Panorama der Mathematik und Informatik

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Panorama der Mathematik und Informatik
14: Hilberts 23 Probleme
Dirk Frettlöh
Technische Fakultät
28.5./4.6.2014
14: Hilberts 23 Probleme
Panorama der Mathematik und Informatik
Eine sehr kurze Geschichte der Mathematik
(aus: Panorama der Mathematik, A. Loos und G.M. Ziegler)
I
Bis 500 v.Chr.: “Wissenschaft von den Zahlen”, dominiert von
praktischer Anwendung.
I
500-300 v.Chr.: Griechische Mathematik nimmt Zahlen als
(Längen-)Maße wahr. Die Griechen finden einen geometrischen
Blick auf die Dinge. Anwendungen sind nicht mehr der einzige
Grund, um Mathematik zu studieren: Sie wird zu einer
intellektuellen Beschäftigung, die religiöse und ästhetische Elemente
in sich vereint.
I
17. Jahrhundert: Die Entwicklung der Differential- und
Integralrechnung führte zu einem neuen, gewaltigen Schub in den
Anwendungen, denn nun können erstmals nicht-statische Probleme
angepackt werden. “Nach Newton und Leibniz wurde Mathematik
zu einem Studium von Zahlen, Formen, Bewegung, Änderung und
Raum.”
14: Hilberts 23 Probleme
Panorama der Mathematik und Informatik
Eine sehr kurze Geschichte der Mathematik
I
18./19. Jahrhundert: Die Mathematik beginnt sich in der Folge von
der Physik abzulösen und zu einer eigenständigen Wissenschaft zu
entwickeln, die die mathematischen Werkzeuge untersucht, die in
der Zeit zuvor entwickelt wurden.
I
20. Jahrhundert: Es findet eine Wissenexplosion statt.
14: Hilberts 23 Probleme
Panorama der Mathematik und Informatik
Eine extrem kurze Geschichte der Mathematik
14: Hilberts 23 Probleme
Panorama der Mathematik und Informatik
Hilbertsche Probleme
Im Jahr 1900 formulierte David Hilbert eine Liste von 23
ungelösten Problemen in der Mathematik. Die liefert einen
Einblick in den Stand um 1900.
Auf dem Internationalen Mathematikerkongress 1900 in Paris stellt
Hilbert die Liste vor. Die vollständige Liste wird in verschiedenen
Sprachen veröffentlicht (1900 französisch, 1901 deutsch, 1902
englisch)
“Diese Überzeugung von der Löslichkeit eines jeden
mathematischen Problems ist uns ein kräftiger Ansporn während
der Arbeit; wir hören in uns den steten Zuruf: Da ist das Problem,
suche die Lösung. Du kannst sie durch reines Denken finden; denn
in der Mathematik gibt es kein Ignorabimus!” (D. Hilbert)
Ein Irrtum! Siehe unten.
14: Hilberts 23 Probleme
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Problem 1: Kontinuumshypothese
Es war bereits bekannt (Cantor): |N| =
6 |R|
(wobei |A| die Mächtigkeit (oder Kardinalität) von A ist; ”Anzahl
der Elemente”)
I
|{1, 2, 3, 4}| = 4
I
|N|: unendlich.
I
|R|: unendlich. Aber mehr als |N|
14: Hilberts 23 Probleme
Panorama der Mathematik und Informatik
Lustiger Beweis: Cantors zweites Diagonalargument.
Benutze: Haben zwei Mengen die gleiche Mächtigkeit, dann gibt’s
eine Eins-zu-Eins Abbildung (Bijektionen) zwischen ihnen.
Bsp: |N| = |Q| (Cantors erstes Diagonalargument)
1
1
1
2
1
3
1
4
1
5
···
2
1
2
2
2
3
2
4
2
5
···
3
1
3
2
3
3
3
4
3
5
···
4
1
4
2
4
3
4
4
4
5
···
5
1
5
2
5
3
5
4
5
5
···
..
.
..
.
..
.
..
.
..
.
14: Hilberts 23 Probleme
Panorama der Mathematik und Informatik
1
1 (1)
→
.
2
1 (3)
↓
1
2 (2)
1
3 (5)
1
5 (11)
→
2
4 (·)
2
5
···
3
3 (·)
3
4
3
5
···
4
2 (·)
4
3
4
4
4
5
···
5
2
5
3
5
4
5
5
···
%
2
2 (·)
2
3 (7)
%
3
1 (4)
.
3
2 (8)
.
4
1 (9)
↓
→
.
1
4 (6)
%
%
%
%
5
1 (10)
..
.
..
.
..
.
..
.
..
.
(Bruch kürzbar: überspringen) liefert
1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 · · ·
↓ ↓ ↓ ↓ ↓
1
1
2
2 3
1
3
↓
↓
↓ ↓
1
4
2
3
3
2
4
14: Hilberts 23 Probleme
↓
↓
↓
5
1
5
···
Panorama der Mathematik und Informatik
Das zeigt bereits |N| = |Q+ |.
Vor die Eins fügt man eine Null ein und hinter jeder Zahl deren
Negatives:
1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15
↓ ↓
↓
0 1 −1
↓
↓
1
2
− 12
↓
↓
↓
↓
2 −2 3 −3
↓
↓
↓
↓
↓
↓
↓
1
3
− 13
1
4
− 41
2
3
− 23
···
das liefert |N| = |Q|. (Bis hier am 28.5.)
14: Hilberts 23 Probleme
···
Panorama der Mathematik und Informatik
Cantors zweites Diagonalargument
Jetzt zu |N| =
6 |R|. Zeige: Es gibt keine Bijektion.
Noch nicht mal zwischen N und [0; 1[.
Widerspruchsbeweis: Angenommen es gibt eine Bijektion zwischen
N und [0; 1[. Dann kann ich die Elemente aus [0; 1[ in eine Liste
schreiben (Bei zwei Darstellungen wie in 0, 1000 · · · = 0, 0999 · · ·
nimm die endliche):
s1
s2
s3
s4
s5
s6
s7
= 0,
= 0,
= 0,
= 0,
= 0,
= 0,
= 0,
0
1
0
1
1
0
1
0
1
1
0
1
0
0
0
1
0
1
0
1
0
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0
1
1
0
1
1
0
···
0
1
0
1
0
0
1
0
1
1
0
1
1
0
0
1
0
1
1
1
0
...
...
...
...
...
...
...
Panorama der Mathematik und Informatik
s1
s2
s3
s4
s5
s6
s7
= 0,
= 0,
= 0,
= 0,
= 0,
= 0,
= 0,
0
1
0
1
1
0
1
0
1
1
0
1
0
0
0
1
0
1
0
1
0
0
1
1
0
1
1
0
···
0
1
0
1
0
0
1
0
1
1
0
1
1
0
0
1
0
1
1
1
0
...
...
...
...
...
...
...
Wähle s so, dass die i-te Stelle von s nicht mit si übereinstimmt.
Hier: s = 0, 1011101 · · · . Also kann s nicht in der Liste
vorkommen!
Also war die Annahme, es gibt eine Bijektion zwischen |N| und
[0; 1[, falsch.
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Kontinuumshypothese
Also ist |R| > |N|.
Frage: Gibt’s was dazwischen? Gibt es eine Menge M mit
|N| < |M| < |R|?
Antwort: Ein Beweis ist unmöglich. Eine Widerlegung auch*.
(Ignorabimus!)
*: Im Rahmen der Zermelo-Frenkel-Axiome
(heute der Standard der axiomatischen Mengentheorie)
ZFA wurden erfunden, um Russells Paradox zu umgehen: naive
Mengendefinition beschreibt eine Menge einfach als eine
Zusammenfassung von Dingen.
Sei dann M die Menge aller Mengen, die sich nicht selbst
enthalten... Ist M ∈ M?
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Problem 2: Widerspruchsfreiheit der Arithmetik
Sind die Axiome der Arithmetik widerspruchsfrei?
Arithmetik: Rechnen mit Zahlen.
Axiome sollen Antworten liefern auf grundlegende Fragen wie
I
Was ist eine Zahl?
I
Was heißt gleich?
I
Welche Axiome liefern nur N, bzw. nur R?
Peano-Axiome liefern N, und (mit Dedekind-Schnitten) R.
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Widerspruchsfreiheit der Arithmetik
Sind die Axiome der Arithmetik widerspruchsfrei?
Antwort: Schwer zu sagen.
Kurt Gödel: Es kann innerhalb dieser Axiome keinen Beweis der
Widerspruchsfreiheit geben. Dazu später mehr.
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Problem 3: Zerlegungsgleichheit von Tetraedern
Gegeben zwei Tetraeder T1 und T2 mit gleicher Grundfläche und
gleicher Höhe (also auch gleichem Volumen).
Kann T1 mit endlich vielen (geraden) Schnitten so zerlegt werden,
dass die Teile zu T2 zusammengesetzt werden können?
Antwort: Nein. (Max Dehn ”Über den Rauminhalt”,
Mathematische Annalen 55 (1901) 465-478)
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Schöner tricksiger Beweis, siehe Martin Aigner, Günter M.Ziegler:
Das BUCH der Beweise, Springer 2010
Die beiden Tetraeder rechts und links sind nicht zerlegungsgleich.
Dies war das erste von Hilberts 23 Problemen, das gelöst wurde.
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Zu David Hilbert (1862-1942)
I
I
Einer der letzten, der auf vielen verschiedenen Gebieten der
Mathematik fundamentale Beiträge leistete: Analysis,
Geometrie, Logik, algebraische Zahlentheorie...
...Physik: Allgemeine Relativitätstheorie
I
I
I
Einstein 1915: “Die Feldgleichungen der Gravitation”
Hilbert 1915: “Die Grundlagen der Physik. (Erste Mitteilung)”
“Die Physik ist für die Physiker eigentlich viel zu schwer.”
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