Kolon, Reizdarm, Obstipation, Defäkation, Divertikulose, Divertikulitis, benigne Tumoren, Präkanzerosen 8.11.2011 Andreas Stallmach Abteilung für Gastroenterologie, Hepatologie und Infektiologie Klinik für Innere Medizin II Dickdarm Ernährung und Verdauung Dünndarm – – – – – Hoher Zellumsatz (2 Tage) Chymus/Schleimproduktion Hormonproduktion Endverdau der Nahrung Resorption von Spaltprodukten, H20 und Elektrolyten Dickdarm – Absorption und geringe Sekretion – Stuhleindickung (1000 ml Chymus > 1-200 ml Stuhl) Dickdarm Stuhlbestandteile Wasser Bakterien Nahrungsreste Stuhl: - 1/4 Trockensubstanz - hiervon 1/3 physiologische Bakterien Dickdarm (Lernzielfolie) Symptome und klinische Auffälligkeiten Blutung – – – Meläna (Teerstuhl) Hämatochezie (Blutbeimengungen) Je dunkler das peranale Blut, desto höher die Blutungsquelle Diarrhoe – – – – Stuhlfrequenz > 3/die Stuhlgewicht > 200 g/dl Stuhlkonsistenz vermindert oder flüssig (Wassergehalt > 75%) Dauer: akut < 3 Wochen chronisch > 3 Wochen Obstipation – < 3 Stuhlentleerungen / Woche Meteorismus – tatsächliche oder subjektiv empf. Vermehrung intestinalen Gases Schmerz – somatischer und viszeraler Schmerz Reizdarm (Irritables Darmsyndrom) Definition: Funktionelle Darmerkrankung Ätiologie: Prävalenz: 10-20 % der Bevölkerung Immer multifaktoriell: Motilität abnormal, viszerale Perception, luminale Faktoren, postinfektiöse Neuromodulation Definition des Reizdarms Symptomatik abdominale Schmerzen abdominales Druckgefühl Völlegefühl, Blähungen, Aufstoßen Obstipation u/o Diarrhö (nicht nachts) Stuhl ev. schafskotartig, Schleimbeimengungen in der Regel kein Gewichtsverlust kein Blut im Stuhl Prävalenz des Reizdarms Abhängigkeit von den zugrunde liegenden Kriterien: 2,5 bis 25% 5,5 bis 13,6% 2,5 bis 19,1% RDS-M RDS-D (Manning) (Rom I) (Rom 2) RDS-0 „Die wahre Prävalenz der Reizdarmsubgruppen bleibt unklar“ Pathophysiologie Pathophysiologie Nicht-Risiko-Gene Risiko-Gene Keine Risikofaktoren aus der Umwelt Umwelt-bedingte Schädigungen / Stimulatoren gesund Stressoren Lernen Infektionen erkrankt Verlauf des RDS Kein RDS (91%) Kein RDS (83%) RDS (9%) RDS (17%) 12- 20 Monate später RDS (62%) Kein RDS (38%) Talley et al., 1992 Prognose beim RDS JY Cang et al., Am J Gastroenterol, 2010 Diagnostik ¾ ¾ ¾ ¾ ¾ ¾ ¾ typische Anamnese (über Monate bis Jahre) Klinische Untersuchung (rektale Untersuchung (Schließmuskeltonus, Pressversuch/sichtbarer oder tastbarer innerer Prolaps?) Sonografie des Abdomens Koloskopie (zum Ausschluss einer entzündlichen oder tumorösen Darmerkrankung) Laktosetoleranztest (Ö Laktasemangel) ev. erweiterte Diagnostik bei unklaren Fällen (z.B. bei Verdacht anorektale Funktionsstörung) Therapie ¾ ärztliches Aufklärungsgespräch ¾ diätetische Maßnahmen: keine künstlichen Süßstoffe/Laktoseintoleranz? Medikamente: Mebeverin (Duspatal) Buscopan Espumisan Quellmittel (Flohsamenschalen, Leinsamen) Funktionelle Obstipation (Rom-III-Kriterien) zwei oder mehr der folgenden Symptome: 1. ¾ Pressen bei > 25% der Defäkationen ¾ Knollige oder harte Stühle bei > 25% der Defäkationen ¾ Gefühl der inkompletten Entleerung nach > 25% der Defäkationen ¾ Gefühl der anorektalen Obstruktion / Blockade bei > 25 % der Defäkationen ¾ Manuelle Manöver zur Entleerung bei > 25 % der Defäkationen nötig (z. B. digitale Entleerung, manuelle Unterstützung des Beckenbodens) ¾ < 3 Stuhlentleerungen/Woche 2. Selten weicher Stuhl ohne Laxantien 3. Keine hinreichenden Kriterien für Reizdarm Epidemiologie ¾ 20 - 30 % Menschen > 60 Jahre ¾ zunehmende Häufigkeit im Alter ¾ hohe Dunkelziffer (Laxantienabusus) ¾ habituelle Obstipation und Reizdarmsyndrom sind die häufigste Ursache Pathogenese Funktionelle Obstipation? = primäre Obstipation Obstipation als Teilmanifestation einer Grundkrankheit? (= sekundäre Obstipation) anorektale Funktionsstörung Obstipation als Nebenwirkung von Medikamenten? „normal-transit constipation“ „slow-transit constipation“ Langsamer Kolontransit Oro-anale Transitzeit stark verlangsamt Kein Erfolg der Ballaststoffgabe Abgeschwächter Effekt der Laxantien Meist ohne erkennbare Ursache Mehrheitlich junge Frauen Preston et al. (1985 und 1986) Messung der oro-analen Transitzeit Tag 7 (selbe Uhrzeit) Abdomenübersicht 20 röntgendichte Marker in Gelatinekapsel Tag 1–6 je eine Kapsel (zur selben Uhrzeit) Anzahl Marker x 1,2 = Transitzeit in Stunden Therapie Betroffene mit „normal- und slow-transit constipation“ erhöhen zunächst den Ballaststoffgehalt der Nahrung ( Gemüse, Obst). Falls keine Verbesserung Æ Quellmittel [zur Langzeittherapie geeignet] (Flohsamenschalen, Leinsamen) osmotische Laxantien (Lactulose, PEG) [zur Langzeittherapie zugelassen] Makromoleküle („synthetische Ballaststoffe“) Macrogol (Polyethylenglykol, PEG) Methylcellulose Calcium-Polycarbo phil Hohe Wasserbindungsfähigkeit Keine systemische Absorption Nicht bakteriell spaltbar Daher keine Gasentstehung Allmählicher Wirkungseintritt Kein Wirkungsverlust in der Daueranwendung Macrogol als einzige Substanz gut untersucht Belegte Wirksamkeit auch bei Stuhlimpaktion Medikamente, die oft zur Obstipation führen Thompson et al. (1999) Obstipierendes Medikament alternatives Medikament Antihypertensiva (CalciumAntagonisten, Clonidin) Andere Klassen (z. B. ACEHemmer oder β-Blocker) Antidepressiva (tri- und tetrazyklische) Wechsel zu selektiven SerototoninRückaufnahme-Inhibitoren (SSRI) Antacida (Calcium- und Aluminium-haltige) Refluxkrankheit: Protonenpumpenhemmer (PPI) Hämodialyse: Laxantien Eisen i.m., i.v. oder Laxantien Antiepileptika Laxantien Anti-Parkinson-Medikamente Laxantien Neuroleptika Laxantien Opiate Laxantien Physiologie der Defäkation Rektumdehnung durch Stuhl Empfindung Rektoanaler Inhibitionsreflex Relaxation des äußeren Sphinkters Relaxation des inneren Sphinkters Defäkation Anamnese bei anorektaler Obstruktion Gefühl der unvollständigen Entleerung des Rektums Heftiges Pressen trotz Stuhldrangs und weichem Stuhl Blockierungsgefühl beim Pressen Notwendigkeit der digitalen Ausräumung Anorektale Funktionsstörungen Innerer Rektumprolaps Rektozele Pathologische Beckenbodensenkung Defäkationsstörungen I Beckenbodensenkung und Rektozele in Ruhe normal Senkung Rektozele Defäkationsstörungen II Innerer und äußerer Rektumprolaps in Ruhe Pressen Anorektale Funktionsdiagnostik bei Verdacht auf Defäkationsstörung Methode Pathologische Befunde Inspektion Beckenbodensenkung beim Pressen Digitale Untersuchung Paradoxe Sphinkterkontraktion beim Pressen Rektozele Innerer Prolaps beim Pressen Proktoskopie Innerer Prolaps beim Pressen Manometrie Paradoxe Sphinkterkontraktion beim Pressen Fehlende Relaxation bei Ballondehnung des Rektums Defäkographie Nachweis von funktionell wirksamer Beckenbodensenkung, Rektozele oder inneren Prolaps Therapie der anorektalen Funktionsstörung Vermeiden der Bauchpresse Rektale Entleerungshilfen ( supp.) Operation (Rektozele, innerer Prolaps) Biofeedback-Verfahren Divertikulose (Lernzielfolie) Definition: Ausstülpung der Mukosa + Submukosa durch eine Muskellücke im Darm (Pseudo-Divertikel) Ätiologie: Entstehen an Schwachstellen (Vasa recta), ev. mit Obstipation assoziiert Lokalisation: 95% im Sigma, aber auch ganzer Darm Klinik: - zumeist asymptomatisch - selten linksseitige Bauchschmerzen, Obstipation Therapie: - Bewegung, Flüssigkeit, ballaststoffreiche Kost - Stuhlregulation (Quellmittel, Laktulose, Magrogol) Komplikationen: - Divertikulitis, Perforation - Blutung (mechan. Scherkräfte am divertikelbildenden Gefäß) - Stenose Divertikulose Vorkommen: hochzivilisierte Länder Prävalenz: - geschlechtsunspezifisch - mit dem Alter zunehmend Pathogenese: Ernährungsgewohnheiten (ballaststoffarme Kost) Divertikelentstehung ballaststoffarme Kost verlängerte Passagezeit + geringeres Wasserbindungsvermögen + vermindertes Stuhlvolumen Obstipation mit erhöhtem Druck im distalen Darm Schleimhautausstülpungen durch Muskellücken an Gefäßdurchtrittspunkten Dickdarm Divertikulitis Definition: spontane Divertikelentzündung Ätiologie: Stuhl verursacht Lumenokklusion, Wandödem Klinik: - zumeist linksseitige Bauchschmerzen, Tenesmen - Fieber, Leukozytose, Abwehrspannung, Peritonitis Komplikationen: - Abszess - Perforation (frei oder gedeckt), Fisteln (ca. 15%) Diagnostik : - Labor (BB, CRP) - Darmsonographie oder CT-Abdomen (Komplikat.) Therapie: - Nahrungskarenz bzw. flüssige Ernährung - Antibiotika: 1.) Ciprofloxacin po 2.) Cephalosporin + Metronidazol iv - Notfall-OP bei Perforation, Blutung - elektive Resektion bei Stenose/Komplikationen Divertikulitis ) Entzündung von Kolondivertikeln Ursache: Stuhlretention in den Divertikeln (Kotsteine) bakterielle Entzündung mit nachfolgender Mikroperforation Übergreifen auf die Umgebung (= Peridivertikulitis) Divertikulose, Divertikulitis und Komplikationen Klinische und pathologisch anatomische Stadieneinteilung der Divertikulitis (nach Hotz) Stadium I Divertikulose mit funktionellen Beschwerden Stadium II akute oder rezidivierende Divertikulitis Stadium III Peridivertikulitis Stadium IV Perikolitis IV a Perikolitis mit gedeckter Perforation IV b Perikolitis mit freier Perforation Symptomatik der Divertikulitis Leitsymptome: Schmerz im linken Unterbauch Fieber, Leukozytose (schmerzhafte Resistenz im linken Unterbauch – Stadium II und III) Perikolitis mit gedeckter Perforation Ausgangspunkt von Abszess- und Fistelbildung rezidivierende Fieberschübe mit zum Teil septischen Temperaturen massiv erhöhte Entzündungsparameter (Leukozytose, CrP, BSG) schmerzhafte Resistenz oder Abwehrspannung im linken Unterbauch Perikolitis mit freier Perforation akutes Schmerzereignis (Wechsel des Schmerzcharakters) starke Beeinträchtigung des Allgemeinbefindens Bild des akuten Abdomens (hohe Letalität) Differentialdiagnostik der Sigmadivertikulitis Adnexitis Ureterkolik ischämische Kolitis infektiöse Kolitis CED (Appendizitis) pseudomembranöse Kolitis Kolonkarzinom Sonografie Divertikulitis: pathologische Kokarde im linken Unterbauch (echoarme, verbreiterte, druckschmerzhafte Wand 5 - 15 mm) Inhaltsverzeichnis Abszess: irregulär konturierte pathologische Kokarde mit perikolischen echoarmen inhomogenen, zum Teil lufthaltigen Strukturen Inhaltsverzeichnis Computertomografie Vorteil Untersucherunabhängig! - Mittel der Wahl - Darstellung von Wandstrukturen und Umgebung Nachteil - Strahlenbelastung - höherer apparativer Aufwand Endoskopie Cave: Bei (hoch) akuter Divertikulitis wegen Perforationsgefahr. Akute Divertikulitis (Lernzielfolie) milder Verlauf (geringe Beschwerden, fehlende peritoneale Reizung): - Nahrungskarenz (Ö flüssige Kost) - orale Flüssigkeitszufuhr - Breitspektrumantibiotikum (z. B. Ciprofloxacin + Metronidazol schwerer Verlauf (stärkere Beschwerden, hohe Leukozytose, hohes Fieber) - parenterale Ernährung - systemische Antibiose Intensivierte und operative Therapie ¾ ¾ ¾ bei Verschlechterung unter der konservativen Therapie an komplizierten Verlauf denken (Chirurg vorstellen!) bei perikolischem Abszess: initial eine perkutane Abszessdrainage möglich, später Operation sofortige Operation Æ bei akutem Abdomen (Perforation) Intensivierte und operative Therapie ¾ ¾ postdivertikulitische Stenose mit entzündlichem Pseudotumor: operative Sanierung, falls keine eindeutige DD zum Karzinom oder Subileussymptomatik chronisch rezidivierende Divertikulitis bei 30% Rezidiv meist schwererer Verlauf und schlechteres Ansprechen auf konservative Therapie Empfehlung: Nach 2. Divertikulitis elektive chirurgische Resektion anstreben. Dickdarm (Lernzielfolie) Polypen und Polyposis Polyp: Vorwölbung der Mukosa in das Darmlumen Polyposis: > 100 Polypen im Kolon Neoplastische Polypen – Epitheliale Polypen (Adenome) 80% Solitäres Adenom = Präkanzerose - 5% Entartungsrisiko Adenomatöse Polyposis = 100 % Entartungsrisiko – Polypöses Karzinom – Karzinoidtumor – Nicht-epitheliale Tumoren (Lipom, Hämangiom, Leiomyom, etc.) Nicht-neoplastische Polypen – – – – Peutz-Jeghers-Polyp (Hamartom) Juveniler Polyp Hyperplastischer Polyp (CED) Entzündlicher Polyp Dickdarm (Lernzielfolie) Adenom (solitär oder multipel) Pathologie: - Epithelialer Tumor: tubulär 80% tubulo-villös 10% villös 10% - Polyp > 2 cm ist zu 40-50% bereits entartet Klinik: - Zufallsbefund bei der Endoskopie - Blut im Stuhl (Hämoccult-Test) - Bauchschmerzen, Diarrhoe Therapie: - Endoskop. Abtragung mit Histologie Gestielter Polyp Flacher Polyp Sporadisches kolorektales Karzinom Adenom-Karzinom-Sequenz (genetische Tumorentstehung) Normales Epithel APC hMLH1 hMSH2 Hyperproliferatives Epithel gestörte APC Methy- hMLH1 lierung hMSH2 Vogelstein, NEJM 1988 Adenom K-ras DCC P53 Mutation Deletion Deletion Toribara, NEJM 1995 Karzinom weitere genetische Veränderungen Kolorektales Karzinom Die Fakten - Epidemiologie Neben Lungen- und Brustkrebs häufigster bösartiger Tumor 60.000 Neuerkrankungen in der BRD /Jahr Lebenszeitrisiko etwa 5-6%* Häufigkeitsgipfel liegt im 65. Lj. (Männer = Frauen) Genetisch mit am besten untersuchte Tumorerkrankung – Einfache Diagnostik und Klassifikation – Postoperativ reichlich Tumormaterial – Gute Prognose und leichte Familienanamnese * Parkin, Global Cancer Statistics 1999 Dickdarm Hereditäre Polyposis-Syndrome Gene Adenomatöse Polyposis - Familiäre adenomatöse Polyposis (FAP) - (Gardner-Syndrom - Turcot-Syndrom Typ I (Gliome, non-FAP) Typ II (Medulloblastome, FAP) - attenuierte FAP APC (proximal 5’) APC) MLH1 / PMS2 APC APC (distal 5’) Hamartomatöse Polyposis - Peutz-Jeghers-Syndrom - Juvenile Polyposis - Cowden-Syndrom - „hereditary mixed polyposis syndrome“ STK11 / LKB1 SMAD4 / DPC4 PTEN / MMAC1 ? (6q21) Polyposis-Syndrome Familiäre adenomatöse Polyposis (FAP) Autosomal-dominante Vererbung, Penetranz >95%, sporadisches Auftreten (Neumutationen in 22-46%) > 100 Polypen (Adenome) im gesamten Kolon und Duodenum Manifestation der Polypen bereits im Kindes-/Jugendalter ! Kolonkarzinom im Laufe des Lebens obligat (∅ Alter 35 Jahre) Häufigkeit 1 : 10.000 Personen, ~1% aller kolorektalen Karzinome Therapie: Totale Kolektomie ab dem 17.20. Lebensjahr Sigmakarzinom (pT2N0M0), ED 22 Lj. (c.3927-3931delAAAGA) Polyposis-Syndrome Peutz-Jeghers-Syndrom Autosomal-dominante Vererbung Intestinale Polyposis – oft im Dünndarm, Kolon – Histolog. Hamartome (baumartig verzweigte Muscularis mucosae) Pigmentflecke auf Lippenund Wangenschleimhaut (95%) Manifestation im frühen Kindesbis Erwachsenenalter (w = m) Peutz, Nederl Maandschr Geneesk 1921 Jeghers, NEJM 1949 Hutchinson, Arch Surg 1896