Friedrich-Schiller-Universität Jena Historisches Institut SS 2004 Proseminar: Die erste Tschechoslowakische Republik (1918-1939): Ein gescheitertes Nationalstaatsmodell? Dozent: Jörg Ganzenmüller Hausarbeit zu dem Thema: Die tschechoslowakische Legion in Russland und ihre Bedeutung für die 1. Tschechoslowakische Republik Nationsbildendes Element oder Gründungsmythos? Referent: Dennis Lohmann Am Planetarium 52 07743 Jena Tel.: 0170/2880556 e-mail: [email protected] 4. Fachsemester Studiengang Magister Artium (Osteuropäische Geschichte) Inhaltsverzeichnis: 1. Einleitung S. 2 2. Aufbau und historischer Hintergrund der Legion S. 3 2.1. Die russische Druzina S. 3 2.2. Der tschechoslowakische Nationalrat und die Idee einer selbstständigen Armee S. 4 2.3. Die hussitische Tradition S. 5 3. Die Legion im 1. Weltkrieg S. 6 3.1. Die Schlacht von Zborow S. 7 3.2. Der lange Weg durch Sibirien S. 8 3.3. Auswirkungen der Kämpfe in Sibirien S. 10 4. Das Modell einer tschechoslowakischen Nation innerhalb der Legion S. 11 5. Die Bedeutung der Legion für die Erste Tschechoslowakische Republik S. 12 5.1. Die Legion und die Deutschen S. 13 5.2. Die Legion im täglichen Leben der Nation S. 14 3. Schluss S. 15 4. Quellenverzeichnis S. 17 1 1. Einleitung „Wir mussten uns als Nation am bewaffneten Weltkrieg beteiligen; ohne diese Beteiligung hätten wir unsere Selbständigkeit nicht erlangt, - gewiss nicht in dem Maße, in dem wir sie erlangt haben. Darin besteht der Sinn und politische Wert unserer Legionen in Russland, Frankreich und Italien. Die Legionen gewannen uns die Sympathien und die Hilfe der Westmächte, die Legionen gewannen uns die Sympathien der breiten alliierten Öffentlichkeit und den Respekt unserer Feinde.“1 Dieser Textausschnitt aus den Erinnerungen des tschechoslowakischen Staatspräsidenten T.G. Masaryk verdeutlicht einmal mehr, das besondere Verhältnis der 1. Tschechoslowakischen Republik zu den im 1. Weltkrieg auf alliierter Seite kämpfenden Truppen. Masaryk betont hier nicht den ideellen Wert der Legion für das tschechoslowakische Volk, sondern spricht konkret vom politischen Nutzen ihres Kampfes. Viele Soldaten und auch große Teile der politischen Elite der neuen Nation sahen in der Legion jedoch den ersten Prototyp einer gemeinsamen tschechoslowakischen Zukunft. Ein slowakischer Legionär schreibt hierzu aus Russland an einen Freund: „Dieses Korps besteht aus gefangenen Tschechen und Slowaken und kämpft für die Befreiung vom habsburgischen und magyarischen Joch, für unsere und für unserer tschechischen Brüder Selbständigkeit und für die Proklamation der tschecho–slowakischen Republik.“2 Gleichzeitig belastete der Kampf gegen die ungarischen und deutschen Soldaten das spätere Verhältnis der Tschechoslowaken zu den nationalen Minderheiten des neuen Staates. Sowohl deutsche als auch ungarische Bewohner der Republik hatten im 1. Weltkrieg gegen die Legion im Felde gestanden. Es ist wohl verständlich, dass dieser Umstand die Minderheitenfrage in der Republik belastete. Diese Hausarbeit soll sich mit der Legion und ihrer Geschichte befassen. Sowohl ihr historischer Kontext als auch ihre konkreten Handlungen während des Krieges sollen in Punkt 2 und 3 beleuchtet werden. Anschließend wird in Punkt 4 auf das Modell 1 Masaryk, T. G., Die Weltrevolution. Erinnerungen und Betrachtungen 1914 – 1918, Berlin, 1925, S. 387. 2 Thuning-Nittner G., Die tschechoslowakische Legion in Russland, Otto Harroassowitz Verlag, 1970, S. 133. 2 einer tschechoslowakischen Nation innerhalb der Legion eingegangen, bevor abschließend in Punkt 5 die Frage geklärt werden soll, inwieweit die Legionsgeschichte für das Scheitern bzw. zu einem zwischenzeitlichen Gelingen des tschechoslowakischen Nationenstaates beigetragen hat. 2. Aufbau und historischer Hintergrund der Legion Die Gründung der tschechoslowakischen Legion kann auf drei Hauptfaktoren zurückgeführt werden. Als Erstes ist hier sicherlich das Engagement der schon länger in Russland lebenden Tschechen zu nennen. Zweitens hatte sich aufseiten der tschechoslowakischen Exilpolitiker die Erkenntnis durchgesetzt, dass nur mit einer anerkannten eigenen Armee die Unabhängigkeit der Tschechoslowakei erreicht werden könnte. Als dritter Faktor kam später die Rückbesinnung auf alte hussitische Traditionen hinzu. Alle drei Punkte führten schließlich in unterschiedlicher Gewichtung zur Gründung der Legion. 2.1. Die russische Druzina Das Wort Druzina bedeutet übersetzt Gefolgschaft. Und das war auch der Anfang aller tschechoslowakischer Bemühungen aufseiten Russlands gegen die Mittelmächte im Krieg Partei zu ergreifen. Diese sowohl aus tschechischen als auch aus slowakischen Freiwilligen gebildeten Einheiten bildeten den Grundstock zu den ersten tschechoslowakischen Verbänden innerhalb der russischen Armee.3 Auch tauchte in diesem Zusammenhang zum ersten Mal die Bezeichnung „HussitenLegion“4 auf. Verschiedene russische Zeitungen fanden schon schnell Gefallen an dieser Bezeichnung und so wurde sie prägend für die spätere Kriegszeit. Die nun entstehenden tschechoslowakischen Gefolgschaften wurden vom russischen Oberkommando allerdings nicht als eigenständige Einheiten akzeptiert. Das Militär unterstellte sie ausschließlich russischen Offizieren. Bereits am 11. Oktober 1914 wurden die ersten vier tschechischen Infanterie-Kompanien auf den Zaren vereidigt. In den folgenden Monaten wurde der Ausbau dieser Verbände stetig vorangetrieben. Trotzdem überstieg ihre Zahl bis Ende 1915 nicht einmal die Stärke von 2000 Personen.5 Erst als nach den ersten Feindberührungen immer mehr Kriegsgefangene 3 Vgl.: Thuning-Nittner G., Die tschechoslowakische Legion in Russland, Wiesbaden, 1970, S. 9 f.. Erstmals erwähnt in „Russkoe Slovo“ vom 23. August 1914. Vgl. Anm. 4, in: Thuning-Nittner G., Die tschechoslowakische Legion in Russland, Wiesbaden, 1970, S. 10. 5 Vgl.: Stegmann N., Soldaten und Bürger. Selbstbilder tschechoslowakischer Legionäre in der Ersten Republik, in: Militärgeschichtliche Zeitschrift, Bd. 61, 2002, S. 27. 4 3 gemacht wurden und diese häufig den Wunsch äußerten aufseiten der Alliierten in die tschechoslowakischen Gefolgschaften aufgenommen zu werden, wuchs die Zahl der auf russischer Seite kämpfenden Tschechen und Slowaken zusehends. Von russischer Seite wurde bereits am 17. Dezember 1914 durch die 5. Armee eine entsprechende Genehmigung erteilt, die es den russischen Tschechen ermöglichte, in den Gefangenenlagern Freiwillige anzuwerben.6 Die russische Generalität sah in den tschechoslowakischen Verbänden vorrangig ihren propagandistischen Nutzen. So sollten diese Einheiten nach der möglichen Eroberung des von Tschechen und Slowaken besiedelten Landes für einen allgemeinen Volksaufstand gegen die herrschende österreichische Doppelmonarchie sorgen.7 Durch den späteren Verlauf des Krieges hatte dieses Ziel jedoch keine realistischen Erfolgschancen, und so wurde die aus der russischen Druzina hervorgehende tschechoslowakische Legion in die alltägliche Kriegsplanung einbezogen. 2.2. Der tschechoslowakische Nationalrat und die Idee einer selbstständigen Armee Unter den Politikern des tschechoslowakischen Nationalrates und hier im Besonderen bei Masaryk setzte sich schon früh die Erkenntnis durch, dass die Idee eines von Deutschland losgelösten, eigenständigen tschechoslowakischen Nationalstaates nur mithilfe der Alliierten zu erreichen sei. Vor allem Masaryk kam schon früh zu der Erkenntnis, dass die Mittelmächte der vereinigten Kriegswirtschaft der Alliierten nicht gewachsen sein würden. Hierzu formulierte er in seinen Memoiren: „Meinen Glauben an Deutschlands Niederlage gründete ich eher darauf, dass ich die wirtschaftlichen und zahlenmäßigen Mittel der beiden Kriegsparteien zusammenrechnete und gegeneinander abwog.“8 Auch wurde mit dem Entstehen einer eigenständigen Armee die Legitimationsbasis der Auslandsregierung unterstützt. Im Verlaufe des Krieges verstärkte sich dieser Aspekt noch, und es wurde eine gegenseitige legitimatorische Abhängigkeit zwischen Legion und Auslandsregierung geschaffen.9 6 Vgl.: Thuning-Nittner G., Die tschechoslowakische Legion in Russland, Wiesbaden, 1970, S. 11. Vgl.: Thuning-Nittner G., Die tschechoslowakische Legion in Russland, Wiesbaden, 1970, S. 11. 8 Capek K., Masaryk erzählt sein Leben, Büchergilde Gutenberg, Zürich / Prag, 1937, S. 157. 9 Vgl.: Stegmann N., Soldaten und Bürger. Selbstbilder tschechoslowakischer Legionäre in der Ersten Republik, in: Militärgeschichtliche Zeitschrift, Bd. 61, 2002, S. 33. 7 4 Masaryk und der spätere Außenminister Beneš hatten diesen Punkt erkannt und begannen fast umgehend mit ihrer Propaganda für ein autonomes tschechoslowakisches Militär. Von einer Anerkennung als teilnehmende Kraft im 1. Weltkrieg erhofften sie sich zurecht eine günstigere Ausgangsposition bei eventuellen Friedensverhandlungen.10 Besonders für Masaryk war dieser Schritt jedoch keine Selbstverständlichkeit. Der in seiner Zeit als Dozent an der Prager Universität bekennende Pazifist, musste sich erst einmal von der Notwendigkeit einer militärischen Operation überzeugen. Erst die Einsicht, dass die Verteidigung der eigenen Nation den Einsatz von Waffen moralisch legitimieren kann,11 ließ ihn weiter an der Verwirklichung der Pläne arbeiten. Eine wesentliche Grundlage seiner Bemühungen bildeten für ihn die seit Jahrzehnten bestehenden Turnvereinigungen der tschechischen Bevölkerung.12 Der Gedanke der „Sokol“ spielte in der Geschichte der Legion eine bedeutsame Rolle und schuf oftmals die körperlichen Vorrausetzungen für die späteren Soldaten. Sowohl anspruchsvolle sportliche Übungen als auch vormilitärische Ausbildung wurden hier schon vor dem Krieg trainiert und weiterentwickelt.13 2.3. Die hussitische Tradition Wie schon in Punkt 2.1. erwähnt, tauchte der Name der Hussiten-Legion zum ersten Mal in russischen Zeitschriften auf. Doch auch viele Tschechen fühlten sich diesem Teil ihrer Geschichte noch sehr Verbunden und verstanden ihren Kampf gegen Österreich-Ungarn und das Deutsche Reich als eine Weiterführung des Kampfes des Magisters Jan Hus gegen das Deutschtum und den Klerus. Allerdings traten innerhalb der Legion die religiösen Motive der Hussiten zugunsten eines sich steigernden Nationalismus in den Hintergrund. Auch kann hier nicht von einer tschechoslowakischen Tradition gesprochen werden, da die Slowaken zu großen Teilen dem katholischen Glauben angehörten.14 Genau gegen diesen und das hiermit verbundene deutsche Kaisertum hatte der Magister Anfang des 15. Jahrhunderts 10 Vgl.: Thuning-Nittner G., Die tschechoslowakische Legion in Russland, Wiesbaden, 1970, S. 174. Vgl.: Stegmann N., Soldaten und Bürger. Selbstbilder tschechoslowakischer Legionäre in der Ersten Republik, in: Militärgeschichtliche Zeitschrift, Bd. 61, 2002, S. 32. 12 Vgl.: Masaryk T., Die Weltrevolution. Erinnerungen und Betrachtungen 1914 – 1918, Berlin, 1925, S. 177. 13 Vgl.: Thuning-Nittner G., Die tschechoslowakische Legion in Russland, Wiesbaden, 1970, S. 140. 14 Vgl.: Thuning-Nittner G., Die tschechoslowakische Legion in Russland, Wiesbaden, 1970, S. 124. 11 5 gekämpft und war schließlich am 6. Juli 1415 verbrannt worden. Viele Tschechen in ihm einen Vorläufer der später durch Martin Luther ausgelösten Reformation.15 Innerhalb der Legion wurden diese Differenzen aber durch die nationalen Aspekte der Hussitenkriege in den Hintergrund gedrängt. Im Verlaufe des Krieges und vor allem nach der Schlacht von Zborow wurden viele Einheiten der tschechoslowakischen Legion mit alten hussitischen Kampfnamen geehrt. So gab man dem 1. Artillerieregiment den Namen „Jan Hus“ oder bezeichnete die erste Division als die „hussitische“.16 Es ist also kaum verwunderlich, dass sich auch Masaryk von der hussitischen Tradition des tschechischen Volkes inspiriert fühlte und betonte: „Jeder Tscheche, der die Geschichte seines Volkes versteht, muss den Weg des Hus gehen.“17 Es muss jedoch gesagt werden, dass Masaryk die Sprengkraft dieser einseitig tschechischen Tradition erkannte und häufig die Gemeinsamkeiten der Tschechen und Slowaken und ihre Bedeutung für die tschechoslowakische Geschichte betonte. Innerhalb der Legion konnte sich dieses Bild jedoch nicht durchsetzen. Sowohl den tschechischen als auch den slowakischen Legionären genügten die nationalen Ansätze der Hussitenbewegung. Für die meisten tschechoslowakischen Soldaten ging es grundsätzlich um eine Loslösung ihrer Heimatgebiete von Österreich. Dieser Umstand wurde für die Legion elementar und vereinte beide Volksgruppen im Kampf fern ihrer Heimat.18 3. Die Legion im 1. Weltkrieg Am ersten Weltkrieg nahmen nach offizieller Geschichtsschreibung 32 Nationen teil. Insgesamt fielen an allen Fronten ungefähr 10 Millionen Soldaten, etwa 20 Millionen wurden verletzt und über 8 Millionen Menschen kamen in Kriegsgefangenschaft oder wurden vermisst. Fast 65 Millionen Soldaten standen sich auf den über den gesamten Globus verteilten Fronten gegenüber. Die tschechoslowakische Legion erreichte maximal eine Truppenstärke von knapp über 40000 Soldaten. Es ist also zu vermuten, dass die Legion zu keiner Zeit des Krieges entscheidend Einfluss auf das 15 Vgl.: Urban R., Die tschechisch hussitische Kirche, J. G. Herder – Institut, 1973, S. 1. Vgl.: Thuning-Nittner G., Die tschechoslowakische Legion in Russland, Wiesbaden, 1970, S. 125. 17 Rede Masaryks zu Ehren von Jan Hus am 4. Juli 1915 in Zürich. Vgl.: Thuning-Nittner G., Die tschechoslowakische Legion in Russland, Wiesbaden, 1970, S. 125. 18 Vgl.: Stegmann N., Soldaten und Bürger. Selbstbilder tschechoslowakischer Legionäre in der Ersten Republik, in: Militärgeschichtliche Zeitschrift, Bd. 61, 2002, S. 26. 16 6 Geschehen nehmen konnte. Trotzdem gelang es den tschechoslowakischen Verbänden nicht nur ihre Landsleute in der Heimat, welche ihnen den alten hussitischen Namen „Gottesstreiter“ gaben, auf sich aufmerksam zu machen, sie sorgten auch in der Weltpresse für Aufsehen und ernteten von führenden Generälen Annerkennung und Lob.19 3.1. Die Schlacht von Zborow Bis zum Juli 1917 hatte die tschechoslowakische Legion in Russland vor allem taktische Aufgaben zu erfüllen. Die Soldaten wurden hauptsächlich als Kundschafter und Propagandaeinheiten eingesetzt. Die schlechte Organisation der russischen Armee sowie der festgefahrene Stellungskrieg verhinderte ein größeres Vorgehen gegen die Front der Österreich-Ungarischen Stellungen. Erst als im Sommer 1917 der neue Oberbefehlshaber der russischen Armee Bussilov eine letzte Offensive gegen die Donaumonarchie forcierte, kam es zu größeren Kampfhandlungen. Diese neue Offensive richtete sich hauptsächlich gegen Ostgalizien und sollte zur Eroberung der strategisch wichtigen Stadt Lemberg führen.20 Am Morgen des 29. Juni 1917 eröffnete die russische Armee an der gesamten galizischen Front den Kampf mit schwerem Artilleriebeschuss. An dem nun folgenden Vordringen der Armee beteiligten sich auch die drei tschechoslowakischen Regimenter. Sie standen hier der k. u. k. 19. Infanteriedivision gegenüber, welche auch aus den zum großen Teil aus tschechischen Kräften bestehenden 35. und 75. Regimentern bestand. Zum ersten Mal standen sich hier in einer größeren Schlacht tschechische Kämpfer auf beiden Seiten gegenüber. Zusammen mit ihren russischen Verbündeten gelang es der tschechoslowakischen Legion am 1. und 2. Juli 1917 die österreichischen Verbände zurückzudrängen und einen wichtigen Erfolg nahe der Stadt Zborow zu erzielen.21 Auch wenn dieser Erfolg lokal begrenzt blieb, wurde diese Schlacht zur Feuerprobe der Legion hochstilisiert und ihr Datum wurde später als Geburtstunde der Legion angesehen.22 Tatsächlich kann gesagt werden, dass die ca. 3530 tschechoslowakischen Legionäre laut einem Heeresbericht über 3000 gegnerische Soldaten gefangen setzen konnten, ohne eigene Soldaten an den Feind verloren zu haben. Lediglich 159 Tote waren aufseiten der Legion zu beklagen. 19 Vgl.: Thuning-Nittner G., Die tschechoslowakische Legion in Russland, Wiesbaden, 1970, S. 24. Vgl.: Thuning-Nittner G., Die tschechoslowakische Legion in Russland, Wiesbaden, 1970, S. 23. 21 Vgl.: Thuning-Nittner G., Die tschechoslowakische Legion in Russland, Wiesbaden, 1970, S. 23 f.. 22 Vgl.: Stegmann N., Soldaten und Bürger. Selbstbilder tschechoslowakischer Legionäre in der Ersten Republik, in: Militärgeschichtliche Zeitschrift, Bd. 61, 2002, S. 27. 20 7 Diese Leistung veranlasste den russischen Oberbefehlshaber Bussilov zu der Aussage: „Die Tschechoslowaken ... schlugen sich so, dass alle vor ihnen auf die Knie fallen sollten. Eine Brigade behauptete sich gegenüber einigen Divisionen.“23 In den folgenden Jahren gab es immer wieder Gerüchte, die als Grund für diesen Erfolg einen Verrat der auf österreichischer Seite kämpfenden Tschechen vermuteten. Tatsächlich gibt es für diese Behauptungen bis heute keine Beweise gibt. 3.2. Der lange Weg durch Sibirien Inzwischen wurde die Lage der Legion in Russland immer undurchsichtiger. Nach der gescheiterten Offensive im Sommer 1917 schien ein weiteres Vorgehen gegen die Mittelmächte immer unwahrscheinlicher und Masaryk und Beneš mussten ihre Bemühungen um einen tschechoslowakischen Nationalstaat auf die Westmächte konzentrieren. Zu diesem Zweck verhandelte die tschechoslowakische Führung schon längere Zeit mit Frankreich, um eine Verlegung ihrer russischen Verbände an die Westfront zu ermöglichen. Aufgrund des stärker werdenden Drucks, seitens deutscher U-Boote in der Ostsee, entschieden sich die beteiligten Parteien nach langen Verhandlungen, die Legion über Sibirien und Wladiwostok um die halbe Welt nach Frankreich zu befördern. Die sich in der Ukraine sammelnden Legionären standen nun vor der schwierigen Aufgabe, ihre Truppen ohne großen Verlust an Moral und Kampfkraft durch die Weiten Sibiriens zu befördern. Dies gestaltete sich vor allem nach dem Zusammenbruch des Zarenreiches und der Revolution als zunehmend schwierig. Zum einen verschlechterte sich der Versorgungszustand der Legion zusehends und auch die Verhandlungen mit den einzelnen Ortssowjets24 gestalteten sich als äußerst mühsam. Trotz dieser Tatsachen gelang es den politischen Führern mit der sowjetischen Führung eine Neutralitätsakte auszuhandeln. Demnach sollte der Legion freier Abzug nach Wladiwostok gewährt werden.25 Auch verbesserte man durch einen regen Tauschhandel sowie Beschlagnahmung von Versorgungsgütern und Eisenbahnwagons die Ausgangsposition für die Reise. Doch schon an der Grenze zu Sowjetrussland legten die örtlichen Behörden den Truppen die ersten Hindernisse in den Weg. Da die Sowjets die Schlagkraft der gut 23 Vgl.: Thuning-Nittner G., Die tschechoslowakische Legion in Russland, Wiesbaden, 1970, S. 24. Erste Rätegremien die von der Bolschewiki in sibirischen Städten gegründet wurden. 25 Vgl.: Thuning-Nittner G., Die tschechoslowakische Legion in Russland, Wiesbaden, 1970, S. 45 f.. 24 8 organisierten Legion fürchteten, verlangte man vor der Einreise einen Teil der militärischen Ausrüstung von den Legionären. Als Zeichen des guten Willens und um weitere Komplikationen zu vermeiden, willigte die Führung der Legion in diesen Handel ein.26 Damit war die Bahnstrecke erst einmal wieder frei. Von Kursk wurden alle Verbände der Legion ohne weitere Zwischenfälle nach Pensa weitergeleitet. Die sowjetische Regierung hatte allerdings die Notwendigkeit einer schlagkräftigen bolschewistischen Armee erkannt und richtete ihre Aufmerksamkeit erneut auf die Legion. Sie hoffte, die kampferprobten Legionäre in eine neue sowjetische Truppe eingliedern zu können. Zu diesem Zweck wurden tschechische Rotarmisten27 zu Propagandazwecken eingesetzt. Erst als man erkannte, dass die Legionäre wenig Interesse an einem Übertritt zur Roten Armee zeigten, beschloss die Sowjetführung, zu härteren Maßnahmen zu greifen. Auch hatten viele russische Offiziere innerhalb der Legion offen ihre Abneigung gegen die neue bolschewistische Ordnung zu erkennen gegeben. Die Befürchtung, dass sich Legionsverbände in Sibirien auf die Seite der Gegenrevolution schlagen könnten, veranlasste die sowjetische Führung schließlich zu dem Entschluss, die Legion vollständig zu entwaffnen. Auch wenn dieser Beschluss aus Gründen des mangelnden militärischen Drohpotentials nicht sofort umgesetzt werden konnte, einigten sich die Funktionäre auf eine teilweise Entwaffnung. Die Legion sollte nur so viele Waffen behalten, wie sie zu ihrem eigenen Schutz benötigte.28 Am 27. März 1918 wurden erste Verbände der Legion nach Wladiwostok weitergeleitet. Insgesamt erreichten ca. 14000 Legionäre bis Mai 1918 ihr Ziel. Viele Einheiten hatten auf dem Transport aber noch ihre restliche Bewaffnung an die Ostssowjets abliefern müssen. In den Reihen der Legion wuchs nun der Unmut über das Verhalten der sowjetischen Führung. Das ehemals gute Verhältnis zu den Russen wurde empfindlich gestört. Auch entstanden erste Störungen im Verhältnis zur eigenen Führung, welche weiterhin gezwungen war, mit den Sowjets zu verhandeln.29 Immer wieder kam es nun zu Zwischenfällen mit den Bolschewisten. Als folgenschwerster sollte sich der Aufstand einiger Legionäre in Celjabinsk erweisen. Nachdem sowjetische Truppen zehn Legionäre verhafteten, weil diese einen 26 Vgl.: Thuning-Nittner G., Die tschechoslowakische Legion in Russland, Wiesbaden, 1970, S. 46. Soldaten der neugegründeten Roten Armee. 28 Vgl.: Thuning-Nittner G., Die tschechoslowakische Legion in Russland, Wiesbaden, 1970, S. 47 f.. 29 Vgl.: Thuning-Nittner G., Die tschechoslowakische Legion in Russland, Wiesbaden, 1970, S. 49. 27 9 magyarischen Kriegsgefangenen erschlagen hatten, kam es zu einem bewaffneten Aufstand, der zur Befreiung der Legionäre führte. Die tschechoslowakischen Offiziere konnten ihre Truppen zwar schnell wieder unter Kontrolle bringen und die Stadt verlassen, doch wurde dieser Vorfall in der sowjetischen Zentrale als Angriff auf die eigene Autorität gewertet. Das fehlende Vertrauen in die Zweigstellen des eigenen Nationalrates führte dann zur Schaffung einer eigenen Befehlstruktur. Die Legion konnte nun vollkommen autark agieren.30 Gleichzeitig erließ Trotzki den Befehl an alle Ortssowjets alles Mögliche zu tun, um die Legion zu entwaffnen. Die Legionäre befürchteten nun die sowjetische Regierung wolle sie gefangen setzen lassen und begannen damit, die Transsibirische Eisenbahn zu besetzen. Nach schnellen Anfangserfolgen gegen die noch unorganisierten Rotarmisten konnte sich die Legion am 31. August 1918 mit den schon in Wladiwostok stationierten Truppen vereinigen. Im Zuge dieser Aktionen begann die Legion, aufseiten der Gegenrevolution Partei zu ergreifen und wurde von der erstarkenden Roten Armee immer weiter nach Osten gedrängt. Erst ein Eingreifen der Alliierten konnte für die nötige Entlastung sorgen.31 3.3. Auswirkungen der Kämpfe in Sibirien Für die Legion hatten die Kämpfe in Sibirien weitreichende Folgen. Durch die anfänglichen Erfolge wuchs das Zusammengehörigkeitsgefühl der Legion und das Vertrauen in die eigene militärische Stärke. Viele Legionäre sahen sich als Vorposten der westlichen Alliierten und erhofften sich von ihren Bemühungen einen Nutzen beim Erreichen des eigentlichen Ziels, der Gründung ihres Nationalstaates. Mit zunehmender Dauer der Kämpfe, sich häufende Niederlagen und der Erkenntnis, dass der eigene Staat schon existierte, kam es zu einer Entfremdung zwischen der tschechoslowakischen Regierung und den Legionen in Sibirien. Auch wenn die Soldaten Masaryk weiterhin als den Führer ihrer Nation und ihres Kampfes akzeptierten32, kann konstatiert werden, dass der lange Aufenthalt in Sibirien sich negativ auf die Moral der Legion auswirkte. 30 Vgl.: Thuning-Nittner G., Die tschechoslowakische Legion in Russland, Wiesbaden, 1970, S. 54. Vgl.: Thuning-Nittner G., Die tschechoslowakische Legion in Russland, Wiesbaden, 1970, S. 64. 32 Vgl.: Thuning-Nittner G., Die tschechoslowakische Legion in Russland, Wiesbaden, 1970, S. 54. 31 10 4. Das Modell einer tschechoslowakischen Nation innerhalb der Legion Die Idee einer tschechoslowakischen Nation war 1914 im Grunde nichts Neues. Viele Tschechen sahen in dem slowakischen Nachbarvolk nur eine, durch ihren geschriebenen Dialekt getrennte, Untergruppe des tschechischen Volkes. Schon in den Jahrzehnten vor dem 1. Weltkrieg gab es immer wieder Bemühungen, diesen Umstand durch Publikationen oder Hilfsaktionen für das im bäuerlichen Milieu feststeckende Nachbarvolk zu betonen. Im Großen und Ganzen blieben diese Bemühungen aber nur vereinzelte Punkte ohne einen zusammenhängenden Background. Erst mit Ausbruch des Krieges und den Bemühungen Masaryks und Beneš’ für einen eigenständigen Staat erlangte die Vorstellung von einer tschechoslowakischen Nation neue Bedeutung. Die Aufstellung einer eigenständigen Armee wurde zur Schlüsselaufgabe dieser Bemühungen. Sie sollte einerseits die Ansprüche der Tschechen und Slowaken bekräftigen und diente andererseits als traditionsbildendes Element für beide Volksgruppen.33 Für die Führungselite bildete die Legion aber auch einen ersten Prototyp des späteren tschechoslowakischen Nationalstaates. Diese These wurde aber nicht nur in der deutschen Medienlandschaft entschieden abgelehnt. Viele Historiker sahen die Wurzeln der Legion ausschließlich innerhalb der tschechischen Geschichte. Hier werden die Gemeinsamkeiten innerhalb der Legionen in einer starken Ablehnung der österreich-ungarischen Herrschaft vermutet.34 Die Legionäre waren für alle Tschechoslowaken Vorbilder im Kampf gegen Habsburg. Sowohl in der Legion selbst, als auch bei den treibenden Kräften, die für die Gründung einer tschechoslowakischen Nationalarmee standen, waren tschechische Bürger in dominanter Weise vertreten. Auch wenn der slowakische Kaufmann Josef M. Orszag im Vorkriegsrussland zu den Hauptorganisatoren der sich neu bildenden militärischen Einheiten war, blieb dies innerhalb der Legion eine große Ausnahme.35 Dieser Umstand lässt sich aber am besten mit dem durchschnittlich niedrigeren Bildungsstand der slowakischen Bevölkerung erklären. Erst nachdem die Initiatoren mit einer systematischen Rekrutierung innerhalb der Gefangenlager begonnen hatten, steigerte sich die Zahl der auf russischer Seite kämpfenden Slowaken langsam. Diese 33 Vgl.: Thuning-Nittner G., Die tschechoslowakische Legion in Russland, Wiesbaden, 1970, S. 250. Vgl.: Stegmann N., Soldaten und Bürger. Selbstbilder tschechoslowakischer Legionäre in der Ersten Republik, in: Militärgeschichtliche Zeitschrift, Bd. 61, 2002, S. 33. 35 Vgl.: Thuning-Nittner G., Die tschechoslowakische Legion in Russland, Wiesbaden, 1970, S. 42 f.. 34 11 Desertationen wurden aber ausschließlich von Einzelpersonen ausgeführt. Das Überlaufen ganzer Einheiten hat es auf slowakischer Seite nicht gegeben. Dies lag auch an der erfolgreichen ungarischen Assimilationspolitik der vergangenen Jahrzehnte. Viele Slowaken waren in die ungarischen Kernländer ausgewandert und hatten sich dort Sprache und Kultur des herrschenden Volkes angeeignet. Insgesamt bildeten die Tschechen mit knapp 80 % die überwältigende Mehrzahl innerhalb der Legion. Die Slowaken waren nach günstigsten Schätzungen mit etwa 7 % vertreten. Dieser Anteil entspricht aber nicht dem Verhältnis innerhalb des späteren Staates. Hier bildeten die Slowaken mit 13 % die zweitgrößte Volksgruppe, während die Tschechen nur 46 % der Bevölkerung ausmachten.36 Es kann also gesagt werden, dass die Legion sich vor allem auf den starken Freiheitsdrang der Tschechen stützte. Dieser Umstand führte im Verlaufe des Krieges zu einer teilweisen Benachteiligung der Slowaken innerhalb der Truppen. So wurden sie beim Offizierskorps benachteiligt und der Gebrauch ihrer Sprache wurde zumindest nicht gerne gesehen.37 Trotz dieser Tatsachen muss das Verhältnis von Tschechen und Slowaken innerhalb der Legion als entspannt bezeichnet werden. Vorraussetzung hierfür war allerdings ein stillschweigendes Übereinkommen zwischen Tschechen und Slowaken, wonach Letztere sich der Mehrheit der Tschechen unterordneten. In diesem Fall kann man schon von Beispielcharakter für die Erste Tschechoslowakische Republik sprechen. Auch hier konnte nicht verhindert werden, dass viele Tschechen sich als tragendes Element des Staates sahen und somit ganz selbstverständlich gewisse Zugeständnisse seitens der Slowaken erwarteten. Insgesamt war die Idee einer tschechoslowakischen Identität innerhalb der Legion auch eher ein Konstrukt der Auslandsregierung und hier im Besonderen des späteren Staatspräsidenten Masaryk.38 5. Die Bedeutung der Legion für die Erste Tschechoslowakische Republik Die Bedeutung der Legion für die Gründung der neuen Republik ist sowohl bei zeitgenössischen Politikern wie auch bei fast allen Historikern unumstritten. Ohne Legion wäre es für die Tschechoslowaken wohl wesentlich schwieriger gewesen ihre Vorstellungen eines unabhängigen Nationalstaates zwischen Deutschland und 36 Vgl.: Thuning-Nittner G., Die tschechoslowakische Legion in Russland, Wiesbaden, 1970, S. 43. Vgl.: Thuning-Nittner G., Die tschechoslowakische Legion in Russland, Wiesbaden, 1970, S. 133. 38 Vgl.: Stegmann N., Soldaten und Bürger. Selbstbilder tschechoslowakischer Legionäre in der Ersten Republik, in: Militärgeschichtliche Zeitschrift, Bd. 61, 2002, S. 46. 37 12 Russland zu verwirklichen. Zu fragen bleibt aber, inwieweit die Legionäre innerhalb des neuen Staates zu seiner friedlichen Existenz beitragen konnten. Sowohl große Teile ihrer nationalen Minderheiten der deutschen und ungarischen Bevölkerung als auch die besiegten Mittelmächte sahen in der Legion keine rechtmäßig entstandene Volksarmee, sondern eine aus Deserteuren und Verrätern gebildete Guerillatruppe, welche widerrechtlich gegen ihr eigentliches Heimatland im Felde gestanden hatte. Dieser Umstand zusammen mit der übermäßigen Härte, mit der die Legionäre gegen angehörige der deutsch-ungarischen Volksgruppen vorgingen, barg großes Konfliktpotential. Gleichzeitig verkörperte, die in der Legion überproportional vertretene Elite des neuen Staates, für viele Bürger der jungen Republik die Hoffnung auf einen gemeinsamen Staat von Tschechen und Slowaken. 5.1. Die Legion und die Deutschen Für viele tschechoslowakische Soldaten war während des Krieges der Gedanke an ein späteres Zusammenleben mit den deutschen und ungarischen Feinden so abwegig, dass sie sich mit dieser Fragestellung wenig bis gar nicht beschäftigten.39 Hauptgrund ihres Kampfes sollte ja gerade die Loslösung ihrer Heimatgebiete von der österreichischen Herrschaft sein. Unter diesem Aspekt verstanden sie auch ihren Umgang mit gefangenen Feinden. Deutsche, Österreicher und Ungarn wurden mit überdurchschnittlicher Härte behandelt.40 Auf deutsch-österreichischer Seite wurden solche Nachrichten innerhalb der wenigen Nachrichten zur tschechoslowakischen Legion natürlich zu Propagandazwecken ausgenutzt. Viele Bewohner des neuen Staates wussten von Grausamkeiten der Tschechoslowaken oder hatten zumindest schon einmal davon gehört. Andererseits waren auch die österreichischen Behörden nicht zimperlich mit Angehörigen der Legionstruppen umgegangen. Die meisten von ihnen wurden nach ihrer Gefangensetzung als Vaterlandsverräter und Eidbrüchige von der Justiz zum Tode verurteilt.41 Auf beiden Seiten bestand also ein mehr oder weniger begründetes Misstrauen gegen die Angehörigen der jeweils anderen Fraktion. Doch während die Antipathie auf 39 f.. 40 41 Vgl.: Thuning-Nittner G., Die tschechoslowakische Legion in Russland, Wiesbaden, 1970, S. 133 Vgl.: Thuning-Nittner G., Die tschechoslowakische Legion in Russland, Wiesbaden, 1970, S. 133. Vgl.: Thuning-Nittner G., Die tschechoslowakische Legion in Russland, Wiesbaden, 1970, S. 166. 13 tschechoslowakische Seite durch den Sieg im 1. Weltkrieg spürbar abgemildert wurde, fühlten sich viele Deutsche durch die klare Bevorzugen der Legion benachteiligt. So wurde Legionären ihre Dienstzeit in Besoldungs- und Beförderungsfragen dreifach angerechnet. Soldaten die auf österreichischer Seite am 1. Weltkrieg teilgenommen hatten, waren durch diesen Umstand im Nachteil. Auch wurde in der Folgezeit der Tag der Schlacht von Zborow zu einem nationalen Feiertag erhoben. Jedes Jahr wurden somit die Verdienste der Legionen im Krieg gewürdigt, während die österreichischen Soldaten keinerlei Erinnerungskultur entfalten konnten. Letztendlich lässt sich aber sagen, dass all diese Punkte in den ersten Jahren der Republik keine außergewöhnlich große Bedeutung für den neuen Staat hatten. Erst im Verlaufe der späteren Entwicklung beriefen sich viele Deutsche auf die ihnen „zugemutete“ Ungerechtigkeit. 5.2. Die Legion im täglichen Leben der Nation Im nationalen Leben der Republik nahmen die ehemaligen Legionäre von Anfang an eine führende Rolle ein. Dieser Umstand ist vor allem auf die höhere geistige Bildung der einzelnen Mitglieder der Legion zurückzuführen. Schon in den ersten Kriegsjahren hatte sich gezeigt, dass verstärkt Bürger aus intellektuell höher gestellten Kreisen für die Ziele und Ideale Masaryks und seiner Auslandsregierung zu begeistern waren. Schon in Sibirien gab die Legion verschiedene Zeitungen, Schriften und Abhandlungen heraus. Dies setzte sich nach der Rückkehr in die Heimat fort. Schon bald entstanden eigene Verlagsgruppen und Archive. So ermöglichte es, der schon in Russland gegründete Verlag „Památnik odboje“ (Denkmahl des Wiederstandes) fast jedem ehemaligen Legionär seine Erinnerungen und Gedanken in der Tschechoslowakischen Republik zu veröffentlichen. Viele ehemalige Legionäre versuchten das in Russland und auf den anderen Fronten des Ersten Weltkrieges erlebte, in Büchern zu verarbeiten. Schon innerhalb kürzester Zeit gab es eine große Anzahl von erfolgreichen Schriftstellern.42 Auf politischer Ebene gab es ebenfalls einige ehemalige Legionäre. Bei den ersten Wahlen am 29. Februar 1920 wurden für die heimkehrenden Soldaten vier extra Sitze im neugebildeten Parlament freigehalten. Sie wurden von Vertretern der verschiedenen politischen Richtungen innerhalb der Legion eingenommen. Neben 42 Vgl.: Stegmann N., Soldaten und Bürger. Selbstbilder tschechoslowakischer Legionäre in der Ersten Republik, in: Militärgeschichtliche Zeitschrift, Bd. 61, 2002, S. 37 ff.. 14 diesen vier Abgeordneten hatten viele Parteien noch weitere Legionäre aufgestellt, welche rechtzeitig in die Heimat zurückgekehrt waren.43 Insgesamt lässt sich sagen, dass sich gerade durch die Vielfalt der politischen und gesellschaftlichen Strömungen innerhalb der Legion, fast in allen Teilen der tschechoslowakischen Republik ehemalige Legionäre am täglichen Leben wichtige und zum Teil führende Positionen einnahmen. Am Natürlichsten ist die Eingliederung der ehemaligen Legionäre in die neue Armee. Diese gründete sich nach dem Krieg auf drei Standbeine. Eine französische Militärmission sollte beim Aufbau und der Organisation des neuen bürgerlichen Heeres helfen, die Legionäre brachten den nationalen Geist mit und trotzdem bildeten noch immer Traditionen aus der alten k. u. k.-Armee den Sockel der Armee. 1923 waren zwei Drittel aller Offiziere in Österreich ausgebildet worden und hatten dort auch ihren Militärdienst geleistet.44 Durch die dreifache Anrechnung der Legionärsdienstzeit versuchte die tschechoslowakische Regierung, dieses Problem zu lösen. 6. Schluss Es ist schon verwunderlich, dass eine nicht mal 40000 Mann starke Einheit in einem Krieg, in dem es Millionen Gefallene gab, einen solchen Stellenwert wie die tschechoslowakische Legion einnehmen konnte. Um diesen Umstand zu verstehen, muss man sich das Vorkriegseuropa einmal genauer ansehen. Gerade in Zentraleuropa gab es noch viele nationale Minderheiten, welche von ihrer eigenen Unabhängigkeit träumten. Durch den Ersten Weltkrieg konnten viele diesem Ziel bedeutend näherkommen. Mit der Unabhängigkeit von 18. Oktober 1918 ging auch für die Tschechen und Slowaken dieser Traum in Erfüllung. Doch noch fehlte es dem neuen Staat an nationalen Bezugspunkten. Eine gemeinsame Geschichte von Tschechen und Slowaken gab es nicht. Die letzte nationale Selbstverwaltung der Tschechen war mit der Schlacht am Weißen Berg 1620 ausgelöscht worden und lag nun schon fast 300 Jahre zurück. Es ist also kaum verwunderlich, dass es nicht nur der jungen Republik, sondern auch ihren Führern an Erfahrung im Umgang mit ihrer neuen Freiheit fehlte. 43 f.. 44 f.. Vgl.: Thuning-Nittner G., Die tschechoslowakische Legion in Russland, Wiesbaden, 1970, S. 192 Vgl.: Thuning-Nittner G., Die tschechoslowakische Legion in Russland, Wiesbaden, 1970, S. 202 15 In den Köpfen der politischen Führung sollte die Legion während und nach dem Krieg zum nationsbildenden Element werden. Ihre Geschichte sollte Tschechen, Slowaken und die Alliierten von der Möglichkeit einer tschechoslowakischen Nation überzeugen. Und kurzzeitig sollte sie dies auch schaffen. Hier muss aber gesagt werden, dass diese Nation nicht dieselbe war, welche sich Masaryk, Beneš und die restlichen Führer der Auslandsregierung erträumt hatten. Zwar gelang es ihr die Tschechen und Slowaken aneinander zu binden, doch geschah dies nur durch den Verlust der slowakischen Eigenständigkeit. Wie die Legion so sollte auch die spätere Nation eine fast ausschließlich tschechische sein. Die Slowaken konnten in keinem der beiden Punkte ihre nationale Unabhängigkeit entfalten. Zu fragen bleibt auch, ob die Legion wirklich eine bindende Rolle innerhalb der Gesellschaft übernehmen konnte. Hier kann gesagt werden, dass sie durch ihre intellektuelle Aktivität viel zum nationalen Selbstverständnis der Tschechen und Slowaken beigetragen hat. Auch ihr Kampf gegen die deutschen und ungarischen Minderheiten wirkte sich in den Anfangsjahren nicht besonders negativ aus. Durch die leichte Bevorzugung der Legionäre gegenüber den auf deutscher Seite kämpfenden Soldaten und die ausartende Überhöhung des Legionsmythos wurden in späteren Jahren aber Grundsteine für national agierende Politiker gelegt. Insgesamt hat Masaryk mit seiner Behauptung, eine nationale Selbständigkeit wäre ohne die Legion nicht zu erreichen gewesen, aber wohl recht gehabt. Die Überzeugung der Westmächte von den Möglichkeiten einer tschechoslowakischen Nation in Zentraleuropa gaben hier den Ausschlag für die Gründung der 1. Tschechoslowakischen Republik. 16 Literaturverzeichnis Hilfsmittel: Roth H. (Hrsg.), Studienhandbuch östliches Europa. Geschichte Ostmittel- und Südosteuropas, Band 1, Böhlau Verlag, Köln / Weimar / Berlin, 1999. Kinder H. / Hilgemann W. (Hrsg.), dtv-Atlas Weltgeschichte. Von der Revolution bis zur Gegenwart, Band 2, Deutscher Taschenbuch Verlag, Köln, 2003. Zeitschriften: Stegmann N., Soldaten und Bürger. Selbstbilder tschechoslowakischer Legionäre in der Ersten Republik, in: Militärgeschichtliche Zeitschrift, Band 61 (2002), S.25 bis 48. Standardwerke: Thuning-Nittner G., Die tschechoslowakische Legion in Russland, Otto Harroassowitz Verlag, Wiesbaden, 1970. Urban R., Die tschechisch hussitische Kirche, J. G. Herder – Institut, Marburg, 1973. Quellen: Masaryk, T. G., Die Weltrevolution. Erinnerungen und Betrachtungen 1914 – 1918, Erich Reiss Verlag, Berlin, 1925. Capek K., Masaryk erzählt sein Leben, Büchergilde Gutenberg, Zürich / Prag, 1937. 17