Fluchtbewegungen an der deutsch-belgischen Grenze und in Innerbelgien vor dem Hintergrund der zeitgeschichtlichen Entwicklung 1914-19451 Herbert Ruland Das 1830 nach der Trennung von den nördlichen Niederlanden entstandene Königreich Belgien gab sich eine für die damalige Zeit hochmoderne – liberale – Verfassung. In den nachfolgenden Jahrzehnten nahm das Land oftmals politische Flüchtlinge aus den Nachbarstaaten auf: die preußische Regierung beobachtete vor und nach 1848 mit Argwohn das Treiben deutscher Demokraten in Belgien2. Im deutsch-französischen Krieg, nach der Schlacht bei Sedan, flohen ca. 3000 französische Soldaten über die nahe belgische Grenze und wurden dort interniert3. Nach der brutalen Zerschlagung der Pariser Kommune gingen zahlreiche ihrer Propagandisten und Militanten nach Belgien und agitierten die dortige Arbeiterbevölkerung in ihrem Sinn4.Die Zeit des Ausnahmegesetzes gegen die deutsche Sozialdemokratie 1878-1890 sah Belgien als Aufenthaltsland vieler engagierter Vertreter der deutschen Arbeiterbewegung. Während aber die Sozialdemokratische Partei ihre geheimen Aktivitäten in das Reichsgebiet vornehmlich aus der Schweiz organisierte, wurde Belgien logistischer Hauptplatz für die sozialrevolutionäre und anarchistische Propaganda und Tat nach Deutschland. Insbesondere im grenznahen Verviers, wo die Bevölkerung im letzten Quartal des 19. Jahrhunderts zu 25% aus deutschen Arbeitsemigranten bestand, hielten sich viele ihrer Führer, zunächst weitestgehend unbehelligt von der belgischen Gesetzgebung auf. I. „Es waren nicht die Nazis, es waren die Deutschen“ Die belgische Bevölkerung unter deutscher Besatzung 1914-1918 „Im Schlachtgetümmel des Weltkriegs“5 Die Gründe , die zum 1. Weltkrieg führten und der eigentliche militärische Verlauf, braucht uns hier nicht zu beschäftigen. Deutschland stand vor dem politisch 1 Als Grundlage für die nachfolgenden Ausführungen diente insbesondere: Ruland, Herbert: Belgien: Zeitgeschichte und Erinnerung an zwei Weltkriege in einem komplizierten Land. Beobachtungen aus der Randposition des deutschbelgischen Grenzraums, in: Bildungswerk der Humanistischen Union (Hrsg.): Gemeinsames Erinnern an den Nationalsozialismus? Gedenkorte und Geschichtsprojekte in den Niederlanden, Belgien und Nordrhein-Westfalen, Recklinghausen 2000, S.22-38 2 dies geht z.B. aus diversen Überwachungsakten im Bestand der Oberregierung der Rheinprovinz im Landeshauptarchiv in Koblenz hervor 3 vgl.: Lindner, Th.: Der Krieg gegen Frankreich und die Einigung Deutschlands. Zur 25jährigen Wiederkehr der Jubeltage von 1870/71, Berlin 1895, S. 71f 4 vgl.hierzu und für das Nachfolgende. Ruland, Herbert: Zum Segen für uns Alle. Obrigkeit, Arbeiterinnen und Arbeiter im deutsch-belgischen Grenzland (1871-1914), Eupen 2000, hier insbes. S.64-74 5 so der Titel eines Buches von Georg Gellert ‚ Berlin o.J. (ca. 1915).Es handelt sich hierbei um eine „Veröffentlichung der deutschen Gesellschaft zur Verbreitung guter Jugendschriften und Bücher“, deren Ehrenpräsident Reichskanzler Fürst von Bülow war. Die Darstellung der Kriegshandlungen 1914 ist in eine fiktive Rahmenhandlung eingebettet, die insbesondere Stimmung für das brutale deutsche Vorgehen in Belgien machen soll. So erleben Mitglieder der Familie Hellwig in Belgien, die allerschlimmsten Übergriffe eines entfesselten Mobs an wehrlosen deutschen Zivilisten und Soldaten. Das Propagandatraktat gipfelt in der Darstellung der Erschießung eines belgischen Adligen, der nichtsahnenden deutschen Soldaten nach dem Leben trachtet. Deutschen Großmut ist es schließlich zu verdanken, daß die vorgesehene Niederbrennung des Schlosses unterbleibt, dies um dem minderjährigen (jetzt: Waisen-)Töchterlein das Erbe zu erhalten! 1 selbstverschuldeten Dilemma eines Zweifrontenkriegs. Der Anfang des Jahrhunderts vom damaligen Generalstabschef von Schliefen erarbeitete Plan sah den schnellen entscheidenden Schlag gegen Frankreich aus dem Norden über das neutrale Belgien vor, um nach gewonnenem Blitzkrieg mit der geballten Heeresmacht gegen Russland loszuschlagen. Nachdem Luxemburg bereits in der Nacht vom 1. auf den 2. August von deutschen Truppen besetzt worden war, geschah der Einmarsch nach Belgien in den Morgenstunden des 4. Augusts. Die ersten Grenzverletzungen geschahen in Gemmenich, in der Nähe des Vierländerecks6 bei Aachen. Etwa 20 Berittenen folgte die Masse des 25. Aachener Infanterieregiments(Lützow). Belgisches Militär war erst an der Maas konzentriert, es blieb so den verdatterten belgischen Zöllnern nicht anderes übrig, als trotzig darauf hinzuweisen: „c’est la Belgique ici“7. Auch in Eupen, bei Malmedy und durch Luxemburg wurde der völkerrechtswidrige Einmarsch vorangetragen um möglichst bald nordfranzösisches Gebiet zu erreichen. Schon am gleichen Tag standen die deutschen Soldaten an der Maas bei Visé. „Pardon wird nicht gegeben“8 Trotz nur vereinzelter Feindberührungen kam es schon bald zu Übergriffen auf die Zivilbevölkerung, die in den nächsten vier Wochen mehr als 6000 völlig unschuldigen Menschen9 das Leben kosten sollten10 . Bereits am 6. August wurde in Gemmenich der Junggeselle Joseph Beuven erschossen, sein Haus dem Erdboden gleichgemacht. Die einmarschierenden deutschen Truppen fühlten sich durch das demonstrative Heraushängen der belgischen Fahne provoziert11! Am Garnstock, nur wenige Meter von der preußischen Grenze bei Eupen entfernt, drangen am Abend des 7. August Angehörige eines Hannoveraner Regiments in ein Kloster ein, aus dem man sie angeblich beschossen hatte. Hätte eine zufällig vorbeikommende Ordonanz aus dem nahen Eupen nicht die völlige Harmlosigkeit der Patres bescheinigt, so hätte sie auch ihre deutsche Staatsbürgerschaft nicht vor dem Erschießungstod gerettet 12. 6 am ‚Vierländereck‘ bei Aachen kamen die Niederlande, Belgien, Deutschland und das bis zum Inkrafttreten des Versailler Vertrags existierende Gebiet von Neutral-Moresnet zusammen; vgl. zu dessen Geschichte z.B.:Ruland, Herbert: Arbeiterbewegung im Gebiet von Neutral-Moresnet (Altenberg, Kelmis-La Calamine), in Ders., Zum Segen für uns Alle. Obrigkeit, Arbeiterinnen und Arbeiter im deutsch-belgischen Grenzland (1871-1914), Eupen 2000, hier insbes. S.225-238 u. 315-318 7 vgl. Vanneste, Alex: Kroniek van een dorp in oorlog. Neerpelt 1914-1918. Het dagelijks leven, de spionage en de elektische draadversperring aan de Belgisch-Nederlandse grens tijdens de Eerste Wereldoorlog, Deel 1: 1914-1915, Deurne 1998, S.14 8 Wilhelm II. in der berüchtigten ‚Hunnenrede‘ bei der Verabschiedung des deutschen Expeditionskorps nach China (sog. ‚Boxeraufstand‘) am 27.7.1900 9 vgl. Petri, Franz/ Schöller, Peter: Zur Bereinigung des Franktireurproblems vom August 1914, in: Vierteljahreshefte für Zeitgeschichte, Heft 9, 1961, S.234 10 die detaillierteste zeitgenössische Darstellung, die wohl alle Orte benennt, in denen im August/September 1914 Übergriffe an der Zivilbevölkerung stattgefunden haben: Cuvelier, Joseph: La Belgique et la guerre, Teil II: L’invasion Allemande. Préface de Henri Pirenne, recteur de l’université de Gand, Brüssel 1921; ausführliche – aber nicht alle vorkommenden Orte berücksichtigende - Listen während der Besatzungszeit 1914-1918 von deutschen Soldaten getöteten belgischen Zivilisten in: Lyr, René: Nos Héros. Morts pour la patrie. L’épopée Belge de 1914 a 1918.(Histoire et documentation). Tableau d´honneur des officiers, sous-officiers, soldats, marins et civils tombés pour la défence des foyers belges, hier erw. Ausgabe Brüssel 1930, quatrième partie, S.1-35 11 mündliche Auskunft von Frau Netty Drooghaag-Bütz an den Autor 12 vgl. Hermanns, Leo: Die Eucharistiner vom Garnstock, in: Geschichtliches Eupen, Eupen 27. Jg. 1994, S.61f ; bei dem unter Anm. 10 geschilderten Massaker kam auch ein preußischer Staatsbürger, der Schreiner Jean Dadt ums Leben, Frau und Tochter des ebenfalls erschossenen Landwirts Joseph Miessen, dessen Leichnam erst nach 14 Tagen in seinem völlig niedergebrannten Haus gefunden wurde, kamen schwer verletzt in das Eupener Krankenhaus, da sie ebenfalls preußische Staatsbürger waren, vgl. Ders.: Eupen im Ersten Weltkrieg, in: Geschichtliches Eupen, 33. Jg. 1999, hier S.59 2 In der Nacht vom 8.auf den 9. August wurden in Overoth und Baelen, nur zwei Kilometer von besagtem Kloster entfernt, 17 Zivilisten erschossen, darunter ein 13jähriges Mädchen, zwei Frauen von 24 und 62 Jahren und 13 Männer zwischen 30 und 68 Jahren13. Die wüsten Ausschreitungen einer entfesselten deutschen Soldateska gegenüber der Zivilbevölkerung, hielten den ganzen August und auch zu Beginn des Septembers an. Massenexekutionen von Zivilisten waren an der Tagesordnung: Dörfer und Städte wie Battice, Herve, Visé, Andenne, Tamines, Aerschot etc. wurden dem Erdboden gleichgemacht. Am bekanntesten sind die Vorkommnisse in Löwen: zwischen dem 25. und 28. August kamen dort nicht nur 209 Zivilpersonen zu Tode, sondern auch die weltberühmte Universitätsbibliothek wurde ein Raub der Flammen14 . Das schlimmste deutsche Kriegsverbrechen im ersten Weltkrieg in Belgien fand wohl in Dinant an der Maas, knapp vor der französischen Grenze, statt. Dort wurden in der letzten Augustwoche 1914 von ca. 6000 Einwohnern 671, darunter Säuglinge und Greise, von deutschen Soldaten ermordet und über etliche hundert in ein Lager bei Kassel verschleppt15. ‚Franktireurs‘ und Heckenschützen Warum nun dieses durch nichts zu rechtfertigende Vorgehen gegen die belgische Zivilbevölkerung insbesondere in den ersten Kriegswochen? Schon in den ersten Augusttagen – Lüttich war gerade erst erreicht – berichtete die zensierte deutsche Presse – über schlimmste Übergriffe von belgischen Zivilisten an deutschen Militärangehörigen: Soldaten, die zunächst bereitwillig Quartier gefunden hätten, sollen von hinterlistigen Belgiern in der Nacht ermordet und bestialisch verstümmelt worden sein. Die ganze Heimtücke der Belgier hätte sich aber insbesondere dahin offenbart, dass nicht uniformierte Personen aus Häusern und Hecken hinterrücks auf deutsche Soldaten geschossen hätten. Auch deutsche Geschäftsleute in den belgischen Großstädten und Urlauber in den Seebädern, wären von einem aufgebrachten Mob tätlich angegriffen und teilweise auch ermordet worden16. Tatsächlich kam der deutsche Vormarsch in den ersten Augusttagen in Belgien nicht s o voran, wie es ein erfolgreiches Gelingen des Schliefenplans eigentlich vorsah. Das belgische Heer stellte sich zwar nicht zur offenen Feldschlacht, aber mit kleinen und schnellen mobilen Einheiten – oft mit Fahrrädern ausgerüstet – gelang es den Verteidigern, dem deutschen Heer durchaus erfolgreich schmerzhafte Nadelstiche zu verpassen und den Vormarsch erheblich zu verzögern. Solcherlei Angriffe geschahen oft in der Nacht und bei Dämmerung: der Feind war daher für die deutschen Soldaten meist nicht sichtbar. Auch kam es vor, dass vorrückende 13 vgl. Massenaux, Guillaume: Baelen- sur – Vesdre. Village aux marches de la Francité. Témoignages de son évolution au cours du dernier siècle. L’expansion de la langue francaise, suite aux deux guerres, Baelen 1981, S.55-59 14 vgl. zu den Vorgängen in Löwen: Schivelbusch, Wolfgang: Die Bibliothek von Löwen. Eine Episode aus der Zeit der Weltkriege, München, Wien 1988 15 vgl. u.a. bei Dietrich: Die Belgier, a.a.O., S.258-261; Donat, Helmut : Wer sich uns in den Weg stellt... – Aus einem dunklen Kapitel deutscher Geschichte: der Überfall auf Belgien im August 1914, in: Donat, Helmut/ Strohmeyer, Arn (Hrsg.): Befreiung von der Wehrmacht? Dokumentation der Auseinandersetzung um die Ausstellung Vernichtungskrieg – Verbrechen der Wehrmacht 1941 bis 1944‘ in Bremen 1996/97, Bremen 1997, S.93 16 solche Berichte finden sich in den ersten Augustwochen 1914 in allen deutschen Tageszeitungen, wobei es sich fast ausschließlich um zensierte Meldungen der halboffiziellen Nachrichtenbüros WTB handelt und deshalb sind zunächst in fast allen Zeitungen die gleichen Kommuniques wiedergegeben. Erst mit einer Lockerung der Zensur und der Zulassung von Kriegsberichterstattern Ende August, wird die Berichterstattung vielfältiger, aber darum noch lange nicht wahrheitsgetreuer. In der Eupener Lokalpresse, die hier untersucht wurde, finden sich dann insbesondere Horrorberichte angeblicher Eupener (N.N.) , die den Kriegsausbruch in Belgien erlebt hätten. Auch über die Zerstörung von grenznahen Ortschaften und Massakern an der Zivilbevölkerung wird berichtet, wobei nach Ansicht der Verfasser, die Betroffenen diese Maßnahmen einzig und allein ihrem heimtückischen Verhalten gegenüber den deutschen Soldaten zuzuschreiben hatten 3 deutsche Einheiten sich bei schlechten Sichtverhältnissen und Unkenntnis des Geländes gegenseitig beschossen. Tatsächlich gab es bei den einrückenden Soldaten eine weit verbreitete Angst vor Partisanenüberfällen, die durch die obigen Presseberichte noch verstärkt wurden. Vielleicht stellten sich einzelne Soldaten aus einem gewissen Unrechtsbewusstsein heraus auch vor, dass Bürger eines kleinen überfallenen neutralen Lands mit der Wut der Verzweiflung einen übermächtigen Aggressor attackieren könnten. Der in Deutschland als Volksheld verehrte Andreas Hofer hatte ja 1809 in Tirol gegen die Franzosen schließlich nichts Anderes getan! Und auch im deutsch-französischen Krieg 1870/71 hat es nach der Niederlage Napoleons und der Organisierung des Heeres der Republik Einheiten gegeben, die hinter den deutschen Linien, oft in Zivilkleidung oder kaum als Krieg führend zu erkennen, einen partisanenähnlichen Kleinkrieg führten und als ‚Franktireurs‘17 bezeichnet wurden. War der Gegner, der vermeintlich geschossen hatte, nicht sichtbar, so wurden 1914 in Belgien Zivilisten verantwortlich gemacht. Oft wurden auch Schüsse gehört, die tatsächlich nie abgefeuert wurden, so aus dem Kloster am Garnstock bei Eupen18. Auslöser für das oben erwähnte Massaker in Overoth/Baelen soll eine umgestürzte Leiter gewesen sein, die mit lautem Knall zu Boden gegangen war19! Teilweise wurden solche Massaker von der deutschen Militärführung in brutalster Art und Weise durchgeführt um die Bevölkerung einzuschüchtern und sie von jeder oppositionellen Haltung gegenüber den Soldaten abzuhalten. Nahezu jeder Mann wurde für die Durchführung des Angriffsplans gebraucht, Besatzungen konnten nur schwach vor Ort bleiben! Daher kam es auch oft zu Ausschreitungen in in Orten, die bereits Etappe waren, etwa in Visé. Die Stadt war bereits am ersten Kriegstag erobert wurde, wurde aber erst am 15. August in Brand geschossen20! Auch bei der deutschen Grenzbevölkerung zeigte die Franktireurspropaganda Wirkung: in Eupen verbreitete sich am 18. August 1914 wie ein Lauffeuer das Gerücht, im nahen belgischen Hertogenwald hätten sich 5000 (! H.R.) belgische Freischärler versammelt um die vom deutschen Militär fast gänzlich verlassene Stadt anzugreifen21. In einem Klima um sich greifender Panik22, die auch den Stadtkommandanten erfasste, wurden unverzüglich Soldaten aus Aachen und vom nahen Grenzbahnhof Herbesthal nach Eupen verlegt. In der darauf folgenden Nacht fiel dann auch noch die Gasbeleuchtung aus, gegen Mitternacht wurde Alarm gegeben, aber keiner der (nicht existierenden) Franktireurs lies sich blicken! Die Angstpsychose der Eupener Bevölkerung scheint begreiflich: sie hatte hautnah, teilweise durch eigenes Beobachten, teilweise durch Schilderungen, erfahren, was sich in allernächster Nachbarschaft abgespielt hatte. Auch die Hetzkampagne der deutschen Presse hatte wohl ihr Übriges getan, vielleicht gab er sogar ein gewisses Unrechtsbewusstsein,dass die Angst vor Vergeltung noch zusätzlich steigerte! 17 z. B. Lindner, Th.: Der Krieg, a.a.O., insbes. S.102f Hermanns: Erster Weltkrieg, a.a.O., 19 ebd., 20 vgl. hierzu z.B.: Cuvelier: L’invasion Allemande, a.a.O., S.82-86 21 vgl.: Kreuer, Hubert: Eupen beim Einzug der Deutschen nach Belgien, in: Vom Krieg und von Daheim, Sonderbeilage der Eupener Nachrichten, Nr.5 v. 24.12.1914, S.33f, teilw. abgedr., bei Hermanns, Leo: Eupen im Ersten Weltkrieg, a.a.O., S.61-63 22 „‘Die Belgier sinnen auf Rache!‘ hieß es ‚sie organisieren Franktireurbanden, die nur auf den geeigneten Zeitpunkt warten, da sie über uns herfallen können“, so munkelte man./.../ Und die Aengstlichen der Einwohner harrten und bangten. Was soll aus uns werden? Von Franktireurs überfallen werden – schrecklich! Verstümmelt, geschändet, gemordet, die Häuser in Brand gesteckt! O Gott, wie soll das enden! Und unsere armen Kinder!. In einzelnen Familien wird fieberhaft gepackt, um möglichst schnell fliehen zu können...“, Kreuer, ebd., S.33 18 4 Die Übergriffe an der Zivilbevölkerung in Belgien führten nicht nur zu wütenden Protesten der gegen Deutschland Krieg führenden Nationen, sondern lösten auch einen Strom der Entrüstung in den neutralen Ländern, vor allem auch in den USA aus. Deutschland wurde das Recht abgesprochen, sich weiter als Kulturnation zu betrachten und wichtige Hilfskomitees zur Versorgung der belgischen Zivilbevölkerung - etwa die ‚Commission for Relief in Belgium‘ unter Herbert C. Hoover, dem späteren US-Präsidenten, - wurden gegründet. In die Defensive vor der Weltöffentlichkeit gedrängt, versuchte die deutsche Reichsregierung 1915 in einem Weißbuch vornehmlich mit Zeugenaussagen deutscher Soldaten ihre These vom Franktireurkrieg am Beispiel der Vorkommnisse von Löwen, Dinant, Tamines und Aarschot zu belegen. Auch in der Weimarer Republik und gerade in der NS-Zeit wurde an dieser Vorstellung festgehalten: ein Eingeständnis deutscher Schuld hätte nach offizieller Ansicht einer gewünschten Revision des Versailler Vertrages zusätzlich im Weg gestanden23. Erst 1956 kam eine aus bekannten belgischen und deutschen Hochschullehrern gebildete Kommission zu dem Ergebnis, daß das deutsche Weisbuch und somit auch die auf ihm basierenden offiziösen deutschen Werke der Zwischenkriegszeit als erst zu nehmende Quelle auszuscheiden hätte, „weil es in seinen Grundthesen unhaltbar und in zahlreichen der in ihm zusammengestellten Zeugenaussagen nachweislich anfechtbar sowie planmäßig verfälscht worden ist“24. Andererseits boten die deutschen Gräueltaten den Alliierten 1914/15 billige Argumentationsvorlagen für eine Propagandaattacken gegen den Feind: z.B. dienten während und nach dem Krieg in Massenauflagen erschienene preiswerte Broschüren weniger der Aufklärung als vielmehr der Belebung von Hassgefühlen auf den Gegner25. Am 5. Dezember 1914 brachte die großformatige französische Wochenzeitschrift ‚L‘ Illustration‘ in der Heftmitte über eine Doppelseite eine Karikatur von F.M. Roganeau: sie zeigt eine völlig verwüstete, teilweise noch brennende belgische Stadt mit einem Leichenberg in der Mitte, darüber einen mit der belgischen Fahne behängten Racheengel und trägt die Unterschrift „L’Holocauste“26! Weitere Unterdrückung der Zivilbevölkerung und Massenflucht Die brutalen Übergriffe deutschen Soldaten gegenüber der Zivilbevölkerung führten vom ersten Kriegstag an zur Massenflucht in die benachbarten Niederlande. Nach dem Fall von Antwerpen im Oktober 1914, zählte man zeitweise eine Million Belgier in den Niederlanden. Die am 25. August 1914 eingesetzte Generalgouvernementsverwaltung in Brüssel versuchte mit allen Mitteln das illegale Überschreiten der Grenze zu verhindern. Landsturm bewachte scharf die Grenze. Es waren eben nicht nur alte und gebrechliche Leute, die in die Niederlande gingen um dort interniert zu werden, sondern auch viele junge Männer, die weiter an die Front nach Flandern wollten. Auch für Spione, berufsmäßige Schmuggler, Kriegsgefangene und deutsche Deserteure, waren die neutralen Niederlande ein lohnendes Ziel. Bereits 1914 war auf deutscher Seite an einem Abschnitt der Schweizer Grenze ein elektrischer Zaun installiert worden mit der Absicht junge Elsässer, denen deutscher 23 vgl. hierzu: Wieland, Lothar: Belgien 1914. Die Frage des belgischen ‚Franktireurkrieges‘ und die deutsche öffentliche Meinung von 1914 bis 1936, FFM,Bern,New York 1984 24 hier zit. nach Donat: Wer sich uns.., a.a.O., S.100 25 vgl. z.B.: D’Ars, C.M.L.: La Fureur Boche a Namur, Antwerpen, o.J.; Ders.: Les Journées Sanglantes d’août 1914 dans le Luxembourg, Antwerpen, o.J.; Prouvaire, Jean: Sac et massacres de Louvain, Antwerpen o.J. 26 I’lllustration, Journal Universel, 72. Jg. 1914, Nr. 3744 v. 5.12., S.432f 5 Patriotismus gänzlich Abging, von einer Flucht in das Nachbarland abzuhalten. Zu Beginn des Jahres 1915 beschloss die Generalgouvernementsverwaltung in Belgien eine ähnliche Sperre an der Grenze zu den Niederlanden zu errichten27. Baubeginn war im April 1915 , am 23. August wurden die ersten 18 Kilometer von Aachen aus Richtung Maas in Betrieb genommen, wenige Wochen später war die ganze Anlage in Betrieb. Vorsichtigen Schätzungen nach, hat der Todesdraht, dessen Spannung zwischen 500 und 2000 Volt variiert werden konnte, mindestens 3000 Menschen das Leben gekostet – die lebendig aufgegriffenen Grenzverletzer, die dann später andernorts hingerichtet wurden – nicht mitgerechnet28! Für die Grenzgemeinde Gemmenich sind für die Zeit vom Januar 1916 bis zum September 1918 18 Tote nachgewiesen, darunter 16 russische Kriegsgefangene29, die unter erbärmlichsten Umständen beim Bau der strategisch ungemein wichtigen Eisenbahnlinie von Aachen über Gemmenich, Visé nach Tongeren eingesetzt waren30. Auch in den nachfolgenden Jahren war das Besatzungsregime für die Zivilbevölkerung äußerst hart31. Bereits im Herbst 1914 wurde dem Land – völkerrechtswidrig – eine Kontribution von 40 Millionen Franken auferlegt, erhöht im November 1916 auf 50 und im Mai 1917 schließlich auf 60 Millionen32. Nachdem es den deutschen Behörden nicht gelungen war, nennenswert freiwillige Arbeitskräfte aus Belgien nach Deutschland zu vermitteln, wurde ab Oktober 1916 zur Zwangseinberufung von Arbeitskräften übergegangen33. Oft in ungeheizten Viehwaggons wurden bis Februar 1917 ca. 60.000 Belgier nach Deutschland verfrachtet. Dort kamen sie in sog. ‚Verteilungsstellen‘, die Kriegs- oder Zivilgefangenenlagern angegliedert waren, wobei die verantwortlichen Stellen großen Wert darauf legten, dass diese Lager in der Öffentlichkeit nicht als Konzentrationslager bezeichnet wurden34. In Belgien führten diese Maßnahmen zu einer weiteren Steigerung der Wut der Bevölkerung und der mutige Primas von Belgien 27 obwohl die Errichtung des elektrischen Zauns an der belgisch-niederländischen Grenze, einen weiteren wesentlichen Einschnitt in das Leben der Menschen im besetzten Land und wohl mehreren tausend Personen den Tod brachte, ist die Erinnerung hieran fast gänzlich erloschen. Auch in der belgischen Fachliteratur in der Zwischenkriegszeit,die ja versuchte ein möglichst dramatisches Bild der Besatzungszeit zu zeichnen, tauchte der Zaun seltsamerweise zumeist nur am Rand oder in Fußnoten auf. In deutschen Veröffentlichungen aus dieser Zeit wird der Zaun, wenn überhaupt, zumeist als Ort spannender Auseinandersetzungen zwischen alliierter Spionage und deutscher Gegenspionage dargestellt, vgl. z.Bsp.: Binder, Heinrich: Spionagezentrale Brüssel. Der Kampf der deutschen Armee mit der belgisch-englischen Spionage und der Meisterspionin Gabriele Petit, Hamburg, Berlin, Leipzig, 1929; Vanneste: Een Dorp, a.a.O., Teil I und II: Seite 287-292 im 1. Teil enthält das Faksimile einer Orginalkarte, die den Verlauf der Anlage von Aachen bis an die Schelde zeigt; Herzog, Martin/ Rösseler, Marko: Der große Zaun. Ein bizarres Kapitel aus der Terrorgeschichte des deutschen Militärs im Ersten Weltkrieg, in: Die Zeit, 16.4.1998, S.82. .Mit den Auswirkungen dieser Grenzsperre auf das Leben der damaligen Bewohner der Euregio Maas-Rhein, wird sich der Autor dieses Textes an anderer Stalle ausführlich beschäftigen, vgl. auch Ruland, Die tödliche Elektrofalle. Der 2000 –Volt-Zaun zwischen Belgien und Holland fing in Aachen an, in : Aachener Nachrichten, 10.8.1999, S.Euregio 28 Vanneste zit. n. Herzog/ Rösseler, ebd., 29 vgl. Emunds, Paul: Rauchfahnen, Streikfahnen, Staubfahnen auf Rothe Erde über Eilendorf, Forst und Nirm, Beiträge zur Wirtschafts- und Sozialgeschichte einer Arbeiterwohngemeinde, Schriftenreihe Band 2, Aachen 1989, S.145-147 30 die eigentliche Verbindung von Deutschland nach Antwerpen mit Abzweigen nach Südbelgien und Nordfrankreich, ging durch Niederländisch-Limburg und stand wegen der Neutralität dieses Landes Deutschland im 1. Weltkrieg nicht zur Verfügung. Beim Bau der Ersatzlinie sollen etwa 1000 Russen eingesetzt gewesen sein, vgl. Bovy, Armand: La Ligne 24. Tongres-Visé-Gemmenich, o.O., 1998, S.65-67,144 u.180; nicht zuletzt durch Ausschachtungsarbeiten auf einem ehemaligen russischen Lagerplatz in der Gemeinde Moresnet, erhärtet sich immer mehr der Verdacht, daß hier auch zur Zwangsarbeit verpflichtete Russinen eingesetzt waren, der Autor wird dem nachgehen 31 zum Alltagsleben der Bevölkerung während der Besatzungszeit immer noch informativ: Rency, Georges: La vie matérielle de la Belgique durant la guerre mondiale. La Belgique et la guerre, Bd.1, Brüssel 1920 32 vgl. hierzu und für das Nachfolgende zusammenfassend auch bei Dietrich, a.a.O., S.262 33 vgl. hier insbes. Thiel, Jens: Belgische Zwangsarbeiter in Deutschland im Ersten Weltkrieg, Magisterarbeit (unveröffentlicht), Humbold-Universität, Berlin 1997 34 so hieß es in einer diesbezüglichen Mitteilung des preußischen Kriegsministeriums vom Oktober 1916:“ Eigentliche Konzentrationslager für zwangsweise abgeführte belgische Arbeiter sollen nicht errichtet, auch der Ausdruck ‚Lager‘ vermieden werden und statt dessen von Unterkunftsstätten für Industriearbeiter gesprochen werden“, ebd., S.106 6 Kardinal Mercier35, unterließ es auch in dieser Angelegenheit nicht, der Besatzungsmacht klar und deutlich seine Meinung zu sagen. Die scharfen Proteste insbesondere aus dem neutralen Ausland, führten schließlich dazu, dass die Deportationen aus dem Generalgouvernement im Februar 1917, aber nicht aus dem von der Heeresleitung direkt kontrollierten Etappengebiet Ost-Flandern und dem Frontgebiet Westflandern eingestellt wurden. Eine wohlwollende Förderung Seitens der Besatzungsmacht genossen flämische Kreise, die sich für eine Loslösung von Belgien aussprachen. Diese Kollaborateure waren deutscherseits als Bündnispartner bei einer politischen Nachkriegslösung vorgesehen. II. Zwischen Zwei Kriegen: Nationalhelden und Patriotismus 1918 - 1940: Am 28. August 1919 wurde Netty Bütz nur wenige hundert Meter vom ehemaligen Vierländereck, das sich nunmehr auf ein Dreiländereck reduziert hatte, in Gemmenich geboren36. Bald kannte das aufgeweckte junge Mädchen jeden Baum und Strauch auf der belgischen und niederländischen Seite der Grenze – deutschen Boden betraten die Kinder nie, dort war es ihnen unheimlich. Noch vor ihrer Schulzeit bekam Netty aus Erzählungen von Erwachsenen mit, was sich in Gemmenich vor nur wenigen Jahren ereignet hatte. Sie hörte von der Erschießung Joseph Beuvens durch deutsche Soldaten, von der Panik in ihren Dorf im August 1914 und davon, dass schließlich fast die gesamte Einwohnerschaft in die nahen Niederlande geflohen war. Auch vom ‚elektrischen Draht‘, der nahe am Dorf vorbeilief, vielen den Tod, andere junge Männer aber auch nach Flandern an die Front brachte, hörte sie. In anderen Erzählungen wurde das Schicksal der russischen Kriegsgefangenen thematisiert, die im Nachbardorf unter unwürdigsten Bedingungen dahinvegetiert hatten und für die Besatzer das größte Eisenbahnviadukt Belgiens bauen mußten und in den Häusern sah sie die Fotos der völlig zerstörten flämischen Städte. Aber ganz besonders beeindruckt hat Netty die Geschichte von Gabrielle Petit der „L’Heroine Nationale“37: jener jugendlichen Meisterspionin aus Tournai, die in Leutnantsuniform bei deutschen Stäben und Einheiten unentdeckt verkehrte, mehr als zwanzigmal den Elektrozaun überwand und ihre Erkenntnisse auch nach England brachte. Von der deutschen Gegenspionage am 20. Januar 1916 in Brüssel verhaftet, am 3. März zum Tode verurteilt, wurde sie am 1. April 1916 gerade 23jährig auf den Nationalen Schießplatz exekutiert. Netty beschloss einmal zu werden wie Gabrielle Petit38! 35 zur Rolle des Primas von Belgien im 1. Weltkrieg, vgl. Meseburg-Haubold, Ilse: Der Widerstand Kardinal Merciers gegen die deutsche Besetzung Belgiens 1914-1918. Ein Beitrag zur politischen Rolle des Katholizismus im 1. Weltkrieg, FFM, Bern 1982 36 vgl. Ruland, Herbert: Netty Drooghaag aus Gemmenich. ‚Sie gehen in das Konzentrationslager Ravensbrück für Frauen‘, in: Ruland u.A.: Zwischen Hammer und Amboß. Eupen, Malmedy, St. Vith und die ‚zehn Gemeinden‘ von 1939-1945, Eupen 1996, S.104-116 37 vgl. Du Jardin, A.: Gabrielle Petit: L´heroine nationale, Antwerpen o.J.; Binder, Heinrich: Spionazentrale Brüssel. Der Kampf der deutschen Armee mit der belgisch-englischen Spionage und der Meisterspionin Gabrielle Petit, Hamburg, Berlin, Leipzig 1929, S. 43-85 38 tatsächlich diente die Verehrung von Gabrielle Petit, wie überhaupt das Gedenken an den ‚Großen Krieg‘ in Belgien in der Zwischenkriegszeit nicht zuletzt dazu, bei jungen Menschen Vaterlandsliebe und Patriotismus – was hier vor 1914 kaum Tradition hatte - zu erzeugen. Schon die Umbettung der sterblichen Überreste von G. Petit in die Kirche von Schaarbeck am 29. Mai 1919 wurde zu einem nationalen Ereignis, an der Mitglieder der belgischen und englischen Königsfamilie, Abordnungen aller belgischen Regimenter, sowie über 3000 (!,) ehemalige politische Gefangene teilnahmen. Der belgische Ministerpräsident Delacroix schloß seine Ansprache mit dem Ausruf.“Belgische Frauen! Von dieser Stunde an ist Gabrielle Petit Eure Nationalheldin!“, zit. n. Binder: ebd., S.9. Kardinal Mercier, entschiedener Gegner und Kritiker der deutschen Besatzungspolitik:“Schreibt ihren Namen in alle Bücher! Schreibt ihn in euer Herz! 7 Am 10. April 1923 wurde Francois Wolgarten geboren39. Sein Vater kam aus Welkenraedt, dem Ort wo sich bis 1918 der belgische Grenzbahnhof gegenüber Preußen befand. Sein Vater hatte 1916 über die Niederlande und Großbritannien die Front in Flandern erreicht. Er hatte nördlich von Aachen, von deutschem Staatsgebiet aus, die Niederlande betreten, denn dort markierte nur ein einfacher Stacheldraht die Grenze zwischen den beiden Ländern. Ein jüngerer Bruder des Vaters hatte eine Woche später ebenfalls versucht zu fliehen: er starb im Elektrozaun. Die Familie hatte in der Zwischenkriegszeit verwandtschaftliche Beziehungen in den Aachener Raum. Durch Besuche im Reich erkannte der aufgeweckte Junge frühzeitig das verbrecherische System des Nazismus; der Onkel, der sich mit den braunen Machthabern anlegte, landete in einem Konzentrationslager. Auch im elterlichen Haus waren Nazi-Gegner zu Besuch. Im ‚guten Zimmer‘ wurden 1938/39 auch Flüchtlinge aus Deutschland untergebracht. Durch die Erzählungen über die Schrecken des Kriegs im Verwandten- und Bekanntenkreis, durch die herausragende Behandlung des Themas in der Schule, entwickelte sich bei vielen belgischen Jugendlichen in der Zwischenkriegszeit ein mehr oder weniger stark ausgeprägter Patriotismus, der teilweise dann nach 1940 Wirkung zeigte. Dazu trug auch die Wahrnehmung der zahlreichen Denkmäler bei, die nicht nur an die toten Soldaten, sondern auch in vielen Dörfern und Städten an die ermordeten Zivilpersonen bis heute erinnern. Weniger verbreitet als im französischsprachigen Landesteil, war dieser Patriotismus aber in Flandern: dort ging zusehends die Saat auf, die die Deutschen im Ersten Weltkrieg mit der Förderung von Nationalismus und Seperatismus gelegt hatten. Bei vielen Einwohnern des Gebiets von Eupen-Malmedy stieß der Versuch weitestgehender Belgisierung auf strikte Ablehnung, dies empfanden viele Menschen als eine Art Vergewaltigung, in ihrem Sinnen und Trachten fühlten sie sich weiterhin Deutschland eng verbunden. Bewusste Peinlichkeiten förderten eine solche Haltung noch. In der Gemeinde Raeren etwa wurde ein Denkmal für die Gefallen errichtet, dass einen um seine Kameraden trauernden Krieger – bis heute – in belgischer Uniform zeigt - dies obwohl die Raerener als preußische Staatsbürger in Feldgrau im 1. Weltkrieg ihr Leben ließen! Fluchtbewegungen über die belgisch-deutsche Grenze 1933-194040 Erste organisierte Fluchtbewegungen nach Belgien waren bereits kurz nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten in Deutschland im Frühjahr/Sommer 1933 zu verzeichnen. Hier waren vor allem Leute betroffen, die als Anhänger der Linksparteien in Deutschland verfolgt wurden. Im Raum Aachen/Eupen wurden in dieser Zeit insbesondere Sozialdemokraten über die Grenze gebracht. Erleichtert wurde diese Arbeit durch die persönlichen und familiären Kontakte, die der Begründer und Leiter der Meißelt ihn ein auf den Giebeln der Schulen! Das heldenhafte Leben unserer unvergeßlichen Gabriele Petit lehrt uns gut sterben und ihr heldenhafter Tod lehrt uns gut leben“, zit. n. ebd., S.85 39 vgl. hierzu, Ruland, Herbert: Francois (Rik) Wolgarten: Ein belgischer Patriot aus Welkenraedt, der nicht Deutscher werden wollte, in Ruland u.A.: Zwischen Hammer und Amboß, a.a.O., S. 117-139 40 vgl. für das Nachfolgende: Ruland: Faschistische Bewegungen, in Ders.: Kolloquiumsbericht, a.a.O., S.37-41; ausf.:Arntz, Hans-Dieter: Judenverfolgung und Fluchthilfe im deutsch-belgischen Grenzgebiet. Kreisgebiet Schleiden, Euskirchen, Monschau, Aachen und Eupen/Malmedy, Euskirchen 1990; Ginzel, Günther Bernd (Hrsg.) zusammen mit Hans Joachim Henke, Stefan Kirschgens und Winfried Krantz: „Das durfte Keiner wissen!“. Hilfe für Verfolgte im Rheinland von 1933-1945, Gespräche, Dokumente, Texte, Köln 1995; Kirschgens, Stefan. Wege durch das Niemandsland, Dokumentation und Analyse der Hilfe für Flüchtlinge im deutsch-belgisch-niederländischen Genzland in den Jahren 1933-1945, Köln 1998 8 Eupener Sozialisten Karl Weiss auf der anderen Seite der Grenze hatte. Bei der Rückkehr brachten dann die Begleiter der Flüchtlinge, illegales, in Belgien gedrucktes sozialdemokratisches Propagandamaterial – etwa die ‚Sozialistische Aktion‘ - mit über die Grenze in das Reich. Die illegale jüdische Einwanderung nach Belgien nahm mit der sich verschärfenden Repression gegen Angehörige dieser Volksgruppe in Deutschland im Lauf der Jahre bis zum Krieg ständig zu. Einen ersten Höhepunkt erreichte die Fluchtbewegung nicht erst nach der Pogromnacht, sondern bereits nach dem sog. ‚Anschluss‘ Österreichs i m März 1938: das Vorgehen der Nazis gerade gegen die Juden in Wien nahm schon vieles von dem voraus, was wenige Monate später im gesamten Reichsgebiet geschehen sollte41. In der Eifel waren es damals vielfach Arbeiter, die beim Westwallbau beschäftigt waren, die Juden in Tankwagen versteckten und bis zum Grenzgraben brachten. Dort wurden diese von Belgiern – oft professionellen Schmuggeln - übernommen und weitergeführt. Wichtig war es, durch die erste Grenzzone zu kommen, denn wer innerhalb von 5 oder 10 Km aufgegriffen wurde, wurde von der belgischen Gendarmerie zumeist ohne Pardon an die deutschen Behörden zurück überstellt: ein bewusstes Entgegenkommen der belgischen Seite gegenüber dem übermächtigen Nachbarn im Osten. Nach Überwinden der Grenzzone, etwa in Spa - Malmedy, konnten diese Personen dagegen nicht mehr ohne weiteres zurückgeschickt werden. Fluchthilfe geschah sowohl aus christlicher oder humanistischer Überzeugung als auch zum reinen Geldverdienst. Flüchtlinge wurden teilweise nahezu wörtlich bis auf die Hemden ausgeplündert, Summen von tausend Mark pro Person scheinen keine Seltenheit gewesen zu sein. Nur wenige Flüchtlinge zogen es übrigens vor, i m neubelgischen Gebiet von Eupen - Malmedy zu bleiben. Dies obwohl natürlich von der Sprache her die Verständigung einfacher gewesen wäre. Aber ein vielfach beklagtes antisemitisches Klima, ließ ein längeres Verweilen hier nicht angeraten erscheinen. Viele Flüchtlinge gaben damals an, auch nicht in Belgien bleiben zu wollen, sondern möglich schnell irgendwie nach Übersee zu gelangen. Nach der so genannten Reichskristallnacht wurden die Zustände an der Grenze natürlich katastrophal. Es gab Menschen , die offiziell das Dritte Reich nach Genehmigung durch die deutsche Behörden und natürlich unter Zurücklassen ihres gesamten Vermögens verlassen durften. Viele jüdische Menschen versuchten , auf ihrer Flucht illegal Geld und Schmuck über die deutsche Grenze ins Ausland zu bringen, u m sich zumindest einen neuen bescheidenen Anfang leisten zu können. Gerade in Zugabteilen versteckt, gelang es den deutschen Nazischergen , nicht unerhebliche Mengen an Bargeld und Vermögenswerten zu entdecken die dann zu Gunsten des Dritten Reiches eingezogen wurden: Unglaubliche Szenen spielten sich ab, wie auch das Eupener 'Grenz-Echo' zu berichten wusste: Deutsche Zollbeamte entdeckten im Straßengraben versteckte Juden, die dann festgenommen wurden. Menschen, die beim heimlichen Grenzübertritt ergriffen wurden, versuchten es wieder und wurden wiederum abgeschoben. Um nicht noch mal den Nazibehörden übergeben zu werden, nahmen sogar Flüchtlinge Verbrechen auf sich, die sie angeblich in Belgien begangen hatten, um dort bleiben zu können. Im November 1938 griff die Gendarmerie in Raeren fünf jüdische Bürger aus Deutschland auf, die keinerlei Barmittel bei sich hatten und die man seitens der Deutschen einfach über die Grenze abgeschoben hatte; auch sie wurden zurück41 vgl. hierzu z. b. die entsprechenden Aufsätze und Fotodokumente in: Historisches Museum der Stadt Wien (Hrsg.), 110. Sonderausstellung: Wien 1938, Wien 1988 9 geschickt. Es schien sogar System dahinter zu stecken, dass die deutschen Behörden absolut mittellose Juden zur Grenze führten und sie dort ihrem Schicksal überließen. Wie Stückgut wurden sie dann hin und her geschoben. Ebenfalls Ende November fand eine Gendarmeriestreife einen 27-jährigen jüdischen Flüchtling in völlig erschöpftem Zustand mit eiternder Kopfwunde im Straßengraben bei Raeren liegen. Er hatte bereits einen Selbstmordversuch unternommen, um seinem schrecklichen Leiden ein Ende zu machen. So ging das Woche für Woche weiter: kurz vor Sylvester 1938 wurden alleine in einer Nacht bei Elsenborn in der Eifel 35 Juden beim illegalen Grenzübertritt von der Gendarmerie erwischt und wieder zurückgeschickt. Ein weiteres trauriges Kapitel ist das Schicksal jüdischer Kinder, die ohne ihre Eltern über die Grenze geschoben wurden. Zwar hatte Belgien bereits Mitte November 1938 versprochen, jüdische Kinder aufzunehmen, aber noch im Januar 1939 wurden fünf jüdische Kinder, die mit einem Zug aus Aachen auf dem Bahnhof in Herbesthal angekommen waren, nach einer Speisung entsprechend den von oben ergangenen Weisungen wieder über die Grenze zurückgeschickt. Begründung für diesen Akt seitens der belgischen Regierung war die Vermutung, dass man die Kinder nur verschickte, damit die Eltern nachkommen konnten. Schließlich gestattete dann der Justizminister die Einreise von 200 jüdischen Kindern. III. Unter dem Hakenkreuz: Belgien im 2. Weltkrieg Der 10. Mai 1940 im Grenzland In den Morgenstunden des 10. Mai 1940 begann der deutsche Westfeldzug und die Wehrmacht marschierte auch in Belgien ein42. Zu den einrückenden Soldaten gehört auch eine ganze Anzahl junger Burschen aus Eupen- Malmedy, die im Herbst Winter 1939/40 aus der belgischen Armee desertiert, nunmehr in feldgrauer Uniform ihre Heimat betraten43 Im Gebiet von Eupen-Malmedy44 standen viele Menschen an der Straße und jubelten den deutschen Soldaten als vermeintliche Befreier zu, Erfrischungsgetränke wurden gereicht, vor dem Eupener Rathaus versammelten sich Kinder und Jugendliche um die Ankömmlinge zu begrüßen und die Eupener Feuerwehr hisste dort die Hakenkreuzfahne45. Menschen mit differenzierterer Haltung hielten sich zurück, engagierte Demokraten, Nazi-Gegner und Probelgier hatten sich teilweise – da vorgewarnt – auf die Flucht nach Innerbelgien begeben. In Eupen nahm ein selbsternannter ‚Ordnungsdienst‘, der sich aus Mitgliedern der ‚heimattreuen‘ Organisation zusammensetzte Polizeiaufgaben wahr und verhaftete Personen, die antinazistisch eingestellt waren46 und was Einigen nachher den sicheren Tod brachte47. Bereits am 18. Mai 1940, noch vor der belgischen Kapitulation, waren durch ‚Erlass’ des Führers und Reichskanzlers die ‚Gebiete von Eupen, Malmedy und Moresnet‘ mit dem ‚Deutschen Reich wiedervereinigt‘ worden – hinzu kamen schließlich noch 10 belgische 42 zu den militärischen Ereignissen, nicht zuletzt zur Eroberung der Forts um Lüttich: Bierganz, Manfred/ Heeren, Robert: 10. Mai 1940. Zwischen Aachen und Lüttich, Eupen 1990 43 vgl. hierzu z.B. die Beiträge in: Pütz, Karl: Volksdeutsche Jugend zwischen den Fronten, Berlin 1942 44 zu Eupen-Malmedy 1940 – 1944/45: Schärer, Martin, R.: Deutsche Annexionspolitik im Westen. Die Wiedereingliederung Eupen-Malmedys im zweiten Weltkrieg, Bern/FFM, 1975 45 exemplarisch zur Stimmung in einem der Dörfer rund um Eupen, Cormann, Josefine: Lontzen und der 10. Mai 1940. Studienabschlußarbeit zur Erlangung des Graduats in Arbeits- und Sozialwissenschaften an der Volkshochschule der Ostkantone,Eupen 1990, 46 vgl. hierzu z.B. Bredohl, Bernhard: Die alten Soldaten greifen ein, in: o.N., Eupen-Malmedy ist frei! 3. Aufl., Aachen 1941, S.16-19 47 so z. B. dem Eupener Polizeikommissar Fritz Hennes, vgl. , Der erste politische Gefangene Belgiens war der Eupener polizeikommissar Fritz Hennes, in: Toussaint, Heinrich, Bittere Erfahrungen. Schicksale einer Kriegsgeneration im Grenzland, Bd.II, 2. Aufl. Eupen 1988, S.364-372 10 Gemeinden, die nie zu Deutschland gehört hatten, wo die Bevölkerung aber einen plattdeutschen Dialekt sprach. Der Achtzehntagekrieg Dem weitgehenden Jubel im deutschsprachigen Gebiet entsprach Panik und Angst in fast ganz Innerbelgien. Zu präsent waren der Bevölkerung noch die Ereignisse aus dem Ersten Weltkrieg. Augenscheinlich wurde dies z.B. an der alten deutsch-belgischen Grenze, wie sie bis zum Versailler Vertrag bestanden hatte: während in Herbesthal die Soldaten mit Kaffee und Kuchen empfangen und die Pferde getränkt wurden, waren auf der gegenüber liegenden Straßenseite in Welkenraedt die Fensterläden verrammelt und große Teile der Bevölkerung auf der Flucht. Städte wie Verviers waren menschenleer. Nach späteren Angaben der deutschen Militärverwaltung waren in den ersten Kriegstagen mindestens 2,5 Millionen Zivilisten, zwischen _ und 1/3 der Gesamtbevölkerung vor den vorrückenden Deutschen davongelaufen48. 1940 lebten in Belgien 115.000 jüdische Mitbürger49, die meisten waren erst kurz i m Land und nur einige Tausend besaßen die belgische Staatsangehörigkeit50. 45000 von ihnen waren nach dem 10. Mai auf der Flucht zumeist Richtung Frankreich. Noch am Tag des Überfalls hatte die belgische Regierung zudem ein Ausnahmegesetz vom 10.10.1916 in Kraft gesetzt, dass die Verhaftung in- und ausländischer Staatsfeinde vorsah. Nach diesem Gesetz wurden schließlich nicht nur 4000 flämische und wallonische Faschisten, sondern auch 6000 jüdische Emigranten verhaftet und i m Verlauf der Kriegsereignisse Richtung Frankreich abgeschoben51. Unter diesen armen Menschen befand sich auch Horst Naftaniel aus Berlin, der schließlich, wie durch ein Wunder Auschwitz-Monowitz überleben und in Eupen sesshaft werden sollte52. Die Lage im Mai war völlig katastrophal. Die Straßen waren verstopft, Truppen wollten in die eine, Flüchtlinge in die andere Richtung und darüber deutsche Sturzkampfbomber. Einem Teil der Flüchtlinge gelang es über die französische Grenze zu kommen, andere wurden zurückgeschickt. Netty Bütz, 1940 in Verviers in einem Privathaushalt beschäftigt, kam zu Fuß bis nach Dünkirchen53, Francois Wolgarten irrte bis nach Südfrankreich u m sich dort einer neu zu gründenden belgischen Armee anzuschließen54. Auch im Norden Frankreichs verbreitete sich schon mehr und mehr das Chaos, die Menschen waren mit sich selbst beschäftigt und wollen sich nicht auch noch u m Fremde kümmern. Oft wurden belgische Flüchtlinge arg beschimpft – ‚Boches du Nord‘ -, man warf ihnen vor, die belgische Armee leiste nicht genügend Widerstand und hätte schließlich auch zu früh kapituliert. In dieser Stimmung wurden am 20. Mai 1940 in Abbeville 21 willkürlich ausgewählte ‚Schutzhäftlinge‘, die nach dem oben erwähnten Ausnahmegesetz in Belgien verhaftet und nach Frankreich deportiert worden waren, 48 Petri/ Schöller, a.a.O., vgl.für das Folgende, wenn nicht anders angegeben: Von Mettenheim, Amelis: Felix Meyer 1875-1950. Erfinder und Menschenretter. Ein Jude rettet Juden im besetzten Belgien. Sein Leben dargestellt an Hand von Briefen, FFM 1998, S.103 50 die genaue Zahl anzugeben ist schwierig, da die belgischen Zivilstandsregister ja nicht die Religionszugehörigkeit einer Person anzeigen. Ein großer Prozentsatz des liberalen jüdischen Bürgertums hatte sich zudem völlig von seinen religiösen Wurzeln entfernt oder war teilweise auch zum Katholizismus konvertiert. Nachdem auch in Belgien am 24.10.1940 nach der NS-‚Rassenlehre‘ sog. ‚Judenregister‘ eingeführt wurden, meldeten sich etwa 4000 Personen belgischer Staatsbürgerschaft, vgl.: Schreiber, Marion: Stille Rebellen. Der Überfall auf den 20. Deportationszug nach Auschwitz, Berlin 2. Aufl. 2001, S.56 51 Von Mettenheim: Felix Meyer, a.a.O. ,S.51 52 vgl.: Ruland, Herbert: Horst Naftaniel – ein Überlebender des Konzentrationslagers Auschwitz-Monowitz, in: Ders. u.A.: Zwischen Hammer, a.a.O., S.94 53 vgl. Ruland: Netty Drooghaag, in Ruland u.. A.: Zwischen Hammer.., a.a.O., S.106f 54 vgl. Ruland: Francois (Rik) Wolgarten, in, ebd., S.118 49 11 erschossen55. Am 28. Mai 1940 streckte Belgien dann bedingungslos die Waffen, nachdem jeder weitere Widerstand zwecklos und nur eine tödliche Gefahr für die umherirrenden Flüchtlinge bedeutete und eine weitere Zerstörung des Landes mit sich gebracht hätte. Am 17. Juni bat Frankreich um Waffenstillstand, der am 22. Unterzeichnet wurde, eine Woche später kehrten die mit Deutschland sympathisierenden abgeschobenen Faschisten nach Belgien zurück. Die geflohenen und verschleppten Juden mussten in Frankreich bleiben und kamen in Lager, die 1939 für die spanischen Flüchtlinge errichtet worden waren, insbesondere nach Gurs, wo unvorstellbar schlimme hygienische Zustände herrschten56. Die meisten dieser armen Menschen wurden 1942 über das Lager Drancy bei Paris in den Osten deportiert und ermordet57. Der deutsche Militärbefehlshaber: die Kontinuität bleibt gewahrt Im Gegensatz zur niederländischen Königsfamilie, blieb der belgische Monarch – nicht die Regierung – nach der Kapitulation im Land und betrachtete sich in Schloss Laeken als deutscher Kriegsgefangener58, was ihn aber nicht davon abhielt Hitler a m 19.Oktober 1940 seine Aufwartung auf dem Oberalzberg zu machen. Und ebenfalls im Gegensatz zu den Niederlanden bekam das Land keinen Zivil-, sondern einen Militärverwalter: es war dies ein Zugeständnis Hitlers an die Wehrmachtführung59. Den Militärs ging es darum, zu verhindern, dass hier eine von der Partei dominierte Verwaltung ein ähnliches Schreckensregiment wie im Ersten Weltkrieg oder wie damals gerade in Polen eingerichtet, etablieren würde. Chef der Militärregierung wurde der zweiundsechzigjährige General Freiherr Alexander von Falkenhausen ein Neffe des letzten Generalgouverneurs im Ersten Krieg, Ludwig Freiherr von Falkenhausen – sicherlich ein schlechtes Omen für die Zivilbevölkerung. Von Falkenhausen gehörte wohl zu jener deutschnationalen eher reaktionärkonservativen Offiziersclique, die zwar eigentlich nichts mit den Nazi-Rabauken zu tun haben wollte60, aber auch nicht 1933 gegen deren Machtergreifung opponierte, da sie die Aufrüstungs- und Revanchepläne der neuen Führung als auch im eigenen Interesse liegend ansah. Als Verwaltungschef stand Falkenhausen, Eggert Reeder, ehemaliger Regierungspräsident in Köln zur Seite, der wohl mehr aus Karriere- den aus Überzeugungsgründen Parteimitglied war. Doch schon im Herbst 1940 etablierte sich das Reichssicherheitshauptamt und diverse andere NS-Dienstellen in Belgien. Die Gestapo bezog ihr Hauptquartier in der Avenue Louise in Brüssel. Im Kampf um die Macht im Lande zog die Wehrmacht bald den Kürzeren. Der Militärbefehlshaber gerierte sich dann zukünftig auch nicht, die vom Reichssicherheitshauptamt übermittelten Verordnungen gegen die jüdische 55 vgl.: Trees, Wolfgang: Paul Demez, Todeskandidat aus Verviers, in: Ders.: Krieg ohne Sieg. Schicksale in Europa 1935-1945, 1. Aufl. 1978, hier S. 237-240 56 Von Mettenheim: Felix Meyer, a.a.O., S.55 57 ebd., S.103 58 zur Haltung des Königs und der Regierung nach dem deutschen Überfall , Dietrich, Die Belgier, a.a.O., S.351-406 59 vgl. hierzu und für das Folgende, wenn nicht anders angegeben, Schreiber: Stille Rebellen, a.a.O., S. 40ff; Von Mettenheim: Felix Meyer, a.a.O., S.56f 60 daß es sich bei den führenden deutschen Wehrmachtoffizieren oft nicht um ausgemachte Nazis handelte, haben dem Autor auch zahlreiche ehemalige belgische Widerstandskämpfer ausdrücklich berichtet. So bekam die Partisanengruppe um Francois Wolgarten aus der Wehrmacht zumindest in einem Fall Hinweise auf sog. ‚Gestapisten‘, Zivilisten die Landsleute bei der Gestapo denunzierten. Deren Liquidierung wurde Seitens der Wehrmacht nicht weiter verfolgt. Charles Richter, Widerstandskämpfer und Deserteur, der sich damals in einem Kloster in Lütttich versteckte, berichtete, daß der dortige Ortskommandant ein Oberst Keip (?) ein korrekter Mann gewesen wäre und sich aus Auseinandersetzungen unter Belgiern herausgehalten hätte. Er soll auch in die Aufstandsbewegung des 20. Juli verwickelt gewesen sein.Unter dem Druck der SS nahm der Militärgouverneur hier aber schließlich eine harte Haltung ein und ließ auch für getötete Kollaborateure Geiseln erschießen 12 Bevölkerung in Kraft zu setzen. Auf Grund von Druck Seitens der SS, ließ er schließlich auch im Konzentrationslager Fort Breendonk Geiselerschießungen für ermordete belgische Kollaborateure durchführen. Am 26.Juli 1944 nach laufenden Interventionen von Parteistellen von seinem Amt abgelöst, wurde von Falkenhausen in Berlin von der SS verhaftet und bis Kriegsende festgehalten. Am 9. März 1951 in Brüssel wegen der Geiselerschießungen zu zwölf Jahren Zwangsarbeit verurteilt, wurde er noch am gleichen Tag über die deutsche Grenze abgeschoben. Noch nach dem Krieg beteuerte von Falkenhausen nichts von der Vernichtungspolitik der Nazis gewusst zu haben, was aber Angesichts der Stellung des Generals und der Informationsquellen über die er verfügte, als unglaubwürdig gelten muss. Judenverfolgung und Deportation61: Nach der Regierungsübernahme durch die deutschen Militärbehörden, wurden zunächst keine Sanktionen gegen die völlig verängstige jüdische Bevölkerung erlassen. Dies änderte sich jedoch bereits im Herbst 1940. Doch da den Parteidienststellen bald gewahr wurde, dass die belgische Bevölkerung antijüdischen Maßnahmen zumeist schroff ablehnend gegenüberstand, sollte die Deportation der Juden aus dem Land möglichst nicht im Rampenlicht der Öffentlichkeit stattfinden. Aus diesem Grund wurde auch keine belgische Polizei, wohl aber einheimische Nazis, zu antijüdischen Maßnahmen eingesetzt. Vielleicht nur widerwillig verkündete die Militärverwaltung auf Veranlassung des Reichssicherheitshauptamtes die ersten das Leben der jüdischen Mitbürger einschränkenden Verordnungen: am 23. 10. 1940 wurde das rituelle Schlachten verboten62, am nächsten Tag wurden die Gemeinden angewiesen sog. ‚Judenregister‘ einzuführen, wobei ein Doppel an das Brüsseler Hauptquartier der Gestapo einzuschicken war. 42.000 jüdischer Mitbürger ließen sich schließlich registrieren. Ebenfalls am 24.10 wurde eine Kennzeichnungspflicht jüdischer Unternehmungen, die Entfernung von Juden aus öffentlichen Ämtern und die Einziehung von Konten und Devisen jüdischer Bürger bekannt gegeben. Ausweise jüdischer Bürger mussten zukünftig mit einem Vermerk ‚Juif-Jood‘ versehen werden. Im April 1941 kam es zu ersten systematischen Plünderungen durch flämische Faschisten im Judenviertel von Antwerpen, ab dem 31. Mai war Juden jede ökonomische Tätigkeit untersagt. Am 29. August folgte eine weitere Verordnung, die Juden nunmehr nur noch erlaubte in Brüssel, Antwerpen, Lüttich und Charleroi zu wohnen. Am 25. November 1941 veranlasste die Besatzungsmacht die Einrichtung eines Judenrats, der ‚‘Association Juive en Belgique‘ (AJB). Nach den Vorstellungen von Reinhard Heydrich sollten solche Gremien für die ‚exakte und termingerechte Durchführung aller ergangenen oder zu ergehenden Weisungen verantwortlich sein‘. Die Persönlichkeiten, die sich hier zur Verfügung stellten, wollten durch Zusammenarbeit Schlimmeres von ihren Glaubensgenossen abwenden, letztendlich machten sie sich aber zu Erfüllungsgehilfen der Nazis. Das erste Halbjahr 1942 sah weitere einschneidende Maßnahmen gegen die jüdische Bevölkerung: ab Januar galt ein Ausreiseverbot, ab Mai erfolgten Zwangsverpflichtungen zur ‚Organisation Todt‘ und das obligatorische Tragen des ‚Judensterns‘ wurde angeordnet, wenig später das Verlassen der Wohnung nach Anbruch der Sperrstunde streng untersagt. Nachdem nunmehr die jüdische Bevölkerung völlig vom öffentlichen Leben in Belgien ausgeschlossen worden war, stand für die Bürokraten des Todes als finaler Schritt die Deportation in den Osten an. In einer ersten Phase sollten 10.000 61 vgl. wenn nicht anders angegeben. Schreiber: Stille Rebellen,a.a.O.; Von Mettenheim: Felix Meyer, a.a.O., vgl. für das Folgende auch: Ruland, Herbert: Chronologie der Judenverfolgung im besetzten Belgien, in: Ders. u. A.: Zwischen Hammer..., a.a.O., S.102f 62 13 Juden aus Belgien in den Osten verbracht werden und auch hier bediente sich die SSVerwaltung wieder des Judenrats. Dieser wurde angewiesen in kürzester Zeit eine vollständige Liste aller in Belgien lebender Juden anzufertigen um daraus 10.000 Kandidaten für den Arbeitsdienst außerhalb Belgiens auswählen zu können. Die Liste lag am 25.7.1942 vor und umfasste die Namen von rund 56.000 potentiellen Todeskandidaten. Der Judenrat lieferte aber nicht nur die Namen an die SS aus, er besorgte auch die Zustellung der ‘Arbeitseinsatzbefehle‘ und legte schließlich noch in seinem Namen ein beruhigendes Schreiben bei, dass es sich tatsächlich um einen Arbeitseinsatz und nicht um eine Deportationsmaßnahme handele. Am 27. Juli trafen die erstem Menschen in der zum Sammellager für abgehende Judentransporte umfunktionierten Kaserne ‚Generaal Dossin de Saint Georges‘ in Mechelen ein. Nur eine Woche später am 4. August ging der erste Transport nach Auschwitz, ihm folgten bis zum 31.7.1944 sechsundzwanzig weitere. Die Transporte in den Tod wurden bis zum letzten Augenblick organisiert. Am 4. September 1944 konnten dank des Vormarschs der Alliierten 400 Personen, die bereits auf der ‚Transportliste 27‘ standen, die Kaserne auf freiem Fuß verlassen. Insgesamt wurden aus Mechelen 25.257 Menschen nach Auschwitz deportiert, davon 10.247 Männer, 9917 Frauen und 5.093 Kinder. Zurück kamen nur 1205 Personen, davon 718 Männer, 432 Frauen und 55 Kinder. Widerstand Am 13. Mai 1940 wurde Nicolas Compere im Wald von Steppenes in der Nähe von Aywaille in den Ardennen standrechtlich erschossen63. Compere, Polizeikommandant von Seraing, hatte noch nach der Besetzung seines Amtes durch deutsche Soldaten die dortige Telefonzentrale zerstört. Er gilt als der erste hingerichtete belgische Widerstandskämpfer im Zweiten Weltkrieg. Doch in der kurzen Zeit des 18Tagekriegs und in den ersten Monaten der Besetzung, war von einem organisierten Widerstand wenig zu spüren. Die meisten Menschen standen unter dem Eindruck der gewaltigen deutschen Militärerfolge. Nichts schien sich der Wehrmacht in den Weg stellen zu können. Nach dem Zusammenbruch Frankreichs, gingen auch viele Belgier von der baldigen Landung in England aus. Das deutsche Zeitalter schien angebrochen, Anpassung, zumindest ein pragmatischer Umgang mit den ungeliebten Besatzern, schien vielen Belgiern auch aus Gründen des persönlichen Vorankommens zumindest zunächst geboten zu sein. Doch auch im Sommer 1940 gab es schon Menschen, die gegen den Strom schwammen: couragierte Einzelpersonen boten Personen – insbesondere jüdischen Mitbürgern - die eine Verfolgung Seitens der Deutschen zu erwarten hatten, Unterschlupf und Versteck an. Horst Naftaniel, dem es gelungen war aus dem Internierungslager St. Cyprien in Südfrankreich zu fliehen und nach Belgien zurückzukommen, brachte seinen 1939 geborenen Sohn zu einem mit ihm befreundeten Brüsseler Ehepaar. Auf dem zuständigen Polizeirevier gaben dann die ‚neuen Eltern‘ augenzwinkernd und erfolgreich zu Protokoll, man habe ihnen ein Kind vor die Tür gelegt, das sie selbstverständlich behalten möchten. Der Junge wurde als Familienmitglied eingetragen und erhielt damit auch das Recht auf Lebensmittelkarten64. Ähnliches hat sich vielerorts abgespielt. In den kleinem Dorf Cornemont in den Ardennen (heute Gemeinde Sprimont) trug der Gemeindesekretär jüdische Kinder als Angehörige dort ansässiger Familien in das Bevölkerungsregister ein. Der ganze Ort bewahrte Stillschweigen und die Kinder 63 vgl.: Ruland, Herbert: Auf den Spuren der Partisanen in den Ardennen, in: Zaungast, 16. Jg. 1995, hier S.11 vgl.: Ruland, Herbert: Horst Naftaniel..., in : Ders. u.A.: Zwischen Hammer, a.a.O.,S.94; um den Jungen zu schützen, hatten ihn die Pflegeeltern auch katholisch taufen gelassen. Als Horst seinen Sohn nach dem Krieg zurückholte, ließ er es dabei bewenden, für andere jüdische Eltern bedeutete dies ein großes Problem 64 14 überlebten den Krieg65. Auch Paul Spiegel, heute Präsident des Zentralrats der Juden in Deutschland wurde durch Pflegeeltern in Belgien gerettet66. Widerstand gegen die Besatzungsmacht konnte sich auch in Belgien – wie andererseits auch die Kollaboration – in vielfachen Formen ausdrücken. Aufmunternde Worte für vorbeigeführte Kriegsgefangene, ein Butterbrot oder ein Zigarettenstummel für Zwangsarbeiter, Anfertigung u n d Verteilung v o n Untergrundzeitungen, Verschwindenlassen von Denunziationsbriefen an die Gestapo, das Verstecken von Personen, Spionage, Sabotage und bewaffnete Auseinandersetzungen mit Kollaborateuren und Vertretern der Besatzungsmacht, all dies waren Formen von Widerstand. Bereits im Sommer 1940 waren weitestgehend unabhängig voneinander in den südbelgischen Industrierevieren kleine bewaffnete Untergrundgruppen entstanden, die sich vor allem aus Aktivisten der Linksparteien und ehemaligen Rotspanienkämpfern zusammensetzten. Ihre Waffen kamen aus dem Fundus, dem sich die zurückhastenden belgischen, französischen und britischen Truppen im Achtzehntagekrieg entledigt hatten. Der am 15. März 1941 von den verschiedensten Untergrundorganisationen gegründeten Unabhängigkeitsfront (Onafhandelijkheitsfront – Front de L’independance), traten diese bewaffneten Gruppen als Belgische Partisanenarmee (PA) bei. Die Unabhängigkeittsfront stand allen weltanschaulichen und religiösen Richtungen offen. Da ihr aber als einzige Partei die Kommunisten beitraten, galt sie als von dieser dominiert. Dies führte dazu, dass eher rechts gerichtete Gruppen sich von der Front fernhielten und dass diese nur sehr geringe Waffenlieferungen aus England per Fallschirm erhielt67. Widerstand im deutsch-belgischen Grenzland bedeutete vor allem Fluchthilfe. Insbesondere in den plattdeutschen altbelgischen Gemeinden, wo fast die gesamte Bevölkerung die 1940 von Deutschland vollzogene Annexion ablehnte, beteiligten sich viele gerade junge Menschen, an solcherlei Aktionen. Nach 1940 wurden zwar auch noch vereinzelt jüdische Mitbürger illegal über die neue deutsch-belgische Grenze gebracht, vor allem erstreckte sich jetzt aber die Hilfe auf entflohene Kriegsgefangene und auf abgeschossene Bomberpiloten. Auch Gemmenich, der Heimatort von Netty Bütz, gehörte jetzt zum Reich und Netty war ‚Deutsche auf Widerruf‘. Zur Arbeit in Aachen verpflichtet, verhalf sie als belgische Patriotin, die den Besatzern schaden wollte, französischen Kriegsgefangenen zur Flucht. Im August 1942 denunziert, kam sie bis zur Ausreise nach Schweden im April 1945 in das Frauenkonzentrationslager Ravensbrück. Dort wurde aus der glühenden Patriotin auch eine überzeugte Antifaschistin68 .Francois Wolgarten und seine Familie verließen um nicht deutsche Staatsbürger zu werden, den ebenfalls annektierten Ort Welkenraedt und verzogen in die Ardennen69. Im deutsch gewordenen St. Vith beschäftigt, half er auf seinem täglichen Rückmarsch von der Arbeit des öfteren entflohenen Franzosen über die Grenze. 1943 zur Zwangsarbeit nach Köln verschickt gelang ihm von dort die Flucht und im Herbst des gleichen Jahres schloss er sich den Partisanen in den Ardennen an. Partisanen in Belgien? Belgien ist flächenmäßig ein kleines Land: vor allem i m Waldgebiet der Ardennen hat es größere zusammenhängende Partisanengruppen gegeben70. Zunächst waren die einzelnen Untergrundkämpfer bei Bauern versteckt, wo 65 mündliche Auskünfte dser Dorfbewohner an den Autor; ein Foto des Denkmals in Ruland, Herbert: Auf den Spuren, a.a.O., S. 12 66 vgl. das Vorwort von Paul Spiegel, in: Schreiber: Stille Rebellen, a.a.O., S.7-9 67 vgl. Onafhankelijkheidsfront – Kommissie Geschiedenis en Orientatie (Hrsg.): Nazisme – Fascisme. Gisteren en Vandaag, 3. Erg. Aufl. Brüssel 1994, hier S. 10-12 68 vgl.: Ruland: Netty Drooghaag,..., in: Zwischen Hammer, a.a.O., hier insbes. S.107-115 69 vgl. für das Folgende: Ders.: Francois (Rik) Wolgarten, in: ebd., S.119-139 70 ebd., vgl. auch Ders.:Auf den Spuren,... 15 sie einem gewöhnlichen Tagewerk nachgingen und sich nur zu verabredeten Aktionen vereinten. Aktionen waren etwa Überfälle auf Poststationen oder Gemeindebüros. Dort ging es darum Geld oder Papiere zu erbeuten, z.B. um Untergetauchten helfen zu können. Zumeist gaben die Beamten selbst den Untergrundkämpfern die Information, wann es sich denn lohnte, einmal bei ihnen vorbeizuschauen. Ende 1943 ging die Besatzung verschärft dazu über, einzelne Gehöfte nach Widerstandskämpfern zu durchsuchen, notgedrungen zogen sich die Untergetauchten daher in die Wälder zurück. Aus den Limburgischen Kohlengruben befreite sowjetische Staatsbürger, die eine Art Grundausbildung im Partisanenkampf besaßen, brachten den Belgiern dabei alles Überlebensnotwendige bei. Eine wesentliche Rolle im Untergrund spielte auch das ‚Comité de Défense des Juifs‘ (C.DJ)71, das ebenfalls zur Front gehörte und sich insbesondere auch um das Verstecken von Menschen und deren Versorgung kümmerte, aber auch an bewaffneten Aktionen, etwa der Beseitigung von Kollaborateuren, beteiligte. Der mit der Besatzung kollaborierende Judenrat (ABJ) sah im CDJ ein Werkzeug des Sowjetkommunismus, dessen Aktionen unbeteiligte jüdische Bürger gefärdeten. Der Überfall auf den 20. Deportationszug nach Auschwitz, der von drei Aktivisten fast ohne Fremde Hilfe durchgeführt wurde, stellt eine der Ruhmestat des jüdischen Widerstands in Belgien dar72. Den jüdischen Partisanen ist neben der Erinnerungsstätte der aus Belgien deportierten Juden in Anderlecht ein eigenes Denkmal gewidmet. Einen dritten Weg zwischen Judenrat und Widerstand ging wohl der aus Aachen stammende Fabrikant und Erfinder Felix Meyer73. 1938 nach der Pogromnacht mit seiner aus Brüssel stammenden Frau nach dorthin übergesiedelt, scheint es ihm gelungen zu sein, durch geschicktes Taktieren auch mit der Gestapo über 1000 Menschen vor der Deportation zu retten. Durch den oft lebensgefährlichen Einsatz vieler belgischer Bürger gelang es 30.000 der 56.000 registrierten Juden vor der Deportation zu retten! Nach der Landung der Alliierten in der Normandie bekam auch der belgische Widerstand weiteren Zulauf. Vor allem wurden jetzt großzügig antikommunistische Gruppen außerhalb der Front, wie die ‚Armée Secrète‘ mit Waffen versorgt. Im August 1944 verstärken auch die Partisanen in den Ardennen ihre Aktionen, u.a. wurden für deutsche Militärtransporte wichtige Brücken gesprengt. Nach der Ankunft der Amerikaner, ließ man die Partisanen zunächst noch Wachdienste an amerikanischen Militärdepots verrichten. Doch die zurückgekehrte Exilregierung ging schnell daran, die ihr suspekten Partisanen zu entwaffnen. Schließlich ging sogar das Gerücht um, Einheiten der von den Alliierten bewaffneten Geheimarmee könnten gegen die Partisanen eingesetzt werden. Nur wenige Partisanen wurden dann im darauf folgenden Winter in die neu gegründeten belgischen Streitkräfte aufgenommen. 71 vgl. auch: Schreiber: Stille Rebellen, a.a.O., S.94-110 ebd., insbes. S.196-290 73 Von Mettenheim: Felix Meyer, a.a.O., 72 16