Für Internetseite „Russland kontrovers des Deutsch

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Für Internetseite „Russland kontrovers des Deutsch-russischen Forums 9. November 2015
Klaus Wittmann
Russlands Militäreinsatz in Syrien
(zu Alexander Rahr, „Putins Plan in Syrien – Helfer oder Störenfried?“)
Kern des russischen Vorgehens in Syrien ist keineswegs ein „Friedensplan“, bislang nirgends
offiziell eingebracht, sondern “am Rande der Konferenz des Valdai Klubs in Sotschi
zirkuliert“. Im Mittelpunkt stehen vielmehr die mit der bisherigen Anti-IS-Koalition nicht
abgestimmten militärischen Aktionen. Angeblich richten sie sich gegen den IS, doch zeigen
die bisherige Zielauswahl wie auch die Luftnahunterstützung syrischer Truppen, dass es der
russischen Führung vorrangig um die Rettung des für hunderttausendfachen Tod und
vielmillionenfache Flucht seiner Bürger verantwortlichen Assad-Regimes geht. Präsident
Putin hat das öffentlich eingeräumt und sich offenbar Assads Definition von „Terroristen“ zu
eigen gemacht. Russland macht sich international weiter unglaubwürdig, indem es „IS“ sagt,
aber vorwiegend innersyrische Aufständische bekämpft.
Neben der Unterstützung des Regimes hat dieser Militäreinsatz offenbar auch zum Ziel,
Russland als entscheidende Großmacht in der Region zu etablieren, wozu freilich die
vierjährige amerikanische Zögerlichkeit geradezu als Einladung erschien. Und natürlich ist
jede Art von „Regimewechsel“ für Moskau Anathema. Auch mag das Kalkül eine Rolle
spielen, der Wunsch des Westens nach Zusammenarbeit mit Russland wie in der Iranfrage
möge vom Ukraine-Konflikt ablenken oder sogar zur Aufhebung der Sanktionen führen.
Außerdem hat der Militäreinsatz einschränkende Wirkung auf Luftoperationen der Koalition,
und eine gewisse Schadenfreude in Moskau zeigt, dass dort auch das weitere Anschwellen der
Flüchtlingsströme nach Europa nicht ungern gesehen wird.
Der in der russischen Bevölkerung wenig populäre Militäreinsatz hat bislang jetzt nur
begrenzten Erfolg, denn die syrischen Streitkräfte können die Luftunterstützung nicht
wirkungsvoll nutzen. Auch sieht sich Russland bereits zum Einsatz von Spezialkräften
veranlasst, der IS setzt seine Tschetschenen auf russische Stützpunkte an, und der SinaiFlugzeugabsturz scheint mit der russischen Militäraktion zu tun zu haben.
Es mag sein, dass Putin den so zögerlichen Westen in Zugzwang versetzt hat und dass sein
von Alexander Rahr kolportierter „Friedensplan“ verwertbare Elemente enthält. Er scheint
aber nicht mit der der ersten multilateralen Verhandlung in Wien Ende Oktober abgestimmt
zu sein. Dann hat er eher Stör- als konstruktives Potential. Nach Rahrs Resümee hätte
Russland, sollte es durch sein überraschendes Vorgehen „den großen Coup landen, […]
seinen Großmachtanspruch im Nahen Osten auf Jahre hinaus gesichert“.
Zu diesem „Großmachtanspruch“: Putins Handlungsweise auf vielen Gebieten scheint nicht
zuletzt durch die Frustration darüber motiviert zu sein, vom Westen nicht auf Augenhöhe
akzeptiert zu werden. Er scheint zu glauben, durch unilaterales Handeln, Regelverletzung und
Aggression Respekt und gleichen Status mit den USA erzwingen zu können. Er meint, diese
wollten Russland „kleinhalten“. Nein – ein Russland, das sich (wie im Ausnahmefall der
iranischen Nuklearwaffenambitionen) konstruktiv am globalen und regionalen Problemlösen
beteiligte, anstatt hauptsächlich Störpotential und Verhinderungsmacht auszuspielen, wäre
auch als Großmacht hochwillkommen.
Hätte es sich, statt sich nun durch militärisches Vorgehen in Syrien als Großmacht zu
profilieren, vor vier Jahren im VN-Sicherheitsrat dazu bereitgefunden, Assads
unverhältnismäßig gewaltsames Vorgehen gegen zunächst friedliche Proteste zumindest
moralisch zu verurteilen, so gäbe es heute vielleicht 250 000 Tote und viele Millionen
Flüchtlinge weniger. Das wäre konstruktives Großmachthandeln gewesen.
Aber natürlich ist für die russische Führung jeder „Regimewechsel“ das Schreckbild
schlechthin, und da gibt es auch Anlass zu westlicher Selbstkritik und zu der Erkenntnis, dass
Regimesturz noch lange nicht Regimewechsel ist. Diese Einsicht macht aber die russische
Handlungsweise nicht besser - eine politische Lösung des syrischen Bürgerkriegs erleichtert
sie nicht.
Brigadegeneral a.D. Dr. Klaus Wittmann, Mitglied des Deutsch-russischen Forums seit letztem Jahr, ist Senior
Fellow des Aspen Institute Deutschland und lehrt Zeitgeschichte an der Universität Potsdam.
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