Akutes Koronarsyndrom mit myokardialen Hypokinesien verursacht

Werbung
D E R B E S O N D E R E FA L L
Schweiz Med Forum 2007;7:593–596
593
Akutes Koronarsyndrom mit myokardialen
Hypokinesien verursacht durch ein Phäochromozytom
Zwei Fallberichte
Lorenz Räbera, Jan Braunwaldera, Daniel Nothb
a
Medizinische Klinik Spital Thun, b Praxis für Endokrinologie-Diabetologie FMH, Unterseen
Summary
Pheochromocytoma presenting as acute coronary
syndrom with segmental myocardial dysfunction.
Report of two cases
We report two cases of acute non ST-elevation coronary syndromes with
unspecific ECG-changes, elevated serum marker of myocyte necrosis and a
segmental myocardial dysfunction mimicking acute myocardial infarction. No
arterial hypertension was reported by either patient. The early coronary arteriogram showed normal coronary arteries with normal blood flow in the arteries supplying the hypokinetic myocardial segments. Plasma and 24 h Urin
measurement revealed highly elevated metanephrine levels. The histology documented a pheochomocytoma.
Pathophysiologically, a catecholamine-induced vasospasm or direct toxic
effect of norepinephrin on the myocardium is the most probable mechanism
of the myocardial damage, which resolved completely after resection of the
tumor in one case and persisted in the other. These two unusual cases illustrate that pheochromocytoma must be considered in the differential diagnosis
of an acute coronary syndrome with segmental myocardial dysfunction and
normal coronary arteries.
Fallbeschreibungen
Fall 1
Heftige, in den linken Arm ausstrahlende, seit
fünf Stunden anhaltende Thoraxschmerzen
waren der Grund für die Zuweisung eines 62jährigen, ansonsten gesunden Mannes. Der Patient
Abbildung 1
Rhythmusstreifen des Patienten in Fall 1: Ein ventrikulärer Bigeminus geht in eine
Kammertachykardie über.
berichtete, bereits vor vier Jahren an ähnlichen
Schmerzen gelitten zu haben; damals waren die
Echokardiographie und die Koronarangiographie jedoch unauffällig. Systemanamnestisch
waren gelegentliche, ungerichtete Schwindelanfälle in Verbindung mit Kopfschmerzen bekannt.
Als kardiovaskuläre Risikofaktoren wies der Patient eine positive Familienanamnese und einen
Status nach 15 pack years Nikotinkonsum auf.
Klinisch präsentierte sich der Mann in einem
durch die Schmerzen bedingten reduzierten Allgemeinzustand mit symmetrischen Blutdruckwerten von 200/110 mm Hg, einer Herzfrequenz
von 86/min, gut tastbaren peripheren Pulsen,
einer unauffälligen Herz-Lungen-Auskultation,
weichem Abdomen und blandem Neurostatus.
Elektrokardiographisch fielen unspezifische Repolarisationsstörungen mit dynamischen ST-Senkungen in V4 und V5 auf, während die QT-Zeit
verlängert war (530 ms). In der Folge kam es zu
einer Kammertachykardie, die unter Metoprolol
konvertierte (Abb. 1 x).
Laborchemisch bestanden schon vor der Kammertachykardie erhöhte Herzenzymwerte (Troponin T: 0,153 ng/ml, N: <0,011ng/ml; Kreatinkinase [CK]: 178 U/L, N: <174 U/L).
Die monoplane Ventrikulographie im Rahmen
der notfallmässigen, auswärtigen Koronarangiographie zeigte eine deutliche Hypokinesie im anterioren und im gegenüberliegenden inferioren
Bereich mit einer signifikant eingeschränkten
Auswurffraktion (EF) von 40%.
Eine plausible Erklärung für den Befund in diesen Bereichen wäre der Verschluss zweier Koronararterien gewesen. Erstaunlicherweise präsentierten sich die Koronarien jedoch komplett
unauffällig.
Da der Patient nach der Rückverlegung über neu
aufgetretene rechtsthorakale Schmerzen klagte,
die in den Rücken ausstrahlten, wurde bei erhöhten D-Dimeren eine Spiralcomputertomographie
(CT) durchgeführt, um das Vorliegen einer Lungenembolie abzuklären, wofür es keine Hinweise gab.
Als Zufallsbefund zeigte sich in diesem CT eine
Raumforderung von 4,4 x 6 cm in der rechten Nebenniere. Bei der Untersuchung mit der Frage
nach der Hormonaktivität dieser Nebennierenraumforderung waren die Normetanephrin- und
Metanephrinwerte im Plasma um das Drei- bzw.
um das Zwölffache und im 24-Stunden-Urin um
das 18- bzw. um das 87fache erhöht.
D E R B E S O N D E R E FA L L
Um ektope, katecholaminproduzierende Herde
auszuschliessen, liessen wir eine Metaiodbenzylguanidin-Szintigraphie (MIBG-Szintigraphie)
durchführen, in der kein speicherndes Gewebe
dargestellt werden konnte. In der Annahme,
dass die im Vergleich zum CT schlechtere Sensitivität der MIBG-Szintigraphie oder aber eine Tumornekrose für den negativen Befund verantwortlich war, begannen wir als Vorbereitung auf
die laparoskopische Exzision eine aufsättigende
Alphablockertherapie mit Phenoxybenzamin
(Dibenzyran®).
Nach einem komplikationslosen Eingriff klärte
die Histologie nun alles auf: Es handelte sich um
ein hämorrhagisch nekrotisierendes Phäochromozytom (Abb. 2 x). Die Verlaufsmessungen
der Hormone blieben unauffällig, die Wandbewegungsstörungen hatten sich gemäss der Echo-
A
Schweiz Med Forum 2007;7:593–596
594
kardiographie schon vor der Operation massgeblich zurückgebildet, und die EF hatte sich
normalisiert.
Fall 2
Nur eine Woche später nahmen wir eine 41jährige Frau wegen linksthorakaler Thoraxschmerzen notfallmässig auf, bei der aufgrund der im
EKG ersichtlichen dynamischen ST-Senkungen
lateral (I, aVL) und der positiven kardialen Biomarker (Troponin T: 0,32 ng/ml, CK 208 U/L)
eine Koronarangiographie durchgeführt wurde.
Die Untersuchung zeigte eine deutliche inferiore
Hypokinesie bei erhaltener EF und normalen
Koronarien. Eine arterielle Hypertonie war
nicht bekannt, der Eintrittsblutdruck war mit
164/88 mm Hg allerdings erhöht.
Systemanamnestisch klagte die Patientin seit
längerem über paroxysmal auftretende Kopfschmerzen in Assoziation mit Schweissausbrüchen und Bauchschmerzen, die man gastroenterologisch breit abgeklärt hatte, ohne jedoch
relevante pathologische Befunde erheben zu
können.
Bei suggestiver Anamnese für ein Phäochromozytom wurden fünf Tage nach dem Infarkt im
Plasma um das 2,5fache erhöhte Metanephrinund um das 1,5fache erhöhte Normetanephrinwerte gemessen, im 24-Stunden-Urin liessen
sich um das Neunfache erhöhte Melanephrinwerte nachweisen, während der Normetanephrinspiegel nicht erhöht war. Ein MRI zeigte
einen 2,5 cm grossen Nebennierentumor, der
sich nach einer präoperativen Alphablockade
und einer anschliessenden laparoskopischen
Entfernung histologisch ebenfalls als Phäochromozytom bestätigte. Eine Kontrollechokardiographie einen Monat nach der Operation ergab
in diesem Fall eine unverändert gute EF bei
jedoch persistierender inferiorer Hypokinesie.
Kommentar
*
B
Abbildung 2
Nekrotisierendes Phäochromozytom.
A) HE-Färbung des nekrotisierenden Tumors (Pfeile)
neben dem normalen Nebennierengewebe
(Pfeilköpfe, Abdruck mit freundlicher Genehmigung
von Frau Dr. med. Rosemarie Weimann, Pathologie,
Inselspital Bern).
B) Intraoperative Aufnahme des Phäochromozytoms
(*, Abdruck mit freundlicher Genehmigung von
Herrn Prof. Dr. med. Daniel Candinas, Chefarzt der
Klinik und Poliklinik für Viszerale und Transplantationschirurgie, Inselspital Bern).
Phäochromozytome sind selten und werden
noch seltener diagnostiziert. Ihre jährliche Inzidenz beträgt 2/1000 000 Einwohner, und sie sind
in weniger als 0,1 bis 0,6% für eine Hypertonie
verantwortlich. Ungefähr 5% aller Nebenniereninzidentalome sind Phäochromozytome, 25%
davon werden zufällig durch bildgebende Verfahren bei der Abklärung von nicht mit einem
Phäochromozytom assoziierten Krankheiten gefunden.
Fortschritte in der Diagnosestellung sowie in der
genetischen Abklärung von Phäochromozytomen haben in den letzten Jahren dazu geführt,
von der traditionellen Zehnerregel (10% bilateral, 10% extraadrenal, 10% familiär, 10% maligne, 10% im Kindesalter vorkommend) abzukommen. Die Prävalenz bilateraler adrenaler
Tumoren ist in einigen familiären Phäochromo-
D E R B E S O N D E R E FA L L
zytomen wie der multiplen endokrinen Neoplasie Typ 2 oder dem von-Hippel-Lindau-Syndrom
höher als 10%. Die Prävalenz extraadrenaler
Tumoren beträgt ungefähr 20%, von den bis zu
25% hereditär sind. Beim adrenalen Phäochromozytom sind maligne Tumoren selten (bis zu
5%), die Prävalenz von malignen Phäochromozytomen beträgt bei extraadrenalen Tumoren
bereits bis zu 33% und ist noch höher bei Patienten mit familiären Paraganglionen mit dem
Nachweis spezifischer Mutationen in der Succinatdehydrogenase-B-Gen-Familie.
Alle Patienten, bei denen der Verdacht auf ein
Phäochromozytom besteht, sollten mittels Laboranalyse mit einem ausreichend sensitiven
Test abgeklärt werden. Die Bestimmung der Normetanephrin- und Metanephrinwerte im Plasma
bzw. im Urin sind die sensitivsten Testverfahren,
wobei die Sensitivität im Plasma am höchsten
ist (99 vs. 97% im Urin). Die Bestimmung der
Katecholamine im Serum bzw. im Urin hat eine
zu geringe Sensitivität [1].
Bei der bildgebenden Abklärung haben CT und
MRI eine ähnlich hohe Sensitivität von 90 bis
100%, die Spezifität ist bei beiden Untersuchungen relativ tief (70–80%), dies im Gegensatz zur
MIBG-Szintigraphie, die über eine Spezifität
von bis zu 100% verfügt und sich zum Nachweis
von multifokalen oder metastatischen Tumoren
eignet.
Phäochromozytome präsentieren sich mittels
einer relativ unspezifischen Klinik (sog. «six
H’s»: Hypertension, Headache, Hyperhidrosis,
Hypermobility of gut, Hyperglycemia, Hypermetabolism). Die kardiovaskulären Manifestationen
aufgrund der im Übermass produzierten Katecholamine sind vielfältig. Gut bekannt ist das
explosive klinische Syndrom der hypertensiven
Krise. Gefürchtet ist daneben auch die seltenere,
schwere Hypotonie bedingt durch den plötzlichen, starken Katecholaminabfall nach einer
Katecholaminspiegelspitze.
Weniger geläufig sind kardiale Nebenwirkungen
wie die unspezifischen EKG-Veränderungen:
Es lassen sich paroxysmale Repolarisationsstörungen mit Verlängerungen des QT-Intervalls,
T-Wellen-Negativierungen bis hin zum infarkttypischen ST-Hebungsbild beobachten, wobei
ersteres wie im von uns dokumentierten Fall 1
(siehe oben) den Anlass zu gefährlichen ventrikulären Arrhythmien geben kann [2], dies vor
allem bei einer plötzlichen Katecholaminausschüttung wie etwa bei einer Tumornekrose.
In unseren beiden Fällen waren diese Repolarisationsstörungen in Verbindung mit dem klassischen Angor und den positiven kardialen Biomarkern der Grund für die Diagnose eines
akuten Koronarsyndroms mit der Veranlassung
einer notfallmässigen Koronarangiographie.
Zum Vergleich: In einer Fallserie von 25 Phäochromozytompatienten wurden immerhin 20%
der Patienten einer akuten Koronarangiographie
Schweiz Med Forum 2007;7:593–596
595
zugeführt, alle mit unauffälligem Koronarbefund
ohne Arteriosklerose [3]. In der Literatur sind
die verschiedensten Spielarten von phäochromozytominduzierten Koronarsyndromen dokumentiert: von minimalen Repolarisationsstörungen bis zum Vollbild eines ST-Hebungs-Infarktes,
von unauffälligen Herzenzymbefunden bis zum
infarkttypischen Ablauf und von der Schmerzfreiheit bis zum heftigen Angor.
Es bleibt umstritten, was für die häufig festgestellte Wandbewegungsstörung verantwortlich
ist, die in Unkenntnis des Phäochromozytoms
meist als Myokardinfarkt beurteilt wird. Einerseits wird die direkte Myokardtoxizität des Noradrenalins angeführt. Andererseits bewirken exzessive Noradrenalinspiegel einen koronaren
Vasospasmus und Katecholamine generell eine
erhöhte myokardiale Sauerstoffbedürftigkeit [4].
Aufgrund der innerhalb weniger Tage normalisierten EF ohne Hyopkinesien ist in dem von uns
beschriebenen ersten Fall von einer myokardtoxischen Genese auszugehen, da bei einer transmuralen Ischämie eine längere Erholungszeit zu
beobachten wäre. Die fehlende Erholung im
zweiten Fall könnte für eine Myokardnekrose als
Folge eines langdauernden Koronarspasmus
sprechen.
Weitere kardiale Nebenwirkungen beinhalten die
Entstehung einer hypertensiven Kardiopathie,
die sich durch die andauernde Hypertonie erklärt. Die dilatative Kardiomyopathie ist eine
weitere mögliche Langzeitfolge bei einem unentdeckten Phäochromozytom und kommt wahrscheinlich im Rahmen einer chronischen Myokardschädigung unter hohen Noradrenalinkonzentrationen zustande.
Dass ein Phäochromozytom auch ohne eindrückliche Hypertonie bei einem akuten Koronarsyndrom vorliegen kann, zeigt der zweite Fall
eindrücklich (bis zu 13% der Patienten haben ein
Phäochromozytom ohne Hypertonie), dies erstaunlicherweise trotz hohen Katecholaminwerten [5]. Hierfür gibt es Erklärungsansätze wie die
Downregulation der alpha-1-adrenergen Rezeptoren [6] oder die gleichzeitig erhöhte Produktion
von Vasodilatatoren (Dopa, Prostaglandine).
Schlussfolgerungen
Zusammenfassend ist in der Differentialdiagnose des akuten Koronarsyndroms mit Wandbewegungsstörungen und unauffälligen Koronarien neben durch sympathomimetische Amine
verursachte Koronarspasmen, der Tako-TsuboKardiomyopathie, einer kardialen Emboliequelle
(offenes Foramen ovale, Valvulopathie, Vorhofthromben) mit Embolisation nach distal, einer
Vaskulitis, einer Gerinnungsstörung oder einer
viralen Myokarditis auch das Phäochromozytom
mit einzubeziehen [7]. Ein Screening in Form
einer Bestimmung der Normetanephrin- und
D E R B E S O N D E R E FA L L
Melanephrinwerte im Plasma und im 24-Stunden-Urin erscheint bei anamnestischen Hinweisen vor invasiven Weiterabklärungen mittels
transösophagealer Echokardiographie oder Myokardbiopsie sinnvoll.
Literatur
Korrespondenz:
Dr. med. Lorenz Räber
Klinik und Poliklinik
für Allgemeine Innere Medizin
Inselspital
Freiburgstrasse 14
CH-3010 Bern
[email protected]
1 Unger N, Pitt C, Lopez-Schmidt I, Walz MK, Schmid KW,
Thomas P, et al. Diagnostic value of various biochemical parameters for the diagnosis of pheochromocytoma in patients
with adrenal mass. Eur J Endocr. 2006;154:409–17.
2 Hass GJ, Tzagournis M, Boudoulas H. Pheochromocytoma:
catecholamine-mediated electrocardiographic changes mimicking ischemia. Am Heart J. 1988;116:1363–5.
3 Liao WB, Liu CF, Chiang CW, Kung CT, Lee CW. Cardiovascular manifestations of pheochromocytoma. Am J Emerg Med.
2000;18:622–5.
4 Simons M, Downing SE. Coronary vasoconstriction and catecholamine cardiomyopathy. Am Heart J. 1985;109:297–304.
Schweiz Med Forum 2007;7:593–596
596
Danksagung
Wir danken Herrn Dr. med. Ulrich Stoller, Chefarzt der Medizinischen Klinik, Spital Thun, für
die kritische Durchsicht und die wertvollen Anregungen.
5 Bravo EL, Tarazi RC, Fouad FM, Textor SC, Gifford RW, Vidt
DG. Blood pressure regulation in pheochromocytoma. Hypertension. 1982;4(Suppl II):193–9.
6 Tsujimototo G, Honda KI, Hoffman BB. Desensitization of
postjunctional alpha 1- and alpha 2-adrenergic receptor-mediated vasopressor responses in rat harboring pheochromocytoma. Circ Res. 1987;61:86–98.
7 Sharifi M, Frohlich TG, Silverman IM. Myocardial Infarction with Angiographically Normal Coronary Arteries. Chest
1995;107:36–40.
Herunterladen