Diskussions-Papier Die Diskussionspapiere der S T R E S E M A N N S T I F T U N G bereiten grundlegende Fakten auf und dienen so der Versachlichung gesellschaftlicher Debatten. Doch die Autoren beziehen z.T. auch persönlich Stellung1 und setzen so entscheidende Impulse für die politische Diskussion. --- Zusammenfassung: An der Frage, ob Gewalt im Islam tatsächlich religiös legitimiert ist, scheiden sich die Geister. Der vorliegende Essay nutzt zur Klärung dessen den Koran als historisches Dokument und zeichnet die Entwicklung der Erlaubnis zur Gewaltausübung im Islam nach. Er fordert zugleich die Historisierung des Prophetenideals und eine offene, von den bisherigen Relativierungen und Generalisierungen befreite Diskussion. Dr. Thomas Tartsch ist Sozialwissenschaftler mit den Arbeitsgebieten Counterterrorism, Counterinsurgency, Jihadismus 2.0 bzw. Internet-Jihad, Salafitischer Islam in Deutschland und Österreich. Aktueller Interessenschwerpunkt: Das islamische Kriegs-, Fremden- und Völkerrecht (Siyar). Letzte Veröffentlichung: • Muhammads Erbe. Dschihad, Bekämpfungsvers, 2011, Datteln. Dhimmi, Tötungs- 1 Die Beiträge geben die Meinung der Autoren wieder und müssen nicht mit den Positionen der Stresemann Stiftung übereinstimmen 1 und Thomas Tartsch – Islam & Gewalt Diskussions-Papier E INLEITUNG Zunächst kann festgehalten werden, dass in der islamischen Historie ein deutlicher Zusammenhang zwischen Gewaltausübung und der Ausdehnung der islamischen Herrschaft und Religion besteht, was auch von Muslimen bestätigt wird. So merkt etwa die islamische Theologin Hamideh Mohagheghi an: „Wiederholt zu sagen, dass dies alles ‚nichts mit dem Islam‘ zu tun habe, führt nicht weit und verkommt zu einer unglaubwürdigen Parole“ (Mohagheghi 2010: 73). Auch der Politikwissenschaftler Bassam Tibi, der zwischen einem dschihadistischen und einem institutionellen Islamismus im Rahmen der Entstehung eines neuen Totalitarismus als Ausformung des politischen Islam unterscheidet, führt zur Gewalterlaubnis im Koran aus, dass Dschihad eben auch die Gewaltanwendung zur Verbreitung des Islam einschließe (Tibi 2003). Und die DİTİB – Türkisch Islamische Gemeinde zu Arnsberg e.V. bezeichnet auf ihrer Internetpräsenz das Osmanische Reich als ein „vornehmlich militärisch geprägtes Staatswesen mit der Ausrichtung, das ‚Reich des Islam‘ (Dar al-Islam) durch Eroberung im Dschihad von Territorien abweichenden Glaubens (Dar al-Harb) zu erweitern.“3 „Der Westen hält uns für den gefährlichsten Feind. Wir sind gefährlicher als nukleare Waffen, denn wir besitzen eine Sache: den Glauben, für den wir zu sterben bereit sind. Die Muslime lieben den Tod wie andere das Leben. Wenn Muslime angegriffen werden, dann werden sie alle zu Dschihadisten.“ – Mohammed Al-Sawahiri2 In den Debatten über den Islam und die Integration von Muslimen in Deutschland und Europa steht immer wieder ein Thema im Mittelpunkt: die Frage der religiösen Legitimation von Gewalt. Die Mehrheit der Muslime sowie zahlreiche westliche Apologeten deuten diese Diskussion als Generalangriff auf den Islam. Um jeden Zusammenhang zwischen Religion und religiös legitimierter Gewalt zu leugnen, weichen auf eine selektive und relativierende Auswahl friedfertiger Stellen im Koran aus. Die Gegenseite generalisiert entsprechende Koranstellen, die Gewalt legitimieren und zeichnet das Bild des fanatischen Muslims, der mit Koran und Schwert den Islam verbreitet. Hierbei arbeitet man sich primär an der Person des Propheten Mohammed ab, der als Manifestation des Bösen an sich gilt. Somit gilt es zunächst genauer zu untersuchen, wie sich die Erlaubnis zur Gewaltausübung zum Zweck der Ausdehnung der Religion innerhalb des Korans entwickelt hat.4 Mohammed al-Sawahiri ist einer der einflussreichsten Islamisten der Welt. Er ist der Bruder von Aiman al-Sawahiri, dem Mann, der seit dem Tode Osama bin Ladens das Terrornetzwerk Al-Kaida anführt (Schaap 2013). DITIB – Türkisch Islamische Gemeinde zu Arnsberg e.V.: „Die Osmanen“, unter: http://www.moschee-arnsberg.de/3-8Osmanen.html 4 Die deutschen Übersetzungen und die Zählung der Koranstellen folgen der Koranausgabe von Max Henning: Der Koran. Aus dem Arabischen übersetzt von Max Henning. Einleitung und Anmerkungen von Annemarie Schimmel, Stuttgart, durchgesehene und verbesserte Ausgabe, 1991; Zitationsweise: [Nummer der Sure: Nummer(n) des/der Verse(s)]; die Übersetzung der Koranstellen orientiert sich an der „Kairoer Koranausgabe“: Al-Qurˈān al-karīm bi-r-rasm alʿuṯmānī bi-riwāyat Ḥafṣ ʿan ʿĀṣim, Kairo 1342, Ḏū l-ḥiǧǧa = 1924; es wurde hier zur besseren Lesbarkeit eine an der Lautsprache orientierte Umsetzung arabischer Begriffe benutzt, wobei die hocharabische Sprache (Fusha) die Kurz- 2 3 3 Da diese relativierenden und generalisierenden Sichtweisen beider Seiten keinen neuen Erkenntnisgewinn und daraus ableitbare Handlungsmaximen leisten, soll die Thematik im Folgenden von einer anderen, vermittelnden Seite betrachtet werden. 2 Thomas Tartsch – Islam & Gewalt Diskussions-Papier D IE E NTWICKLUN G DER E RLAUBNIS G EWALTAUSÜBUNG IM K ORAN ZUR Nach allgemeiner Definition stellt der Koran „Kalam Allah“, das Wort Allahs dar, das Muhammad als „Siegel der Propheten“ (alchatam [33:40]) in arabischer Sprache direkt und verbal als Wahy (Offenbarung) über den Engel Dschibril (Gabriel) eingegeben wurde, dessen Rezitation eine Ibada (gottesdienstliche Handlung) darstellt, der über einen sogenannten Wundercharakter verfügt und in unzweifelhafter, gesicherter Überlieferung (Mutawatir) vorliegt, und zwar so, wie er auf Anweisung Mohammeds aufgeschrieben und gesammelt wurde.5 Das beinhaltet, dass jedes einzelne Wort und jeder Buchstabe direkt von Gott kommen und verbalinspiriert sind und dass demnach der Koran unverfälscht, unverändert und ewig gültig ist (Spuler-Stegemann 2007). Der Koran ist somit das heilige Buch der Muslime und bildet die Grundlage allen religiösen Denkens, wodurch er zugleich die erste Quelle islamischen Rechts ist (Salem 1984). Somit ist der Islam eine Gesetzesreligion, da Gott seinem letzten und größten Propheten Mohammed seinen Willen offenbart hat, der in der Heiligen Schrift, dem Koran (qurʾān), teilweise in Gesetzesform niedergelegt ist. Diese ewigen, heiligen, göttlichen Gesetze müssen in der Welt innerhalb eines Gemeinwesens zur Anwendung kommen, damit Islam als Religion sein kann (Radtke 2005). Für die folgende Analyse wird der religiöse Aspekt des Korans als heiliges Buch allerdings außer Acht gelassen, er wird stattdesund Langvokale e und o nicht kennt. Wie jede Übersetzung stellt auch diese hier nur eine Annäherung an das Original dar. 5 Der Koran ist auch bekannt als „al-Kitab“ (das Buch bzw. die Schrift) und als „al-Furgan“ (die Unterscheidung zwischen Gut und Böse) [22:48]. 4 sen als historisches Dokument und Chronik gesehen, die die Etablierung des Islam auf der Arabischen Halbinsel zwischen 610 und 632 beschreibt, was auch für die Suren (suwar, Plural von surah) gilt, die sich mit der Ausübung von Gewalt befassen.6 Diese müssen im Kontext der damaligen Ereignisse gesehen werden, von denen der Koran Zeugnis ablegt und zu denen er Stellung nimmt (Tworuschka 2003). Zudem muss man zwischen den Suren unterscheiden, die in Mekka und in Yathrib, dem heutigen Medina, offenbart wurden. Muslime teilen die Gesamtheit der offenbarten Suren in zwei große Abschnitte: al-makki (mekkanische Suren) und al-madani (medinensische Suren), wobei die Hidschra (Wanderung) die Trennlinie bildet. Grob gerechnet sind zwei Drittel der koranischen Suren medinensisch und ein Drittel ist mekkanisch (Krawulski 2006). Nach Reichmuth (2004) herrschte bei den islamischen Gelehrten, die das islamische Kriegsrecht bezüglich der Regeln der Ausübung des gewaltsamen Dschihad über Jahrhunderte ausgearbeitet haben, die Auffassung, dass Allah im Koran den Propheten in seinem Umgang mit Polytheisten und Schriftbesitzern (primär Juden und Christen) zu friedlicher Ermahnung und Geduld aufgerufen hatte, bis er den Muslimen nach ihrer Vertreibung aus Mekka die militärische Verteidigung und schließlich auch den Angriff erlaubte und den Kampf zuletzt zur Verpflichtung erhob. Die Reihe der einschlägigen Suren sieht in manchen Darstellungen folgendermaßen aus: Wenn nicht anders angegeben beziehen sich die Jahreszahlen auf die nicht islamische Zeitrechnung (n. Chr.). 6 5 Thomas Tartsch – Islam & Gewalt I. II. Diskussions-Papier Friedliche Ermahnung: 15:85; 6:116; 16:125; Erlaubnis zum Kampf: 22:39; 2:190; 8:61; III. Befehl, selbst mit Kampf zu beginnen: 2:191-193; IV. „Schwertvers“, der alle vorangegangenen Einschränkungen durch das bleibende Gebot zum Kampf ersetzen soll: 9:5; 2:216; V. Endgültiges Verhalten zu den Schriftbesitzern: 9:29. Setzt man diese Darstellung in den Kontext der islamischen Historie von 610 bis 632, so wie diese von der Majorität der Muslime und Islamwissenschaftler bzw. Orientalisten vertreten und in der Regel in der Maktab (Koranschule) gelehrt wird, kann man verschiedene Phasen der Etablierung des Islam und der Erlaubnis zur Gewaltausübung in Mekka und Medina aus dem Koran herauslesen: I. Phase: 610 bis zum 24. September 622, Hidschra von Mekka nach Yathrib II. Phase: Nach der Hidschra bis zur Schlacht von Badr am 17. März 624 III. Phase: Nach der Schlacht von Badr bis zum Feldzug nach Tabuk Ende 630 IV. Phase: Ab ca. März 631, 9. Sure „at-tawbah” In der mekkanischen Phase (I) war es den Anhängern Mohammeds aufgrund der zahlenmäßigen Unterlegenheit verboten, Gewalt auszuüben. Vielmehr wurde zur Missionierung und zum Ertragen der Feindseligkeiten der polytheistischen Mekkaner gemahnt [4:77, 16:127, 13:22]. In dieser Zeit bildete die religiöspolitische Reformbewegung, die auf dem schon bestehenden vorislamischen, nicht-jüdischen und nicht-christlichen Monotheismus des Hanifentums aufbaute, ihre religiösen Grundzüge aus. 6 Mohammed sah sich als Warner (bashir) und Ermahner (nadhir), der die vorhergehenden Lehren aus der Thora und dem Evangelium des Juden- und Christentums bestätigte, abschließend ergänzen wollte und zur Umkehr vom Polytheismus aufrief, um den Höllenqualen zu entgehen. In dieser Phase unterschied sich der in der Entstehung begriffene Islam mit den in Mekka verkündeten moralischen Prinzipien nicht allzu sehr vom Judenund Christentum, von denen er vieles übernommen hatte.7 Paret (2008) charakterisiert Mohammed in dieser Zeit als Sprecher einer geläuterten monotheistischen Gotteserkenntnis und als Vertreter eines echten religiösen Ethos, was zu dieser Zeit etwas ganz Neuartiges, Einmaliges und Unabdingbares darstellte. Mit der Hidschra von Mohammed und den Muhadschirun (Auswanderern) zu den Ansar (Helfern) nach Yathrib am 24. September 622 änderte sich die Situation jedoch (Phase II), da nicht nur erste gesetzliche Regelungen – wie in der zweiten Sure (al-baqara) – verkündet wurden, sondern Allah den Kampf zur Verteidigung erlaubte, aber noch nicht zu einer Pflicht erklärte [22:38-41]. Aufgrund der Hidschra wurde zudem später die islamische Zeitrechnung A. H. (Anno Hegirae) eingeführt, die verdeutlicht, dass die Geschichte des Islam mit der Auswanderung begann. Mit der Hidschra wurden die Grundlagen für eine in dieser Form bisher unbekannten Glaubens- und Kampfgemeinschaft gelegt, die sich nun außerhalb Mekkas ausbreiten konnte, und zwar nicht nur als Religion, sondern als Symbiose eines sozioreligiösen und politischen Systems (Solomon/Al-Maqdisi 2009). Schon Nöldeke (1860) spricht vom starken Einfluss der Lehren des Judentums auf den Inhalt der ältesten Suren, während der Einfluss des Christentums gering war. 7 7 Thomas Tartsch – Islam & Gewalt Diskussions-Papier Ebenso begann die Abspaltungvon Juden- und Christentum, da schon Abraham – wie es im Koran steht – ein Muslim war und kein Jude oder Christ [3:67]. In der von Mohammed nach seiner Ankunft erlassenen „Charta von Medina“ (Sahifat al-Madina), die die Beziehungen zwischen den verschiedenen Gruppen in Yathrib regelte, fanden die drei größten ansässigen jüdischen Stämme der Qainuqa, n-Nadir und Quraiza keine Erwähnung.8 Dies war ein Vorzeichen für später stattfindende Ereignisse. Im Jahr 624 belagerte er die Banu Qainuqa in ihren Anwesen und verwies sie aus dem Gebiet von Mekka, was 625 auch den Banu n-Nadir widerfuhr, wobei ein Großteil der 59. Sure das Exil der Banu n-Nadir behandelt. Nach der als „Grabenschlacht“ bekannten erfolglosen Belagerung Medinas durch die Mekkaner im Jahr 627, die im Koran in Sure 33:9-25 erwähnt wird, wurden die Banu Quraiza, denen Mohammed Verrat vorwarf, vernichtet, indem er die Männer niedermetzeln ließ und die Frauen und Kinder in die Sklaverei verkaufte [33:26-27] (Nagel 1998). Mit der sich aus einem Karawanenüberfall entwickelnden Schlacht von Badr am 17. Ramadan 2 A. H. (17. März 624) wandelte sich die Erlaubnis zur Gewaltausübung, da die zahlenmäßig unterlegenen Anhänger Mohammeds nach Aussage des Korans durch die direkte Intervention von Allah mittels des Engels Gabriel und 5.000 seiner Engel die Schlacht gewannen [3:125]. Von nun an (Phase III) war es den Muslimen laut Koran geboten, die Feinde zu bekämpfen und mit jenen Frieden zu schließen, die diesen wollten [8:39-40, 8:61, 2:116, 2:190-193]. Gleichzeitig begann Mohammed nach Badr mit der Bekämpfung der erwähnten ansässigen drei jüdischen Stämme, die den Koran und seine Prophetenschaft in der Nachfolge biblischer Propheten nicht anerkannten [2:101] (vgl. Sina 2008, Bobzin 2006). Dies hatte sich schon im Februar 624 angekündigt, als Mohammed aufgrund der Erfolglosigkeit seiner Missionierung unter den Juden die Qibla (Gebetsrichtung) von Jerusalem nach Mekka änderte [2:142 – 145].9 Im Mai/Juni 628 kam es zum Feldzug gegen die Juden der Oase von Khaybar, die nach der erfolgreichen Belagerung durch ein islamisches Heer gegen die jährlich abzuliefernde Hälfte der Ernteerträge als Tributzahlung verbleiben durften, was zum locus classicus für die juristischen Ausarbeitungen über die Verfahrensweise gegenüber nicht-muslimischen Untertanen im islamischen Staatswesen wurde. Nachdem Mohammed mit den jüdischen Stämmen eine potenzielle Gefahr für die noch ungefestigte Ummah (Gemeinde) der Muslime beseitigt hatte und die Mekkaner durch interne Streitigkeiten – trotz des Siegs bei der Schlacht von Uhud 625 [3:40] – immer mehr in die Defensive gerieten, konnte er 628 mit diesen bei dem Dorf Hudaybiaa einen zehnjährigen Waffenstillstand schließen, wodurch seine Gleichrangigkeit mit den Mekkanern anerkannt wurde. Dieser Waffenstillstand (auch als Hudna bekannt) dient noch heute vielen Muslimen als Vorbild für eine Waffenruhe, wenn nicht gar eines (zeitlich begrenzten und aus einer Position der In früheren Fassungen der Charta sollen die drei Stämme noch erwähnt worden sein. Sie kann auf Englisch eingesehen werden unter http://www.constitution.org/cons/medina/macharter.htm, zuletzt geprüft am 09.03.2013. 9 Vgl. Schöller (1998: 11): „Die Bedeutung des Judentums liegt in dem für die Muslime schwierig zu verarbeitenden Umstand begründet, dass Muḥammad (und seine Nachfolger) die Zeit der ǧāhilīya, der ‚vorislamischen Unwissenheit‘ tatsächlich beendeten und die heidnischen Araber zu Mitgliedern einer umma machten, während das Judentum von den Muslimen nur materiell, nicht aber theologisch bezwungen werden konnte.“ 8 9 8 Thomas Tartsch – Islam & Gewalt Diskussions-Papier Stärke heraus geschlossenen) Friedens (Krämer 2005).10 Als die Umstände günstig waren, brach Mohammed die Hudna und nahm 630 Mekka ein, wo er mit der Säuberung der Ka’bah, der Etablierung des einzigen Gottes Allah(u)11 und der zukünftigen Ausübung der Pilgerriten zum nunmehr islamischen Wallfahrtsort der „Stätte Abrahams“ [3:97] nicht nur den religiösen Kampf um die Vorherrschaft des Islam als Monotheismus gegen den herrschenden Polytheismus gewann, sondern auch den politischen Kampf als uneingeschränkter neuer Herrscher des Stamms der Quraisch im Mekka. Zementiert wurde dies durch den Sieg bei der Schlacht im Tal von Hunain 630 [9:25-26]. Rechts- und Staatsordnung des kommenden Reiches legte. Mit der Unterwerfung der arabischen Stämme in seinen letzten Lebensjahren schaffte Mohammed die militärische und mit der Bekehrung zur Glaubensgemeinschaft des Islam die geistige Basis für die nach seinem Tod beginnende Expansion (Endreß 2006). Mohammed hatte so durch die Zerstörung des bis dahin geltenden soziopolitischen Gefüges, in dem die Zugehörigkeit zu Familie, Sippe und Stamm die soziale Identität generierte, eine neue Form der Vergemeinschaftung etabliert. Von nun an bestimmte die Zugehörigkeit zur Religion Rechte und Pflichten. In vorislamischer Zeit hatte die Arabische Halbinsel keine umfassende politische Ordnung gekannt. Vielmehr war die tribale Gesellschaftsordnung nach Stämmen, Unterstämmen und Sippen kennzeichnend für das gesamte Gebiet (Halm 2006). Über die Solidarität der Stämme setzte Mohammed die Solidarität zur Gemeinde (Ummah) und gab damit die Neuorientierung einer Gesellschaft im Übergang, während die Verkündung vor allem in der medinensischen Phase nach der Hidschra den Grund der Nun bestand ein kleinräumiges religiös-politisches Gemeinwesen mit starker Solidarität nach innen und der Kanalisierung der Gewaltausübung nach außen, das durch den Gehorsam gegenüber „Allah und seinem Gesandten“ gekennzeichnet war, womit Religion und Politik zu einer Einheit verschmolzen, da Mohammed in die Rolle des religiös-politischen Oberhaupts als Rasul (Gesandter) hineingewachsen war und nicht mehr nur als Nabi (Prophet) betrachtet wurde. Diese Phase dauerte bis zum Feldzug gegen die byzantinische Garnisonsstadt Tabuk Ende 630, der letzte Feldzug, an dem Mohammed persönlich teilnahm. Schon vorher hatte ein islamisches Heer 629 die byzantinische Garnisonsstadt Muta angegriffen, erlitt aber eine empfindliche Niederlage. In der ca. ab März 631 offenbarten neunten Sure (at-tawbah, die [rituelle] Reue oder al bara’a, die Lossagung) wurde das endgültige Verhältnis zwischen den Muslimen und den polytheistischen Stämmen auf der Arabischen Halbinsel sowie den Ahl al-Kitab (Buchbesitzern) durch 9:5 und 9:29 festgelegt (Phase IV).12 Vgl. auch der Text „Das Abkommen von Hudaibiya“ auf der Internetpräsenz der islamistischen, panislamisch ausgerichteten und in Deutschland einem Betätigungsverbot unterliegenden Ḥizb at-taḥrīr (Partei der Befreiung), die die Errichtung eines neues Kalifates anstrebt, welches 1924 von Atatürk abgeschafft wurde: http://die-einheit.org/site02/index.php?option= com_k2&view=item&id=160:das-abkommen-von-hudaibiya&Itemid=120, zuletzt geprüft am 09.03.2013. 11 Was nichts anderes heißt als „Gott“, Nominativ, bestimmt, wobei die Fallendung in der Regel nicht ausgesprochen wird. Die Polytheisten, die als Muschrikun (Beigeseller) bezeichnet werden, hatten nur die Wahl zwischen Konversion, Dschihad bis zum Tod oder dem Verlassen der Arabischen Halbinsel.13 Nach 10 11 10 Zum Inhalt des „Schwert- oder Tötungsvers“ (9:5) und „Kopfsteuer- oder Bekämpfungsvers“ (9:29) siehe Tartsch (2011), S.79ff. 13 9:5: fa-uq'tulū l-muš'rikīna ḥaythu wa ǧadttumūhum: „ […], so erschlagt 12 Thomas Tartsch – Islam & Gewalt Diskussions-Papier Mohammeds Tod unterwarf der erste rechtgeleitete Kalif Abu Bakr in den blutig geführten „Ridda-Kriegen“ (632-634) die letzten polytheistischen Beduinenstämme auf der Arabischen Halbinsel, da nach einem Prophetenwort auf dieser nicht zwei Religionen nebeneinander existieren dürfen und die Stämme die Zahlung der Zakah (Läuterungsabgabe) verweigerten, weil sie sich nur Mohammed gegenüber verpflichtet gefühlt hatten. Sicht auf Juden und Christen als „Halbgläubige“, so der Islamwissenschaftler Albrecht Noth (1987, vgl. Tartsch 2012). Juden und Christen gelten zwar als Kuffar (Ungläubige) und wie die Polytheisten als Muschrikun [9:30-31; 112:3], haben aber als Ahl al-Kitab nicht nur die Alternativen der Konversion oder der Ausübung des Dschihad, sie können auch mittels eines unbefristet geltenden Unterwerfungsvertrags (Dhimma) als sozialrechtlich mindergestellte „Schutzbefohlene“ (Dhimmis) die Herrschaft des Islam in einem islamischen Gemeinwesen anerkennen und müssen dafür jährlich den individuell bemessenen Dschizja (Tribut) und teilweise die Kharaj (Grundsteuer) entrichten.14 Der Dhimma regelte damit einen juristisch genau definierten Duldungsrahmen, der jedoch keine Gleichberechtigung beinhaltete, da der neuzeitliche Begriff der Toleranz nicht Anwendung bei einer historischen Einordnung finden kann. Vielmehr wurde die Duldung nur auf Grundlage von Ungleichheit gewährt, die seit der zweiten islamischen Dynastie der Abbasiden ab 750 mit der Absicht der Konversion möglichst vieler Dhimmis zum Islam verbunden war. Dies ergab sich schon aus der islamischen Die Dhimmis werden somit nicht gezwungen, den Islam anzunehmen [2:256], wenn sie Dschizja und Kharaj entrichten. Allah wird sie im Jenseits und nicht im Diesseits bestrafen (Friedmann 2003). Juden und Christen wurden also ein Jahr nach der Einnahme von Mekka zu Feinden des „wahren Glaubens“ erklärt, die man bekriegen müsse, bis sie, jeder Einzelne für sich, in demütigender Haltung den muslimischen Siegern den Tribut entrichten [9:29] (Nagel 2008). Somit endet der Dschihad gegen Nichtmuslime, sofern sie Schriftbesitzer sind, mit deren Unterwerfung unter den Machtbereich des Islam. Die eigentlichen „Heiden“ müssen hingegen bis zur Annahme des Islam bekämpft werden (Biehl 2003). Gleichzeitig konnten nur freie, männliche Muslime vollwertiges Mitglied der islamischen Gesellschaft sein. Diejenigen, denen eine dieser drei Qualifikationen fehlte – also Sklaven, Frauen und Ungläubige – galten nicht als gleichwertig. Diese dreifache fundamentale Ungleichheit wurde nicht lediglich als gegeben anerkannt, sondern sie war festgeschrieben und vom religiösen Gesetz geregelt (Lewis 2004). [tötet, eig. Einfügung] die Götzendiener [Beigeseller, eig. Einfügung], wo ihr sie findet […]“ „ 14 9:29: qātilū alladhīna lā yu'minūna bil-lahi […] ḥattā yuʿ'ṭū l-ǧiz'yata ʿan yadin wahum ṣāghirūna: „Kämpfet wider jene von denen, welchen die Schrift gegeben ward [die Leute des Buches, eig. Einfügung], die nicht glauben an Allah […] bis sie den Tribut [den Dschizja, eig. Einfügung] aus der Hand gedemütigt entrichten.“; Anm.: Im hocharabischen Text steht nicht „welchen die Schrift gegeben wurde“. 12 13 Thomas Tartsch – Islam & Gewalt D IE G EWALTERLAUBNIS R ECHT Diskussions-Papier IM ISLAMISCHEN Wie die – hier gerafft dargestellte – Abfolge der Historie der Etablierungsphase der frühen islamischen Ummah zwischen 610 und 632 verdeutlicht, die der Koran als historisches Dokument in Form der gesammelten und lektorierten Offenbarungen Mohammeds umfasst, verbietet Allah den Muslimen nicht die Gewaltausübung an sich. Schon der immer unvollständig zitierte Vers 5:32 enthält nur ein Tötungsverbot der Muslime untereinander, das nicht gilt, wenn jemand einen Mord begeht oder Krieg gegen Allah und seinen Gesandten führt und Verderben im Land stiftet (Muharaba/Hiraba). Die Bestrafung für Mord regelt das Strafrecht [4:93] im Rahmen der Wiedervergeltungsdelikte (Qisas) und die Strafe für Wegelagerer oder Unruhestifter regelt 5:33, weil es sich um ein HaddDelikt (Grenzüberschreitungsdelikt) handelt.15 Das Wort Hadd (Plural Hudud) bezeichnet in der islamischen Rechtswissenschaft eine von Allah absolut angedrohte Strafe, die als Recht Allahs angesehen wird, weil alle Rechtsbestimmungen laut Koran allein bei ihm liegen [6:57]. Das Strafausmaß ist von Allah selbst als Gesetzgeber bestimmt und gilt somit als ewig und unveränderlich. In dieser Kategorie von Straftaten sind bei vollständiger Erfüllung des Straftatbestands weder Begnadigung noch mildernde Umstände zulässig.16 Somit werden durch die Hudud 15 So bestehen bei einem vorsätzlich begangenen (a’amdan) und rechtswidrigen Tötungsdelikt für die Verwandten des Opfers (waliyy ad-damm) folgende Sanktionsmöglichkeiten: Vergeltung, Entschädigungszahlung (Diya) durch Vergleich (suhl), wenn qisas nicht gegeben ist und Verzeihung unter Verzicht auf Diya, wobei eine Gleichheit von Opfer und Täter (Rechtsfigur des Talion [2:178]) gegeben sein muss. 16 Anzumerken ist hierbei, dass die Todesstrafe für Zina (Unzucht) zwischen Unverheirateten und Ridda/Irtidad (Apostasie) als Hudud-Delikte nicht im 14 Verstöße gegen von Allah direkt gesetzte Grenzen des Zusammenlebens schon im Diesseits betraft, während die endgültige Bestrafung im Jenseits erfolgt, weil durch die Begehung eines Hadd-Delikts Allahs Zorn erregt wird. Zugleich erlaubt Allah den Muslimen Gewaltausübung auch zu Verteidigungs- und Expansionszwecken, um den Islam zu verbreiten, was durch den Dschihad geschieht – die (äußerste) Anstrengung auf dem Weg Allahs, die mit gewaltlosen Mitteln wie Da’wah („Einladung zum Islam“ als Missionierung) und gewaltsamen Mitteln durchgeführt werden kann, aber nicht „Heiliger Krieg“ bedeutet. So kommt in den klassischen arabischen Texten die Zusammenstellung des Adjektivs heilig mit dem Substantiv Krieg nicht vor (Lewis 2002). Der Dschihad ist kein Heiliger Krieg, obwohl Nicht-Muslime in der Regel mit Dschihad die militärische Expansion der islamischen Religion verbinden, wobei das tatsächliche Ziel die Ausbreitung der Regeln des islamischen Rechts (Scharia) ist (Pipes 1983). Vielmehr wird das Endziel des Kampfs „auf dem Weg Gottes“, wie sich der Koran ausdrückt [z.B. 2:190], erst erreicht, wenn auch das Gebiet der Feinde dem Gebiet des Islam angegliedert wird, wenn der Unglaube endgültig ausgerottet ist und wenn sich die Nicht-Muslime der Oberherrschaft des Islam unterworfen haben (Khoury 1991). Der Anfang von 2:190 zeigt exemplarisch, dass im Koran „Kampf“ nicht mit ( ِ َ دDschihad) bezeichnet wird, da die arabische Sprache andere Wörter für gewaltsame Auseinandersetzungen wie ( ِ َ لQital = Kampf), ( َ رْ بHarb = Krieg) und َ َ َل (Qatala = töten) kennt. Damit führt auch die Konnotation von Dschihad als Heiliger Krieg in die Irre, da Dschihad (von = ُ ْد Koran zu finden ist, sondern aus der Sunnah abgeleitet wurden. 15 Thomas Tartsch – Islam & Gewalt Diskussions-Papier Dschuhd = Anstrengung) eine viel umfassendere Bedeutung besitzt.17 Dazu kommt als dritte Quelle des islamischen Rechts Idschma (Konsens der Rechtsgelehrten einer bestimmten Epoche über eine Regel, die nicht im Koran und in der Sunnah festgelegt war) und als vierte Quelle Qiyas (Anwendung einer durch den Koran und die Sunnah festgelegten Regel auf einen anderen vergleichbaren Fall, der bisher noch nicht geregelt war). Die Scharia umfasst und regelt damit nach bis heute geltender Lehre – in einer groben Einteilung – die drei Gebiete Aqida (Glaubensinhalte der sechs Säulen des Iman19), Achlaq (islamische Moral und Sittlichkeit) und Fiqh (Rechtswissenschaft). Der Dschihad selbst hatte anfangs der Linderung der materiellen Not (als direkte Folge der Hidschra) der Auswanderer gedient. Begründet wurde er als Kampf gegen den mekkanischen Polytheismus und später nahm er den Weg der Expansion (van Ess 2001). Da sich im Koran insgesamt nur ca. acht Prozent der Suren mit rechtlichen Inhalten befassen, wurde erst in den kommenden Jahrhunderten von Juristen ein Rechtskorpus ausgearbeitet, der neben dem Koran auch auf der Sunnah beruht.18 Die Voraussetzungen für Gewaltausübung sind dabei im Koran und in der Sunnah genau festgelegt, die zusammen die Grundlage der Scharia bilden, das von Allah den Muslimen auferlegte Gesetz als eine die ganze Existenz überformende Handlungsanleitung. Sie bildet die Gesamtheit des islamischen Normen- und Wertesystems ab und ist Grundlage einer ganzheitlichen islamischen Lebensweise (ad-Dīn al-Islami) zur Daseinsbewältigung und Jenseitsvorbereitung. 2:190: wa-qātilū fī sabīli llāhi allaḏīna yuqātilūnakum wa-lā taʿtadū ˈinna l-lāha lā yuḥibbu l-muʿtadīna: „Und bekämpft in Allahs Pfad, wer euch bekämpft; doch übertretet nicht; siehe, Allah liebt nicht die Übertreter.“ 18 Nach Krawietz (2002), S.113f. sind die Suren in sieben Bereiche aufgeteilt: Etwa 70 Suren befassen sich mit dem Familienrecht, zivilrechtliche Bestimmungen umfassen ebenfalls 70 Suren. Das Strafrecht wird mit 30 Suren umrissen. Das Prozessrecht umfasst 13 Suren. Völkerrechtliche Bestimmungen enthalten 25 Suren. Regierungsprobleme und ihre Grundlagen beinhalten 10 Suren. Wirtschafts- und finanzrechtliche Bestimmungen umfassen 10 Suren.; anzumerken ist, dass alle Suren, die sich mit der Scharia beschäftigen, in der medinensischen Phase offenbart wurden. Nach Rohe (2011) sollen ungefähr 500 Verse unmittelbar rechtlichen Gehalt haben, wozu auch der große Anteil religiöser Ritualvorschriften (‘Ibadat) gerechnet wird, während zivil- und strafrechtliche Vorschriften nur in einigen Dutzend Versen enthalten sind. 17 16 Aus dem bisher Gesagten wird deutlich, dass die Gewaltausübung im Koran für bestimmte Fälle zwar göttlich legitimiert ist, dass aber die Ausarbeitung der rechtlichen Regelungen Menschenwerk darstellt, das unter anderem Ausdruck im islamischen Kriegs-, Fremden- und Völkerrecht (Siyar) fand, welches wiederum zum rechtlichen Teil (al-mu’amalat) der Scharia gehört und dessen Grundlagen in Medina gelegt wurden. Allah allein hat zwar das Recht, den Menschen sterben zu lassen, da er ihm auch allein das Recht zum Leben gegeben hat. Nach islamischer Auffassung hat Allah aber den Menschen unter bestimmten Umständen das Recht übertragen, zu töten – etwa den Kämpfern im Dschihad, die das Recht haben, ihre Feinde zu eliminieren (Heine 2004). Die Mudschahidun (die den Dschihad Ausübenden) wurden dabei zur treibenden Kraft der islamischen Glaubens- und Kampfgemeinschaft auf der Arabischen Halbinsel, da Mohammed bei seinem Tod am 8. Juni 632 kein auf Stabilität gegründeNicht zu verwechseln mit den 5 Pfeilern des Islams (Ritenpraxis). Die Aqida umfassen den Glauben an Allah (Monotheismus), die Engel, die Bücher, den Gesandten Allahs (Mohammed), den jüngsten Tag sowie den Glauben an die Vorherbestimmung (was manche ablehnen). 19 17 Thomas Tartsch – Islam & Gewalt Diskussions-Papier tes Gemeinwesen hinterließ, sondern eine expansiv-imperial ausgerichtete und religiös legitimierte soziopolitische Bewegung, die sich zunächst gegen die persischen Sassaniden und das oströmische Byzanz wendete. Hierbei spielte auch der materielle Aspekt der militärischen Doktrin Mohammeds eine Rolle. Indem er innerhalb der Ummah Kampf und Raub verbot, nahm er den arabischen Stämmen eine traditionelle Einnahmequelle und drängte sie somit unerbittlich zur imperialen Expansion (Karsh 2007). Der Heilige Krieg als Gemeinschaftsaufgabe bedeutete damit eine ständige Einlösung des Prinzips „Teilhabe durch Unterwerfung“ – Teilhabe am Sieg und an der Beute, deren Verteilung das im Kern von Mohammed geschaffene Beuterecht regelt, und damit Teilhabe an dem Gefühl religiöser Mächtigkeit [8:17], Teilhabe am Rausch des Todes [50:19], an der Märtyrerehre und am direkten Eintritt ins Paradies, der einem die sonst drohende Folter im Grab ersparte (Brüngel 1991). In den spätmedinensischen Suren 5 und 9 ist ständig von den Mudschahidun die Rede, die für ihren Einsatz mit Gut und Leben im Dschihad mit der Kriegsbeute belohnt wurden, von der ihnen vier Fünftel zustehen [8:41], und die als Einzige die Gewissheit haben, beim Tod im Dschihad als shahīd sofort den Eintritt ins Paradies zu erhalten, da sie als „Gläubige“ einen Vertrag mit Allah geschlossen haben [9:111 u. a.].20 Im Koran selbst werden jene Muslime getadelt, die dem Dschihad fernbleiben, und ihnen werden im Jenseits Qualen prophezeit, da sie ihr Vermögen nicht auf den Weg Allahs einsetzen [9:34f.]. Wie das griechische martys bedeutet das arabische shahīd (Plural shuhadāʾ) Zeuge im Sinne von Blutzeuge. Das Wort kommt in dieser Bedeutung im Koran nicht vor, wohl aber als Versprechen der Belohnung [47:4-6; 3:101]. Nicht nur der passiv für seinen Glauben Duldende, sondern der sich für seinen Glauben Einsetzende und Kämpfer wird zum Märtyrer, wenn er im „Einsatz“ sein Leben opfert (Halm 2000). 9:111: ’inna llāha ištarā mina l-mu'minīnaˈanfusahum wa-ˈamwālahum bi’anna lahumu l-ǧannata: „Siehe, Allah hat von den Gläubigen ihr Leben und ihr Gut für das Paradies erkauft.“ Vgl. auch der Text „What is the conditions to be a martyr?” auf der Webseite Questions on Islam: http://www.questionsonislam.com/question/what-conditions-be-martyr, zuletzt geprüft am 09.03.2013. 20 18 Somit kann also festgehalten werden: Im Koran wird Gewalt nicht generell abgelehnt, sondern neben dem allgemeinen islamischen strafrechtlichen Bereich (al-’uqubat) mit dem Bereich der Hudud-Delikte (Hudud Allah) unter anderem zur Verteidigung der Ummah gegen Aggression der Ungläubigen (’Idwan) und zur bewaffneten Ausbreitung des Islam (Dschihad al-Musallah) mit der damit verbundenen Ausdehnung islamischer Herrschaft und Etablierung der Scharia erlaubt, wobei die Ausarbeitung der Regelungen zur Gewaltausübung als Rechtskorpus durch Menschenwerk erfolgte. Hierbei wurden in der Regel der expansive Dschihad nicht als Harb, sondern als Futuhat (Öffnungen) bezeichnet, da die eroberten Gebiete für die Rechtleitung des Islam zur Möglichkeit der Konversion für Nichtmuslime geöffnet wurden. Dies verdeutlicht auch die historische Entwicklung des Islam bis Ende des 10. und Anfang des 11. Jahrhunderts, als der Islam nicht mehr nur als eine Religion, sondern als eine die ganze Existenz überformende Handlungsanweisung gesehen wurde, die die Religion mit einem Moral- und Rechtssystem verband. Dazu Salem: „Mit anderen Worten: Der Islam ist ein Lebensmuster, das – alles in einem – eine Religion, eine Sittenlehre und 19 Thomas Tartsch – Islam & Gewalt ein Rechtssystem umfasst. Das islamische System bedeutet eine Einheit, die alle Gesichtspunkte des menschlichen Lebens umfasst, von der das Recht ein wesentlicher und untrennbarer Bestandteil ist.“ (1984: 21) Damit kann die im säkularen Staat gültige Unterscheidung zwischen erzwingbaren Rechtsnormen und höchstens durch sozialen Druck durchsetzbaren Moralnormen bezüglich der Scharia nicht angewendet werden, da die islamische Lehre diese Unterscheidung nicht kennt, die generell von Akham (islamischen Bestimmungen) ausgeht. Unter Hukm (Singular von Akham: islamische Bestimmung) versteht man eine Handlungsanweisung, die Allah an die für ihre Taten verantwortlichen Menschen (Mukallaf) stellt, die entsprechend dem Personalprinzip für den einzelnen Muslim in der Gesamtheit der Scharia überall dort gilt, wo er sich aufhält. Diskussions-Papier M OHAMMED I DEAL ALS ÜBERGESCHICHTLICHES Es ist aber nicht nur die Erlaubnis der religiös legitimierten Gewaltausübung, die zum Problem wird, wenn Muslime den Koran als Handlungsaufforderung zur Gewaltausübung und nicht nur als Rezitationsschrift bei der Ritenausübung wie dem fünfmaligen Pflichtgebet (Salat) im Zustand ritueller Reinheit (Taharah) und als spirituelles Werk sehen. Es ist ebenso das Wirken Mohammeds als übergeschichtliche Wahrheit und nachzueiferndes Ideal zur Daseinsbewältigung im Diesseits und Vorbereitung auf das Jenseits. Begründet wird das in der Sunnah, die in den sogenannten Ahadith-Sammlungen erst rund 200 Jahre nach seinem Tod ihre Wirkung entfaltete, wobei auch die sirat an-nabi (Prophetenbiografie) primär biografisch aufbereitetes Ahadith-Material beinhaltet.21 So war erst Mitte des 9. Jahrhunderts die Zusammenstellung und systematische Ordnung der als authentisch angesehenen Überlieferungen in autoritativen Sammlungen abgeschlossen. Das so kanonisierte normgebende Verhalten und Vorbild Mohammeds wurde als Sunnah neben dem Koran zur verbindlichen Grundlage des islamischen Rechtes und der islamischen Gesetzeslehre erhoben (Kallfelz 1995). Damit regeln die Ahadith-Sammlungen umfassend viele Aspekte des sozialen islamischen Lebens (Khan 2003). Hierzu Richter-Bernburg (2002): „Im Glauben der Muslime hat sich das Bekenntnis zu Mohammed als Gottes Gesandten, das auf das zu strikHierzu auch die grundlegende Kritik von Schöller (1998), S.23ff. zum Begriff „Prophetenbiografie“, da die sirat an-nabi „ […] letztendlich nicht Einblick in Muḥammads Leben, sondern Einblick in das Heilswerk Gottes geben will. Gottes Handeln steht im Mittelpunkt, und Muḥammad ist sein Prophet.“ 21 20 21 Thomas Tartsch – Islam & Gewalt Diskussions-Papier tem Monotheismus in der Bekenntnisformel folgt, nicht auf seine Funktion als des unbezweifelbar korrekten Überbringers des Gotteswortes beschränkt, sondern verwandelte sich, ebenfalls in einem ausgedehnten Prozeß, in den Glauben an seinen Lebensvollzug in Wort, Tun und Lassen als zweite Offenbarungsquelle neben dem Koran. Sein Leben wurde zum normsetzenden Vorbild (arabisch sunna) für alle Gläubigen. Anders als der Koran wurde jedoch die Überlieferung seines Redens und Handelns erst verschriftlicht, als eine Scheidung in authentisches und untergeschobenes Material kaum noch möglich gewesen wäre. Stattdessen wurde ein gutes Jahrhundert religiöser Entwicklung, Veränderung, Verwerfung innerhalb der Gemeinde auf Mohammed zurückprojiziert.“ Ebenso schrieb der niederländische Arabist und Islamwissenschaftler Hans Jansen, dass sich Muslime gelegentlich „von der Kampfeslust und dem Expansionsdrang Mohammeds inspirieren“ lassen (2008: 450, vgl. auch Bobzin 2006). Und Deutschlands renommiertester Arabist Tilman Nagel verdeutlicht die Vorbildfunktion Mohammeds für eine angestrebte Islamisierung Europas zur Verwirklichung des von Allah angeordneten soziopolitischen Gefüges der „besten Gemeinde“ [3:110]: Diese quasi Vergöttlichung der Person des Propheten verhindert bis heute die Sichtweise Mohammeds als Mensch in einem spezifischen gesellschaftlichen Umfeld einer historischen Epoche, das sein oftmals gewaltsames Handeln im Rahmen einer historisierenden Einordnung erklärbar machen würde. Der im Sommer 2010 verstorbene Orientalist Rainer Glagow führte dazu aus: Dabei ist im Islam nicht festgelegt, dass Mohammeds oftmals gewaltsames Handeln diese Vorbildfunktion besitzt, die sich erst im Lauf der islamischen Historie seit dem 9. Jahrhundert entwickelt hat und auch in Gegenwart und Zukunft Gültigkeit besitzen soll. Vielmehr verhindert die Überlagerung des Korans durch die Sunnah bei den Sunniten die Historisierung der Person und der Handlungen Mohammeds, der gegen jegliche Kritik – auch mit Drohung und Anwendung von Gewalt, wie bei den Konflikten um Mohammed-Karikaturen der letzten Jahre – geschützt werden muss. Ist Mohammed doch nichts anderes als der Anfang und der Inbegriff des Schöpfungshandelns Allahs. „Nur wenn man ihn als Mensch in seiner historischen gesellschaftlichen Umwelt begreift, kann man verstehen, was aus heutigem Blickwinkel kritisierbar und unannehmbar erscheint. Gefährlich wird es allerdings, wenn die Nachahmung mancher heute verwerflich erscheinender zeitgebundener Handlungen und Entscheidungen Muhammads den Muslimen immer noch als höchstes Ideal vorschwebt.“ (2010: 41) 22 „Die Menschheit hat ihre goldene Epoche längst hinter sich gelassen, sie kann nur danach streben, von neuem jene medinensischen Verhältnisse zu schaffen, die durch das von Allah rechtgeleitete Wirken Mohammeds gekennzeichnet gewesen waren; die Islamisierung wird dies ermöglichen.“ (2010: 287) 23 Thomas Tartsch – Islam & Gewalt D ER D SCH IHAD IN DER M ODERNE : M AUDUDI , S AYYID Q UTB UND AL -Q AIDA Die bis heute anhaltende Wirkmächtigkeit der hervorgehobenen Stellung der Mudschahidun und der übergeschichtlichen Wahrheit des Propheten zeigt das Beispiel zweier Vordenker des modernen Dschihad, dem Pakistaner Sayyid Abul Ala Maududi (1903-79) sowie in dessen Folge der Ägypter Sayyid Qutb (190666), Theoretiker der als Neo Salafyyia oder Salafi Reformer bekannten, 1928 gegründeten arabisch-sunnitischen Muslimbruderschaft. Maududi propagierte vor dem Hintergrund seiner Erfahrungen als Angehöriger der marginalisierten islamischen Minderheit in Indien die Errichtung eines islamischen Staats mit Geltung des Dhimmi-Status für Nichtmuslime (die den Regelungen der Scharia unterliegen) und die Ausübung des Dschihad gegen diese, wobei seine Schrift Jihad in Islam bis heute Wirkung in dschihadistischen Kreisen findet. Dies umso mehr, als Maududi einen globalen Dschihad propagiert, der die Unterscheidung in offensiven und defensiven Dschihad nicht kennt: “It must be evident to you from this discussion that the objective of the Islamic ‘ Jihād’ is to eliminate the rule of an un-Islamic system and establish in its stead an Islamic system of state rule. Islam does not intend to confine this revolution to a single state or a few countries; the aim of Islam is to bring about a universal revolution. [...] No revolutionary ideology which champions the principles of the welfare of humanity as a whole instead of upholding national interests, can restrict its aims and objectives to the limits of a country or a nation. […] Even if we stop thinking about these technical terms, the division of Islamic ‘Jihad’ into offensive and defensive is not 24 Diskussions-Papier admissible. Islamic Jihad is both offensive and defensive at one and the same time. It is offensive because the Muslim Party assaults the rule of an opposing ideology and it is defensive because the Muslim Party is constrained to capture state power in order to arrest the principles of Islam in space-time forces. […] This also answers the question relating to the status of the votaries of other faiths and ideologies when an Islamic government has been set up in their countries. Islamic ‘Jihad’ does not seek to interfere with the faith, ideology, rituals of worship or social customs of the people. It allows them perfect freedom of religious belief and permits them to act according to their creed. However, Islamic ‘Jihad’ does not recognize their right to administer state affairs according to a system which, in the view of Islam, is evil. Furthermore, Islamic ‘Jihad’ also refuses to admit their right to continue with such practices under an Islamic government which fatally affect the public interest from the viewpoint of Islam. […] For instance, as soon as the Ummah of Islam captures state power it will ban all forms of business prosecuted on the basis of usury or interest; it will not permit the practice of gambling; it will curb all forms of business and financial dealings which are forbidden by Islamic law; it will close down all dens of prostitution and other vices and for all; it will make it obligatory for nonMuslim women to observe the minimum standards of modesty in dress as required by Islamic law and will forbid them to go about displaying their beauty like the days of ignorance; the Muslim Party will clamp censorship on the Cinema.” 25 Thomas Tartsch – Islam & Gewalt Diese Doktrin Maududis – dass der Dschihad nicht nur als Verteidigungskrieg zum Schutz des islamischen Machtbereiches (Dar al-Islam), sondern als legitimer Krieg gegen jene Regierungen, die die Unterrichtung des Volkes im wahren Islam verhindern – sollte bedeutende Auswirkungen auf die politischen Bewegungen im Islam haben, vor allem aber auf Sayyid Qutb. In der Gefängniszeit vor seiner Hinrichtung hat Qutb mit seiner Schrift Ma’alim fi t-Tariq (Zeichen auf dem Weg), die primär mit dem Koran argumentiert, in der Nachfolge Maududis die Theorie einer Avantgarde von Muslimen als entschlossene Kämpfer auf dem Weg Allahs ausgearbeitet, die dem Beispiel Mohammeds und seiner Gefährten (Sahaba) folgend die Hidschra aus den als unislamisch angesehenen Gesellschaften vollziehen sollen, die die Dschahiliyya (Zeit der vorislamischen Barbarei) verkörpern, und den herrschenden Regierungen gegenüber Takfir erklären sollen, womit sie in den Unglauben entlassen werden, um den Dschihad ausüben zu können, um die uneingeschränkte Souveränität Allahs (Hakimiyyat Allah) auf Erden zu errichten. Ebenso gibt Qutb in Zeichen auf dem Weg eine Zusammenfassung der Entwicklung der Erlaubnis zur Gewaltausübung im Koran wieder, die die hier gemachten Ausführungen bestätigt: „Daher rief er dreizehn Jahre lang nach dem Beginn seiner Gesandtschaft die Menschen zu Allāh, ohne Kampf oder Kopfsteuer, und ihm wurde befohlen, sich zurückzuhalten und Geduld und Nachsicht zu üben. Dann wurde ihm befohlen auszuwandern und später wurde die Erlaubnis zum Kampf gegeben. Dann wurde ihm befohlen, jene zu bekämpfen, die ihn bekämpften, und sich von denen zurückzuhalten, die nicht mit ihm Krieg führten. Später wurde ihm befohlen die Mushrikūn zu bekämpfen, bis Allāhs Religion vollständig errichtet war. 26 Diskussions-Papier Nachdem der Befehl zum Jihād kam, wurden die Ungläubigen in drei Kategorien geteilt: Diejenigen, mit denen Frieden bestand; die Menschen, mit denen die Muslime im Krieg standen; und als dritte, die Dhimmī. Es wurde ihm befohlen, dass - so lange die Ungläubigen, mit denen ein Friedensvertrag bestand und sie ihre Pflichten einhielten - er die Verpflichtungen des Vertrages erfüllen soll; aber wenn sie den Vertrag brechen, so soll gewartet werden, bis sie zugeben, dass sie den Vertrag gekündigt haben. Hier soll noch kein Krieg erklärt werden. Wenn sie beharrlich an der Kündigung des Vertrages festhielten, sollte er gegen sie kämpfen. Als die neunte Sūra offenbart wurde, wurden die Einzelheiten der Behandlung dieser drei Arten von Ungläubigen beschrieben.“ Diese Theorie fand unter anderem Widerhall bei dem DschihadNetzwerk al-Qaida, das sich ebenso als eine Avantgarde der „einzig wahren Rechtgläubigen“ sieht, die als Mudschahidun den Dschihad als fard al-ayn (persönliche und nicht delegierbare Individualpflicht) ausüben, da islamisches Gebiet von den Kuffar (Ungläubigen) besetzt wird. So hat Muhammad ʿAttā as-Sayyid, einer der Todespiloten des 11. September 2001, ein Testament hinterlassen, das sich als Blaupause der Theorien Qutbs aus Zeichen auf dem Weg liest. Damit steht al-Qaida, das den Dschihad nach innen (gegen die eigenen „unislamischen“ Regime und andere islamische Gruppen wie die Schiiten) und nach außen (gegen den Westen und Israel) führt, in einer historischen Abfolge von innerislamischen Konflikten, die mit der Ermordung des dritten rechtgeleiteten Kalifen Uthman Ibn Affan am 17. Juni 656 durch Muslime begannen und bis heute andauern. 27 Thomas Tartsch – Islam & Gewalt Diskussions-Papier Insgesamt gesehen kann die Frage der Gewalterlaubnis im Koran heutzutage also nicht losgelöst vom virulenten Dschihadismus in all seinen gewaltsamen Formen gesehen werden, da dieser sich auch durch den Koran und ebenso durch die Sunnah Mohammeds legitimiert, was in der bisherigen Diskussion im Westen oftmals nicht thematisiert werden soll. F AZIT : F ÜR EINE N EUAUSRICHTUN G DER D ISKUSSION ÜBER I SLAM UND G EWALT Auch wenn es in der islamischen Welt seit Jahren eine Diskussion um die religiöse Legitimation der Anschläge des 11. September 2001 und den Dschihad gegen Israel gibt, wird diese dort teilweise mit unterschiedlichen Maßstäben geführt, da einflussreiche sunnitische Gelehrte wie Yūsuf al-Qaraḍāwī zwar die Anschläge von al-Qaida als „unislamisch“ verurteilen, aber palästinensische Selbstmordattentate als legitimes Mittel zum Widerstand gegen einen übermächtigen israelischen Feind als „heroische Märtyreroperationen“ rechtfertigen. Was bedeutet dies nun für eine zukünftige Diskussion über das Thema Islam und Gewalt, da die derzeit gepflegten Relativierungen und Generalisierungen nicht weiterführen? Akzeptiert werden muss zunächst, dass der Islam sowohl eine Religion mit einer aufrichtigen Gotteserfahrung sein kann, als auch eine die ganze menschliche Existenz überformende Handlungsanweisung mit dem Anspruch der Regelung aller religiösen, persönlichen, sozialen, moralischen und politischen Sphären. Verschärfend kommt hinzu, dass diese Handlungsanweisung mit der Aufforderung verbunden ist, die Welt dem Islam zu unterwerfen. Solange man also auf islamischer Seite nicht bereit ist, den Koran, die Sunnah bzw. die Handlungen Mohammeds einer historisierenden Neubewertung zu öffnen und gewaltsame Suren wie den Schwert- und Kopfsteuervers außer Kraft zu setzen, kann eine vorurteilsfreie Diskussion zum Thema „Gewalt und Islam“ überhaupt nicht geführt werden. Die Anführung einer selektiven Auswahl von friedfertigen Stellen aus der mekkanischen Zeit im Koran reicht eben nicht aus, um daraus eine allgemeine Friedfertigkeit des Islam abzuleiten. Dies verkommt, wie Hamideh Mohagheghi angeführt hat, zu einer unglaubwürdigen Parole, die niemand mehr ernst nimmt, der die arabisch-osmanische Expansionsgeschichte vom 7. Jahrhundert bis 1683 vor Wien und die Legitimationsressourcen des virulenten gewaltsam ausgelegten Dschihadismus kennt. Gleichzeitig führt auf der anderen Seite auch die Propagierung einer generellen Gewaltbereitschaft des Islam mit der Abarbei- 28 29 Thomas Tartsch – Islam & Gewalt Diskussions-Papier tung an der Person Mohammeds nicht weiter. Hier werden oftmals individuelle, subjektive Negativeinstellungen gegenüber dem Islam und den Muslimen insgesamt als angebliche Verteidigung des westlichen Normen- und Wertesystems vorgeblich objektiviert und verallgemeinert, ohne damit zu einer Problemlösung vorhandener Konflikt- und Gewaltpotenziale beizutragen. L ITERATUR Vielmehr sollte die bisher gepflegte Naivität gegenüber real existierenden Gewalt- und Konfliktpotenzialen innerhalb der Grundgesamtheit Islam aufgegeben werden. Gleichzeitig gilt es eine offene und von den bisher prägenden Relativierungen und Generalisierungen befreite Diskussion von beiden Seiten zu führen. Dies wird von den involvierten Akteuren freilich Einiges abverlangen, weil man sich von gewohnten Sichtweisen und die Komplexität der Thematik reduzierenden Erklärungsansätzen verabschieden muss. 30 Alexander, Robin (2012): Ohne Konservative ist mehr als die CDU in Gefahr, in: Die Welt (22.8.2012). Biehl, Wolf Dieter (2003): Islam. Historisches Phänomen und politische Herausforderung für das 21. Jahrhundert, Wien et al. Bobzin, Hartmut (2006): Mohammed, 3., durchgesehene Auflage, München Brüngel, Johann Christoph (1991): Allmacht und Mächtigkeit. 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Ein Überblick zu deutschen Umfragen Felix Strüning (Juli 2012) 34 UND DER W ESTEN Passen der Islam und der Westen zusammen? Gehört der Islam inzwischen sogar zu Deutschland? Oder haben wir ein IslamProblem? Können Muslime sich denn überhaupt in unsere Gesellschaften integrieren? In zwölf Gesprächen beleuchten Experten aus Europa, den USA und islamischen Ländern diese Fragen aus ganz verschiedenen Perspektiven. Vom Bildungsbereich über Psychologie, Gesellschaft und Politik bis hin zu ganz konkreten Themen wie dem Schutz bedrohter Frauen, Sinn und Unsinn der Einführung islamischer Finanzprodukte oder der militärischen Bekämpfung des Dschihadismus. Es ist gerade die Vielfalt der Blickwinkel auf den Islam und wie mit dem Thema umzugehen ist, die dieses Buch auszeichnen. Wichtig ist dabei nicht, welches Bild jemand vom Islam hat und welche Lösungsvorschläge sich ihm aufdrängen. Wichtig ist, dass wir beginnen, uns dieses Bild selbst zu machen. Gavin Boby • Alev Inan • Sabatina James • Manfred KleineHartlage • Hüseyin Kocak • Daniel Pipes • Paul Scheffer • Rebecca Schönenbach • Nicolai Sennels • Ali Sina • Thomas Tartsch • Udo Ulfkotte Felix Strüning (Hrsg.) (2012): Der Islam und der Westen. Berlin: Stresemann Stiftung (Freiheit & Verantwortung, Band 2), 140 Seiten, 9,90€. 35 Thomas Tartsch – Islam & Gewalt Impressum/V.i.S.d.P.: © 2013: Redaktion: Coverbild: Dr. Thomas Tartsch Felix Strüning Osama bin Laden (ca. 1958-2012), Gründer und Führer des TerrorNetzwerks al-Qaida Herausgeber: Gustav Stresemann Stiftung e.V. Löbdergraben 11a | 07743 Jena www.stresemann-stiftung.de [email protected] 36