10 Einführung in die Statistische Physik - Hu

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10
Einführung in die Statistische Physik
More is different!
P.W. Anderson, Nobelpreis 1977
10.1
Prolegomena
Technisch gesehen ist die Rolle der Statistischen Mechanik der Gleichgewichtssysteme, ausgehend von unseren Kenntnisse über die physikalischen
Systeme vieler Teilchen (d.h. von ihren Hamilton-Operatoren oder -Funktionen),
die für die Thermodynamik notwendigen kalorische und thermischen Zustandsgleichungen zu liefern. Da die Thermodynamik sich nur für wenige
relevante Zustandsfunktionen (Druck, Temperatur, u.s.w.) interessiert, die
allesamt kollektiver Natur sind, benutzt die statistische Physik die vergröberte Beschreibung. Statistische Physik liefert demnach die Zusammenhänge
zwischen den Eigenschaften der möglichen Mikrozustände des Systems (mikroskopisches Beschreibungsniveau) und ihrer Makrozustände, beschrieben
durch wenige thermodynamische Zustandsvariablen.
Zusätzlich dazu, sind die Anfangsbedingungen zur entsprechenden Schrödingergleichung oder klassischen Bewegungsgleichungen auf mikroskopischen Niveau praktisch unbekannt, so dass die genaue Beschreibung der Evolution des
(Mikro-)Zustandes des Systems ohnehin unmöglich ist. Statistische Physik
liefert also beste Rezepte, wie man die maximale relevante Information aus
nur rudimentären Kenntnissen bekommt, und bedient sich der entsprechenden informationstheoretischen Zugänge.
Die Idee ist, die zu erwartende Information unter den gegebenen Nebenbedingungen zu maximieren.
Gegeben ist eine Schar von Ereignissen i (i = 1, 2, ..., n) (in Statistischer
Physik mit Mikrozuständen identifiziert) mit dazugehörigen Wahrscheinlichkeiten wi . Die Informationsfunktion I(w) soll folgende Eigenschaften besitzen:
• Kein Informationsgewinn beim sicheren Ereignis: I(1) = 0.
• Je seltener das Ereignis desto größer der Informationsgewinn: I(w)
wächst monoton mit 1/w.
• Der Informationsgewinn für unabhängige Ereignisse ist additiv: I(w1 w2 ) =
I(w1 )I(w2 ).
1
Diese Eigenschaften legen I(w) bis auf eine Konstante fest: I(w) = −C ln(w).
P
P
Der Mittelwert der zu Erwartenden Information I¯ = −C i wi Ii = −C i wi ln wi
(Grad der Unkenntnis) hat eine Struktur, die der der Mischungsentropie ähnlich ist, und hat wahrscheinlich etwas mit der Entropie zu tun!
Laut dem Gibbs-Jaynes Prinzip wird
S ′ = −k
X
wi ln wi
(1)
i
(wi – Wahrscheinlichkeit des Mikrozustandes i ( i wi = 1) ) als statistisches Gegenstück zur thermodynamischen Entropie (“Entropie-Surrogat”)
betrachtet; k = 1.380658 · 10−23 J/K ist die Boltzmann-Konstante. Die Thermodynamische Entropie erhält man als
P
S = max S ′ = max −k
X
i
!
wi ln wi ,
(2)
wobei die Maximierung unter den mit dem bekannten Makrozustand kompatiblen Nebenbedingungen erfolgt.
10.2
Statistische Gesamtheiten
Beschreibung folgt im Rahmen der Theorie der statistischen Gesamtheiten,
die entsprechende Typen der Nebenbedingungen zusammenfassen.
• Die drei wichtigsten Gesamtheiten der Statistischen Physik:
10.2.1
Mikrokanonische Gesamtheit
Für Abgeschlossene Systeme: Alle Mikrozustände sind gleichwahrscheinlich
(Spezialfall der kanonischen Gesamtheit, s.u.).
10.2.2
Kanonische Gesamtheit
Für Systeme im Kontakt mit einem Wärmebad: Ei variabel, die mittlere
Energie
X
E=
Ei wi
(3)
i
ist identisch mit der inneren Energie.
2
Die Gibbs-Verteilung: Maximierung von S, Eq.(2), unter den Nebenbedingung (3) ergibt
1 −βEi
wi =
e
(4)
Zk
wobei β ein Lagrange’scher Multiplikator ist. Der Nenner von (4)
ZK =
X
e−βEi
i
mit
1
kT
β=
ist die kanonische Zustandssumme. Wichtigste Beziehung:
F (T, V, N ) = −kT ln ZK (T, V, N ).
Somit ist die praktische Aufgabe der statistischen Physik die Berechnung der
Zustandssummen.
Diskussion und Beweis:
• Allgemeine Struktur. Man hat
−k
X
wi ln wi = max,
i
X
X
wi = 1,
i
wi Ei = E
i
Lagrange-Multiplikatoren α und β:
"
kδ −
X
i
wi ln wi − α
X
i
!
wi − 1 − β
X
i
wi Ei − E
!#
(δ bedeutet die Variation), d.h.
X
i
Daher:
[− ln wi − 1 − α − βEi ] δwi = 0.
e−βEi
wi =
Z
mit
Z = e−1−α =
X
i
3
e−βEi .
=0
• Die physikalische Bedeutung von β. Berechnen wir
−βEi
i Ei e
Ei wi = P
−βEi
ie
i
∂ X −βEi
∂Z
e
∂β
∂β
= − P i −βEi = −
Z
ie
∂
= −
ln Z
∂β
P
X
E =
∂
⇒ E(β, V, N ) = −
ln Z
∂β
!
.
(5)
V,N
Anderseits
S = −k
X
i
wi ln wi = −
k X −βEi
e
(− ln Z − βEi ) = k ln Z + kβE.
TZ i
(6)
Nun ist
∂ ln Z
dS = k
∂β
!
∂ ln Z
dβ+k
∂V
V,N
!
∂ ln N
dV +k
∂N
β,N
!
dN +kEdβ+kβdE.
β,V
Anhand Gl.(5) kürzen sich 1. und 4. Glied:
∂ ln Z
dS = k
∂V
und
!
∂ ln N
dV + k
∂N
β,N
∂S
∂E
!
= kβ.
V,N
Nun gilt die thermodynamische Beziehung
∂S
∂E
!
=
V,N
so dass
β=
4
1
kT
1
,
T
!
dN + kβdE.
β,V
(inverse Temperatur in Einheiten der Energie).
• Aus Gl.(6) folgt jetzt
F = E − T S = E − kT ln Z − E = −kT ln Z.
Bemerkung: Die mikrokanonische Gesamtheit kann als Spezialfall der kanonischen mit Ei = E und somit mit gleichen Wahrscheinlichkeiten wi betrachtet
werden. Sie ist wichtig um später den Anschlüss der statistischen Physik an
Mechanik zu gewärleisten.
10.2.3
Großkanonische Gesamtheit
Systeme im Kontakt mit einem Wärme- und Teilchenbad: Teilchenaustausch
mit der Umgebung ist möglich; die Mikrozustände sind durch variable Ei
und Ni gegeben. Maximierung von S unter den Nebenbedingungen
E=
X
Ei wi
und
N=
i
X
N i wi
i
ergibt
wi =
1 −βEi −γNi
e
.
Zg
Die Lagrange’schen Multiplikatoren sind
β=
1
µ
und γ = − .
kT
kT
Somit hat man
ZG = Z(T, V, µ) =
X
e
µNi −Ei
kT
.
i
Wichtigste Beziehung:
Ω(T, V, µ) = −kT ln ZG (T, V, µ)
5
11
Die Kanonische Zustandssumme
• Quantensysteme → Diskrete Mikrozustände → Zustandssumme
• Klassische Systeme → Kontinuierliche Änderungen → Zustandsintegral
Der Mikrozustand eines klassischen Systems ist charakterisiert durch 6N
Koordinaten (q1 , ..., q3N ; p1 , ..., p3N ) im Phasenraum. Um die Zustände zählen
zu können, zerlegt man den Phasenraum in Zellen, deren Größe eigentlich
willkürlich gewält werden kann.
Korrespondenz zur Quantenmechanik (Quasiklassisch: 1 Zustand pro dqdp =
h; h - Plancksches Wirkungsquantum, h = 6.62676 · 10−34 J·s) fordert:
X
i
→
d3N qd3N p
h3N
Z
(unterscheidbare Teilchen).
Wichtig: Ununterscheidbarkeit der Teilchen gleicher Sorte.
X
i
1 Z d3N qd3N p
N!
h3N
→
Beispiel: Klassisches Idealgas: Nichtwechselwirkende Teilchen, Ev =
1 1 N
V
Z=
N ! h3N
Z
dpe
−p2 /2mkT
3N
Bemerkung: Stirling-Formel zur Berechnung der Fakultät,
ln N ! ≃ N +
√
1
ln N − N + ln 2π
2
hat eine bemerkenswerte Genauigkeit und ist OK ab N = 2.
Somit

!3/2 
2πmkT
V

F = −kT ln Z = −N kT ln  e
N
h2
⇒ Thermische Zustandsgleichung
p=−
∂F
∂V
!
6
=
T,N
N kT
.
V
P
p2i
.
2m
Die innere Energie
E = F + TS = F − T
∂F
∂T
!
V,N
3
= N kT.
2
Das ist die kalorische Zustandsgleichung des idealen Gases.
Die Entropie eines idealen Gases in ihren natürlichen Variablen E, V und
N ist
( "
)
#
V 4πm E 3/2
5
S(E, V, N ) = N k ln
+
N 3h2 N
2
(die Sakur-Tetrode-Gleichung).
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