Therapie von selbst einstellt. Für die eigentliche anxiolytische Therapie können Derivate verwendet werden, die eine längere Wirkdauer besitzen, z. B. die Leitsubstanz Diazepam. Dabei ist es gleichgültig, ob die Wirkung sofort oder mit einer Verzögerung einsetzt. Die Benzodiazepine können ferner ein Hilfsmittel darstellen bei psychosomatischen Erkrankungen, um vorübergehend eine „psychovegetative“ Entkopplung zu erreichen. Dies erklärt ihre Indikation in der Inneren Medizin und verwandten Gebieten. Zur Anxiolyse in der Notfallmedizin (z. B. nach Herzinfarkt, bei Schwerverletzen während des Transportes), wo es auf schnell einsetzende und starke Wirksamkeit ankommt, ist die parenterale Gabe von Diazepam eine geeignete Maßnahme. Im Rahmen der Anästhesiologie finden Benzodiazepine folgende Anwendungen: 앫 sedativ-anxiolytische Vorbereitung des Patienten auf den Operationstag, z. B. durch orale Zufuhr von Diazepam; 앫 Einleitung der Narkose durch die intravenöse Gabe eines sofort wirksamen und schnell eliminierbaren Benzodiazepin, z. B. Midazolam, das aufgrund dieser Eigenschaften gut steuerbar ist.373 Zur Therapie des Status epilepticus (S. 379) und akuter Entzugssyndrome bei Alkohol- und Rauschmittelabhängigkeit, bei der eine intravenöse Zufuhr hoher Dosen notwendig ist, sind Substanzen mit unmittelbarer Wirksamkeit geeignet, z. B. Diazepam, Flunitrazepam und Clonazepam. Auch bei anderen motorischen Erregungszuständen, z. B. aus: Lüllmann u. a., Pharmakologie und Toxikologie (ISBN 9783133685177) 䊚 2010 Georg Thieme Verlag KG 21.1 Psychopharmaka Krämpfe bei Vergiftungen, können diese Verbindungen als zentral wirksame Muskelrelaxanzien verwendet werden. Box 21.8 Anxiolytika lösen keine Probleme Viele Menschen in Deutschland leiden zunehmend an einer negativistisch-missmutigen Verstimmung, obwohl es uns im Vergleich mit anderen Regionen der Welt eigentlich gut geht. Die positive Grundstimmung, die in den Aufbaujahrzenten nach dem Krieg geherrscht hat, ist verflogen. Dieses Kontingent an verstimmten Menschen ist der Empfänger der Benzodiazepine als „Glückspille“, die alle Alltags- und Grundsatzsorgen überwinden soll. Die Benzodiazepine ersetzen gesellschaftliche Funktionen wie familiären Zusammenhalt, religiöse Bindungen und Arbeit an sich selbst. Aber eines muss klar sein: Anxiolytika lösen keine Probleme! Gerade ältere Menschen haben an der oft reflektorischen Verordnung insbesondere länger wirksamer Präparate zu leiden. Die Patienten werden teilnahmslos und von der Familie nicht mehr ausreichend integriert, sie werden in ein Alters- oder Pflegeheim überwiesen, wo die „Therapie“ mit Anxiolytika zur Ruhigstellung fortgesetzt wird, auch um die Pflegekräfte zu entlasten. Alte Menschen werden so bis zum Ableben ruhig gestellt. Nebenwirkungen und Kontraindikationen Bei Gabe von anxiolytischen Dosen sind höhere geistige Funktionen in Mitleidenschaft gezogen. Alertheit und Initiative nehmen ab, es bildet sich eine Gleichgültigkeit und „Wurstigkeit“ aus. Die Persönlichkeit wird eingeengt, der Mensch ist geistig nicht voll leistungsfähig und verflacht. Das Reaktionsvermögen ist beeinträchtigt, was sich auch auf mechanische Tätigkeiten auswirken kann. Zusätzlich können Ataxien auftreten. Bei chronischer Einnahme besteht die Gefahr, dass sich eine Arzneimittelabhängigkeit entwickelt, die mit einer Toleranzerhöhung einhergehen kann. Ob wesentliche Unterschiede zwischen den einzelnen Benzodiazepin-Derivaten hinsichtlich des Abhängigkeitspotenzials bestehen, ist bisher nicht eindeutig zu beantworten. Bei plötzlichem Absetzen können mit einer durch die Pharmakokinetik bedingten Latenz Entzugssymptome auftreten, die umso ausgeprägter zu sein scheinen, je schneller das Pharmakon eliminiert wird. Es kommt zu Schlafstörungen, psychischer Labilität, selbst Krämpfe sind beobachtet worden. In der Entzugstherapie lässt sich manchmal ein vollständiges Absetzen der Benzodiazepine nicht erreichen; statt dessen muss man sich mit einer „Niedrig-Dosis-Abhängigkeit“ zufrieden geben (z. B. Bromazepam 1 mg/d). Bei alten zerebralsklerotischen Patienten können paradoxerweise durch Benzodiazepine Erregungszustände ausgelöst werden. Im Einzelfall ist bei Patienten über 70 Jahre die Reaktion nicht vorhersehbar. Daher sollten Benzodiazepine zurückhaltend verordnet und Alternativen bevorzugt werden. Bei Gabe von Benzodiazepinen vor und während der Geburt treten die Substanzen auf den Fetus über und können aufgrund ihrer zentralen Wirkung eine Muskelrelaxierung beim Neugeborenen auslösen, die mit einer Apnoe 359 verbunden ist („floppy child“); Flumazenil ist als Antidot wirksam. Bei Patienten mit Lebererkrankungen ist der metabolische Abbau der Benzodiazepine verzögert, so dass mit einer stärkeren und längeren Wirkung zu rechnen ist. Im Gegensatz zu einigen Barbituraten lösen die Benzodiazepine kaum eine Enzyminduktion in der Leber aus. Bei gleichzeitiger Zufuhr von Anxiolytika und anderen sedativ-hypnotisch wirkenden Pharmaka sowie von Alkohol tritt eine überadditive Wirkung auf. Da der Genuss von Alkohol bei ängstlich verstimmten Patienten nicht selten vorkommt, ist dieser Kombinationseffekt besonders zu beachten, beispielsweise wenn es um die Fahrtüchtigkeit geht. Bei größerer Empfindlichkeit und höherer Dosierung ist auch eine Reihe von z. T. somatischen Nebenwirkungen zu beobachten: Hautreaktionen, Schwindel, Obstipation, Libidoverlust, Menstruationsstörungen, Appetitsteigerung mit starker Gewichtszunahme. Nebenwirkungen an Herz und Kreislauf sind, jedenfalls nach oraler Zufuhr, unbedeutend. Die Atmung wird nach therapeutischen Dosen nicht beeinträchtigt, kann jedoch nach schneller intravenöser Gabe betroffen sein. Aber bei Patienten mit bronchopulmonalen Erkrankungen lässt sich eine Verminderung der Atmung und eine Kohlendioxid-Retention nachweisen. Alte Menschen können besonders empfindlich sein. Kontraindikationen. Bei Myasthenia gravis und bei Leberund Nierenerkrankungen sollten diese Mittel nur mit großer Vorsicht oder gar nicht gegeben werden. Die Benzodiazepine dürfen nicht mit Alkohol kombiniert werden, weil sich die Wirkungen unkontrolliert verstärken. Eine Schädigung der Frucht durch Behandlung der Schwangeren mit Benzodiazepinen ist nicht belegt. Trotzdem sollten Substanzen dieser Gruppe nur bei strenger Indikationsstellung in der Gravidität angewendet werden. Bei Behandlung mit Benzodiazepinen, aber auch nach Zufuhr aller anderen Psychopharmaka, kann es zur Beeinträchtigung der Fahrtüchtigkeit und des Arbeitens mit Maschinen kommen, von der Verminderung der Alertheit ganz abgesehen. Auf diese Folgen muss der Arzt den Patienten hinweisen, nicht zuletzt aus forensischen Gründen (Haftung, Strafrecht). Benzodiazepin-Antagonist Flumazenil Flumazenil konkurriert mit Benzodiazepinen um die spezifische Bindungsstelle und hebt damit ihre Wirkung auf. Es ist selbst frei von einer zentralnervösen Wirksamkeit, nur bei sehr hoher Dosierung machen sich „benzodiazepinartige“ Effekte bemerkbar. Flumazenil wird mit einer Eliminationshalbwertszeit von ca. 1 Stunde ausgeschieden. Es ist in der Lage, die Wirkung von Benzodiazepinen abzuschwächen oder aufzuheben, je nach dem Dosen-Verhältnis von Benzodiazepin zu Antagonist. Um die Wirkung der Dosen von Diazepam oder Midazolam, wie sie in der Narkosetechnik gebraucht werden, abzuschwächen, genügen intravenös 0,3 – 0,6 mg Flumazenil, um die Wirkung aufzuheben, müssen 0,5 – 1,0 mg i. v. zugeführt werden. aus: Lüllmann u. a., Pharmakologie und Toxikologie (ISBN 9783133685177) 䊚 2010 Georg Thieme Verlag KG 21 360 21 Zentralnervensystem Bei Patienten, die mit hohen Dosen eines Benzodiazepin vergiftet sind, können bis zu 5 mg Flumazenil i. v. notwendig sein, um die Bewusstlosigkeit zu beenden. Wenn eine Vergiftung mit langwirksamen Benzodiazepinen vorliegt, muss die Zufuhr des Antagonisten Flumazenil häufiger wiederholt werden, da Flumazenil recht schnell eliminiert wird. Weitere im Handel erhältliche Anxiolytika Alprazolam Tafil姞, Chlordiazepoxid Librium姞, Radepur姞 Clobazam Frisium姞 Medazepam Rusedal姞, Rudotel姞 Flunitrazepam Rohypnol姞, 21.1.4 Psychoanaleptika Überblick Analeptika sind Substanzen, die zentral erregend wirken, bei Überdosierung lösen sie Krämpfe aus. Wird bei Anwendung kleiner Dosen bestimmter Pharmaka eine „anregende“ Wirkung verspürt, spricht man von Psychoanaleptika. Box 21.9 Indikationen zur Anwendung psychisch dämpfender Pharmaka 1. Ambulante Behandlung von nicht-psychotischen Angstund Spannungszuständen: Anxiolytika, Hypnotika niedrig dosiert, keine Neuroleptika, Dauer nicht länger als 4 – 6 Wochen. 2. Schlafstörungen: Anxiolytika. Wahl des Medikamentes nach gewünschter Wirkungsdauer (Einschlaf- bzw. Durchschlafmittel). 3. Erregungszustände bei Psychosen (endogen oder toxisch): Neuroleptika, Clomethiazol (vor allem Delirium tremens). 4. Stationäre Behandlung: wie 1 bis 3; bei Herzinfarkt: Diazepam hoch dosiert, keine Neuroleptika; bei Coma hepaticum: Scopolamin; bei psycho-vegetativ bedingten Fällen von Hypertonie, Bronchialasthma, Magen-Duodenal-Ulkus, Colitis ulcerosa etc.: Anxiolytika und kurzfristig, wenn nötig, Neuroleptika (cave!). 5. Narkoseprämedikation: Neuroleptika, Diazepam, Midazolam oder Flunitrazepam, zusätzlich Opiate. 6. Erregungszustände zerebralsklerotischer Patienten: Clomethiazol, Haloperidol, Scopolamin; Benzodiazepine oder Chlorpromazin-Analoga. Notwendige Wirkstoffe Anxiolytika Wirkstoff Handelsname Amphetamine Sie haben aufgrund ihres Suchtpotenzials keine Indikation. Lediglich Methylphenidat wird bei der Therapie hyperkinetischer Kinder verwendet, die Wirkungsweise hier ist ungeklärt. Die chemisch vom Amphetamin abgeleiteten Appetitzügler (s. S. 262) sollen keine Anwendung mehr finden, weil der Möglichkeit schwerer Nebenwirkungen eine geringe therapeutische Wirksamkeit gegenübersteht. Unspezifische Analeptika Die sog. unspezifischen Analeptika sind therapeutisch bedeutungslos. Strychnin besitzt toxikologisches Interesse. Es ist im Rückenmark ein Antagonist am Glycin-Rezeptor, der die hemmende Wirkung der Überträgersubstanz Glycin in den Interneuronen vermittelt. Aus der Gruppe der unspezifisch wirkenden Analeptika lassen sich diejenigen Substanzen ausklammern, die vorwiegend die „Psyche“ anregen. Man fasst sie unter dem Terminus Psychoanaleptika zusammen (Synonyma: Psychostimulanzien, Psychotonika). Im Gegensatz zu den Thymoleptika wirken sie nicht depressionslösend und stimmungsaufhellend. Alternative Benzodiazepine Methylxanthine , Faustan姞 Diazepam Valium姞 Clorazepat, Di-Kalium Tranxilium姞 – Prazepam Demetrin姞 – Lorazepam Tavor姞 Oxazepam Adumbran姞, Praxiten姞 Bromazepam Lexotanil姞 Benzodiazepin-Antagonist Flumazenil Methylxanthine Als Arzneimittel kann nur Coffein zur Überwindung von Ermüdung empfohlen werden, als Genussmittel hat es – in vernünftigen Quantitäten genossen – keine schädlichen Folgen. Anexate姞 Von den drei Methylxanthinen hat Coffein (1,3,7-Trimethylxanthin, Syn.: Theïn) die stärkste psychoanaleptische Wirkung. Theophyllin (1,3-Dimethyl-xanthin) ist etwas weniger wirksam, Theobromin (3,7-Dimethyl-xanthin) hat praktisch keinen zentral erregenden Effekt. Coffein kommt in einer Reihe von Pflanzen vor, die seit langen Zeiten als Genussmittel gebraucht werden: Coffea arabica, Thea sinensis, Cola vera, Ilex paraguayensis (Mate-Tee). Coffein wird heute großtechnisch synthesiert. Es wird Erfrischungsgetränken zugesetzt. Die drei erstgenannten Wirkstoffe werden über denselben wirksamen Metaboliten Desmethyldiazepam abgebaut, im Gegensatz dazu verlieren Lorazepam, Oxazepam und Bromazepam ihre Wirksamkeit in einem metabolischen Schritt aus: Lüllmann u. a., Pharmakologie und Toxikologie (ISBN 9783133685177) 䊚 2010 Georg Thieme Verlag KG